Der Wissenschaftsverlag „Springer Nature” hatte heute an die Börse gehen wollen. Daraus wird nun zunächst einmal nichts. Wegen zu weniger Zeichnungen ist der Börsengang auf unbestimmte Zeit verschoben.

Bemerkenswert ist das unter anderem deshalb, weil der Marktwert des Verlages vor allem mit den nahezu unbegrenzt möglichen Preissteigerungen bei Fachzeitschriften begründet worden war:

Bedingt durch anerkannte Marken wie „Nature“ kann das Unternehmen vermutlich auch künftig Preissteigerungen vornehmen.

konstatierte beispielsweise das Handelsblatt. Insbesondere verwies es auf Springers starke Stellung bei „Open Access“:

In diesem Bereich – Autoren zahlen hier für eine Veröffentlichung in Gratispublikationen – hat Springer eine starke Stellung. Marktanteil: 30 Prozent. Das ist mehr als doppelt so viel, wie der nächstfolgende Konkurrent aufweist. Dieses Geschäft soll weiter ausgebaut werden und ist genauso rentabel wie das Stammgeschäft mit dem Verkauf von Zeitschriften, Büchern und E-Books. Schon heute fallen bei Open Access mehr als 100 Millionen Euro Umsatz an.

Der Preis für die Veröffentlichung eines kurzen Artikels in Nature Communications beträgt aktuell 3850 Euro plus Steuern, bei anderen Springer-Zeitschriften ist er etwas niedriger (Liste).

Anscheinend haben diese Argumente die Anleger nicht überzeugt. Vielleicht glaubten sie nicht an die in Aussicht gestellten Möglichkeiten nahezu unbegrenzter Preissteigerungen. Solche Zweifel sind sicherlich berechtigt: Universitäten und Forshungsinstitute wehren sich schon seit Jahren gegen die Preispolitik großer Wissenschaftsverlage. (Zum Beispiel mit einem Boykottaufruf gegen den Springer-Konkurrenten Elsevier.)

Kommentare (8)

  1. #1 Frank Wappler
    https://free.wikipedia.now
    9. Mai 2018

    Thilo schrieb (9. Mai 2018):
    > […] Universitäten und [Forschungs]institute wehren sich schon seit Jahren gegen die Preispolitik großer Wissenschaftsverlage.

    Nicht nur das; sondern (dazu komplimentär) auch:

    Wissenschaftler und Forscher wehren sich schon seit Jahren gegen die (insbesondere gegenüber Originalbeiträgen restriktive, quasi-institutionalisierte) Verlags- bzw. Veröffentlichungspolitik großer Open-Access-Universalenzyklopädien.

  2. #2 Thilo
    10. Mai 2018

    Was konkret meinen Sie?

  3. #3 rank zero
    10. Mai 2018

    Nun ja, “unbegrenzte Preissteigerungen” ist schon sehr überspitzt – im klassischen Lizenzbereich ist das ja schon lange durch die kaum wachsenden Bibliotheksetats gedeckelt (entsprechend die logische Notwehr u.a. des genannten Boykotts), und im Bezahl (“Gold”-)OA – korrekt als potentieller Wachstumstreiber benannt – wird dies nicht von Preissteigerungen, sondern von Publikationsinflation (sprich: Qualitätserosion) getrieben. Diese wird aber vor allem von politischen Rahmenbedingungen befeuert: Unsinnige Publikations- und Zitationszählerei in der Wissenschaftspolitik (in D zum Glück noch relativ wenig ausgeprägt, in anderen Ländern wie China oder Iran rasender Wahnsinn) und Zwang zum Gold-OA (auch seitens vieler Förderinstitutionen). Man sollte die beiden Aspekte schon differenzieren.

    Hinsichtlich der mangelnden Zeichnungsbereitschaft eine einfache Rechenaufgabe mit den konkreten bekannten Zahlen, für die vielleicht gerade in einem Mathematikblog Platz sein sollte:

    SN hatte 2017 einen Umsatz von ca. 1,64 Mrd € bei Schulden von ca. 3 Mrd. €. Die genannten 100 Millionen bei Wachstumstreiber OA sind wieviel % der Umsatzes? Wieviel sind es absehbar in der Zukunft, wenn der OA-Bereich bei SN wie in den letzten Jahren selbst ohne Probleme weiter um ca. 3,2% wächst (da die Einnahmen des Börsengangs fast durchweg zur Schuldentilgung gedacht waren, wird man einen Investitionseffekt vernachlässigen können)? Die schon ausgesprochen hohe Umsatzrendite bei Wissenschaftsverlagen wird man schwer viel weiter steigern können. Wie lange müssten eigentlich die Kreditzinsen ziemlich niedrig sein, damit überhaupt etwas für die Aktionäre abfällt? Genau.

    Bliebe nur die Frage, woher der Schuldenberg kommt. Und da hilft leicht ein Blick in die Historie – da wurde die Firma wiederholt unter Finanz”investoren” weitergegeben, die bekanntlich gerne ihren Kaufpreis über das Vehikel aufgedrückter Kredite fix wieder reinholen (und entsprechend für die Firma Desinvestoren darstellen; der Gewinn des Ganzen bekanntlich dank Eichel & Nachfolgern steuerbefreit). Wenn man das mit mehreren Eigentümerwechseln durchgespielt hat (Holtzbrinck wäre hier auszunehmen) bleibt schon ein ordentliches Negativsaldo in Form von Schulden übrig, das die Anleger offenbar nicht bei der Zeichnung am Ende der Kette auffangen wollten.

    Die kurzfristige Auswirkung der Absage auf die Publikationslandschaft dürfte jedenfalls negativ sein – gemäß “Marktlogik” muss man ja die Gelder nun alternativ durch Kostensenkungen und Publikationsaufblähung reinholen. Für die Mathematik geht damit die Gefahr der Erosion einer Reihe von noch immer sehr guten Zeitschriften einher. Mittel- und langfristig könnte in der Tat die Landschaft ohnehin ganz anders aussehen, da die notwendige längfristige Qualitätssicherung offenbar nicht so gut zur Profitorientierung passt. Dazu müsste aber vor allem die Wissenschaftspolitik Qualität ernst nehmen und nicht durch Messung von Exzellenz in quantitativen Publikations- und Zitatzahlen inverse Anreize setzen.

  4. #4 Frank Wappler
    https://free.wikipedia.now
    11. Mai 2018

    Thilo schrieb (#2, 10. Mai 2018):
    > Was konkret meinen Sie? [Frank Wappler, #1, 10. Mai 2018]

    Ich meinte konkret die (gegenwärtigen) Formulierungen von sogenannten “Richtlinien” in mehreren Sprach-Fragmenten der Wikipedia, die der Erst-Veröffentlichung wissenschaftlicher Inhalte bzw. der Barriere-freien Peer-Review in Form von Wikipedia-Artikeln im Wege stehen (sollen);
    und dass sich Wissenschaftler und Forscher gegen das Aufstellen bzw. Befolgen derartiger “Richtlinien” gewehrt haben und auch weiterhin wehren (können).

  5. #5 Thilo
    11. Mai 2018

    Diese Richtlinien haben den Sinn zu gewährleisten, dass nur geprüfte Resultate Eingang in die Wikipedia finden. Die Prüfung erfolgt durch das Peer-Review einer Fachzeitschrift, die Wikipedia wäre nicht in der Lage, diese Prüfung zu leisten.

  6. #6 Dr. med. Martin P. Wedig
    Herne
    11. Mai 2018

    Autoren zahlen 4000,- € für die Veröffentlichung Ihres Fachartikels und Leser zahlen 40,- € pro Artikel. Dieses Geschäftsmodell wird von den Hochschulen nicht gustiert und die Zitation wissenschaftlicher Literatur wird damit nicht gefördert. Springer benötigt Geld zum Schuldenabbau und zur Weiterentwicklung asymmetrischer Geschäftsmodelle. Den Geldgebern wollte Springer nur eingeschränkte Rechte einräumen.
    Wen wundert’s, daß dieses Angebot nicht von der Börse applaudiert worden ist.
    An dieser Stelle wäre die Wiedergabe von Angebot und Nachfrage interessant.

  7. #7 Frank Wappler
    https://free.wikipedia.now
    14. Mai 2018

    Thilo schrieb (11. Mai 2018):
    > Diese Richtlinien [ genannt in #4, 11. Mai 2018 ] haben den Sinn zu gewährleisten, dass nur geprüfte Resultate Eingang in die Wikipedia finden.

    Es ist umstritten, dass “nur geprüfte Resultate Eingang in” eine Enzyklopädie zu finden hätten.
    Die Wikipedia (bzw. ihre Fragmente) enthalten z.B. auch Inhalte über bestimmte wissenschaftliche Modelle oder Vermutungen, deren eventuelle Prüfung nur vorläufig gewesen ist, oder noch gar nicht erfolgte; oder deren Status hinsichtlich Prüfung umstritten ist.

    > Die Prüfung erfolgt durch das Peer-Review einer Fachzeitschrift, die Wikipedia wäre nicht in der Lage, diese Prüfung zu leisten

    Es ist umstritten, dass Wikipedia nicht in der Lage wäre, Prüfung durch (das) Peer-Review zu gewährleisten (und sogar zu dokumentieren); und (auch) diesbezüglich als Fachzeitschrift zu fungieren.

  8. #8 rank zero
    18. Mai 2018

    Recht ausführlich inzwischen auf The Scholarly Kitchen, insbesondere auch mit den Kommentaren (u.a. von Dan Tonkery und Arnoud de Kemp).