Aus diesen Daten wurde dann damals sogar eine Länderwertung generiert, in der die USA vor Frankreich und Großbritannien führten.

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In de-WP wurde diese Nationenwertung im Februar 2016 (ebenso wie die Fahnen) aus dem Artikel entfernt, in en-WP steht sie noch heute zwar nicht im Artikel selbst, aber in einer separaten Liste. (Wobei die Fieldsmedaillengewinner der Sowjetunion dort Rußland oder der Ukraine zugeschlagen werden, und Martin Hairer sowohl der Schweiz als auch Österreich, aber nicht Großbritannien, einen Punkt sichert.)

In dem Zusammenhang ist dann bemerkenswert, dass in der deutschen Presse im August durchgängig ohne weitere Erläuterungen von Peter Scholze als zweitem deutschem Fieldsmedaillisten nach Gerd Faltings die Rede war, was natürlich auch korrekt ist, wenn man Staatsbürgerschaft oder Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Verleihung zugrundelegt. Trotzdem hätte zumindest erwähnt werden können, dass es schon fünf Fieldsmedaillisten gab, die jedenfalls als Deutsche in Deutschland geboren wurden, neben Faltings und Scholze noch Klaus Friedrich Roth (1933 nach England emigriert), Alexander Grothendieck (1939 nach Frankreich emigriert) und Wendelin Werner (französischer Staatsbürger seit 1977).

Algebra und Geometrie

Widersprüchlich war im Zusammenhang mit dem ICM auch die Berichterstattung zu perfektoiden Räumen.
Im SPIEGEL war schon vor der Preisverleihung zu lesen:

Scholzes Arbeiten kann jeder mathematisch Gebildete verstehen.

Dagegen meinte die TITANIC in einem eher unlustigen Beitrag, die Menschen, die dieser Theorie “nur ansatzweise folgen können, kann man an einer Hand abzählen, es sind sieben bis acht”, und die Süddeutsche Zeitung schrieb

Das Konzept der perfektoiden Räume gilt als eines der schwierigsten Konzepte, die je in die Mathematik eingeführt wurden. Der lustigste Moment in den Berichten der vergangenen Tage ist dementsprechend der Moment, an dem – Kategorie: von Laien für Ahnungslose – versucht wird zu erklären, was Scholze herausgefunden hat, was also perfektoide Räume nun eigentlich sein sollen. Selten erkannte sich der Journalismus so demütig als Wortmusik. Scholzes perfektoide Räume hätten wenig mit der Laienvorstellung vom Raum zu tun, liest man da, sie basierten “statt auf den reellen auf den exotischen sogenannten p-adischen Zahlen”. Anderswo steht zart zirkulär, dass in Scholzes Welt “Probleme aus der Zahlentheorie so in eine geometrische Sprache umformuliert werden, dass Sätze aus der Geometrie und der Topologie auf zahlentheoretische Probleme angewendet” werden könnten.

Die FAZ brauchte zwar nach der Fields-Medaillen-Verleihung fünf Tage, ihr gelang dann aber doch die beste Darstellung des Problemkreises.

Das Gebiet nennt sich algebraische Geometrie. Wer nun denkt, so etwas gibt es doch gar nicht, ist in guter Gesellschaft. Es ist also nicht zulässig, beim Beweisen von einem Gebiet in ein anderes überzugehen, zum Beispiel das Geometrische mittels der Arithmetik zu beweisen, schreibt Aristoteles in seiner Zweiten Analytik. Wie soll das auch gehen? Die Arithmetik ist die Lehre von den Zahlen und die Basis der Algebra, der Lehre von den Rechenoperationen. Geometrie dagegen hat mit räumlichen Objekten zu tun: Punkten, Geraden, Flächen.

[…]

Das Konzept [der perfektoiden Räume] wurde rasch von Forschern auf der ganzen Welt aufgenommen. […] Den Grund dahinter deutet Michael Harris mit dem Hinweis auf eine Analogie zwischen p-adischen Zahlen und Funktionen an, wie man sie aus der Schule kennt. Eine solche lässt sich als sogenannte Taylor-Reihe darstellen, das heißt als Summe: f(x)=a_0+a_1x+a_2x^2+a_3x^3+\ldots mit einer für die Funktion spezifischen Folge reeller Zahlen an. Eine p-adische Zahl kann nun in einer ähnliche Form geschrieben werden, nämlich a_0+a_1p+a_2p^2+a_3p^3+\ldots, nur, dass die Koeffizienten nun ganze Zahlen sind und p die jeweilige Primzahl. Die beiden Ausdrücke haben völlig verschiedenen Charakter, schreibt Harris. Während x eine Variable ist und daher verschiedene Werte annehmen kann, um so eine geometrische Figur nachzuzeichnen, ist p konstant und die p-adische Formel reine Algebra. Das Ziel der perfektoiden Geometrie, so Harris, ist es, die Konstante p sich wie eine Variable verhalten zu lassen. Damit kann man dann geometrische Methoden auf die p-adischen Zahlen anwenden und von dort aus auf die übrige Zahlentheorie.
Die Aussicht darauf beglückt die in diesem Gebiet arbeitenden Mathematiker seit Scholzes Entdeckung der perfektoiden Räume. Mit ihnen erscheint der Traum einer fundamentalen Überwindung der aristotelischen Kluft zum Greifen nah.

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Kommentare (6)

  1. #1 tohuwabohu
    Berlin
    20. August 2018

    Gerne lese ich Ihre Beiträge, wie auch die Ihrer Blog-Kollegen. Vielleicht hätten Sie mit der Veröffentlichung (um auf das gerade laufende Astrodictum-Simplex-Sommerrätsel Rücksicht zu nehmen) noch etwas warten können.

  2. #2 Thilo
    20. August 2018

    Habe ich irgendwas verraten? Das war nicht beabsichtigt.

  3. #3 Dr. Webbaer
    20. August 2018

    Yup, vely nice, da haben Sie sich ja richtig abgerackert in diesem nicht kleinen WebLog-Eintrag, Thilo.
    Der mathematisch leider lausig gebliebene Webbaer hat mal dieses Buch gelesen und sich immerhin gemerkt, dass es unterschiedliche Mächtigkeit von Unendlichkeit gibt und dass Unendlichkeit ein mathematisches Konstrukt ist, zu dem es in der Natur keine Entsprechung gibt :

    -> https://en.wikipedia.org/wiki/White_Light_(novel)

    Mathematik ist die (formalisierte) Fähigkeitslehre, die Fähigkeitslehre schlechthin, sozusagen, sie konnte recht früh sinnhafterweise aus der Mutterwissenschaft, der Philosophie, herausgelöst werden.

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. #4 Dr. Webbaer
    20. August 2018

    Bonuskommentar hierzu :

    Es wäre eine interessante epistemologische (oder eher kognitionspsychologische) Frage, warum in der Mathematik schöne Formeln oft auch richtig sind, während das in der Physik nicht immer der Fall zu sein scheint.

    Dies müsste an der Axiomatik des Formalsystems der Mathematik liegen, die Natur pflegt selbst keine (für den Weltteilnehmer, der kein Weltbetreiber ist, erkennbare) derartige Axiomatik.
    Die angewandte Mathematik ist Instrument.

  5. #5 tomtoo
    20. August 2018

    @Thilo
    Nö, du hast nix verraten. Einfach eine Lustige Überschneidung. Wer denn Herren mit Hut nicht kannte oder zu doof war ihn beim Blechauge nachzuschlagen, hätte es wohl eh schwer bei dem Rätsel. VIEL zu Mathelastig diesmal für meinen Geschmack ; )

  6. #6 tomtoo
    20. August 2018

    @Thilo
    Kleiner Nachtrag: Da kamen zwei Formeln drin vor!
    ; )