Der Satz von Bolyai-Gerwien-Wallace besagt, dass Vielecke gleichen Flächeninhalts in kongruente Stücke zerlegt werden können, so wie im Bild oben das Quadrat und das gleichseitige Dreieck in vier jeweils kongruente Drei- und Vierecke. (Gleichfarbige Stücke sind jeweils kongruent.)

Laut Ian Stewart war das Finden solcher Zerlegungen Ende des 19. Jahrhunderts eine gern gestellte Rätselaufgabe. Der allgemeine Beweis, dass solche Zerlegungen immer existieren, benutzt nur euklidische Geometrie, aber er wurde wohl erst Anfang des 19. Jahrhudert gefunden.

S. Devadoss, Z. Epstein und D. Smirnov haben jetzt einen Algorithmus veröffentlicht (Visualizing scissors congruence) und eine zugehörige Webseite erstellt, der beliebige Vielecke so zerlegt, dass sie in ein anderes Vieleck zusammengesetzt werden können. Ein ziemlich kompliziertes Beispiel zeigt das Bild unten (links)

Die Visualisierung zeigt vor allem, dass eine solche Zerlegung doch viel aufwändiger ist, als man vielleicht denken würde. Für das oben abgebildete Zehneck und Sechseck braucht man, wenn ich richtig mitgezählt habe, ungefähr 65 Schritte.

Link zur Webseite: https://dmsm.github.io/scissors-congruence/

Das analoge Probleme für dreidimensionale Körper ist übrigens nicht immer lösbar. Hilbert hatte diese Frage als drittes seiner 23 Probleme beim Weltkongreß 1900 in Paris gestellt. Schon Gauß hatte bedauert, dass bspw. die Volumenformel für Pyramiden von der Exhaustionsmethode abhängt, also aus heutiger Sicht von Grenzwertübergängen. Laut Euklid ist das Verhältnis der Volumina von Pyramiden gleicher Höhe gerade das Verhältnis der Flächeninhalte ihrer Grundflächen. Obwohl das ein Satz in Euklids Elementen war, kannte man keinen elementaren Beweis. Hilbert meinte, dass es einen solchen Beweis auch nicht geben könne. Deshalb hatte er – trotz des Satzes von Bolyai-Gerwien-Wallace im 2-dimensionalen Fall – geglaubt, dass es eine entsprechende Zerlegung für 3-dimensionale Polyeder nicht immer geben würde; das würde dann die Unmöglichkeit eines elementargeometrischen Beweises zum Satz von Euklid rigoros beweisen.
Hilberts Problem wurde schon wenige Monate später von Max Dehn in seiner Habilitationsschrift gelöst. Tatsächlich gibt es neben dem Volumen noch eine aus den diedrischen Winkeln an den Kanten berechnete Invariante, die übereinstimmen muß, damit sich zwei Polyeder in kongruente Stücke zerlegen lassen.