Am Freitag ist Goro Shimura gestorben, in der nichtmathematischen Öffentlichkeit vor allem bekannt für die Taniyama-Shimura-Vermutung (mit Yutaka Taniyama), aus der der große Satz von Fermat, also die Unlösbarkeit in ganzen Zahlen von xn+yn=zn für n>2 folgt.

Shimura hatte während des Krieges die Schule abbrechen und in einer Fabrik für Flugzeugteile arbeiten müssen, ähnlich wie Taniyama, der durch eine Tuberkulose zwei Schuljahre verloren und dann ebenfalls durch den Krieg behindert worden war. Ansonsten waren sie aber sehr unterschiedliche Charaktere, Shimura war sehr konservativ und traditionsgebunden, während Taniyama bekannt dafür war, viele Fehler zu machen, die meist auf den richtigen Weg führten.
Modulformen waren in der Mitte des Jahrhunderts eigentlich aus der Mode gekommen, bis auf Martin Eichler in Münster arbeitete außerhalb Japans niemand mehr auf diesem Gebiet. In Japan hingegen gab es eine Reihe junger Studenten, die auf sich allein gestellt an verschiedenen Aspekten von Modulformen arbeiteten.
Eichler hatte sich damals mit der elliptischen Kurve y2+y=x3-x2 beschäftigt und die erstaunliche Beobachtung gemacht, dass die Anzahl ap von deren Lösungen modulo p gerade der Koeffizient von xp in der Reihenentwicklung eines gewissen unendlichen Produkts ist, das eine Modulform darstellt. Taniyama hatte dann einige weitere Modulformen gefunden, deren Koeffizienten zu einer elliptischen Kurve gehören und eine entsprechende allgemeine Formulierung auf einem Symposium in Tokio vorgeschlagen. Die war allerdings nicht korrekt und es war dann Shimura, der die Formulierung korrigierte und die allgemeine Vermutung über die Entsprechung zwischen elliptischen Kurven und Modulformen propagierte. Die meisten Mathematiker außerhalb Japans blieben skeptisch. André Weil meinte zu Shimura, für die Vermutung spreche nicht viel mehr als dass elliptische Kurven und Modulformen jeweils abzählbare Mengen bildeten und so gesehen nichts gegen eine Bijektion zwischen beiden spreche.
Die Vermutung hat verschiedene Versionen.
Die komplex-analytische Version besagt, dass es für jede elliptische Kurve E mit Führer N eine nichtkonstante holomorphe Abbildung X0(N)—>E gibt, wobei X0(N) die Kompaktifizierung (durch Hinzufügen der Spitzen) von Y0(N)=Γ0(N)\H2, dem Quotienten der hyperbolischen Ebene nach der Untergruppe von SL(2,Z) mit durch N teilbarem Eintrag links unten ist. Ähnlich gibt es eine algebraisch-geometrische Version in der Sprache der Schemata, die für jede elliptische Kurve einen surjektiven Morphismus X0(N)—>E postuliert.
Die L-Reihen-Version besagt, dass für die L-Reihe einer elliptischen Kurve – welche eine damals bereits etablierte Art war, die ap in einer einzigen Funktion zu kodieren – mit der Heckeschen L-Reihe einer gewissen Modulform übereinstimmt. Die Theorie der Modulformen, einst ein Teilgebiet der Funktionentheorie, hatte erst durch Hecke einen zahlentheoretischen Charakter bekommen. Zu jedem N und jeder N nicht teilenden Primzahl p haben die Hecke-Operatoren auf dem Raum automorpher Funktionen zur Kongruenzgruppe Γ0(N) interessante arithmetische Eigenschaften, insbesondere bestimmen sie – wie Shimura und Deligne bewiesen – wie sich die Primzahlen p in gewissen nichtkommutativen Körpererweiterungen von Q zerlegen lassen; solche Resultate waren eine neue Art von Reziprozitätsgesetzen, in gewisser Weise eine Klassifikation der Zahlkörper. Das Langlands-Programm für allgemeinere Gruppen als SL(2,R) gab dann allgemeine Vermutungen für Reziprozitätsgesetze für alle algebraischen Erweiterungen von Q.
Taniyama nahm sich bald darauf das Leben und erst zehn Jahre später, bemerkenswerterweise durch den zuvor skeptischen André Weil, erwachte wieder das Interesse an der Taniyama-Shimura-Vermutung. Weil zeigte, dass sie aus der vermuteten Funktionalgleichung der getwisteten L-Funktion der elliptischen Kurve folgen würde und dass der Führer der elliptischen Kurve der Grad der Modulform sein müsse. Damit konnte man die Vermutung nun an Beispielen testen und die Mathematiker waren plötzlich überzeugt von ihrer Richtigkeit. Wenig später wurde die Vermutung Teil des viel allgemeineren Langlands-Programms. Bis zum Beweis durch Breuil-Conrad-Diamond-Taylor vergingen aber noch einmal mehr als 30 Jahre.
Shimura hat vor einigen Jahren eine Autobiographie geschrieben, eine Besprechung findet sich bei Peter Woit.

Kommentare (2)

  1. #1 Frank
    Bellem
    9. Mai 2019

    Im Buch “Fermats letzter Satz” von Simon Singh ist den Beiden ein ganzes Kapitel gewidmet.
    Gruss an alle Freunde dieses Blogs

  2. #2 Bruno der Lehrer
    13. Mai 2019

    Shimura, die Einsamkeit und offene Probleme

    Es ist immer traurig, wenn ein Mensch stirbt. Wenn ein berühmter Mathematiker stirbt, ist das Anlass, an ihn zu denken und ihn zum Beispiel hier zu würdigen. Die wissenschaftliche Biografie von Shimura ist bewegend, seine Freundschaft mit Taniyama noch viel mehr. Dieser hat beider Forschungen vorangetrieben durch Vermutungen, die teilweise falsch waren, aber die “good” waren. Nach seinem Selbstmord hat Shimura versucht, Taniyama zu imitieren und festgestellt, dass es schwer ist, “gute Fehler” zu machen. Natürlich wollten gleich alle meine Schüler wissen, was ein guter Fehler ist. Sie machen auch immerzu gute Fehler, auch in Mathe, aber keiner würdigt sie oder ahmt sie nach, sagen sie.

    Die Vorstellung, das da weltweit sich nur sehr wenige Mathematiker um algebraische Kurven 3. Grades kümmern, dass sie ganz allein an ihrem Schreibtisch sitzen, und es einfach an Methoden fehlt, da weiterzukommen, und dass die mathematische Community nur ein süffisantes Lächeln dafür übrig hat, ist kaum vorstellbar, meinte ich. Doch meine Schüler konnten gerade das gut nachvollziehen. Außerdem haben wir einen Vorschlag: Wir haben hier genug Man Power, falls noch ein paar Probleme offen sind, mit denen sich ein einsamer oder verlassenener Mathematiker quält, immer her damit! Sie müssen auch nicht unbedingt als Text- oder Abiaufgabe geschrieben oder genehmigt werden. Wir haben ein paar kluge Köpfe, reden miteinander, haben ein paar Rechner und viel Freude an Mathematik.