Man würde erwarten, dass für ν–>0 die Dissipation dE/dt verschwindet. Das widerspricht aber physikalischen und numerischen Experimenten. Kolmogorow hatte vorgeschlagen, dass für ν–>0 die Dissipation konstant (und positiv) ist, was durch einen stetigen Fluß von Energie von niedrigen zu hohen Frequenzen (sogenannten Kaskaden) bewirkt werden sollte.
Der Physikochemiker Lars Onsager hatte acht Jahre nach Kolmogorows Arbeit auf eine mutmaßliche Konsequenz hingewiesen. Weil man im Grenzfall für ν–>0 die Gleichung von reibungsfreien Fluiden – die Euler-Gleichung – bekommt, sollte Kolmogorows 5/3-Gesetz eine gewisse Regularität und insbesondere anormale Dissipation für die schwachen Lösungen dieser Gleichung implizieren. Während Kolmogorows Theorie eine statistische, mathematisch schwer zu fassende war, handelte es sich hier um ein mathematisches Problem für partielle Differentialgleichungen, dass man zu beweisen oder zu widerlegen versuchen konnte.

Die Arbeiten von de Lellis und Szekelyhidi mit verschiedenen Koautoren, insbesondere Buckmaster und Isett, kulminierten jetzt in einem Resultat, dass der vor mehr als sechzig Jahren von Onsager vorhergesagten anormalen Dissipation schwacher Lösungen als Konsequenz einer Energiekaskade eine mathematisch präzise Form gibt. Für schwache Lösungen, die die Hölder-Stetigkeitsbedingung |v(x,t)-v(y,t)|α mit α>1/3 erfüllen, ist die Energie E(t) konstant – das war schon lange bekannt. Das neue Resultat, welches Isett jetzt mit der richtigen Skalierung bewiesen hat, besagt: wenn die Hölder-Stetigkeitsbedingung mit α<1/3 erfüllt ist, dann gibt es Lösungen, für die E(t) streng fallend ist. Das ist das von Onsager vorhergesagte Phänomen und es entspricht dem, was Physiker in Experimenten beobachten.

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Kommentare (5)

  1. #1 Sascha Richter
    Marköbel
    24. August 2019

    1. Gibt es eigentlich auch “unmathematische Lösungen” bzw. gibt es dafür einen Fachbegriff? (Beispiel: Eine bestimmte Wahrscheinlichkeit ergibt sich als eine von 2 Lösungen einer quadratischen Gleichung; die eine Lösung nehme ich (weil zwischen 0 und 1), die andere verwerfe ich mit Argumenten wie: “algebraisches Artefakt”. (Was genau geht da schief?))
    2. Interessanter Artikel! Was genau ist der neueste mathematische Satz / Begriff, der bei den dargelegten Fortschritten Verwendung fand? (Oder hätte man auch schon im 19ten Jhdt auf diesen Stand kommen können?)

  2. #2 rolak
    24. August 2019

    moin Sascha, ‘unmathematisch’ ist an der Stelle wohl etwas zu mißverständlich – ‘den vorgegebenen KontextRahmen der Aufgabenstellung sprengend’ allerdings auf die Schnelle das Beste (≠gut! :·/), was mir einfällt.

    Allgemein wird nicht die Lösung des gestellten Problemes berechnet, sondern die Lösungsmenge der gewählten mathematischen Beschreibung dieses Problemes. Und die Beschreibung wird als funktional deklariert, wenn eine nichtleere Teilmenge dieser Lösungsmenge der wie auch immer sonst feststellbaren Lösung des Problemes entspricht.

    So wie zB die Diagonale im Rechteck als Quadratwurzel der halben Seiten²-Summe (da könnte noch mittels Betrag() nachgebessert werden) oder der SRT-Bonus Tachyon (anscheinend aktuell eher Indikator).

  3. #3 Thilo
    26. August 2019

    Zu 1. Wenn aus irgendwelchen Gründen bspw. die negative Lösung (für die praktische Aufgabenstellung) keinen Sinn macht, dann würde ich eigentlich gerade nicht von einer unmathematischen Lösung sprechen, sondern von einer mathematischen Lösung, die aber keine Lösung im Sinne der Aufgabenstellung ist.

  4. #4 Thilo
    26. August 2019

    Zu 2. Die Methode, die im 19. Jahrhundert noch nicht bekannt war (sondern erst seit den 70er Jahren) heißt „Konvexe Integration“ und die neuen Arbeiten beruhen wohl auf Verbesserungen dieser Methode zum Finden von Lösungen partieller Differentialgleichungen. Genaueres kann ich dazu leider nicht sagen, dafür müßte man die Originalarbeiten durcharbeiten.

  5. #5 Thilo
    16. Dezember 2019

    Ein mathematischer Beweis für das Batchelor‘s Law der Turbulenztheorie: https://phys.org/news/2019-12-mathematical-proof-key-law-turbulence.amp?__twitter_impression=true