Die Beschäftigung mit Differentialgleichungen beginnt mit Newton, dessen zweites Gesetz (in Eulerscher Formulierung) der Differentialgleichung mx’’(t)=F entspricht, die die Bewegung eines Körpers der Masse m unter der Wirkung einer Kraft F beschreibt und sie eindeutig festlegen soll, sobald x(0) und x’(0) bekannt sind.

Lange interessierte man sich nur für explizite Lösungen spezieller Klassen von Differentialgleichungen. Erst im 19. Jahrhundert (Cauchy, Lipschitz, Peano) begann man, nach allgemeinen Beweisen für die Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen eines Anfangswertproblems x^\prime(t)=f(t,x(t)), x(0)=x_0 (für eine möglichst allgemeine Klasse stetiger Funktionen f) zu suchen. Man betrachtete statt der Differentialgleichung die als Fixpunktproblem interpretierbare äquivalente Integralgleichung x(t)=x_0+\int_{0}^t f(s,x(s))ds und versuchte Lösungen durch Iterationsverfahren zu finden.

Die vielleicht eleganteste Formulierung eines Existenz- und Eindeutigkeitssatzes ist die auf Ernst Lindelöf zurückgehende: das Anfangswertproblem hat (zumindest auf einem kleinen Zeitintervall) eine eindeutige Lösung, wenn f in der x-Variablen uniform Lipschitz-stetig ist, es also eine Konstante L mit \vert f(t,x)-f(t,y)\vert \le L \vert x-y\vert für alle t,x,y gibt.

Picard bewies, dass man unter Lindelöf Annahmen die Lösung mit dem Iterationsverfahren: x_0(t)=x_0,\ldots, x_{n+1}(t)=x_0+\int_{t_0}^t f(s,x_n(s))ds,\ldots erhält. Unter der Annahme der Lipschitzstetigkeit von f konvergiert die Folge xn gegen die eindeutige Lösung x.

Will man beispielsweise die Differentialgleichung x^\prime(t)=1+x(t)^2 mit diesem Iterationsverfahren lösen erhält man x_1(t)=t, x_2(t)=t+\frac{t^3}{3}, x_3(t)= t+\frac{t^3}{3}+\frac{2t^5}{15}+\frac{t^7}{63} und im Grenzwert letztlich die Taylor-Reihe der eindeutigen Lösung x(t)=tan(t).

Solche Iterationsverfahren gab es natürlich bereits in anderen Kontexten. Klassisches Beispiel ist das schon den Babyloniern bekannte Verfahren zur Berechnung der Quadratwurzel aus 2, genauer zur Lösung der zu x2=2 äquivalenten Gleichung x=\frac{1}{2}(x+\frac{2}{x}). Mit x0=1 und x_{n+1}=\frac{1}{2}(x_n+\frac{2}{x_n}) bekommt man schnell gute Näherungslösungen und im Grenzwert die Lösung x=\sqrt{2}.

Es gab eine Reihe solcher Iterationsverfahren zur Lösung unterschiedlicher mathematischer Probleme und es lag im Nachhinein natürlich in der Luft, einen einheitlichen Ansatz für deren Beweis zu formulieren.

Stefan Banach hatte sein Studium des Bauingenieurwesens 1913 nach dem Vordiplom abgebrochen, wurde aber trotzdem 1920 an der Universität in Lwów zur Promotion zugelassen. Seine 1922 veröffentlichte Dissertation „Sur les opérations dans les ensembles abstraits et leur application aux équations intégrales“ begründete das neue Gebiet der Funktionalanalysis, das vor allem die bisherigen Arbeiten zu Integralgleichungen (Volterra, Fredholm, Hilbert) systematisierte.

Die Arbeit entwickelte die Axiomatik der später als Banach-Räume bezeichneten vollständigen normierten Vektorräume und ihrer stetigen (oder, wie er bewies, äquivalenterweise beschränkten) linearen Operatoren auf diesen Räumen.

Die Axiome hatten natürlich in der Luft gelegen, sie waren ähnlich von anderen benutzt, nur die Vektorraumstruktur war „vergessen“ worden. Banachs Arbeit enthielt nicht nur die Definitionen, sondern auch die grundlegenden Sätze der neuen Theorie, deren Beweise dank der Linearität plötzlich sehr einfach wurden. (Beispielsweise bewies er mit Steinhaus, dass der Grenzwert einer Folge stetiger linearer Operatoren wieder stetig ist, anders als bei Folgen stetiger Funktionen.)

Besonders bekannt wurde der Banachsche Fixpunktsatz: sei X ein metrischer Raum, f\colon X\to X eine Lipschitz-stetige Abbildung mit Lipschitz-Konstante L<1, dann hat f einen eindeutigen Fixpunkt. Beweis: für einen beliebigen Startwert x0 ist die Folge xn=fn(x0) eine Cauchy-Folge (das folgt aus Lipschitz-Bedingung und Dreiecksungleichung), die wegen der Vollständigkeit gegen einen Grenzwert x konvergiert. Weil x der gemeinsame Grenzwert von xn und xn+1=f(xn) ist, ist f(x)=x, also x ein Fixpunkt. Dass es keinen zweiten Fixpunkt geben kann, folgt unmittelbar aus der Lipschitz-Bedingung.

Das war genau die iterative Konstruktion des Fixpunktes, mit der Picard den Existenzsatz für gewöhnliche Differentialgleichungen bewiesen hatte. Banachs Verdienst war es, einen allgemeinen Satz bewiesen zu haben, den ersten Fixpunktsatz in allgemeinen metrischen Räumen, den man jederzeit verwenden konnte anstatt immer wieder ein ad hoc Argument zu benötigen.

Wenige Monate nach der Promotion beschloß der Abteilungsrat der Jan-Kazimierz-Universität Banachs Habilitation und ernannte ihn drei Wochen später zum außerplanmäßigen Professor. Banach bewies in den folgenden Jahren (oft mit Koautoren) einige grundlegende – und mit den richtigen Definitionen nicht mehr besonders schwierige – Sätze der Funktionalanalysis.

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Kommentare (3)

  1. […] Kongruenzen der Partitionsfunktion Der Satz von Thue-Siegel Das Lokal-Global-Prinzip Der Banachsche FixpunktsatzDie Lefschetzsche Fixpunktformel Der Fisher-Test Die Hauptsätze der Werteverteilungstheorie Der […]

  2. […] gewöhnlicher Differentialgleichungen beruht auf Picard-Iteration, die man als Anwendung des Banachschen Fixpunktsatzes sehen kann, auch wenn Picards Arbeit mehr als 30 Jahre älter ist als Banachs Formulierung des […]

  3. […] Google Doodle zu Stefan Banach – Mathlog bei Theorem Magnum MCMXXII: der Banachsche Fixpunktsatz […]