Vielerorts kann man heute lesen, dass Antidepressiva so wirkungslos sind wie Placebos.


Gemäß einer Studie von Irving Kirsch (gibt’s hier) sollte man die Medikamente deshalb – wenn überhaupt – nur bei allerschwersten Depressionen einsetzen.
Jedenfalls empfiehlt Kirschs behandelnden Ärzte ein solchen Verhalten…
Man könnte meinen – nicht zuletzt weil sich tatsächlich alle wichtigen Pharmafirmen über die Studie beschwerten – Kirsch würde richtig liegen und die Dinger hätten gar keine Wirkung.
Man könnte die Tabletten also direkt in den Mülleimer werfen und müsste sie nie wieder einnehmen.
Doch wer so handelt, hat gleich zwei Fehler auf einmal gemacht!

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Zum einen hat er die Kernaussage der Studie nicht verstanden.
Denn Irving Kirsch schreibt gar nicht, dass Antidepressiva nicht wirken – er schreibt nur, dass Placebos in fast allen Fällen genau so gut wirken.
Das heißt: Unbehandelten Menschen mit Depressionen geht es schlecht und das bleibt (erst mal) so. Wenn sie jedoch behandelt werden, dann zeigt sich in der Regel ein Behandlungserfolg – egal ob die Pillen einen Wirkstoff enthalten oder aus Milchzucker bestehen.

Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass Antidepressiva tief in den Gehirnstoffwechsel eingreifen – weil sie hochwirksame Psychopharmaka sind – und beim abrupten Absetzen schlimme Nebenwirkungen haben.
 
In den meisten Fällen löst ein kurzfristiges Absetzen eine erneute Depression aus (was wirklich ärgerlich ist, wenn man gerade damit durch ist), aber es kann auch eine Psychose auslösen – ein Zustand, den man früher als Nervenzusammenbruch beschrieben hat (der jedoch heutzutage sogar öffentlich ausgelebt wird).   

Man kann Kirsch zwar beipflichten, dass bei leichten bis mittleren Depressionen keine Antidepressiva verschrieben werden sollten (da reicht häufig Psychotherapie). Zu diesem Schluss kommt auch der renommierte Londoner Psychiater Paul Keedwell.
Allerdings nicht weil die Dinger überhaupt nicht wirken, sondern vielmehr weil Depressionen “normal” sind und Medikamente dagegen immer Nebenwirkungen haben, so dass viele Leute für immer daran hängen bleiben, da sie bei jedem Absetzversuch erneut eine Depression bekommen.
Das mag vielleicht im Sinn der Pharmafirmen sein, aber für die Betroffenen ist das eine traurige Angelegenheit. Zumal die Dauereinnahme der Antidepressiva keine Sicherheit vor einem erneuten Absturz bietet (Merksatz: Depressionen kommen immer wieder!)

Antidepressiva bleiben vor diesem Hintergrund eine zwiespältige Angelegenheit. Man kann unbestreitbar froh sein, dass es sie gibt, denn sie haben bereits vielen Betroffenen geholfen und manchmal sogar regelrechte Wunderheilungen bewirkt. Aber mindestens 30 Prozent der depressiv Erkrankten helfen sie nicht.
Egal ob alte Tricyclica oder moderne SSRI.

Das heißt, dass jeder dritte Mensch, der eine Depression durchleidet, keine Hilfe von den Medikamenten erwarten kann – und es gibt nach wie vor keine Methode, die vorhersagen kann, wem geholfen werden kann und wem nicht.

Antidepressiva bleiben deshalb zweischneidig. Wer unkritisch Argumente der Pharmalobby abschreibt berichtet, dass sich Leute reihenweise umbringen, wenn sie keinen Zugang zu den Mitteln haben (haha, Antidepressiva gibt es seit 1957 – Depressionen seit mindestens 10.000 Jahren …).

Wer sehr viel davon versteht, wundert sich, weshalb die Mittel 14 Tage brauchen um zu wirken.

Vieles ist noch ungeklärt – das gilt auch für die Frage, ob es irgendwann einmal bessere Medikamente geben wird.

Aber eines ist klar: Antidepressiva sind wirksame Medikamente. Selbst wenn die Arzneien die Krankheit nicht bekämpfen können, so haben sie stets Nebenwirkungen (sexuelle Unlust, Appetitverdoppelung mit Gewichtszunahme, Leistungsminderung).
Und was ein nicht zu unterschätzender Punkt ist: Viele Leute werden sie nie wieder los – egal ob sie ihnen geholfen haben oder nicht.