https://austenonly.files.wordpress.com/2010/03/1281991.jpgHeute ist der Todestag von Mary Anning.
Mary Anning wurde am  21. Mai 1799 in Lyme Regis geboren.  Sie war eine der ersten professionellen Fossiliensammlerinnen und machte einige maßgebliche Entdeckungen. Trotz ihrer geringen Bildung hat sie durch ihren Fleiß und harte Arbeit die damals noch junge Wissenschaft der Paläontologie  mit befeuert. Wenige Monate vor ihrem Tod wurde sie wegen ihrer außergewöhnlichen Verdienste das erste weibliche Mitglied der Geological Society of London. Sie starb am 9. März 1847 an Brustkrebs.
Lyme Regis liegt an der Küste Englands – heute ist die Jurassic Coast ein UNESCO-Weltnaturerbe.
Es ist immer noch ein Schaufenster in die Meereswelt des Erdmittelalters – die große Zeit der Meeresreptilien und Ammoniten. Ein Paradies für Fossilienfreaks.

Mary fand die sachkundige Unterstützung von Elizabeth Philpot, einer jungen Frau aus gutem Hause – ebenfalls eine Fossilienliebhaberin.  Elizabeth war ein „Blaustrumpf“, die mit ihrem Intellekt die Fossilien systematisch sortierte und erfasste, ihr Schwerpunkt waren die jurassischen Fische.
Die beiden Frauen fanden sich und arbeiteten gemeinsam.
Die ungewöhnliche Freundschaft der beiden so verschiedenen Frauen, ihre hartnäckige Fossilien-Leidenschaft und ihr Kampf um Anerkennung in einer durch und durch chauvinistischen Gesellschaft ist von Tracy Chevalier in ihrem Buch „Remarkable Creatures“ eindringlich beschrieben worden.

Zur Erinnerung an Mary Anning veröffentliche ich hier meine Buchrezension  zu “Zwei bemerkenswerte Frauen” (Tracy Chevalier) vom Januar 2011 (damals war „meertext“ noch nicht auf der Science-Blog-Plattform).
Vorweg: Ich empfehle das Buch unbedingt und uneingeschränkt!
Eine exquisit recherchierte Geschichte nicht nur von Mary Anning und der weit weniger bekannten Elizabeth Philpott, sondern auch noch eine umfangreiche Geschichte der Fossiliensammelei in Lyme Regis und der frühen Zeit der Paläontologie.
Und wie frustrierend es für die beiden engagierten Frauen war, in der Männerdomäne der Wissenschaft nicht anerkannt zu werden. Das ist noch ein passender Nachtrag zum Frauentag.

Im Zeichen des Ammoniten

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebt in dem südenglischen Küstenort Lyme Regis die später als erfolgreiche Fossiliensammlerin berühmte Mary Anning. Sie ist das Kind einer armen Familie, überlebt einen Blitzschlag in frühester Kindheit und lernt das Sammeln von Kuriositäten, wie die Ammoniten und andere Fossilien genannt werden, von ihrem Vater.
https://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.mhs.ox.ac.uk%2Fwp-content%2Fuploads%2FPhilpot.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.mhs.ox.ac.uk%2Fnaturalhistories%2FRepresentations.html&h=524&w=600&tbnid=C3EB2Q6r8xf2FM%3A&zoom=1&docid=vjq7QWS-AlJilM&ei=Lbr9VKWSBoPYPPvQgYgD&tbm=isch&client=firefox-a&iact=rc&uact=3&dur=925&page=1&start=0&ndsp=43&ved=0CD8QrQMwCgElizabeth Philpot, eine gebildete junge Frau aus gehobenen Kreisen, wird nach der Heirat ihres Bruders gemeinsam mit den ebenfalls unverheirateten beiden Schwestern aus London nach Lyme Regis abgeschoben. Die intellektuell ausgehungerte Elizabeth sucht in dem Küstenort nach einer sinnvollen Beschäftigung und “entdeckt” dabei die Fossilien an den Stränden und Steilküsten für sich.

Das ungebildete Kind mit dem sicheren Blick für Fossilien und die gebildete junge Frau gehen, zur Empörung ihrer Familien und der Dorfbewohner, ihrer Passion bald gemeinsam nach. Dass Frauen einer so schmutzigen Tätigkeit in unwegsamem Gelände, noch dazu ohne männlichen Beistand, nachgehen, gehört sich nicht.
Zwischen den beiden Außenseiterinnen des Ortes entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft über die herrschenden Standesgrenzen hinweg.
Mary trägt mit dem Sammeln und Verkaufen der “Kuriositäten”  zum Unterhalt der Familie bei, Elizabeth entwickelt ein akademisches Interesse am Sammeln, Beschriften und Bestimmen der Fossilien. Ihr Interesse geht weit über Neugierde an Kuriositäten hinaus, sie weiß schnell, dass die seltsamen Steine Versteinerungen heute nicht mehr lebender Tiere sind und trägt systematisch Informationen darüber zusammen. Sie wird die Expertin für die versteinerten Fische dieser Gesteine.
Immer wieder kommen gelehrte Herren an die Küste und lassen sich von Mary Fossilien suchen, dadurch beginnt der Austausch mit den Repräsentanten der noch jungen Wissenschaften der Geologie und Paläontologie. Mit dem Sammeln, Präparieren und Verkaufen trägt sie nach dem Tod ihres Vaters zum Familieneinkommen bei.

Vom “Schlangenstein” zum “Krok”

https://www.bbc.co.uk/schools/primaryhistory/famouspeople/mary_anning/images/anning_sketch_plesiosaur.jpg

A pen and ink sketch of a Plesiosaur by Mary Anning, 1824.

Marys Fund eines “Krok” ist der Höhepunkt des Romans: ein großes versteinertes Tier, das sie aufgrund der Größe und der spitzen Zähne als Krokodil identifiziert. Das Mädchen hat, ohne es zu wissen, den ersten Ichthyosaurier, eine Fischechse, entdeckt!

Auf einmal steht sie im Mittelpunkt des Interesses: Viele Männer, reiche Gutsherren der Region und renommierte Wissenschaftler aus England und sogar vom Kontinent, wollen die neu entdeckte Echse sehen, kaufen oder untersuchen. Elizabeth versucht das Mädchen vor Übervorteilung zu schützen und macht sich gleichzeitig daran, das rätselhafte Tier zu identifizieren. Denn für sie steht fest: Das Fossil kann kein Krokodil sein.
Sie vertieft sich in die wenige wissenschaftliche Literatur der Zeit, diskutiert und korrespondiert mit dem Geologen Buckland und anderen Wissenschaftlern und schützt Mary schließlich vor der Verleumdung durch den berühmten Anatomen Baron Cuvier, der die Echse zunächst als Fälschung bezeichnet. Mit großem Einsatz kann sie die Demontage von Marys Ruf und Verdienst verhindern, stattdessen wird der Fund auf einer Sitzung der Royal Academy anerkannt als eine bislang unbekannte fossile Echse und wissenschaftliche Sensation. Missverständnisse und ein Mann, für den sich beide Frauen interessieren, führen zum Bruch zwischen den beiden Fossilienfreundinnen.
Erst Jahre später nähern sich die beiden Frauen wieder an und sammeln gemeinsam Fossilien, bis Mary mit nur 47 Jahren stirbt. Elizabeth beschäftigt sich bis zu ihrem Tod, Jahrzehnte später, mit Fossilien und trägt eine berühmte Sammlung zusammen.
Ihre tiefe Freundschaft und Leidenschaft für Fossilien war stärker als alle Verletzungen.

Ein würdiges literarisches Denkmal für die Fossilien-Pionierinnen

Im Wechsel erzählen die eloquente und intelligent reflektierende Elizabeth und die deutlich einfacher sprechende Mary von ihrer Suche nach Fossilien, ihren Begegnungen mit anderen Menschen und ihren Gedanken.

Vor der beschaulichen Kulisse der südenglischen Küste werden auf mehreren Ebenen Konflikte ausgetragen:
Persönliche Konflikte wie Neid und Missgunst von Fossiliensammlern und Dorfbewohnern gegenüber den erfolgreich Fossilien sammelnden Frauen. Aufkeimende Liebe, Eifersucht und Rivalität, die die besondere Freundschaft der beiden Frauen überschattet.
Die Erkenntnisse der gerade entstehenden Wissenschaften Geologie, Paläontologie und der Evolutionslehre stehen im Konflikt mit der Meinung der Kirche, die das Aussterben von Lebensformen nicht zu akzeptieren bereit ist.
Der erdrückende Chauvinismus  der Männer, vor allem der Wissenschaftler, die ohne Mary gar keine Fossilien gefunden hätten, Elizabeths Aufbegehren dagegen und ihre  Frustration ziehen sich durch die gesamte Erzählung.

https://i.telegraph.co.uk/multimedia/archive/02917/mary-annings-215th_2917585b.jpgDie Frühzeit des Fossiliensammelns, der Paläontologie und Geologie, der vergleichenden Anatomie und Evolutionslehre mit all ihren Fallstricken wird mit lebendigen Charakteren dargestellt. Die Nebenfiguren Buckland, Darwin und Cuvier sind heute in jedem Geologie- und Paläontologie-Lehrbuch zu finden.
Die Hauptfiguren Mary Anning und Elizabeth Philpot haben auch wirklich gelebt. Aber ihre Namen sind heute nur wenigen Menschen bekannt, da ihre außerordentlichen Leistungen für die Wissenschaft als Frauen und in ihrer Zeit nie anerkannt wurden.

Tracy Chevalier hat diesen beiden Frauen, den Fossil-Pionierinnen der ersten Stunde, ein würdiges Denkmal gesetzt.
Ein sehr lesenswerter Roman für LiebhaberInnen des historischen Genres.
Ein extrem empfehlenswertes Buch für alle FossilienliebhaberInnen: schließlich geht es ebenfalls um FossilienliebhaberInnen.
Das Cover zeigt einen pyritisierten Ammoniten, der mich auf das Buch aufmerksam machte.
Einziges Manko: Die grottige Übersetzung des Titels in der deutschen Ausgabe: Aus “Remarkable Creatures” wurde “Zwei bemerkenswerte Frauen”. Damit ist das Wortspiel des Titels, dass sowohl die Frauen als auch die Fossilien bemerkenswert seien, im Deutschen leider nicht erhalten geblieben.

Zum Weiterlesen:
https://www.strangescience.net/anning.htm

https://www.openscientist.org/2011/05/mary-anning-and-elizabeth-philpottwo.html

https://fossilsandotherlivingthings.blogspot.de/2010/01/paleontologist-mary-anning-deserved.html

https://www.facebook.com/pages/Elizabeth-Philpot/269085263254611?fref=ts#

https://en.wikipedia.org/wiki/Mary_Anning

https://www.lymeregismuseum.co.uk/about-us/about-the-museum

 

Kommentare (11)

  1. #1 Ludger
    9. März 2015

    Danke. Ich hab mir das Buch schon bestellt (bei Abebooks)

  2. #2 Rainer
    9. März 2015

    Mary Anning wird auch im sehr schönen Buch Dinosaurierjäger von Deborah Cadbury beschrieben.
    Hauptthema des Buches ist aber die lebenslange Auseinandersetzung zwischen Gideon Mantell und Richard Owen um die richtige Klassifizierung der Dinosaurier.

  3. #3 Bettina Wurche
    9. März 2015

    @ Rainer: Ich hatte schon überlegt, es mit aufzunehmen. Auch ein ganz wunderbares Buch!
    Die Entstehungsgeschichte der modernen Geologie und ihr Zusammenhang mit der Industrialisierung und dem Bau der Eisenbahn. Und dann dieser Gelehrtenkrieg zwischen Mantell und Owen.
    Spannender als ein Krimi!

  4. #4 Bettina Wurche
    9. März 2015

    @ Ludger: Viel Spaß beim Lesen! Ich fand es allerdings wegen der Situation der beiden Frauen streckenweise ziemlich düster. Aber auf jeden Fall superlesenswert!

  5. #5 MartinB
    10. März 2015

    Äääh, das Bild zeigt aber einen Plesiosaurier, keinen Ichthyosaurier.

  6. #6 Bettina Wurche
    10. März 2015

    @ Martin B: Hat auch keiner behauptet. Leider war die Beschriftung im digitalen Nirwana verschwunden. Jetzt steht es korrekt drunter, dass es ein von Mary Anning skizzierter Plesiosaurus ist.

  7. #7 MartinB
    10. März 2015

    Ja, so ohne Beschriftung und direkt bei dem Absatz mit dem Ichthyosaurier war das schon etwas irreführend…

  8. #8 dorothea
    berlin
    29. August 2016

    Ich habe das Buch von tracy Chevallier zufällig in England gefunden und finde es sehr interessant
    und werde daraufhin ins Naturhistorische Museum gehen und mir solche Sachen ansehen. aber man kann ja auch sehen, wielange es gedauert hat, daß Frauen auf wissenschaftlichem Gebiet anerkannt wurden und nicht immer nur die “Zuträger ” der Männerwaren

  9. #9 Bettina Wurche
    29. August 2016

    @dorothea: An der Jurassic Coast (UNESCO WEltnaturerbe an der Küste von Devon) soll noch viel mehr über die beidne Damen zu finden sein. Ich war dort leider noch nicht, aber es steht auf meiner Wunschliste.
    Auch wenn die Wissenschaft lange männerdominiert war, haben sich zu jeder Zeit auch wagemutige Frauen aufgemacht, Abenteurerinnen und Forscherinnen. Hier sind noch ein paar spannende Namen enthalten, über alle genannten Frauen gibt es auch Bücher:
    https://scienceblogs.de/meertext/2016/05/29/dinosaurier-forscher-als-vorbilder-fuer-helden-der-phantastik-fed-con-2016-teil-3/

  10. #10 Lislot
    Zürich
    9. Juli 2017

    Mich das das Buch einfach fasziniert.
    Lieben Dank

  11. […] Tracy Chevalier in ihrem Roman getreu nachgezeichnet. Auf dem Blog der Biologin und Journalistin Bettina Wurche habe ich eine sehr treffende Beschreibung und Würdigung dieses Buches gelesen, so dass ich dem […]