Das Delphinkalb im Duisburger Zoo im Alter von einer Woche verstorben.
Die Todesursache: Lungenentzündung.
Im Duisburger Zoo sind seit 1971 22 Delphine zur Welt gekommen.
7 davon leben noch.
15 sind verstorben, davon 13 innerhalb des ersten Jahres.
https://www.delfinarium-zoo-duisburg.de/unsere_tiere_jungtiere.html
“Bis Frühjahr 2016 wollen Tierrechtler einen Bericht zum Tod der Nürnberger Jungtiere vorlegen, basierend auf 22.000 Seiten Aufzeichnungen der Tierärzte und -pfleger.” https://www.rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/duisburger-zoo-untersuchung-soll-tod-des-definbabys-klaeren-aid-1.5337715
Das hört sich nicht nach einer unabhängigen Untersuchungskommission an.
Mehr Fakten habe ich zurzeit nicht.
Eigentlich wäre das für mich auch keinen Blogartikel wert.
Aber einige Delphinschützer haben mal wieder den Heiligen Krieg um Zoodelphine ausgerufen.
Die aggressive Vorgehensweise dieser extremen Delphinschützer ist für mich unsäglich, es geht um Meinung, nicht um Fakten. Mit viel Polemik und sehr lautstark.
Zoos, Tierärzte und Biologen haben diesen unsachlichen Anwürfen wenig entgegenzusetzen, sie versuchen eher sachlich zu bleiben.
So entsteht in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild.
Und darum schreibe ich jetzt doch.
Ziel dieses Beitrags ist, herauszufinden, welche Fakten hinter den Anwürfen der Delphinariumsgegner, hier: der WDSF, stehen.
Artgerechte Haltung – ein paradiesischer Zustand?
Das Leben von Delphinen im Meer ist ein leben voller Stress, Aggressionen, Nahrungsknappheit und insgesamt sicherlich nicht paradiesisch. Hier stelle cih ein paar Fakten zu frei lebenden Delphinen vor.
Das Habitat der Freiland-Delphine
Der Lebensraum jeder Delphin-Population ist einzigartig.
Manche Küsten-Population bringt den größten Teil ihres Lebens in flachem Wasser, das oft nicht tiefer als 3 Meter ist, in einem eng umgrenzten Gebiet zu. Andere leben im offenen Ozean.
Es ist nicht belegt, dass Delphine es toll finden, hinter ihrer Nahrung her zu schwimmen. In manchen Habitaten (Shark Bay, Australien) ist nachgewiesen, dass gerade Mütter mit Jungtieren erhebliche Probleme haben, genügend Nahrung zu finden. Sie hatten darum eine neue Technik entwickelt: Das Schwammtauchen. Allerdings war ihr Ernährungszustand immer noch eher schlecht.
Delphin-Verhaltensforschung: Von Schwammtauchern und Kindsmördern (1)
In der Haltung von Tieren in menschlicher Obhut geht es um eine tiergerechte Haltung.
https://www.scilogs.de/vom-hai-gebissen/tiergerecht-und-artgerecht-eine-betrachtung/
Aggression durch unnatürliche Gruppenzusammensetzung?
Intraspezifische Aggression (aggressives Verhalten innerhalb einer Art) gehört in vielen Delphinpopulationen zum Alltag.
In mehreren Populationen von Großen Tümmlern kommt es regelmäßig zum Kindstod. Erwachsene Männchen attackieren Jungtiere, die an ihren schweren Verletzungen sterben.
Delphin-Verhaltensforschung (2): Von Schwammtauchern und Kindsmördern
In freier Wildbahn kommt noch die interspezifische Aggression (aggressives Verhalten zwischen verschiedenen Arten) dazu. Haie, Orcas, Langflossen-Grindwale,…- sie alle jagen Delphine.
Stress?
Intra- und interspezifische Aggression, Nahrungssuche, …in ihrem Lebensraum im Meer haben Delphine jede Menge Stress.
Neu geborene Delphine werden nicht in rosa Kuscheldecken gewickelt und von allem Stress bewahrt, sondern sind, wie alle wilden Tiere, gleich voll im Milieu. Mit sämtlichen Stressfaktoren.
Delphinarium böse, Freiland gut?
Nein.
1. Weltweit leiden viele Delphinpopulationen unter starker Bejagung (legal und illegal) durch Menschen. Das bedeutet, dass in manchen Arealen jährlich mehrere Hundert Delphine abgeschlachtet werden. Delphine sind leider durch die Statute der IWC nicht geschützt sondern als Kleinwale vogelfrei. Alle Anstrengungen, die Kleinwale international unter IWC-Quoten zu stellen und dadurch die Fangquoten überhaupt regulieren zu können, waren bis jetzt erfolglos. Von einem Stopp des Kleinwalfangs können wir im Moment nicht einmal träumen (mich persönlich macht es unglaublich wütend).
2. Weltweit sterben Hunderte von Delphinen jährlich an direkten Folgen der anthropogenen Umweltverschmutzung.
Ich hatte die Folgen der Ölpest im Golf von Mexiko nach der Explosion der Deepwater Horizon verfolgt: In den Folgejahren sind dort so viele Frühgeburten oder Neugeborene der Großen Tümmler gestorben, wie nie zuvor. Die Tierärzte und Biologen vor Ort schätzen, dass in einigen Jahren fast der gesamte Offspring eines Jahres verstorben ist. Es ist schwierig, den Zusammenhang zwischen Delphintod und Ölpest direkt nachzuweisen. Die seit Jahrzehnten geführten Statistiken und die Begleitumstände sind für die meisten Wal-Experten aber sehr starke Hinweise darauf. Auch wenn der Ölkonzern versucht, es zu verschleiern.
Wer sich für diese Diskussion interessiert, findet hier mehr:https://blog.meertext.eu/2012/07/30/%E2%80%9Eder-perfekte-sturm%E2%80%9C-fur-die-delphine-des-golf-von-mexiko-kommentar/
https://blog.meertext.eu/2012/07/30/zusammenhang-zwischen-der-olpest-in-2010-und-delphinsterben-in-2011-im-golf-von-mexiko/
Lungenentzündung durch Ferrari?
Bakterielle Infektionen und vor allem Lungenentzündung wird bei Zoodelphinen oft diagnostiziert.
Kein Wunder.
Bakterielle Pneumonie (Bakterielle Lungenentzündung) kommt bei Delphinen generell sehr häufig vor.
Das ist aus unzähligen Untersuchungen gestrandeter Wale nachgewiesen.
Sie kommt oft vor in Verbindung mit Morbillivirus. Diese Virusinfektion ist bei Walen (und Robben) mittlerweile extrem weit verbreitet. Sie führt zu einer Schwächung des Immunsystems, so dass die Tiere oft zahlreiche Sekundärinfektionen und verstärkten Parasitenbefall haben. Diese Kombination kann dann zum Tod des Tieres führen.
Ein starker Parasitenbefall ist bei Wildtieren völlig normal. Würmer in den inneren Organen, die in der Aorta stecken oder zu eitrigen Kavernen in den Lungen führen, sind ein alltäglicher Befund bei Wildtieren.
Das habe ich oft genug selbst bei pathologischen Untersuchungen von Strandungen gesehen, es wird auf jeder Walkonferenz berichtet und jeder Cetologe weiß das.
Die Bilder der Sektion eines für uns Biologen nicht weiter auffälligen Schweinswals führten bei einer kleinen Wal-Konferenz bei einem anwesenden Humanmediziner zu ungläubigem Staunen.
Hier einige Quellennachweise für meine Aussage. Es gibt unzählige weitere.
Übrigens: Die erste Quelle ist eine ppp mit eindrucksvollen Bildern:
https://vet.uga.edu/images/uploads/vpp/sevpac/17-Farina.pdf
https://www.news4jax.com/news/stranded-dolphin-treated-for-pneumonia/33832688
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23272373
Die Behauptung, der neu geborene Delphin sei durch die Motorgeräusche eines Ferrari so gestresst worden, dass er an Lungenentzündung einging, ist schon sportlich.
Hätten dann nicht alle Zootiere deswegen panisch reagieren, krank werden oder gleich tot umfallen müssen?
Hat jemand die Dezibel am und im Becken gemessen?
Haben die „Experten“ den Delphinen in dieser Zeit den Puls gemessen bzw. die Streßhormone analysiert?
Oder woher kommen noch gerade die Fakten für diese kühne Behauptung?
Und: Hat der Experte die Mortalitätsrate der Delphinariumsbewohner mit der von frei lebenden Delphinen mal abgeglichen?
Nach meinem Wissen sind so manche Delphine in Delphinarien älter geworden, als man es aus dem Freiland kennt.
Untersuchungen im Freiland (Stichwort age-structure) gibt es zu Delphinen und Schweinswalen reichlich. Selbst eine kurze Beschäftigung damit zeigt deutlich, dass die weitaus meisten Tiere keinesfalls ein hohes Alter erreichen, sondern an 1001 Ursache wesentlich früher sterben.
Stress in der Zoo-Zoologie
Was für ein Tier Stress ist und was nicht, ist nicht ganz einfach zu er-messen.
Fakt ist: Das Allerwichtigste ist, dass das Tier sein Territorium hat und sich dorthin zurückziehen kann. Sein Territorium ist seine Schutzzone. Was außerhalb dieser Schutzzone geschieht, ist weitaus weniger interessant, als viele Leute so denken.
Diese Schutzzone muss vor allem garantieren, dass keine Menschen/Hunde/… einfach herangeschlendert kommen.
Lärm ist ein deutlich geringeres Problem, als vielfach angenommen. Sonst würde es nicht an Autobahnen und Flugplätzen vor Tieren nur so wimmeln.
Um diese Frage gut zu beantworten, müsste man sich allerdings intensiv mit Zoo-Zoologie und Verhaltensbiologie beschäftigen.
Wer ist ein Delphin-Experte?
Jemand, der Jahrzehnte seines Lebens mit Delphinen verbracht hat und mehrere Populationen, Arten und Habitate kennen gelernt hat, um art- und populationsspezifische Eigenschaften erkennen und vergleichen zu können. Um Daten zuverlässig erheben und auswerten bzw. die Publikationen anderer Wissenschaftler verstehen und kritisch hinterfragen zu können, erwarte ich bei einem Experten auch eine entsprechende fundierte wissenschaftliche Ausbildung und den Austausch mit Fachkollegen.
Ohne eine entsprechende Ausbildung ist die Gefahr groß, dass man in eine anthropozentrische Sichtweise verfällt. Und das ist nicht sachlich.
In diesem Kontext empfehle ich die Lektüre des Spektrum-Artikels über selbst ernannte Experten:
https://www.spektrum.de/news/selbst-ernannte-experten-ueberschaetzen-ihr-wissen-haeufiger/1356694
Bin ich eine Expertin?
Ich habe ein Diplom mit Schwerpunkt Zoologie/Fischereiwissenschaft und 10 Jahre mit lebenden Walen im Freiland und mit toten Walen in Museumssammlungen bzw. bei Strandungsevents gearbeitet. Außerdem durchstöbere ich stetig die aktuelle wissenschaftliche Literatur und tausche mich mit Kollegen zu ihren jeweiligen Fachgebieten aus. Bei Fach-Diskussionen kann ich mithalten und merke, dass ich auf dem Laufenden bin.
Wer mir etwas über Delphine erzählen möchte, sollte am besten mindestens alle erreichbaren Publikationen von Denise Herzing zitieren können. Und noch die ein paar anderer KollegInnen, die im Freiland Delphine erforschen. Und einen flüssigen Vergleich der Geburtenrate und Mortalität der Großen Tümmler in Sarasota , Shark Bay und noch ein paar anderen wichtigen Arealen parat haben.
Ric O´Barry (Blackfish) ist ohne Zweifel ein verdienter Delphinschützer, der aber durch seine eigene tragische Erlebnisse hochgradig traumatisiert ist und sicherlich nicht sachlich urteilt.
Inwieweit die Vertreter von WDSF und andere Personen, die sich dazu geäußert haben, jetzt Experten sind, möge jeder für sich selbst beurteilen.
Ist die „Rettung“ eines Zoodelphins wichtig für den Walschutz? Fazit
Nein
Ich halte es sogar für kontraproduktiv.
Ein Zoodelphin hat nämlich eine wichtige Aufgabe: Er ist ein Botschafter für alle Wale in unseren Ozeanen.
Darüber habe ich schon ausführlich geschrieben.
Letztendlich fehlen mir die Fakten, um die Haltung der Delphine im Duisburger Zoo beurteilen zu können. Ich bin gespannt, was der Untersuchungsbericht zum Delphinarium Duisburg herausbringen wird, das Ergebnis wird 2016 erwartet.
Ob die selbst ernannten Delphinschützer eine solide Kenntnis der Fakten haben, erscheint mir eher zweifelhaft.
Denkanstoß:
Das aggressive, unsachliche Gezerre um einige Zoo-Delphine ist bequem: man kann es von Zuhause aus erledigen, muss nicht viel nachdenken, nicht lange recherchieren,…
Der Zoo und die ernsthaften Wissenschaftler stellen solchenpolemischen aggressiven Verbalattacken nur sachliche Statements entgehen. Sach-Argumente sehen in einem solchen ideologischen Kampf immer blass und leise aus.
Außerdem ist es immer einfacher, gegen etwas zu sein und dem bösen Feind einen Namen und Ort zuordnen zu können.
Und es ist viel einfacher, eine Behauptung aufzustellen und dem Gegenpart dann mühsam die Widerlegung zu überlassen.
Ob es zum Wohle dieser paar Wale ist, sei dahingestellt.
Selbst falls es das wäre: Die Wale in den Ozeanen hätten nichts davon.
Echter Walschutz ist für mich:
- Bei jedem Einkauf nachdenken, ob ich ökologisch handle.
- Vor jeder Autofahrt überlegen, ob ich stattdessen zu Fuß gehen, das Fahrrad oder den Zug nehmen kann.
- Aufklärung über den Schutz der Ökosysteme mit den darin lebenden Walen in Artikeln, Vorträgen und im nachhaltigen Whale-watching.
- Tägliche Müllvermeidung und Energieeinsparung.
- Denn: Unser Energiehunger verursacht Ölpesten. Unsere Abgase gelangen auch in die Ozeane. Unser Konsum spült Plastik und Schadstoffe ins Meer. Und unser Hunger leert die Meere.
Aber eine nachhaltige Lebensweise, die einen gewissen Konsumverzicht und viel Nachdenken bedeutet, ist unbequem. Und sie lässt sich nicht so gut inszenieren.
Anmerkung:
Ich kenne Herrn Ortmüller von WDSF nicht persönlich und habe nichts gegen ihn.
Er ist nur einer von vielen Delphinschützern.
Ich habe auch nichts gegen Steuerberater. Mein Steuerberater ist für mich immer sehr hilfreich. Er kümmert sich ausgezeichnet um meine Steuerangelegenheiten.
Zum Walschutz würde ich ihn allerdings nicht konsultieren.
Ich reklamiere für mich nicht, alles zu wissen. Gleich zu Anfang schrieb ich, dass meine Faktenkenntnis zu diesem speziellen Fall für meine Verhältnisse nicht sehr groß ist.
Mein Beitrag ist als Denkanstoß gedacht, die aufgestellten Behauptungen auf ihren Faktengehalt zu überprüfen.
PS: Ich entschuldige mich für die falschen Zahlen und danke dolphinaria.truth für die Kritik.
Ist jetzt korrigiert.
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