jellies-1-2015-11-20

Pink ctenophora (Roger B. Larsen)

Ein magenta-farbener Schleim ergießt sich zähfließend auf ein Schiffsdeck. Das zugeschleimte Fanggeschirr und die Seestiefel eines Fischers sind der Maßstab: der Schleimteppich ist groß!
Auf BBC und „I fucking love science“ bin ich diese Bilder gestoßen, mit furchterregenden Überschriften. Ein rosa Schleim breitet sich an der nordnorwegischen Küste und im Lyngen- und Kvænangen-Fjord aus, er schleimt die Fänge der Fischer zu und ist nicht zu stoppen. Das weckt Erinnerungen an marine Horroszenarien wie „Der Schwarm“ oder SF-Thriller.
Ein klassischer Globster!
Globster sind unidentifizierte Klumpen organischer Materie.

Aber: Der Schleim ist gar keine amorphe Masse, sondern enthält rundliche gelatinöse Strukturen.
Mein erster Gedanke: Rippenquallen!
Aber: Wie kann aus den zarten, ätherischen Meereswesen ein riesengroßer rosa Globster werden? Durch ein massenhaftes Auftreten und durch das Zusammenfallen der hohlen Ziere zu einem Haufen Gelee. Es geht hier um Millionen Kubikmeter der glibbrigen Meerestiere, im Zustand der fortschreitenden Verwesung. Ein Friedhof der Quallentiere.

Quallenflut statt Fischzug – Wo sind die Fische gelieben?

https://www.mbari.org/expeditions/GOC12/legs/leg2/logbookL2/images/day5/Beroe_forskalii_500.jpg

Beroe (mbari)

Diese Quallenflut ist völlig neu an der nordnorwegischen Küste. Der norwegische Fischereibiologe Prof. Roger B. Larsen (Arctic University of Norway) erklärte gegenüber der Presse, dass er so etwas noch nie gesehen habe: die Masse des Quallengelees besteht aus Beroe spp. Die Qualle sei seit Ende Oktober in der Region aufgetaucht, erzählten Fischer. Neben Beroe war auch noch eine bisher unbekannte marmorierte Qualle mit gelbem Kern aufgetreten, die Larsen völlig unbekannt ist und muss erst einmal identifiziert werden.
Außerdem sind im gleichen Areal auch noch große Mengen von Staatsquallen (Siphonoren) aufgetreten.
Diese massiven Quallenschwärme hatten sich etwa 15 Meter über dem Meeresgrund angesammelt, hatten die Sonargeräte der Fischer getäuscht. Direkt über dem Grund stehen nämlich normalerweise die größten Fischschwärme, deren Signale aber nicht von denen der Quallen zu unterscheiden waren. Wenn die Fischer dann das Netz aussetzen, hieven sie ein Netz voller Quallen, die erst einmal wieder aus dem Fanggeschirr und von Deck entfernt werden müssen. Eine anstrengende und zeitraubende Arbeit, die Ressourcen an Arbeitskraft und Arbeitszeit schluckt.
Obwohl diese Fjorde normalerweise gute Fischgründe sind, sind in den Netzen der Fischer zurzeit kaum Fische und Garnelen, sondern nur Quallen. “I’ve done annual cruises with my students here in the past, and have never seen anything like this,” meint Larsen. “It is obvious that there is something going on which [the] wildlife [is] unable to cope with.”

Die Quallenflut hat offenbar sehr negative Auswirkungen auf die Fjord-Fauna, wenn sie jetzt Fische und Krebse verdrängt hat.
Quallen sind auch in anderen Meeren ein zunehmendes Problem: Durch das Abfischen größerer Fische werden Plätze im Ökosystem frei, auf die die Quallen nachrücken. Gleichzeitig fressen viele Quallen Fischbrut, so dass der Fischbestand noch weiter abnimmt. Gleichzeitig fressen nicht sehr viele Meeresbewohner Quallen: Meeresschildkröten, Makrelen und Seehasen und wenige andere Arten naschen die Glibbertiere. Und – zumindest – in Europa sind Quallen keine verwertbare Nahrungsressource für Menschen.
Das Quallenproblem wird sich in der Zukunft noch verschärfen. Die norwegischen Fischer erhalten jetzt einen Vorgeschmack vom Ozean der Zukunft.

Rippenquallen – gläserne Jäger im Meer

Venusgürtel (Cestum veneris) (Tauchernet)

Rippen- oder Kammquallen (Ctenophora) sind wie Medusen Nesseltiere, haben aber keine Nesselzellen. Rippenquallen und Medusen haben durchsichtige hohle Körper und schwimmen im Meer, mit Tentakeln fangen sie ihre Beute. Sie sind Jäger. Beide Tiergruppen sind sehr alt und schweben mehr, als sie schwimmen. Medusen („Quallen“) und ihre Verwandtschaft, zu der auch Staatsquallen gehören, haben Nesselzellen mit starkem Gift – manche von ihnen sind für Menschen tödlich. Rippenquallen haben kein Gift.
Rippenquallen haben acht Rippen, die mit Wimpern-Plättchen besetzt sind. Durch den Schlag der Plättchen entstehen Interferenz-Farben, dadurch erscheinen die Wimperreihen irisierend. Sie steuern ihre Bewegung über ein diffuses Nervennetz, ihr wichtigster Sinn ist eine komplex konstruierte Statocyste, ein Gleichgewichtsorgan. Manche Rippenquallen haben Tentakel mit Klebzellen.
Eine der ungewöhnlichsten und sicherlich ästhetischsten Rippenquallen ist der Venusgürtel (Cestum veneris).

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Kommentare (13)

  1. #1 Fliegenschubser
    30. November 2015

    Ich musste spontan an den rosa Schleimfluss des Bösen aus Ghostbusters 2 denken 😉
    Ansonsten: Krass, was da so abgeht. Woraus bestehen diese Quallen, wenn man das Wasser weglässt? Also wenn man den Quallenwust trocknen würde, könnte man mit den Resten was anfangen?

  2. #2 Bettina Wurche
    30. November 2015

    @Fliegenschubser. Das ging mir auch so : ) In manchen Ländern Südostasiens sind getrockenete Quallen (die mit den Nesselkapseln) ein Nahrungsmittel. Ob dort auch Rippenquallen ebenso getrocknet und gegessen werden, ist mir nicht bekannt, google hilft da nicht weiter. Soweit ich weiß, sind Nesseltiere in Europa noch nicht zum Verzehr freigegeben, wegen des Nesselgifts.
    https://www.fr-online.de/wissenschaft/neues-essen-ein-quallensalat–bitte-,1472788,16660300.html

    Neben dem Wasser bestehen Quallen auch aus Collagen, das sollte zumindest den Magen füllen. Und insgesamt vielelciht etwas salzig schmecken. Millionen von Schildkröten und Seehasen können nicht irren : ). Und Seehasen fressen definitiv Rippenquallen, ich habe den Mageninhalt gesehen.

    Hier steht mehr:
    https://www.deutschlandradiokultur.de/chinesische-kueche-heute-gibt-s-qualle.979.de.html?dram:article_id=309129

  3. #3 Fliegenschubser
    30. November 2015

    Vielen Dank für Antwort. Ja, sowas in der Art dachte ich mir schon. Allerdings hatte überlegt, ob getrocknete Quallen auch eine Verwendung abseits von Nahrung haben könnten. Vielleicht reichern die ja irgendwelche Minerale oder Salze an. Oder man nimmt getrocknete, fermentierte und geraspelte Quallen als Würzpulver 😀

  4. #4 Bettina Wurche
    30. November 2015

    @Fliegenschupser: Deine Frage ist gar nicht trivial. Schließlich drehen die wachsenden Quallenbestände die Spirale der Fischbestände noch weiter nach unten. Die einzig logische Reaktion wäre, die Glibbertiere aufzuessen, schließlich sind sie wertvolle Biomasse.
    Die meisten Menschen und Tiere essen heute “Lebensmittel”, die derartig hochgradig verarbeitet sind, dass sie äuérlcihe nichst mehr mit dem Ausgangsstoff und inhaltlich nichts mehr mit dem vorgegeben Lebensmittel zu tun haben. Wenn Sägespäne zu Erdbeeren im Joghurt werden und wir pflanzenfressende Kühe mit ihren geschredderten Artgenossen füttern, wenn wir Fleischabfall in Formschinken bringen und Fischabfälle zu Crabsticks werden, sollten eigentlich auch Quallen zu kulinarischen Sensationen gemorpht werden können.
    Habe ich aber noch nicht probiert.
    Quallen werden oft im gleichen Atemzug wie Algen genannt, die ich sehr lecker finde. Vor allem in der Bretagne gibt es viele Algenlebensmittel, da sind sie enttabuisiert. Im Sushi ja auch.

  5. #5 Fliegenschubser
    30. November 2015

    Was du über heutige “Lebensmittel” sagst, ist wahr und ein bisschen traurig. Grundsätzlich spricht nichts dagegen Quallen zu essen. Ich würde es auf jeden Fall probieren, wenn ich die Gelegenheit hätte. Gegen Algen spricht auch nichts, genau wie gegen Insekten. Dem Mitteleuropäer ist das meist wohl (noch) zu exotisch, aber z.B. in Südostasien seit Jahrhunderten Alltag. So schlimm kanns also nicht sein.

  6. #6 BreitSide
    Beim Deich
    30. November 2015

    Die norwegischen Fischer erhalten jetzt einen Vorgeschmack vom Ozean der Zukunft.

    So prophetisch wie wahr und wie traurig.

    Und dann wird uns immer erzählt, wie gesund doch Fisch sei und wieviel wir davon essen sollten 🙄

    Da passt das persönliche Wohl mit dem Allgemeinwohl überhaupt nicht zusammen.

  7. #7 Dampier
    30. November 2015

    Gruselig …

    Wie groß ist den so ein Globster, haben die da jetzt nur so nen Klumpen gefischt, oder muss man sich das als Riesenteppich vorstellen?

    Neben dem Wasser bestehen Quallen auch aus Collagen, das sollte zumindest den Magen füllen.

    Wird das nicht auch in der Kosmetikindustrie etc. gebraucht?

    @BreitSide

    Und dann wird uns immer erzählt, wie gesund doch Fisch sei und wieviel wir davon essen sollten

    Das ist ja auch im Prinzip richtig. Irgendwo gab’s ne Website, wo man sich über die Fischbestände informieren kann und auch sehen kann, was man noch mit gutem Gewissen essen darf (Greenpeace? MSC?). Muss mal sehen ob ich die wiederfinde …

    Da passt das persönliche Wohl mit dem Allgemeinwohl überhaupt nicht zusammen.

    Wenn man sich informiert, schon 😉

  8. #8 rolak
    1. Dezember 2015

    Wg räumlicher Nähe ins Blaue geschossen: Ist das evtl eine Folge der Übernahme der Gegend durch die Königskrabben?

  9. #9 yeRainbow
    WWW.yeRainbow.wordpress.com
    1. Dezember 2015

    kleiner Abstecher zu den “pflanzenfressenden Rindern”.
    da hat die Biologin leicht danebengegriffen…
    zwar fressen die pflanzenmaterial. sie ernähren sich aber von den Eiweißen der bakterienkulturen, die sie in ihrem Magensystem mit dem pflanzenmaterial ernähren…
    auch bezüglich Tiermehl sind die Bestimmungen derzeit völlig anders.

    wollt’s nur am Rande klarstellen.

  10. #10 Bettina Wurche
    1. Dezember 2015

    @yeRainbow: Nein, da hat die Biologin nicht daneben gegriffen. Es ging um die Aufnahme der Nahrung – Rinder u. a. Wiederkäuer nehmen pflanzliches Material auf. Die Nahrungsverarbeitung und der Verdauungszyklus der Rinder war von mir nicht angesprochen, denn sie haben mit dem Artikel nichts zu tun. Schön, wenn sich die Bestimmungen da geändert haben.
    Für die Fütterung von Schweinen und Hühnern wird nach wie vor Fischmehl eingesetzt. Das ist für die Tiere eine gute Proteinquelle, hat aber über die Gammelfischerei leider einen erheblichen Impact auf die marinen Nahrungsketten.

  11. #11 Alderamin
    1. Dezember 2015

    @Fliegenschubser

    Grundsätzlich spricht nichts dagegen Quallen zu essen. Ich würde es auf jeden Fall probieren, wenn ich die Gelegenheit hätte.

    Dürfte ich mal in China probieren: fritierte Quallen. Hatten die Konsistenz von Weißkohlblättern. Es blieb beim einmaligen Probieren, da waren die Gänsezungen deutlich besser…

    @Bettina

    Täuscht mich der Eindruck oder nehmen die Quallen überall zu? In der Ostsee bei einer Fährüberfahrt nach Schweden war das ganze Hafenbecken voll von den Viechern, in Schottland und Schweden verstopfen sie den Kühlwasserzufluss von Kernkraftwerken, und ich las neulich auch mal was von einer Quallenplage in Südspanien; dahin sind wir in meiner Kindheit immer in Urlaub gefahren, ich hab’ damals nie auch nur eine einzige Quallen gesehen. Könnte das an der Überfischung der Meere liegen?

  12. #12 Bettina Wurche
    1. Dezember 2015

    @Alderamin: Absolut richtig! Quallen gehören zum Plankton, sie werden überwiegend durch Wind und Strömungen verdriftet. Darum sammeln sie sich manchmal in an Küstenabschnitten, an denen man sie sonst eher nicht sieht. Und manchmal “blühen” die Bestände durch ein kurzfristig gutes Nahrungsangebot auf (Bloom). Dann sieht man auf einmal auffallend viele Quallen, während sie sonst eher vereinzelt waren. So etwas kann schon irritieren, ist aber meist nicht langfristig.
    Das hat sich in den letzten jahren massiv verändert: Solche massenhaften Auftritte von Quallen sind sehr viel häufiger geworden.
    Das hat u. a. mit der Einschleppung neuer Arten zu tun, damit, dass durch die Überfischung ökologische Nischen durch die Quallen neu besetzt werden konnten, die gleichzeitig weiter die Fischbestände dezimieren (sie fressen die Jungfische), der Klimawandel kommt noch dazu. Diese Publikation von 2007 sagt es schon im Titel aus:
    Attrill, MJ; Wright, J; Edwards, M. 2007 Climate-related increases in jellyfish frequency suggest a more gelatinous future for the North Sea. Limnology and Oceanography, 52 (1). 480-485.
    Ich kann dazu gern mal extra einen Artikel bringen.

  13. #13 Alderamin
    1. Dezember 2015

    @Bettina

    Ich kann dazu gern mal extra einen Artikel bringen.

    Unbedingt. 😉