https://i.livescience.com/images/i/000/065/295/original/dolphon-liesa-sponge.jpg?1398342392

Delphin mit Schwamm-Jagdtechnik

Delphine sind agile Meeressäuger mit großem Appetit. Um ihren hohen Energiebedarf zu decken, jagen sie vor allem proteinreiche Snacks wie Fische und Tintenfische. Die lassen sich allerdings nicht immer einfach einsammeln und schlucken, stattdessen müssen die Kleinwale für unterschiedliche Nahrungsarten die jeweils passende Strategie entwickeln.
Die Indopazifischen Große Tümmler (Tursiops aduncus) und Großen Tümmler (Tursiops truncatus) sind immer wieder mit besonders ausgeklügelten Verhaltensweisen und regional unterschiedlichen Verhaltensweisen aufgefallen. H. C. Smith und K. R. Sprogis haben jetzt wieder eine neue Art von „Tisch-Manieren“ der Tümmler entdeckt, diesmal geht es um Sepien.

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Sepia (Wikipedia)

Sepien sind 10-armige Tintenfische und eng mit den Kalmaren verwandt. Am großen Kopf liegt inmitten des Tentakelkranzes mit 10 kurzen Armen der chitinige scharfe Schnabel. Der länglich-ovale und abgeplattete Leib besteht aus dem Mantel und dem Eingeweidesack. Rund um den Mantel läuft ein Flossensaum, der an eine Rüsche erinnert. An der oberen Seite des Leibs liegt ein gekammerter und poriger Kalkschulp, Auftriebshilfe und Schutz gleichermaßen. Der Kalkschulp ist oft am Strand der Nordsee und anderer Meere zu finden, im Binnenland findet man ihn eher in Vogelkäfigen.

Sepien sind exzellente Schwimmer – wenn auch nicht so schnell wie Kalmare, zwischendurch pausieren sie auch gern, perfekt getarnt, auf dem Meeresboden.
Gegen Tümmler, die nicht nur schneller sind, sondern auch noch ein hoch wirksames Sonar haben, hilft ihnen das nichts.

Sepia-Schulp

Aus Sicht der Delphine ist so eine pummelige Sepia ein großartiger Proteinsnack. Nur der Schulp stört erheblich, kein Delphin mag bei seinem Seafood-Genuß eine knirschende Kalkschale zwischen den Zähnen. Das Entfernen der Kalkschale aus dem ganzen Weichtier ist ohne Hände oder andere dabei hilfreiche Vorderextremitäten nicht ganz einfach. Auch die Tinte behagt den Kleinwalen nicht.
Aber Delphine schaffen das. Gerade die Indopazifischen Tümmler in den flachen Küstengewässern vor Australien und die Großen Tümmler des Atlantiks sind bereits  durch eine ganze Reihe raffinierter Freß-Methoden aufgefallen: „Sponging“ (Smolker et al, 1997), „shelling“ (Allen et al, 2011), „kerplunking“ (Connor Heithaus et al 2000), „beach hunting“ (Sargeant et al 2005) und „golden trevally hunting“ (Patterson und Mann, 2015). Mit ihrem Einfallsreichtum und dem Schnabel als Allround-Werkzeug mit Zangen-, Scheren-, Hammer- und Pinzetten-Funktion werden sie auch mit Sepien fertig.

Im australischen Spencer Gulf schnappen Tümmler sich eine Sepia  und pinnen das wehrlose Weichtier auf den Meeresgrund. Dadurch töten sie es, anschließend quetschen sie mit dem Schnabel die Tinte aus. Dann schleifen sie den Tintenfisch mit dem Rücken nach unten über den sandigen Meeresboden und reißen damit Haut und Weichgewebe über dem Schulp weg. Schließlich fällt der freigelegte Schulp heraus, zurück bleibt eine große Portion Tintenfisch-Filet ohne Kalkbrösel und Tintenbeigeschmack. In diesem Fall ist es die bis zu 50 Zentimeter lange und bis zu 10,5 Kilogramm schwere Riesesepia S. apama, dafür lohnt sich der Aufwand sicherlich (Finn et al, 2009).
In der Mündung des portugiesischen Sado-Flusses jagen Große Tümmler Sepien (Sepia officinalis) und setzen dabei die Wasseroberfläche als Werkbank ein. Der Kleinwal schnappt sich die Sepia, bringt sie an die Wasseroberfläche und schlägt das wehrlose Weichtier gegen die Wasseroberfläche, um es zu töten und den Tintenbeutel zu entleeren. Dann beißt der Wal einfach den Kopf ab. Den Hinterleib der Sepia mit dem kalkigen Schulp verwirft der Wal als „discard“ (dos Santos und Lacerda, 1987). „Discard“ bezeichnet in der Fischerei die gefangenen Fische, die nicht verwertet werden können und fortgeworfen werden.
Kopf und Armkranz von Sepia officinalis sind immer noch eine stattliche Protein-Portion. Schließlich wird unsere in Atlantik und Nordsee heimische Sepia bis zu 49 Zentimeter lang und bis zu 4 Kilogramm schwer.

Zwischen 2007 und 2013 haben die Australier Smith und Sprogis bei Indopazifischen Tümmlern in den Gewässern vor Bunbury noch eine neue, komplexe Freß-Strategie beobachtet:
Die Riesensepien kommen zwischen Juli und September zur Paarung in den Spencer Gulf und bilden dann große Versammlungen. Ein gedeckter Tisch für viele Meeresjäger!
Der Delphin schnappt eine Sepia und bringt sie an die Meeresoberfläche. Dann beißt er den Kopf ab und quetscht die Tinte aus. Als nächstes balanciert er den Sepia-Leib auf dem Schnabel und taucht. Mit mehrfachem Öffnen und Schließen der Kiefer entfernt der Wal den Sepialschulp aus dem Mantel, der dann zur Oberfläche auftreibt. Zuletzt verspeist er den „entschulpten“ Tintenfisch-Leib.
Smith und Sprogis haben dieses Verhalten 17-mal von 15 verschiedenen Individuen gesehen. Per Photo-ID konnten sie die meisten identifizieren: 12 erwachsene Weibchen und 2 Männchen. Das Geschlecht der Tiere war entweder durch genaue Beobachtung – die Genitalregion verrät dem Experten, ob ein Wal männlich oder weiblich ist – oder durch Biopsy-Sampling klar nachgewiesen worden. Nur ein Tier war in ihren Dateien nicht erfasst, sein Geschlecht blieb unbekannt.
Die Beschreibung einer neuen so komplexen Jagd-Technik, die so viele einzelne Handlungsschritte aneinander reiht, ist spannend. Fast noch interessanter ist die Frage, wie dieses Verhalten entsteht und weitergegeben wird.
Fast immer sind es erwachsene Weibchen, die solche Spezialstrategien durchführen, manchmal auch jüngere Tiere, seltener Männchen. Beim Sponging hatten die Delphin-Forscher überlegt, ob Weibchen, die Nachwuchs haben, weniger weit schwimmen und tief tauchen können und somit die für sie erreichbare Nahrung besser ausnutzen müssen. Das wäre sicherlich ein guter Grund für so viele neue Ideen.

Was ist eigentlich „Kerplunking“???

Über das „Sponging“ (Smolker et al, 1997) hatte ich bereits geschrieben.

https://www.thefoodsection.com/.a/6a00d8341c4ec753ef014e8b28f801970d-pi

Delphin mit großer Schnecke

Manche Fische flüchten vor den Echolauten der Delphine in leere Schneckenschalen. Beim „Shelling“ (Allen et al, 2011) heben die Delphine Schneckenschalen aus dem Wasser und schütteln die Fische heraus

Beim „Beach hunting“ (Sargeant et al 2005) stranden Delphine an seichten, sandigen Küstenstreifen beim Jagen absichtlich und kehren dann mit einigen kräftigen Schwanzschlägen ohne Probleme wieder ins Meer zurück.

Das „Golden trevally hunting“ (Petterson und Mann, 2015) beschreibt die Jagd nach der Schwarzgoldene Pilotmakrele oder Goldmakrele (Gnathanodon speciosus), einer schnellen, großen Art der Stachelmakrelen: Ein Weibchen namens Wedges fing große, über einen Meter lange Goldmakrelen im tiefen Wasser und brachte sie dann ins flache Wasser (1 2 Meter tief), um sie Stück für Stück zu verspeisen. Dafür brauchte sie manchmal bis zu einer Stunde. Sie ließ sich dabei weder von Haien noch anderen Fischen stören (Patterson, E.M. & Mann, J. 2015. Cetacean innovation. In Animal Creativity and Innovation (Eds: A. Kaufman and J. Kaufman). Elsevier. Chapter 4, pp. 73-120. doi:10.1016/B978-0-12-800648-1.00004-8.).
Die Delphine der Shark Bay sind nicht nur für innovativen Freßmethoden, sondern auch für Wortneuschöpfungen gut:
Richard Connor und sein Team hatten 2000 den Begriff „kerplunking“ in einem Artikel für die Marine Mammal Science für eine Jagdmethode der Tümmler in der Shark Bay eingeführt (Connor Heithaus et al 2000).
Das Wasser ist hier nur 1,5 bis 2,5 Meter flach und die Delphine graben in den sandigen, mit Seegras bewachsenen Boden nach Fisch. Beim so genannten „Bottom grubbing“ stecken sie das Gesicht ins Sediment, um die Fische zu erwischen.
Leider verstecken sich dort viele Fische im Seegras-Dickicht, so dass sie weder zu sehen noch zu orten sind. Darum haben einige Delphine eine zusätzliche Technik entwickelt, um die im dichten Pflanzengewirr versteckten Fische aufzuscheuchen: Sie schlagen mit der Fluke so kräftig auf die Meeresoberfläche, dass das Wasser bis zu 1,35 Meter hoch aufspritzt. Das dabei entstehende Geräusch nennen die Biologen lautmalerisch „kerplunk“. Mit dem Lärm und den dabei entstehenden Luftblasen scheuchen die Fische aus ihrer Deckung auf.

Literatur:
Mehr über die erfinderischen Delphine der Shark Bay gibt  es hier:
https://www.apa.org/science/about/psa/2012/09/bottlenose-dolphins.aspx

C. Smith A B C and K. R. Sprogis A: “Seasonal feeding on giant cuttlefish (Sepia apama) by Indo-Pacific bottlenose dolphins (Tursiops aduncus) in south-western Australia”; Australian Journal of Zoology – https://dx.doi.org/10.1071/ZO15075; Submitted: 11 November 2015  Accepted: 24 February 2016   Published online: 18 March 2016

Patterson, E.M. & Mann, J. 2015. Cetacean innovation. In Animal Creativity and Innovation (Eds: A. Kaufman and J. Kaufman). Elsevier. Chapter 4, pp. 73-120. doi:10.1016/B978-0-12-800648-1.00004-8.

Kommentare (7)

  1. #1 mar o
    13. April 2016

    Danke für den Artikel! Ich lese deine Wal-Artikel immer wieder gern.

  2. #2 Spritkopf
    13. April 2016

    Interessanter Artikel. Das geht in die gleiche Richtung wie die Orcas, die herausgefunden haben, dass man Haie nur auf bauchoben drehen muss (z. B. durch einen gezielten Rammstoß), um diese in einen katatonischen Zustand zu versetzen und damit komplett wehrlos zu machen.

  3. #3 Bettina Wurche
    13. April 2016

    @Spritkopf: Danke für die Ergänzung, das kannte ich noch nicht. Hach ja…die Orcas. Beaching, Kerplunking, kooperatives Jagen mit Buckelwalen, Langleinen abernten, etc pp. Da könnte man Bücher füllen.

  4. #4 Bettina Wurche
    13. April 2016

    @mar o: Danke : ).

  5. […] Knacken deshalb weil sie einen kalkhaltigen Schulp habe, der nun wirklich nicht gut schmeckt, wie bei Meertext zu lesen ist. Und manchmal wird auch nur ein Schwamm genommen, um den Schnabel zu schützen. Wenig überraschend […]

  6. #6 Spritkopf
    15. April 2016

    @Bettina Wurche
    Ich gucke mir so ziemlich alle Dokus an, die ich z. B. bei der Tube zu Orcas finde, so begeistert bin ich von den Viechern. Vieles ist dabei von Ingrid Visser, der neuseeländischen Orca-Forscherin. (Wobei ich manchmal ein bißchen den Eindruck habe, dass ihr die Distanz zu ihrem Forschungsobjekt fehlt, was ich auf der anderen Seite aber auch menschlich nachvollziehen kann.)

  7. […] lesen (zum Beispiel in der Ausgabe 4/2016: Moby Klick). Aber auch auf ihren eigenen ScienceBlogs gibt es viele Beiträge über […]