https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/3/37/Killerwhales_jumping.jpg/300px-Killerwhales_jumping.jpg

Schwertwale (Orcinus orca) transient. Unimak Island, Ost-Aleuten, Alaska (Wikipedia)

Orcas (Orcinus orca) sind die Top-Prädatoren der Meere. Sie sind die größten aller Delphine, ihrer Kombination aus Gebiß und Intelligenz kann sich kein anderes Meerestier widersetzen. Neben ihren körperlichen Eigenschaften ist es ihr Agieren in Gruppen, das sie zu so erfolgreichen Jägern macht.
Wo diese Zahnwale mit ihrem markanten schwarz-weißen Muster auftauchen oder auch nur ihre Ortungs-Clicks ertönen, ergreifen andere Wale die Flucht. Die Gruppen sind matrilinear organisiert, jeder Kleingruppe (Pod) wird von einem erfahrenen Weibchen angeführt. Der Rest der Gruppe besteht aus ihren Töchtern und Söhnen, sowie aus dem Nachwuchs der Töchter.
Orcas, auch Schwertwale oder Killerwale genannt, jagen sehr erfolgreich, die verschiedenen Populationen in den Weltmeeren haben unterschiedlich Jagdstrategien entwickelt, die sie als Teil ihrer Kultur von Generation zu Generation weitergeben.
Junge Schwertwale lernen das Jagen nicht nur von ihren Müttern, sondern gehen beim besten Jäger ihres Pods in die Lehre, wie die norwegische Orca-Forscherin Tiu Similää beobachtet hat.

Die norwegischen Orcas (Nordatlantik Population A, Subpopulation Norwegen) haben ihre regionale Jagdmethode auf Heringe perfektioniert: Sie treiben die kleinen Schwarmfische zusammen und fahren mit ihnen Karussel.


(Video: The Hunt for the Atlantic Herring – Ocean Geographic Orca Expedition)

Das heißt aber noch lange nicht, dass sie friedliche Fischfresser sind, sie schnappen sich zur Abwechslung auch mal einen Schweinswal.
In den produktiven Gewässern vor den Vesteralen sind sie nicht die einzigen Wale, die den Fischreichtum genießen, dort herrscht ein munteres Wal-Treiben. Orcas gehen anderen Top-Prädatoren wie Pottwalen oder Grindwalen eher aus dem Weg, bisher ist nicht beobachtet worden, dass sie große Bartenwale wie Zwergwale jagen und fressen. Stattdessen jagen sie offenbar mit Buckelwalen gemeinsam.

Buckelwale (Megaptera novaeangliae) sind bis zu 15 Meter große Bartenwale, die an ihren extrem langen, weißen Brustflossen gut zu erkennen sind. Diese Flipper sehen fast aus wie Flügel, Buckelwale scheinen im Wasser regelrecht zu fliegen. Als Bartenwale haben sie keine Zähne, sie filtern mit ihren Barten Fisch aus dem Wasser.
Mittlerweile gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Buckelwale mitnichten zahn- und hilflose Bartenwale sind, sondern auch ganz anders können.
Vor Norwegen scheinen sie eher eine Koexistenz auf Augenhöhe mit den Orcas zu haben.
Beide Walarten haben es dort auf die großen Heringsschwärme abgesehen und treffen dann am gedeckten Fischbuffet aufeinander.
Manche Buckelwale allerdings wollen nicht teilen.
Der Unterwasser-Photograph Paul Nicklen (der mit dem See-Leoparden-Erlebnis in der Antarktis) und die Photographin und Journalistin Cristina Mittermeier haben 2016 eine spektakuläre Beobachtung gemacht. Die finnische Orca-Forscherin Tiu Similä hatte ihnen ermöglicht, die Orcas beim Carousel-feeding am Heringsschwarm zu filmen und zu beobachten, ein Auftrag für den „National Geographic“.
Beim Carousel feeding treiben die Schwertwale einen Teil eines großen Heringsschwarms aus der Tiefe an die Oberfläche und verdichten den Schwarm, indem sie mit Luftblasen und dem Zeigen ihrer weißen Bauchflecken die Heringe umkreisen und erschrecken.
Die silbernen Fische drängen sich dann immer dichter zusammen. Schließlich ist der Heringsschwarm so dicht gepackt, dass die Orcas mit Schwanzschlägen die Fische betäuben und sie dann einzeln essen. Ein fetter Hering (Clupea harengus) kann immerhin bis zu 45 Zentimeter lang und bis zu 1000 Gramm schwer werden, ist also auch für einen großen Zahnwal schon ein lohnendes Häppchen.

An der Oberfläche durchschnitten  die hoch aufragenden Rückenflossen das Meer – die Finne eines Männchens kann immerhin fast zwei Meter hoch werden! Es war zu erkennen, dass unter der Wasseroberfläche eine ganze Menge passierte. Paul und Cristina tauchten also gemeinsam mit dem schwedischen Guide Göran in das dunkelgrüne Zwielicht des eisigen Andfjords, mitten unter die Orcas. Cristina Mittermeier beschreibt, dass ihr dabei nicht ganz wohl war. Immerhin waren die drei Taucher dabei, sich mitten zwischen jagende Orcas und ihre Beute zu bewegen!
Etwa eineinhalb Meter unter der Wasseroberfläche hatten die Schwertwale einen sehr großen Heringsschwarm zu einem Ball zusammengetrieben. Die Wale umkreisten die Fische wie ein Rudel Wölfe und drängten sie immer weiter zu einer kompakten Masse zusammen. Kälber schwimmen an der Seite ihrer Mütter und folgen ihren Bewegungen. Cristina Mittermeier  beobachtete die minutiöse Choreographie und das perfekte Zusammenspiel der Meeressäuger
Ein Orca ist riesengroß – durchschnittlich 7 bis 8 Meter lang. Im Wasser wirkt er natürlich noch größer. Und wegen seiner Färbung ist dann ein riesiger Schatten zu sehen, mit weiß leuchtenden Flächen, der sich sehr schnell bewegt und geschickt manövriert.  Dazu hallen die hohen Echolaute der Wale durchs Meer. Es muss ein unheimliches Erlebnis gewesen sein.

Die Journalistin war gerade damit beschäftigt, dass in ihren offenbar nicht ganz geschlossenen Trockentauchanzug kaltes Meerwasser einsickerte, als sie eine Veränderung im Wasser spürte. Außer den etwa 50 Orcas und sehr vielen Heringen war noch etwas anderes im Fjord. Buckelwale kamen an, die schiere Wassermasse, die sie vor sich her schoben, konnte die Taucherin spüren, bevor sie die Wale sehen konnte.
Die großen Bartenwale kamen von unten heran. Da Bartenwale keine Echolokation betreiben, war Cristina klar, dass diese großen Tiere sie nicht sehen oder anderweitig wahrnehmen konnten. Eine gefährliche Situation für die Taucher, die jetzt nur noch daran dachten, den großen Mäulern möglichst schnell aus dem Weg zu schwimmen.
Dann durchbrachen die Bartenwale auch schon mit geöffneten Kiefern die Wasseroberfläche, das Maul voller Hering. Der Heringsschwarm löste sich schnell auf, Buckelwale und Orcas zogen davon.
Die Orcas schnappten sich sicherlich auch noch Fisch, aber garantiert haben sie weniger abbekommen, als erwartet.

Tiu Similä war von den Aufnahmen und den Erlebnissen der beiden begeistert: Bisher hatte nämlich niemand so recht verstanden, wie das Verhältnis der beiden ungleichen Walarten, die gemeinsam an den norwegischen Heringschwärmen auftauchten, war. Nun war es klar: Die Schwertwale erledigten die Arbeit des Aufspürens und Zusammentreibens, währen die Buckelwale erst in der Endphase dazukamen und sich dann einfach am gedeckten Tisch bedienten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand damit gerechnet, dass die sanften Riesen mit den verführenden Gesängen den intelligenten Zahnwalen mit dem todbringenden Gebiss einfach die Beute abnehmen.
Der biologische Fachbegriff dafür ist Nahrungsopportunismus – eine Art passt sich flexibel an geänderte Umweltbedingungen an.
Nicht-biologisch betrachtet  sind die Buckelwale Fischdiebe.

Zum Weiterlesen:
Die norwegischen Orcas zogen bis etwa 2005 jedes Jahr in den Tysfjord und waren dort beim Heringsfischen zu beobachten. Mittlerweile haben sich die Heringsschwärme verlagert, die Orcas sind ihnen gefolgt und seit 2009 sind sie regelmäßig auch vor den Vesteralen zu beobachten. Z. B. von Andenes aus.
Tiu Similä erforscht die nordnorwegischen Orcas schon seit Jahrzehnten.
In dieser WWF-Publikation hat sie Wissenswertes zu ihren Walen zusammengefasst:
https://www.wwf.se/source.php/1120374/%C5rsrapport%202005.pdf

Die spektakulären Bilder und der Originaltext dieser Beobachtung sind auf maptia: cristinamittermeier/stories/the-fish-thieves zu finden.

 

Kommentare (21)

  1. #1 RPGNo1
    23. Januar 2017

    Danke für den Artikel!

    Buckelwale als Mundräuber. Einfach Spektakulär! 🙂
    Das Klischee, das Bartenwale sanfte Riesen sind, hat sich dadurch erledigt. Und wieder ist Welt um eine Illusion ärmer. 😉

  2. #2 tomtoo
    23. Januar 2017

    RPGNo1
    Wieso ? Die haben den Orcas doch ganz sanft den Teller stibitzt. Oder gabs verletzte ? ; )

  3. #3 Bettina Wurche
    23. Januar 2017

    @RPGNo1: Naja, sie sind ja nicht direkt unsaft. Nur nicht nett. Aber ich habe noch einen Beitrag in der “Pipe”, in dem sie ziemlich unsanft werden : )

  4. #4 rincewind.ii
    23. Januar 2017

    ich bin gespannt, was da bei Frau Wurche in der “Pipe” aktiv ist…

  5. #5 JW
    23. Januar 2017

    Toller Text. Man spürt die Begeisterung – Danke!
    Was macht eigentlich ein Buckelwal wenn er einen Menschen in die Kehle bekommt? Muss ihm dann jemand auf den Rücken klopfen?
    Das größte Problem für den Menschen ist wahrscheinlich die beschädigte Ausrüstung.

  6. #6 rincewind.ii
    23. Januar 2017

    @JW: ich hab mich nicht getraut, aber die Frage geisterte mir auch sofort durch den Sinn!

  7. #7 Schöpges G
    23. Januar 2017

    Ja das ist so in der Natur. Warum in den Kühlschrank gehen, wenn der Tisch bereits gedeckt ist (auch von jemand anderem). Diesen Opportunismus findet man überall, nur ist er bei solch großen Arten wie Meeressäuger um Welten spektakulärer.

  8. #8 Bettina Wurche
    23. Januar 2017

    @JW, @rincewind: O. k., das werde ich mal recherchieren. Vorab: Die beschädigte Ausrüstung ist wahrscheinlich nicht das Problem.

  9. #9 tomtoo
    23. Januar 2017

    @Bettina
    Was mich wundert ist, wenn so etwas häufiger vorkommt ,sollten die Orcas doch eigentlich eine Verteidigungsstrategie entwickelt haben ?

  10. #10 Bettina Wurche
    23. Januar 2017

    @tomtoo: Diese Orcas reißen (bisher) keine großen Wale, Buckelwale sind wehrhaft und diese Situation ist noch relativ neu. Pech für die Orcas. Und sie müssen ja nicht verhungern, es ist wirklich viel Fisch da.

  11. #11 tomtoo
    23. Januar 2017

    @Bettina
    Danke !
    Die waren bestimmt in dem Dilemma was nun ?
    Verteidigen ist der Hering auch weg und Stress mit den großen. Das ist aber auch eine doofe Situation. : ) Wenn die Taucherin die “Diebe” warnehmen konnte haben die Orcas das mit Sicherheit schon deutlich früher.

  12. #12 Boombox
    25. Januar 2017

    Bis jetzt dachte ich immer, dass Buckelwale sich ausschließlich von Krill ernähren. Man lernt wohl nie aus. 🙂

  13. #13 Bettina Wurche
    25. Januar 2017

    @Boombox: In der Antarktis fressen sie gern Krill, dort sind ja riesige Schwärme. Auf der Nordhalbkugel sind die Krillschwärme dünner, da gehen sie auch gern auf kleine Schwarmfische.

  14. #14 RPGNo1
    26. Januar 2017

    @Bettina
    Boombox hat mich auf einen Gedanken gebracht.
    Sind denn die Barten der Buckelwale beim Fangen von Schwarmfischen genauso effektiv wie beim Seihen von Krill? Oder ist es schlicht das gewaltige Volumen des Maul und der darauf folgende Sog in den Verdauungstrakt, der einen erfolgreichen Fang ausmacht? Oder mache ich mich mit diesen Fragen gerade zum Vollhorst? 😉

  15. […] „Was macht eigentlich ein Buckelwal, wenn er einen Menschen in die Kehle bekommt? Muss ihm dann jemand auf den Rücken klopfen? Das größte Problem für den Menschen ist wahrscheinlich die beschädigte Ausrüstung.“ fragte JW am 23. Januar 2017 in einem Kommentar auf den Beitrag „Die Fischdiebe – von Schwertwalen und Buckelwalen im Andfjord (Vesteralen, Nord-Norwegen)“. […]

  16. #16 Bettina Wurche
    26. Januar 2017

    @RPGNo1: Buckelwale haben etwas weniger feine Barten, weil sie Krill (der ist relativ groß) u kleine Schwarmfische als Hapt-Ziel haben. Es gibt da Unterschiede. Ich wüßte nicht, wei amn die Effektivität messen udn vergleichen könnte. Sie sind in Antarktis und Arktis fett : ) Vielleicht ist die Methode noch wichtiger als das Equipment.

  17. #17 RPGNo1
    26. Januar 2017

    @Bettina
    Danke schön für die prompte Antwort.
    Dann habe ich deinen Blogtext teilweise missverstanden. Ich war von der fälschlichen Annahme ausgegangen, dass Buckelwale Schwarmfische nur als gelegentlichen Snack fangen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Ein analoges Beispiel wären Schimpansen, die Stummelaffen jagen oder Termiten angeln, wenn sie die Chance haben, aber doch überwiegend vegetarisch leben.
    Aber da Buckelwale auf die Mischkost Krill und kleine Fische stehen und dementsprechend gröbere Barten besitzen, sind meine beiden Fragen obsolet.

  18. #18 Bettina Wurche
    26. Januar 2017

    @RPGNo1: Grundsätzlich nutzen die meisten Viecher das, was regional und saisonal da ist. Sie sind oft viel weniger spezialisiert, als in vielen Büchern u Publikationen steht. Die Buckelwale fressen grundsätzlich auf der Südhalbkugel vor allem Krill, weil es dort in großen Mengen vorkommt. Auf der Nordhalbkugel sind auch kleine Schwarmfische eine Säule ihrer Nahrung. Sorry, ich dcahte, ich hätte das schon geschrieben.

  19. #19 RPGNo1
    26. Januar 2017

    @Bettina
    Keine Entschuldigung von Nöten. 😉
    Es ist genauso wahrscheinlich, dass du es schonmal beschrieben hast und ich es schlicht überlesen oder auch wieder vergessen habe. Manchmal bleibt was im Kopf hängen, manchmal auch nicht.

  20. #20 Boombox
    26. Januar 2017

    @Bettina: Danke für die Antwort. Das deckt sich mit dem, was ich selbst inzwischen über die Ernährung von Buckelwalen nachgelesen habe.

  21. […] Die Fischdiebe – von Schwertwalen und Buckelwalen im Andfjord (Vesteralen, Nord-Norwegen) […]