Walohrschmalz.
Wer jemals einen eleganten Finnwal in seiner Anmut bewundert hat oder mit Staunen das Unterwasserballett eines Buckelwals betrachtete, wird sich normalerweise nicht fragen, ob diese wunderbaren Meereskreaturen über Ohrschmalz verfügen.
Aber ja, das haben sie.
In solcher Menge, dass es sogar regelrechte Pflöcke oder Pfropfen bildet. So fest und haltbar wie Knochen.
Pflöcke aus verfestigtem Walohrschmalz – earplugs) – davon hat das Smithsonian National Museum of Natural History in seinen Sammlungen etwa 1000 Stück. Der größte Teil der Sammlung stammt aus der Endzeit des kommerziellen Walfangs, einzelne Stücke sind auch älter, manche Exemplare kamen durch Walstrandungen in die Sammlung. Seit langem ist bekannt, dass diese Ohrpflöcke die Altersbestimmung von Bartenwalen ermöglichen.

An external file that holds a picture, illustration, etc.Object name is pnas.1311418110fig01.jpg

Illustration of a blue whale earplug. (A) Schematic diagram showing the location of the earplug within the ear canal: (a) whale skull, (b) tympanic bulla, (c) pars flaccida/tympanic membrane (“glove finger”), (d) cerumen (earplug), (e) external auditory meatus, (f) auditory canal, (g) muscle tissue, (h) blubber tissue, and (i) epidermis. (B) Extracted blue whale earplug; total length 25.4 cm. (C) Earplug longitudinal cross-section. (D) View (20×) of earplug cross-section showing discrete laminae. (Trumble et al: “Blue whale earplug reveals lifetime contaminant exposure and hormone profiles”; 2013)

Wale besitzen zwar keine nach außen sichtbaren Ohrmuscheln, aber natürlich haben sie ein Gehör. Der Hörsinn ist bei Walen sogar hervorragend entwickelt, schließlich funktioniert dieser Sinn auch in trüben oder dunklen Gewässern mit geringer oder keiner Sicht. Die Waltiere haben das ohnehin leistungsstarke Säugetierohr noch weiter perfektioniert, durch ihre asymmetrischen Schädel können sie unter Wasser sogar hören, aus welcher Richtung Geräusche kommen.
Der äußere Gehörgang ist allerdings nach außen verschlossen, damit kein Wasser ins empfindliche Innenohr mit dem akustischen und Schweresinn eindringt. Ein Walohr sondert, vom Tag der Geburt des Tieres an, ein Gemisch aus Lipiden, Wachsen und Keratin in den äußeren Gehörgang ab, erklärt der Meeresbiologe Randall W. Davis (Texas A&M at Galveston), ein auf Meeressäuger spezialisierter Physiologe. „There’s a remnant of the external auditory canal, but it isn’t open to the environment. Oil is still secreted in the ear, but it accumulates in this marvelous organic matrix that has been laid down in very distinct layers.” Da der Gehörgang nach außen abgeschlossen ist, fließt das Öl-Sekret (Cerumen) nicht ab, sondern sedimentiert im Gehörgang. Die Sekrete härten nach und nach aus, und bilden so Schichten wie die Wachstumsringe eines Baumes.

Ohrpflöcke als Altersausweis

Um das Jahr 1900 hatten Wal-Experten herausgefunden, dass diese Schichten aus dem Ohr der Meeressäuger wirklich Wachstumsschichten sind und man aus ihnen das Alter des Wals recht genau bestimmen kann. Dickere Schichten erscheinen heller, sie entsprechen einem besseren Nahrungsangebot. Schmalere Schichten erscheinen dunkler, sie entsprechen einem schlechten Nahrungsangebot oder Stress. Die hellen und dunklen Schichten wechseln sich deutlich sichtbar ab, wie in der Biochronologie üblich. Genau wie bei Bäumen.
Diese Ohrpflöcke entstehen übrigens nur bei großen Walen, sie sind nachgewiesen bei  Zwerg-, Sei-, Finn, Blauwalen und Glattwalen. Bei kleineren Cetaceen sind die Ohren anders aufgebaut, dort sedimentiert kein Ohrschmalz.
(Anmerkung meertext: Soweit ich das sehe, besteht der Unterschied in der  unterschiedlichen Anatomie des Gehörs von Barten- und Zahnwalen, diese Aussage habe ich allerdings in der Literatur so nirgendwo bestätigt gefunden. Für Pottwale, also die einzigen großen Zahnwale, habe ich noch nie einen Hinweis auf Ohrpflöcke gefunden – und das Pottwal-Gehör ist wirklich gut untersucht.)
Vor etwa fünf Jahren kam der Biologe Stephen J. Trumble, der Tierphysiologie-Professur an der Baylor University und Experte für Physiologie von Meeressäugern ist, ins Gespräch mit seinem Kollegen Sascha Usenko. Der ist als Chemiker spezialisiert auf Luft- und Umweltchemie und leitet das Baylor’s Environmental Science Graduate Program. Ihr Gespräch drehte sich um die Ohrpflöcke der Wale. Usenko meinte, dass ihn das sehr an Sedimentbohrkerne mit ihren Schichtungen erinnern würde, die ja ein wichtiges Klima- und Umweltarchiv seien. Schließlich sind Bohrkerne aus dem Sediment, Eis oder Korallenriffen (oder andere Bohrkerne) längst wichtige Klima- und Umweltarchive. In ihren Schichten sind chemische Informationen aus ihrer Umgebung zum Zeitpunkt der Ablagerung eingefangen.
Irgenwann schauten sich die beiden Wissenschaftler an und ein neues Forschungsprojekt war “geboren“.

Was könnte ein „Bohrkern“ aus einem Walohr verraten?

Bildergebnis für whale ear plug

A selection from the 400-sample-strong whale earplug collection at the National Museum (NBCNews)

Zunächst machten sich die beiden auf die Suche nach solchen Ohrpflöcken. Sie kontaktierten Charley Potter, der zu dem Zeitpunkt der Hüter (Collection Manager) der Wirbeltier-Sammlungen des Smithsonians war. Der freute sich natürlich über die Anfrage, denn: “It’s a good example of specimens which were collected for one purpose many, many years ago—the first ones were collected at the turn of the 20th century or so—and now as we find another way to interrogate these specimens, we’re able to discover that they have a whole other story to tell”. Das ist schließlich das wichtigste Anliegen eines Museumssammlungs-Managers, seine Objekte zum Sprechen zu bringen.
Natürlich hatte er Walohrpflöcke.
Sogar ziemlich viele. In den späten 1960-er Jahren, als der industrielle Walfang der USA zu Ende ging, hatte das Bureau of Fisheries (heute: National Marine Fisheries Service) in weiser Voraussicht noch eine große Menge von Gewebeproben der toten Wale gesammelt. Das Probenmaterial kam schließlich in die Sammlungen des Smithsonian, palettenweise.

Dann berieten Trumble, Usenko und Potter, wie man weiter vorgehen könne und was das Ohrschmalz aussagen könnte.
Dann suchten sie sich den Ohrpflock eines Blauwals heraus, der 2007 vor der kalifornischen Küste bei einem Umfall mit einem Schiff tödlich verletzt verstorben war, um daran exemplarisch eine solche Lebensgeschichte aus dem Ohrschmalz zu rekonstruieren. Der Blauwal war ein 21,2 Meter langes Männchen. Sein Ohrpflock war  25.4 Zentimeter lang, er enthielt 24 klar erkennbare Lagen, die einer Lebensspanne von 12 Jahren ± 6 Monaten entsprechen. Sein Skelett befindet sich heute im Santa Barbara Museum of Natural History.
Nach 18 Monaten hatten sie mit Daten aus dem Walblubber die Ohrpflöcke geeicht: Im Fettgewebe der Wale, dem Blubber, lagern sich Toxine besonders gut ab. Darum ist Walspeck ja auch so besonders hoch mit Schadstoffen belastet. Die im Fett abgelagerten Toxine wie Pestizide (DDT, DDE), verschiedene PCBs und andere Stoffe ließen sich im Ohrpflock wiederfinden.

Bildergebnis für whale ear plug

Dead blue whale on Californian coast. (Credit: Photography by Jessica Waters, Santa Barbara Museum of Natural History)

Walblubber zeigt, welche Toxine ein Wal im Laufe seines Lebens aufgenommen hat.
Der Ohrpflock zeigt auch noch, wann der Wal welche Toxine aufgenommen hat.
Jede Schicht im Ohrpflock steht nämlich für einen Sechs-Monats-Intervall. Die kann man präzise auszählen, dadurch ergibt sich eine belastbare Baseline, von der aus messbar wird, zu welchen Zeiten der Wal welchen Umwelteinflüssen ausgesetzt war, etwa Pestiziden oder Quecksilber.
Der Wal ist also ein schwimmendes Archiv nicht nur für seine Lebensdaten, sondern darüber hinaus auch für die Daten der Ozeane, die er durchquerte.
Noch überraschender war, dass im Ohrschmalz sogar noch der Hormonpegel des Wals aufgezeichnet war. Denn, so Usenko, Hormone zerfallen in allen anderen Körpergeweben recht schnell.
Das ausgehärtete Ohrschmalz des Wals enthielt neben seinem Lebensalter nicht nur wichtige Aussagen zu Umweltparametern seiner Umgebung, sondern darüber hinaus auch noch ein Tagebuch der Physiologie dieses Wals, hormonelle Schwankungen und den Streß-Pegel. Die Wissenschaftler konnten das Alter, den Eintritt in die Pubertät (am Testosteron-Pegel des Blauwals klar erkennbar) sowie Zeiten der Eisprünge und Geburten (bei weiblichen Walen) herauslesen – lauter wichtige Informationen für ein besseres Bestandsmanagement und einen besseren Schutz dieser Meeresriesen (Usenko, Trumble, Potter et al: „Blue whale earplug reveals lifetime contaminant exposure and hormone profiles“ (Proceedings of the National Academy of Sciences)).

Bildergebnis für dead whale barrow alaska

Barrow whalers haul in bonus bowhead killed by unknown causes (Alaska Dispatch News)

Ein anderer analysierter Ohrpflock stammte von einem Grönlandwal, der in Barrow, Alaska gestrandet war. Sie war 65 Jahre alt. Jede Schicht des Ohrpflocks zeigte klar die Unterteilung in hell und dunkel, wie bei Jahresringen eines Baumes.
Der Farbwechsel hängt mit der unterschiedlichen Ernährung des Wals zusammen, Grönlandwale – und die meisten anderen Großwale auch – wandern jedes Jahr zwischen zwei Meeresgebieten hin und her. Unterschiede in den Levels der Schwangerschaftshormone Progesteron und Estradiol zeigen, dass die Walin zwischen 11 und 14 Mal trächtig war, nach dem Erreichen der Geschlechtsreife etwa alle drei bis vier Jahre. Außerdem fand sich, so Trumble ein starker Anstieg des Streßhormons Cortisol während ihrer ersten Paarung und Trächtigkeit. Durch die Messung der Stickstoff-Isotope, die das Plankton-Futter in den Ohrpflöcken hinterlassen hatte, konnten die Wissenschaftler rekonstruieren, wann sie gefressen hat und wann sie gewandert ist. Diese Meeresriesin, so zeigte sich, bewegte sich den größten Teil ihres Lebens zwischen der Bering-See und der Tschuktschen-See.

Mit dieser neuen Methode kann man nun etwa den Ohrpflock eines Grauwals, der 1910 vor San Francisco im Pazifik erlegt worden ist und etwa um 1850 geboren worden war, mit dem eines Grauwals aus dem gleichen Meeresareal vergleichen, der etwa 1970 gestorben ist. Heute stammen die meisten Wal-Proben von gestrandeten Tieren und nicht mehr aus dem Walfang.
Die Wissenschaftler können mit dieser neuen Methode erstmals neben dem Lebensalter eines Individuums auch noch seine Lebensgeschichte – den Eintritt in die Pubertät (am Testosteron-Pegel des Blauwals klar erkennbar) sowie Zeiten der Eisprünge und Geburten (bei weiblichen Walen) – herauslesen. Lauter wichtige Informationen für ein besseres Bestandsmanagement und einen besseren Schutz dieser Meeresriesen.
Waren die Geburtsraten gleich hoch?
Welche Umweltgifte und andere Substanzen sind in den beiden Tieren zu finden?  Waren die Stresslevel gleich hoch?
Diese und viele andere Fragen lassen sich so erstmals beantworten.
Die Analyse des sedimentierten Walohrschmalzes öffnet also vollkommen neue Möglichkeiten, mehr über die Lebensgeschichte eines individuellen Wals zu erfahren.
Der Umfang der Informationen ergibt sogar eine ziemlich vollständige „Krankenakte“.

Einen Hormonwert findet Trumble besonders interessant: das Stress-Hormon Cortisol.
Der 2007 von einem Schiff gerammte und verstorbene Blauwal hatte einen durchgehend hohen Cortisol-Spiegel, das spricht für dauerhaften Stress. Und warum gehen sie bei dem kürzlich in Barrow, Alaska, verstorbenen Grönlandwal auf und ab?  Lag es an diesem Blauwal persönlich oder hat ihn der starke Schiffsverkehr unter Dauerstress gesetzt wurde.
Leiden Wale heute stärker unter Stress als in früheren Zeiten?
Wodurch entsteht der Stress – durch Lärm, Umweltgifte oder Nahrungsmangel?
Bis jetzt haben die Wissenschaftler etwa zwei Dutzend Ohrpflöcke analysiert, aus unterschiedlichen Museumssammlungen der Welt, einige sogar aus der heutigen Waljagd von Inuit-Völkern. Rahmen des „Aboriginal Whaling“ bejagen manche Inuit-Völker eine kleine Wal-Quote. Mit dieser Auswahl decken die Walforscher eine große zeitliche und geographische Spanne und Artenvielfalt ab.

Marine Mammal Collection

The Smithsonian’s enormous Paul E. Garber storage facility in Suitland, Maryland, is where museum scientists store the marine mammal collection. (Donald E. Hurlbert)

Walohrschmalz als Ausstellungsexponat

Das Smithsonian-Museum in Washington präsentiert ab dem 10. März eine neue Ausstellung: “Objects of Wonder: From the Collections of the National museum of Natural History”. Sie wird bis 2019 zu sehen sein.
Der Ohrpflock aus Ohrschmalz eines Wals ist dann eine der ausgestellten Preziosen.
So kam es zu diesem aktuellen Artikel von Wendy Mitman Clarke  auf dem Smithsonian-Blog vom January 25, 2017.

Ein schöner Anlass, um mal wieder auf die Bedeutung von Museumssammlungen hinzuweisen:
1.      Museumssammlungen sind wertvolle Archive. Auch wenn sich der Wert mancher Objekte zum Zeitpunkt ihres Sammelns noch nicht klar ist, dauert es manchmal einige Zeit, bis mit neuen Methoden oder neuen Forschungsfragen diese bisher unwichtig erscheinenden Sammlungsstücke auf einmal eine neuartige, höchst aktuelle Bedeutung erlangen. In diesem Fall: Ein Klimaarchiv.
2.      Neue Forschungsfragen ergeben sich, wenn sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen treffen und ins Plaudern kommen. Darum brauchen wir Tagungen, Meetings und Kommunikation über Wissenschaft.
3.      Im Walohr sedimentiert Ohrschmalz zu geschichteten Ohrpflöcken (earplugs), in sechs Monaten lagert sich eine Schicht ab.
4.      Diese Ohrpflöcke sind Archive der Physiologie des individuellen Wals und gleichzeitig Klimaarchive der Umgebung des Tieres.

 

Quellen und zum Weiterlesen:

Wendy Mitman Clarke: „For Scientists, Chunks of Whale Earwax Can Be Biological Treasure Troves” (Smithsonian, January 25, 2017)

Stephen J. Trumble; Eleanor M. Robinson; Michelle Berman-Kowalewski; Charles W. Potter and Sascha Usenko: “Blue whale earplug reveals lifetime contaminant exposure and hormone profiles” (Proc Natl Acad Sci U S A. 2013 Oct 15; 110(42): 16922–16926. Published online 2013 Sep 16. doi:  10.1073/pnas.1311418110

Ed Yong: “Biography Of A Blue Whale, Told Through Ear Wax“ (National Geographic-Blog “Not exactly Rocket Science”, 09/16/2013)

Christina Lockyer: “Age determination by means of the ear plug in baleen whales” Report – International Whaling Commission 34:692-696 and 683-685 · January 1984

 

Kommentare (37)

  1. #1 Hawk
    22. Februar 2017

    Hallo Bettina,

    schöner Artikel, danke.
    Allerdings scheint bei der Strukturierung etwas daneben gegangen zu sein: Der 2. Absatz auf Seite 3 Steht genau so schon auf Seite 1.

    Gruß Hawk

  2. #2 JW
    22. Februar 2017

    Danke, toller Artikel. Ich liebe Ohrenschmalz.

  3. #3 Bettina Wurche
    22. Februar 2017

    @Hawk: Der Inhalt ist nicht ganz identisch: auf Seite drei geht es darum, dass weit mehr Informationen als nur das Lebensalter daraus ablesbar sind.

  4. #4 RPGNo1
    22. Februar 2017

    Faszinierend, was aus Ohrenschmalz, welches der normale Mensch gemeinhin als lästig empfindet, herausgelesen werden kann. 🙂

  5. #5 Rotmilan
    22. Februar 2017

    Diese Geschichte kommt mir sehr bekannt vor :-P:
    https://kuriosumnaturale.wordpress.com/2017/01/28/eine-schmalzige-geschichte/

    Beste Grüße von einem Kollegen

  6. #6 Bettina Wurche
    22. Februar 2017

    @Rotmilan: Hallo Herr Kollege, ja, das ist die Publikation von 2013 : ) Dein Kuriositätenkabinett kannte ich noch gar nicht, vielen Dank für den Lesetipp! Ein richtig schöner Science-Blog zum Staunen und Schmunzeln, den muss ich auf meiner Liste von Science-Blogs jedenfalls noch ergänzen.

  7. #7 tomtoo
    22. Februar 2017

    @Bettina

    Vielen Dank sehr spannend.

    Hören die Wale dadurch im alter schlechter ?

  8. #8 Bettina Wurche
    22. Februar 2017

    @tomtoo: Nein, sie nehmen den Sound, wie Zahnwale auch, über die Knochen des Schädels auf, der Unterkiefer ist dabei besonders wichtig. Ted Cranford hatte dazu geforscht, hier ist ein gut verständlicher Artikel dazu:
    https://www.natureworldnews.com/articles/12394/20150130/baleen-whales-hear-sound-bone.htm
    Hier ist ein Blauwalruf (zehnfach schneller abgespielt, weil normalerweise weit unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle)

  9. #9 Meeresakrobaten
    22. Februar 2017

    Vielen Dank für den tollen Beitrag, Bettina!
    2013 hatte ich bei den Meeresakrobaten auch darüber geschrieben. Allerdings lange nicht so ausführlich wie du.
    https://www.meeresakrobaten.de/2013/09/was-ohrenschmalz-alles-ueber-wale-verraet/

  10. #10 Bettina Wurche
    22. Februar 2017

    @Susanne: Ich weiß, Susanne, Deinen Artikel hatte ich gesehen. Und mir dann gedacht, dass es o. k. wäre, das Thema noch mal weiter auszuwalzen. Der Post von Kuriosum Naturale dürfte Dir auch gefallen : )

  11. #11 Gerhard
    23. Februar 2017

    Sehr schön, danke!

  12. #12 DasKleineTeilchen
    terra
    23. Februar 2017

    @Bettina: manchmal kommst du wirklich mit den allerschärfsten sachen; total abgefahren, danke für!

  13. #13 tomtoo
    23. Februar 2017

    @Bettina
    Vielen Dank ! Aber jetzt muss ich wieder forschen 😉 . Wale hören was wir als infraschall (körperschall) bezeichnen würden auch. Aber die hohen Frequenzen sind ja auch da ? Also so ca. bis evtl 5khz. *seufz* so viel Wissen auf der Welt und so ein kleiner Kopf. ; )
    Hat sich ein kleiner Fehler im Link eingeschlichen. Ist doppelt hintereinander falls andere den auch weiterverfolgen wollen.

  14. #14 Bettina Wurche
    23. Februar 2017

    @tomtoo: Bartenwale, vor allem die ganz großen wie Blau- und Finnwale, nutzen Infraschall. Sie stoßen also sehr laaaaange Schallwellen aus. Aufgrund ihrer spärlichen Veteilung in den Ozeanen und ihren langen Wanderstrecken und damit zusammenhängenden Langstrecken-Kommunikation müssen ihre Rufe eben sehr lange laufen. Ihre langwelligen Rufe setzen sie dann noch auf einer tiefen Sprungschicht im Meer ab (zwei übereinander geschichtete Wasserkörper mit unterschiedlicher Temperatur) und nutzen die als Verstärker: SOFAR channel.
    Die Zahnwale nutzen neben für uns hörbaren Frequenzen für die Ortungslaute auch Ultraschall.
    Hier ist der walsound sehr gut erklärt:
    https://www.wwf.de/themen-projekte/bedrohte-tier-und-pflanzenarten/wale-und-delfine/fragen-und-antworten/wie-wale-kommunizieren/

    Der SOFAR-channel (SOund Fixing And Ranging) wird auch von Menschen genutzt:
    https://de.wikipedia.org/wiki/SOFAR-Kanal
    Wale können damit ihren Sound über Tausende von Kilometern laufen lassen.

  15. #15 Bettina Wurche
    23. Februar 2017

    @DasKleineTeilchen: Andere Blogs und ein großes Netzwerk auf Twitter und Facebook und natürlich das Im-Auge-Behalten und Zuhören in den eigenen Themenbereichen bringt solche Themen auf. Ich habe mal die Blogroll überarbeitet, da könnt Ihr dann selbst stöbern.

  16. #16 gedankenknick
    23. Februar 2017

    @tomtoo
    Warum langwellige Singnale weiter reichen als kurzwellige wird hier: https://_www.youtube.com/watch?v=ZwT2xpSYyxA sehr gut erklärt. (Unterstrich entfernen bitte)

    Sprungschichten werden vom Menschen auch genutzt. Meist bei dem Spiel “wie verstecke ich ein U-Boot vor gegnerischen Sonar”… Wobei es vermutlich für alle Wale besser wäre, wenn die Menschheit auf militärisches Aktiv-Sonar verzichten würde.

  17. #17 JoJo
    23. Februar 2017

    Welchen Zweck erfüllt dieses Schmalz denn? Reinigung des Gehörgangs scheidet ja aus, weil der Gang nicht mit dem Außenraum verbunden ist; zudem wirkt er selbst wie ein Pfropfen.

    Sammelt der Schmalzstab Schall ein und leitet ihn zum Ohr?

  18. #18 Bettina Wurche
    23. Februar 2017

    @JoJo: Die Drüsen, die das Cerumen absondern, sind umgebildete Schweißdrüsen, wie die meisten Drüsen des Säugetierkörpers inkl. Milchdrüsen. Das Sekret dient der Säuberung und Pflege des Gehörgangs: “Es befeuchtet die Haut im Gehörgang und dient der Entfernung von Staub, Schmutz, abgestorbenen Hautzellen und Fremdmaterialien aus dem Ohr. Es enthält außerdem Lysozym und andere Stoffe, die Bakterien bekämpfen sowie Insekten davon abhalten sollen, in den Gehörgang vorzudringen. Fehlt dieser Schutz, zum Beispiel durch häufiges Waschen oder Schwimmen, kann dies zu starken Ohrenschmerzen führen.”
    Säugetiere haben ja einen ein Stück weit offenen Gehörgang, so sind sie in diesem Bereich anfällig. Bei uns Stadtbewohnern scheint es kein Problem mehr zu sein, ich habe maber mal gelesen, dass Menschen in ländlichen Räumen unter unhygienischen Bedingungen vor allem im Kindesalter zu Ohrinfektionen neigen, Staub, Dreck, Insekten und Bakterien scheinen da zusammenzuwirken.
    Der Ohrschmalz hat mit der Schalleitung nichts zu tun. Die Schallwellen werden bei Walen mit dem Unterkiefer aufgefangen, aber Wale sind durch das Leben im aquatischen Milieu hoch abgeleitet. Bei allen terrestrischen Säugetieren “fängt” die Ohrmuschel den Schall “ein”, der Gehörgang verstärkt den akustischen Reiz, dann trifft der akutische Reiz auf das Trommelfell. Diese dünne Membran schwingt dann und überträgt den Reiz mechanisch über Hammer, Amoß und Steigbügel auf die nächste membran, das Ovale Fenster. Ab da geht´s dann weiter zum Innenohr.
    Hier ist es gut erklärt:
    https://www.geers.de/hoeren-hoerverlust/hoeren-verstehen/gehoer-verstehen/so-funktioniert-das-ohr

  19. #19 Bettina Wurche
    23. Februar 2017

    @gedankenknick: Jawoll. Gerade U-Boote nutzen den SOFAR channel auch zur Kommunikation. Und ja, das LFAS-Sonar dürfte derzeit mehr Schnabelwale killen als die japanischen Walfänger.
    Über solche Strandungen schreibe ich ja leider viel zu oft:
    https://blog.meertext.eu/2011/12/04/schnabelwal-strandungen-durch-sonar/

    https://scienceblogs.de/meertext/2014/04/02/1-marinemanoever-im-mittelmeer-und-10-gestrandete-cuvier-schnabelwale/

  20. #20 Gerhard
    24. Februar 2017

    Überhaupt ein interessantes Thema: Wie geht ein Organismus damit um, einerseits Zugang zur Aussenwelt zu haben, andererseits sich vor ungebetenen Invasoren zu schützen. Das fängt ja bei der Zelle an und hört beim Gehörgang auf.
    Evolutionstechnisch auch interessant. So ganz will mir nicht einleuchten, daß nur durch “Versuch und Irrtum” ein Gehörgang so getrimmt wird in einer Art, daß er sozusagen immun wird. Die Evolution wird ja auf einige bewährte Lösungen zurückgreifen können, siehe etwa Muskelstrukturen, die bei weit entfernten Arten ähnlich sein können, folglich mehrmals “erfunden” wurden.

  21. #21 Bettina Wurche
    24. Februar 2017

    @Gerhard: Evolution ist nicht Versuch und Irrtum, sondern das langfristige Durchsetzen geeigneterer Formen, Arten, Organsysteme, …. Das heutige Säugetierohr hat eine extrem lange, eigenständige Entwicklung hinter sich, es ist ja aus dem umgebauten Unterkiefer, aus den umgebauten Kiemenbögen entstanden. Und es ist richtig, dass sich Neuerungen oftmals mehrfach paralell entwickeln. Aus den Wirbeltier-Evolutions-Vorlesungen habe ich noch im Hinterkopf, dass der Säuger-Unterkiefer mit seinem sekundären Kiefergelenk sich an mindestens drei Fossilgruppen nebeneinander so ausgebildet hat. Hier ist ein link zur Ohrentwicklung:
    https://www.scinexx.de/wissen-aktuell-13281-2011-04-14.html
    “Wie die Forscher jetzt in „Nature“ berichten, haben sich die Ohr-Übergangsformen innerhalb der Säugetiere mehrfach unabhängig zum modernen Mittelohr entwickelt.” Und zwar vor 125 Mio Jahren. Die Säuger haben eine sehr lange Geschichte, zu dieser Zeit waren schließlich noch für 60 Mio Jahre die Dinosaurier die wichtigsten Landwirbeltiere. Das sekundäre Kiefergelenk ist noch viel älter. Die Vorläufer der Säuger, die säugetierähnlichen Reptilien sind immerhin aus dem späten Perm, ca 275 Mio Jahre alt.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Therapsiden
    Drüsen sind säugerspezifisch, lassen sich aber paläontologisch nicht nachweisen. Die Hygiene-Maßnahme, Unrat und Bakterien über Körperflüssigkeiten von empfindlichen Stellen wie Körperöffnungen fernzuhalten, dürfte aber auch sehr alt sein.
    “Der Fisch in uns” von Neil Shubin erklärt manche dieser Zusammenhänge ganz gut. Ansonsten ist “Ernst Mayr: Das ist Evolution” empfehlenswert, allerdings ziemlich harter Stoff.

  22. #22 Gerhard
    24. Februar 2017

    Herzlichen Dank!!
    Neil Shubin: Danke, daß Du ihn erwähnst! Hatte sein Buch: Das Universum in Dir” mit Gewinn gelesen.

    Das mit den Muskeln habe ich auch aus Scinexx.

    So eine “Ausbildung” eines Ohrs oder einer anderen “Funktion” im Körper, wie geschieht das? Als wäre da eine Intelligenz am Walten. Hatte vor mehr als 1 Jahr “Arrrival of the fittest” mit Gewinn gelesen. Da wird von multidimensionalen Datenbanken geschrieben, in der die Fortschreibung einer Funktion anhand eines intelligenten Wegs, ohne Verlust der urspr. Funktion, geschieht.
    Dennoch ist nicht klar, wer da bastelt und wie das Basteln vor sich geht.
    Versuch und Irrtum findet m.E. dennoch wohl statt. Nicht jede “Invention” ist sinnvoll und zielführend. Z.B. sagt man ja den Dinosauriern nach, daß ihre überlange Eiausbrütung sich stark negativ ausgeprägt hat.

    Danke für die Links!

  23. #23 tomtoo
    24. Februar 2017

    @Bettina
    @Gedankenknick

    Danke für die Links !

    Ich werde hier nich zum Walgehör Experten. ; )

  24. #24 tomtoo
    24. Februar 2017

    noch nich nich ; )

  25. #25 RPGNo1
    24. Februar 2017

    @Gerhard
    Vorsicht mit Aussagen wie “Als wäre da eine Intelligenz am Walten”. Das ist “Intelligent Design”-Sprech wird von IDlern und Kreationisten gerne verwendet, um einen schöpferische Hand im Hintergrund zu postulieren, die die Evolution am Schlawittchen hat.

    Wenn du dich für eine allgemeine grundlegende Einführung in Evolution interessierst, empfehle ich immer wieder gerne Richard Dawkins “Die Schöpfungslüge” oder, wie es viel besser auf Englisch heißt, “The Greatest Show on Earth: The Evidence for Evolution”.

  26. #26 Bettina Wurche
    24. Februar 2017

    @Gerhard: Wie RPGNo1 schon wohl formuliert: Vorsicht mit solchen Aussagen. Scheinbare Parallelentwicklungen basieren oft auf der Ausprägung einer schon vorhandenen Grundausstattung. Es gibt nur aus der frühen Entwicklung der Säugetiere wenig Fossilien, so dass die frühen Stadien oft unentdeckt bleiben. Das Säugerohr muss sich sehr früh (sicherlich noch im Erdmittelalter, Kreide oder Jura) sehr leistungsstark entwickelt haben. So kommt es zum Ultraschallhörvermögen in mehreren Säugergruppen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben, wie Walen und Fledermäusen. Mikro- und Makroevolution laufen paralell, das sind komplexe Vorgänge. Das Problem ist ja, dass nicht jede Mutantion im Phäotypen sichtbar wird, wir bei den Fossilien das Genom aber nicht haben. Wir sehen darum nur einige Steine des Puzzles.

  27. #27 gedankenknick
    25. Februar 2017

    Ansonsten ist “Darwin und die Götter der Scheibenwelt” eine nette Lektüre zur Einführung in die Evolutionstheorie. https://www.thediscworld.de/index.php/Buch:Darwin_und_die_G%C3%B6tter_der_Scheibenwelt

    Wer allerdings noch nie was von der Scheibenwelt gehört hat, wird sich vielleicht mit dem Buch etwas schwer tun. Ach Terry, RestInPeace!

  28. #28 RPGNo1
    25. Februar 2017

    Tod zu Terry Pratchett: AT LAST, SIR TERRY, WE MUST WALK TOGETHER.

    Am 12. März ist übrings Terrys 2. Todestag.

  29. #29 Bettina Wurche
    26. Februar 2017

    @gedankenknick: Hach ja…die Scheibenwelt. Diesen Band kenne ich noch gar nicht, danke für den Tipp.

  30. #30 anderer Michael
    27. Februar 2017

    Haben die Wale gar kein Mittelohr mit Hammer , Amboss und Steigbügel?
    Der Umstand eines verschlossenen äußeren Gehörganges weist daraufhin , dass die Schallleitung nicht luft- sondern knochengeleitet ist ( wie beschrieben). Dann wäre ein Mittelohr gar nicht notwendig.
    Wenn ein Mittelohr aber doch vorhanden ist, könnte das verhärtere Cérumen als Schallleitung dienen.Luftleitung wäre dann für den Wal möglich, aber sehr gedämpft.
    Der Mensch hat beides . Luft- und Knochenleitung .Diese werden mittels eines Stimmgabeltestest überprüft. Man schlägt die Stimmgabel an, hält sie ans Ohr. Wenn der Ton nicht mehr zu hören ist ( Luftleitung), setzt man die Basis der Stimmgabel an den Knochenvorsprung hinter dem Ohr. Man hört nun über die Knochenleitung.

  31. #31 Gerhard
    27. Februar 2017

    @Bettina und @RPGNo1, wusste nicht, daß ich mit meiner Anmerkung in “eine Art Wespennest” gestossen hatte. Verblüffend ist aber allemal, was wir vorfinden und das wollte ich eigentlich nur ausdrücken.
    @Bettina: “Das Problem ist ja, dass nicht jede Mutantion im Phänotypen sichtbar wird, wir bei den Fossilien das Genom aber nicht haben.”
    Auch ein wichtiger Gesichtspunkt, den ich mir merken sollte.
    Danke.

  32. #32 Gerhard
    27. Februar 2017

    @Bettina und @RPGNo1, danke für die Klarstellung.
    @Bettina: “Das Problem ist ja, dass nicht jede Mutantion im Phänotypen sichtbar wird, wir bei den Fossilien das Genom aber nicht haben.”
    Auch ein wichtiger Gesichtspunkt, den ich mir merken sollte.
    Danke.

  33. #33 Bettina Wurche
    27. Februar 2017

    @anderer Michael: Doch, Wale haben ein vollständige Säugetier-Ohr, auch mit Mittelohr mit Hammer, Amboß und Steigbügel. Die sind in der Abbildung allerdings nicht eingezeichnet, weil sie im Vergleich zur riesigen Bulla tympanica winzig klein sind.
    In dieser Publikation sind in Abb. 5 auch endlich mal Hammer, Amboß und Steigbügel zu sehen.
    Links ist das Felsenbein (Os petrosum), rechts ist die Bulla tympanica.
    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ar.22459/full

    Inwieweit der Ohrpfropf schalleitend ist, habe ich keine Angaben gefunden.
    Das hat wohl noch niemand ausprobiert.
    Die Gehörstrukturen sind schallisoliert in Bindegewebe verpackt, einige Fettstrukturen sollen akustisch aktiv sein:
    https://nmnh.typepad.com/100years/2014/08/the-skinny-on-whale-ears.html

  34. #34 Meeresakrobaten
    27. Februar 2017

    Eine hochinteressante Diskussion!
    Günther Behrmann, der hier mitgelesen hat, hat mich gebeten, auf seine Veröffentlichung über das Wal-Ohr hinzuweisen. Das mache ich hiermit gerne:
    https://epic.awi.de/233/1/Beh1987a.pdf
    Weitere Veröffentlichungen findet ihr hier:
    https://doi.pangaea.de/10.1594/PANGAEA.828308?format=html

    Der weit über 80-jährige Tierpräparator und Wal-Experte wird auch heute noch gerne zur Anatomie der Wale befragt. Auch meine Website http://www.meeresakrobaten.de profitiert von Behrmanns enormem Wissen und seinen praktischen Erfahrungen.

  35. #35 Bettina Wurche
    27. Februar 2017

    @Meeresakrobaten: Danke Susanne. Ja, Herr Behrmann hatte mich schon angeschrieben. Es hat mich gefreut, von ihm zu hören, unser letztes Treffen ist schon ziemlich lange her. 2001 oder 2002, zur Eröffnung der überarbeiteten Walausstellung im Senckenberg-Museum war das wohl.

  36. #36 RPGNo1
    28. Februar 2017

    @Meeresakrobaten
    Danke für den Link zur Veröffentlichung von Güther Behrmann.

  37. #37 Meeresakrobaten
    8. März 2017

    @RPGNo1: Gern geschehen!