Die Würmer ragen nicht nur aus dem Sediment heraus, sondern wurzeln auch tief darin. Ihre Körper ziehen Schwefelverbindungen aus dem Boden wie ein Baum mit seinen Wurzeln Nährstoffe und Wasser aus dem Boden.

File:Hesiocaeca methanicola colony noaa.jpg

Eiswürmer fressen sich in Methanhydrate hinein. (NOAA)

Zwischen und in diesen von den Würmern und Muscheln geschaffenen Kalkstrukturen leben viele kleinere Borstenwürmer (Polychaeten), Garnelen und Schnecken. In der nährstoffarmen Tiefe sind sie verlockende Mahlzeiten für große Krabben, Fische und Oktopusse, die gern auf einen Snack vorbeischauen. Natürlich gehören auch filtrierende Meeresbewohner wie Schwämme, Korallen und Polypen sowie noch viele andere Tiere zur Faunengemeinschaft.

Interessant ist, dass die Cold seep-Communities im Golf von Mexiko unterschiedlich zusamengesetzt sind: Oberhalb von 1000 Metern Tiefe dominiert die Muschel Bathymodiolus childressi, dazu kommen Polychaeten, Schnecken, Krabben, Hummer und Garnelen.
In Salzlaken-Wohngemeinschaften gibt es neben Muscheln sogar gleich drei verschiedene Röhrenwurm-Arten: Lamellibrachia lumeysi, Seepiophila jonesi und Escarpia spec. Der Salzgehalt in einem solchen “brine pool” ist viermal höher als die üblichen vier Promille des Ozeans, dementsprechend hat das Wasser eine höhere Dichte und lagert sich als Wasserkörper auf dem Meeresgrund ab.
An Cold seeps mit Methanhydraten siedeln sich gern Eiswürmer wie Hesiocaeca methanicolaa an. Ohne Röhren klettern sie auf ihren Beinchen auf dem geeisten Methan umher und fressen Löcher hinein*.

In größeren Tiefen von unter 1000 Metern verändern sich die Wohngemeinschaften, dort dominieren sehr große Muscheln und die Röhrenwürmer  Escarpia laminata, Lamellibrachia sp. 2 und Escarpia sp. – die beiden letzteren sind wissenschaftlich noch nicht beschrieben. Statt der Schnecken grasen hier Schlangensterne die Bakterienrasen ab.

Bildergebnis für cold seep tubeworm gulf of mexico

Die Würmer in ihren Kalkröhren hatten übrigens noch eine Überraschung für neugierige Biologen parat:  Alanna Durkin der Temple University hatte mit ihrem Team herausgefunden, wie alt die Tiere werden. Dazu hatten sie insgesamt 356 Wurmröhren blau markiert. Ein Jahr später schauten sie nach, wie weit die Würmer bis dahin angebaut hatten und berechneten daraus eine jährliche Wachstumsrate.
Das Ergebnis überraschte sie: Ein 50 Zentimeter langes Exemplar von Escarpia laminata war  etwa 250 Jahre alt. Die beiden anderen untersuchten Arten Lamellibrachia luymesi und Seepiophila jonesi scheinen hingegen eine deutlich geringere Lebenserwartug zu haben.

Nicht zuletzt durch die Blowout-Katastrophe der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko 2010, deren massive ökologische Schäden detailliert dokumentiert und bis heute sichtbar sind, ist klar geworden, dass eine systematische Erforschung dieser Meeresgebiete vor der US-Küste dringend nötig ist. Schließlich ist eine “Volkszählung” im Meer die Grundlage für Managementpläne und einen möglichen Ökosystem-Schutz. (Mehr über die Ursachen, ökologischen Auswirkungen und das Handling der Deepwater Horizon-Katastrophe ist auf dem alten Meertext-Blog unter Deepwater Horizon zu finden.) Immerhin waren aus dieser Gegend schon länger die Existenz so einiger ozeanischer Schatztruhen wie die Cold vents oder Kaltwasserkorallenriffe bekannt, die Cold seeps sind 1983/83 beschrieben worden.

*Eiswürmer, die sich mit ihren Bakterien in Methanhydrate hineinfressen, deren Eis durchlöchern und so ganze Kontinentalabhänge destabilisieren sind übrigens die kleinen Stars in dem Öko-Thriller “Der Schwarm”. Bei Interesse an Öko-SF, Meeresgeschichten und guten Thrillern unbedingt lesen!

PS: Eben gerade kam über Twitter diese Meldung: NOAA hat im Golf von Mexiko ein völlig neues Ökosystem entdeckt:NOAA washing machines

NOAA washing machines

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Kommentare (9)

  1. #1 Dampier
    16. Dezember 2017

    Mal wieder höchst lehrreich und unterhaltsam.

    Was mich ein bisschen irritiert, ist dass ich zur Yucatan-Platte nichts finden kann; ich wollte mir das mal auf einer Karte ansehen. Selbst unter den Mikroplatten ist sie nicht aufgeführt.

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/bf/Tectonic_plates_boundaries_detailed-en.svg/4898px-Tectonic_plates_boundaries_detailed-en.svg.png

    Aber das nur am Rande. Danke für den schönen Tauchgang :]

  2. #2 Bettina Wurche
    16. Dezember 2017

    @Dampier: Na klar, Dampier wieder. Hat alles nachgeguckt, verglichen, gründlich ´drüber nachgedacht und dann so was Kleines am Rande abgefeuert : ))) Also:
    “The formation of the Gulf of Mexico, an oceanic rift basin located between North America and the Yucatan Block, was preceded by the breakup of the Supercontinent Pangaea in the Late-Triassic, weakening the lithosphere. Rifting between the North and South American plates continued in the Early-Jurassic, approximately 160 million years ago, and formation of the Gulf of Mexico, including subsidence due to crustal thinning, was complete by 140 Ma.” auf Wikipedia habe ich interpretiert als Rift Valley. Ein Grabenbruch zwischen dem “North America and the Yucatan Block”, das habe ich interpretiert als Platten.
    “The Gulf of Mexico is a small ocean basin that began forming in the Late Triassic when the Yucatán (Maya) continental block rifted southward from the southern Laurentian margin [Salvador, 1987; Sawyer et al., 1991; Pindell and Kennan, 2009].” – continental block ist offenbar nur ein Teile einer Platte.
    Ein Grabenbruch kann also nicht nur ZWISCHEN Kontinentalplatten entstehen, sondern auch AUF Platten.
    “Seafloor spreading began in the Middle–Late Jurassic as the Yucatán rotated ~40° counterclockwise relative to North America around a pole in the present-day southeastern Gulf of Mexico [Hall and Najmuddin, 1994; Marton and Buffler, 1994; Bird et al., 2005]. The timing of Yucatán block rotation (~158 to 140 Ma) predicts a slow seafloor-spreading rate of 30 mm/yr in the western Gulf of Mexico with spreading rates, and therefore total width of opening, decreasing to the east [Marton and Buffler, 1994; Pindell and Kennan, 2009]. Rotation of the Yucatán ended once the block docked against southern Mexico in the Early Cretaceous.” “Gulf of Mexico: Implications for rift evolution and seafloor spreading; Drew R. Eddy1, Harm J. A. Van Avendonk1 et al; 2009.).
    Scheint ne komplexe ud viel diskutierte Geschichte zu sein.
    Danke fürs Mitdenken, ich hab´s korrigiert.

  3. #3 Dampier
    18. Dezember 2017

    am Rande abgefeuert

    Und am Rande lauert die Subduktion …

    Danke für die Recherche – mir war gar nicht so klar, dass du ja viele Inhalte quasi on the fly übersetzt, wenn du einen Artikel schreibst. Da kommt sowas natürlich vor.

    Wenn ich das richtig verstehe, kann man Block eher mit (Kontinental)Sockel übersetzen? Und der Yucatan-Block hat sich innerhalb der Nordamerikanischen Platte um ~40° gedreht …?

    Wat dat nich aans gifft …

  4. #4 Dampier
    18. Dezember 2017

    Ah, hab jetzt erst den Link gesehen, den du oben in den Artikel eingesetzt hast. Das ist genau die Art Karte, nach der ich gesucht hatte :]

  5. #5 Bettina Wurche
    18. Dezember 2017

    @Dampier: Danke für Dein Verständnis. Ja, meistens nehme ich mir ja nicht nur eine/n einzelne/n Beitrag/Publikation vor, sondern versuche, dem Ganzen noch einen Rahmen zu geben. Diese Expedition untersucht die tiefen Stellen in Golf von Mexiko. Erst durch den Kontext mit dem Riftvallye wird klar, wie tief es dort ist und woher Methan Schwefelwasserstoff, etc. kommen. Das fand ich als Erklärung wichtig. Mir war bis dahin auch nicht bewusst, dass am Grunde des Golfs eine Riftstruktur von solchen Ausmaßen ist. Riftstrukturen sind jedenfalls ganz schrecklich kompliziert, wie mir am Beispiel des Rheingrabens mal deutlich wurde. Den hatte ich mit seinen Seekuh- und Riesenhai-Funden als ehemaligen Nordsee-Arm aus dem Miozän, ganz gut verstanden. Als ich mich etwas tiefer einlas (in die Abgründe des Graben und der Literatur über denselben) wurde mir auf einmal bewusst, dass da sogar noch Bereiche aus dem Perm beteiligt sind und das Ganze extrem übersichtlich ist. Das wird im Golf von Mexiko wohl ähnlich sein. Und die Vorstellung einer rotierenden Kontinent-Schulter, nämlich dem Yucatan-Block, macht es nicht weniger abstrakt und unglaublich.

  6. #6 Bettina Wurche
    18. Dezember 2017

    “Paleomagnetic studies of Paleozoic sedimentary and plutonic rocks demonstrate that the Yucatan Block did not lie between the North and South American plates in the Pangean assembly during the Permian. In the Middle Permian, the Yucatan Block lay in an inverted orientation on the western margin of Pangea at 6–10°S, probably forming part of the NW coast of South America. Subsequently the block rotated in a series of counterclockwise motions as the North and South American plates separated. By 230 Ma, Yucatan had rotated ∼47° counterclockwise and moved slightly northward, to the equator. Counterclockwise rotation continued through the Jurassic: ∼41° between 230 Ma and ca. Oxfordian time, and another ∼47° between the Oxfordian and Tithonian, at which time, the approximate present orientation with respect to North America was achieved. Passage of the Yucatan Block from NW South America into the gap created by the separation of North and South America is a motion consistent with the left-lateral translations along the Mojave-Sonora or similar megashear. The fact that Yucatan has exhibited a counterclockwise motion throughout its Mesozoic history suggests that the microplate may have acted in a ball-bearing fashion between the larger North and South American plates.”
    https://pubs.geoscienceworld.org/books/book/545/chapter/3802178/Pangean-reconstruction-of-the-Yucatan-Block-Its?redirectedFrom=PDF

    Schön, dass ich hier Gesprächspartner für so etwas habe : )))

  7. #7 Dampier
    18. Dezember 2017

    Gesprächspartner

    Encantado :))

    Riftstrukturen sind jedenfalls ganz schrecklich kompliziert, wie mir am Beispiel des Rheingrabens mal deutlich wurde. Den hatte ich mit seinen Seekuh- und Riesenhai-Funden als ehemaligen Nordsee-Arm aus dem Miozän, ganz gut verstanden. Als ich mich etwas tiefer einlas (in die Abgründe des Graben und der Literatur über denselben) wurde mir auf einmal bewusst,

    Klingt auch spannend. Hast du da schonmal drüber gebloggt?

  8. #8 Bettina Wurche
    18. Dezember 2017

    @Dampier: Nö. Dazu gibt´s nen Vortrag über Seekühe im Mainzer Becken. Den müsste ich wohl überarbeiten – das Tierchen heisst jetzt nicht mehr Halitherium schinzii, sondern es sind zwei Arten der Gattung Kaupitherium. (Kaup hat sie nämlich zuerst beschrieben, wie auch das Schreckenstier Deinotherium und ne Menge anderes Zeug hier in der Gegend). Die Seekühe kommen bei Mainz in Sandgruben zwischen den Weinbergen vor, neben Rochen, Haien, Fischen, riesigen Austern und anderem Meeresgetier.

  9. #9 Dampier
    18. Dezember 2017

    Ich hab natürlich auch ein Auge auf die Region, weil William Dampier in Campeche Bay als Holzfäller gearbeitet hat ;]