Der Scheinwerfer des Tauchroboters taucht die Umgebung in kaltes Blau, außerhalb des kleinen Lichtdoms herrscht die ewige Dunkelheit der Meerestiefe. Aus dem Meeresgrund ragen ganze Büschel bleicher Kalkröhren – eine Röhrenwurm-Community im Golf von Mexiko.
Ihr Lebensraum ist ein Cold seep oder Cold vent – eine nicht-heiße Quelle, aus der Schwefelwasserstoff, Methan oder andere Kohlenwasserstoff-reiche Substanzen durch den Meeresboden “suppen”, oft in Verbindung mit Schlammvulkanen, Gas-, Öl- oder Methanhydratvorkommen. An manchen Stellen können auch Salzlake-Blasen (brines) über dem Ozeanboden stehen bleiben (Wikipedia: Cold seep).
Die austretende Flüssigkeit ist mindestens 60 °C heiß, also nicht wirklich kalt. Nur im Vergleich mit den bekannteren Black Smoker-Hydrothermalquellen, die das umliegende Wasser auf über 400 °C und mehr erhitzen, erscheinen Cold seeps wohltemperiert oder “kalt”.

Kalter Brubbel

(Cold seeps oder Cold vents heißen im Deutschen kalte Quellen oder kalte Sickerstellen. Das Verb seep könnte man mit sickern oder auch “suppen” übersetzen. “Kalte Quelle” ist mir für dieses tektonisch betriebene Naturschauspiel etwas zu banal. Im Landkreis Vulkaneifel in Wallenborn nennen die Einheimischen ihren Kaltwassergeysir, den Wallenden Born, die oder den Brubbel. Das hört sich für mich angemessen spektakulär an.)

Diese kühlen Tiefseequellen sind wesentlich weniger erforscht als die heißen Hydrothermalquellen. Dabei liegen sie im Golf von Mexiko, wo sie 1983 entdeckt worden sind, praktisch vor der Haustür der US-Forschungsinstitute und nicht so weit entfernt wie die Smoker auf dem Mittelatlantischen Rücken oder anderen submarinen Grabenbruchsystemen.
So begann also am 29. November ein Team aus Wissenschaftlern und Technikern in einem ausgedehnten Survey  die Diversität und Verteilung Tiefseehabitate und der angegliederten marinen Ökosysteme im Golf von Mexiko-Becken – ins Reich der Schlammvulkane, Cold seeps und Salzlake-Blasen. Der Survey soll noch bis zum 21. Dezember dauern, 2018 sollen zwei weitere Expeditionen folgen. Gearbeitet wird 24 Stunden täglich, die ROV-Tauchroboter (remotely operated vehicle)  steigen tagsüber ab, nachts wird vor allem kartiert. Der Echolot läuft schließlich auch ohne Tageslicht.
Wie immer, senden die Kameras des Schiffes und des Tauchroboters im LiveStream. Dazu gibt es tägliche Updates.

Im Reich der Schlammvulkane, Cold seeps und Salzlake-Blasen

a small bush of tubeworms with endemic mussel colonization

A small bush of tubeworms. […] The presence of the mussels (Bathymodiolis childressi) in the center of the bush means that methane is seeping just below  (2002, NOAA)

Das Becken im Golf von Mexiko ist eine Riftstruktur zwischen dem Nordamerikanischen und dem Yucatan-Block (korrigiert – s. Diskussion in Kommentaren 1 und 2), darum stellenweise sehr tief und voller tektonischer Aktivitäten.
Aus Rissen im Meeresboden sickern und strömen Erdöl, Methan oder Salzlaken mehrere Hundert Meter weit ins umliegende Meer. Das Sonnenlicht erreicht sie nicht, darum basieren diese extreme Tiefseeökosysteme nicht auf Sonnenenergie. Pflanzen, die Photosynthese betreiben, gibt es nicht. Die Energiequelle dieser Tiefseeoasen ist die Chemosynthese auf der Basis schwefel- oder methanhaltiger Verbindungen aus dem Innern der Erde.  Diese Ökosysteme in unter 200 Metern Tiefe – meistens liegen sie noch deutlich tiefer – sind eine scheinbar lebensfeindliche Umgebung und der typische Nährboden für extremophile Lebensformen. So enthalten sie viele endemische und natürlich hoch spezialisierte Arten, durch diverse geochemische und mikrobielle Prozesse ist hier eine Mischung aus heterotrophen und symbiontisch-assoziierten Lebensformen entstanden. Heterotroph ist die Ernährung aus organischen Stoffen, symbiontisch-assoziierte Tiere lassen ihre Endosymbionten die Nährstoffe produzieren – die Röhrenwürmer sind das Paradebeispiel dafür.

 

Chemosynthese-Communities

Ähnliches FotoIn der normalerweise nährstoffarmen Umgebung am Meeresgrund sind die Schwefel-, Salzlake- und Methanszenarie Oasen der Fülle und Völlerei. Dicke Bakterienrasen oder mit Bakterien gefüllte Organe im Innern der Tiere sind eine reichhaltige Nahrungsquelle, vor allem Würmer und Muscheln können erhebliche Größen erreichen. Die Würmer ernähren sich von Schwefelwasserstoff, die Muscheln mögen lieber Methan. Beide sind Ökosystem-Ingenieure, weil sie ihre physikalische und chemische Umgebung verändern.
Die an heißen Tiefseequellen lebenden Röhrenwürmer (Vestimentifera) sind Riftia pachyptila, an den Cold seeps leben verschiedene Arten der Gattung Lamellibrachia, Seepiophila jonesi und noch unbeschriebene Arten von Escarpia.  Sie sind gleich aufgebaut und hoch abgeleitet: Statt Magen und Darm haben sie ein inneres Organ namens Trophosoma, in dem ihre endosymbiontischen Bakterien leben. Die Bakterien nehmen Schwefelverbindungen auf und produzieren daraus Nährstoffe für den Wirtswurm. Wer mehr darüber wissen möchte, wird in “Modeling the Mutualistic Interactions between Tubeworms and Microbial Consortia” (PLOS, February 22, 2005) von Erik E Cordes et al fündig.

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Kommentare (9)

  1. #1 Dampier
    16. Dezember 2017

    Mal wieder höchst lehrreich und unterhaltsam.

    Was mich ein bisschen irritiert, ist dass ich zur Yucatan-Platte nichts finden kann; ich wollte mir das mal auf einer Karte ansehen. Selbst unter den Mikroplatten ist sie nicht aufgeführt.

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/bf/Tectonic_plates_boundaries_detailed-en.svg/4898px-Tectonic_plates_boundaries_detailed-en.svg.png

    Aber das nur am Rande. Danke für den schönen Tauchgang :]

  2. #2 Bettina Wurche
    16. Dezember 2017

    @Dampier: Na klar, Dampier wieder. Hat alles nachgeguckt, verglichen, gründlich ´drüber nachgedacht und dann so was Kleines am Rande abgefeuert : ))) Also:
    “The formation of the Gulf of Mexico, an oceanic rift basin located between North America and the Yucatan Block, was preceded by the breakup of the Supercontinent Pangaea in the Late-Triassic, weakening the lithosphere. Rifting between the North and South American plates continued in the Early-Jurassic, approximately 160 million years ago, and formation of the Gulf of Mexico, including subsidence due to crustal thinning, was complete by 140 Ma.” auf Wikipedia habe ich interpretiert als Rift Valley. Ein Grabenbruch zwischen dem “North America and the Yucatan Block”, das habe ich interpretiert als Platten.
    “The Gulf of Mexico is a small ocean basin that began forming in the Late Triassic when the Yucatán (Maya) continental block rifted southward from the southern Laurentian margin [Salvador, 1987; Sawyer et al., 1991; Pindell and Kennan, 2009].” – continental block ist offenbar nur ein Teile einer Platte.
    Ein Grabenbruch kann also nicht nur ZWISCHEN Kontinentalplatten entstehen, sondern auch AUF Platten.
    “Seafloor spreading began in the Middle–Late Jurassic as the Yucatán rotated ~40° counterclockwise relative to North America around a pole in the present-day southeastern Gulf of Mexico [Hall and Najmuddin, 1994; Marton and Buffler, 1994; Bird et al., 2005]. The timing of Yucatán block rotation (~158 to 140 Ma) predicts a slow seafloor-spreading rate of 30 mm/yr in the western Gulf of Mexico with spreading rates, and therefore total width of opening, decreasing to the east [Marton and Buffler, 1994; Pindell and Kennan, 2009]. Rotation of the Yucatán ended once the block docked against southern Mexico in the Early Cretaceous.” “Gulf of Mexico: Implications for rift evolution and seafloor spreading; Drew R. Eddy1, Harm J. A. Van Avendonk1 et al; 2009.).
    Scheint ne komplexe ud viel diskutierte Geschichte zu sein.
    Danke fürs Mitdenken, ich hab´s korrigiert.

  3. #3 Dampier
    18. Dezember 2017

    am Rande abgefeuert

    Und am Rande lauert die Subduktion …

    Danke für die Recherche – mir war gar nicht so klar, dass du ja viele Inhalte quasi on the fly übersetzt, wenn du einen Artikel schreibst. Da kommt sowas natürlich vor.

    Wenn ich das richtig verstehe, kann man Block eher mit (Kontinental)Sockel übersetzen? Und der Yucatan-Block hat sich innerhalb der Nordamerikanischen Platte um ~40° gedreht …?

    Wat dat nich aans gifft …

  4. #4 Dampier
    18. Dezember 2017

    Ah, hab jetzt erst den Link gesehen, den du oben in den Artikel eingesetzt hast. Das ist genau die Art Karte, nach der ich gesucht hatte :]

  5. #5 Bettina Wurche
    18. Dezember 2017

    @Dampier: Danke für Dein Verständnis. Ja, meistens nehme ich mir ja nicht nur eine/n einzelne/n Beitrag/Publikation vor, sondern versuche, dem Ganzen noch einen Rahmen zu geben. Diese Expedition untersucht die tiefen Stellen in Golf von Mexiko. Erst durch den Kontext mit dem Riftvallye wird klar, wie tief es dort ist und woher Methan Schwefelwasserstoff, etc. kommen. Das fand ich als Erklärung wichtig. Mir war bis dahin auch nicht bewusst, dass am Grunde des Golfs eine Riftstruktur von solchen Ausmaßen ist. Riftstrukturen sind jedenfalls ganz schrecklich kompliziert, wie mir am Beispiel des Rheingrabens mal deutlich wurde. Den hatte ich mit seinen Seekuh- und Riesenhai-Funden als ehemaligen Nordsee-Arm aus dem Miozän, ganz gut verstanden. Als ich mich etwas tiefer einlas (in die Abgründe des Graben und der Literatur über denselben) wurde mir auf einmal bewusst, dass da sogar noch Bereiche aus dem Perm beteiligt sind und das Ganze extrem übersichtlich ist. Das wird im Golf von Mexiko wohl ähnlich sein. Und die Vorstellung einer rotierenden Kontinent-Schulter, nämlich dem Yucatan-Block, macht es nicht weniger abstrakt und unglaublich.

  6. #6 Bettina Wurche
    18. Dezember 2017

    “Paleomagnetic studies of Paleozoic sedimentary and plutonic rocks demonstrate that the Yucatan Block did not lie between the North and South American plates in the Pangean assembly during the Permian. In the Middle Permian, the Yucatan Block lay in an inverted orientation on the western margin of Pangea at 6–10°S, probably forming part of the NW coast of South America. Subsequently the block rotated in a series of counterclockwise motions as the North and South American plates separated. By 230 Ma, Yucatan had rotated ∼47° counterclockwise and moved slightly northward, to the equator. Counterclockwise rotation continued through the Jurassic: ∼41° between 230 Ma and ca. Oxfordian time, and another ∼47° between the Oxfordian and Tithonian, at which time, the approximate present orientation with respect to North America was achieved. Passage of the Yucatan Block from NW South America into the gap created by the separation of North and South America is a motion consistent with the left-lateral translations along the Mojave-Sonora or similar megashear. The fact that Yucatan has exhibited a counterclockwise motion throughout its Mesozoic history suggests that the microplate may have acted in a ball-bearing fashion between the larger North and South American plates.”
    https://pubs.geoscienceworld.org/books/book/545/chapter/3802178/Pangean-reconstruction-of-the-Yucatan-Block-Its?redirectedFrom=PDF

    Schön, dass ich hier Gesprächspartner für so etwas habe : )))

  7. #7 Dampier
    18. Dezember 2017

    Gesprächspartner

    Encantado :))

    Riftstrukturen sind jedenfalls ganz schrecklich kompliziert, wie mir am Beispiel des Rheingrabens mal deutlich wurde. Den hatte ich mit seinen Seekuh- und Riesenhai-Funden als ehemaligen Nordsee-Arm aus dem Miozän, ganz gut verstanden. Als ich mich etwas tiefer einlas (in die Abgründe des Graben und der Literatur über denselben) wurde mir auf einmal bewusst,

    Klingt auch spannend. Hast du da schonmal drüber gebloggt?

  8. #8 Bettina Wurche
    18. Dezember 2017

    @Dampier: Nö. Dazu gibt´s nen Vortrag über Seekühe im Mainzer Becken. Den müsste ich wohl überarbeiten – das Tierchen heisst jetzt nicht mehr Halitherium schinzii, sondern es sind zwei Arten der Gattung Kaupitherium. (Kaup hat sie nämlich zuerst beschrieben, wie auch das Schreckenstier Deinotherium und ne Menge anderes Zeug hier in der Gegend). Die Seekühe kommen bei Mainz in Sandgruben zwischen den Weinbergen vor, neben Rochen, Haien, Fischen, riesigen Austern und anderem Meeresgetier.

  9. #9 Dampier
    18. Dezember 2017

    Ich hab natürlich auch ein Auge auf die Region, weil William Dampier in Campeche Bay als Holzfäller gearbeitet hat ;]