So hat die geniale Präparatorin in monatelanger Arbeit leblosen Materialien wie Draht und Modelliermasse Leben eingehaucht und einen Dodo-Golem erschaffen.
Aus glänzenden Augen schaut er mich aus der Vitrine an, die helle Iris lässt seinen Blick scharf wirken: Zeitgenossen sagen, seine Augen hätten geglitzert wie Diamanten, erklärt Hilde Enting, darum hat sie Glasaugen mit heller Iris gewählt.
Erhaben und neugierig gleichermaßen ist der stattliche Vogel.
Bei genauerem Hinschauen ist zu sehen, dass die hintere Zehe leicht erhoben ist – daran klebt eine Daunenfeder. Erst bei man ganz Hinsehen wird erkennbar, was die Feder dort hält: Ein Dodo-Köttel.

Gleich hinter dem Eingang zur Vogelabteilung steht er nun, hinter der Treppe in die oberen Stockwerke.
In der Gesellschaft des Riesenalks und einiger Moas. Flugunfähige Vögel von unterschiedlichen Kontinenten. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle sind durch den Menschen ausgerottet worden. Ein Club der gefiederten Mahner.

Nur ausgeleuchtet ist er noch nicht ganz perfekt – hoffentlich bekommt das neue Highlight des Vogelsaals noch etwas mehr Licht.


Dodo und Mensch – Zerrbild einer unglücklichen Beziehung

Warum ist der Dodo unsterblich geworden, ja gerade symbolhaft für ein ausgerottetes Tier? Bezeichnend dafür ist der englische Ausdruck „dead as a dodo“.
Und nicht der Solitär von der Insel Reunion? Ebenfalls ein großer flugunfähiger Vogel, auf einer Insel endemisch lebend und im gleichen Zeitraum entdeckt und ausgerottet.
Im Senckenberg steht der Dodo in einer kleinen Gruppe Vögel, die durch den Menschen ausgelöscht worden sind: Riesenalk und Moas.
Erschlagen für ihr Fleisch oder um in Kuriositäten- und Naturaliensammlungen zu enden.

„Ausgestopft“ zu postmortalem Ruhm gekomme. Selbst ihre Eier wurden noch gesammelt, zum Essen oder für oologische Sammlungen – die Rieseneier waren begehrte Sammlerstücke für Museen und Zeitgenossen, die sich gern als Naturphilosophen inszenierten.
Die meisten dieser Vögel sind nur wenigen Menschen bekannt.
Was hat der Dodo, was sie nicht haben? 

Trotz aller Dramatik sieht der Dodo auf Abbildungen und Rekonstruktionen eher sympathisch als dramatisch aus. Neugierig, zutraulich, behäbig.
Außerdem haben ihn ja schon die ungebildeten Menschen vor Jahrhunderten ausgerottet, lange bevor es Artenschutzmaßnahmen gab. Da müssen wir aufgeklärte Menschen uns heute keine Vorwürfe machen.
War er vielleicht selbst schuld, weil er so arglos war?

Oder zu langsam zum Weglaufen?
In Wahrheit war er gar nicht tollpatschig. Das Projekt Dodomotion hat jedenfalls erbracht, dass der auf Mauritius lebende Dodo ein perfekt an seine Umgebung angepaßter Laufvogel war, der in einer schnellen Evolution das Fliegen aufgab und zum Läufer wurde, wie seine kräftigen Füße und Beine sowie die aufrechte Körperhaltung bezeugen.
Zum bemitleidenswerten übergewichtigen Tolpatsch, der traurig auf zu großen Füßen herumstolpert, wurde er erst durch den Menschen. Für seine Arglosigkeit konnte er nichts, auf seiner Insel gab es keine Feinde. Der nachtaktive Fruchtfresser konnte in aller Ruhe seine Nester am Boden bauen und seine Küken dort behüten.
Bis zur Ankunft der Menschen mit ihrer Gier nach Proviant und Kuriositäten und ihrer vierbeinigen Plage von Begleitern wie Hunden, Katzen und Ratten. Dann war es schnell um die endemischen Vögel geschehen, innerhalb weniger Jahrzehnte waren sie vollständig ausgerottet.

Der Dodo ist ein besonderer Vogel und gleichzeitig Metapher und Projektionsfläche: Einst ein exotisches Tier, steht er heute für die Rücksichtslosigkeit der Menschen und und stetige Bedrohung der Biodiversität.


Persönliche Anmerkung:
2002 haben Hilde Enting und ich gemeinsam in der Zoologischen Abteilung des Hessischen Landesmuseums eine kleine Vitrine zum Dodo und Solitär eingerichtet. Den ca zwei Quadratmetern war kaum anzusehen, wieviel Rechercheleistung dafür nötig war. Die braunen abgenagt aussehenden Knochen des Solitärs sahen alles andere als kostbar aus, vom Dodo war noch weniger vorhanden. Solange beschäftigt sich die Präparatorin bereits mit diesem Thema. Dieser Zeitraum zeigt, wie lange es manchmal braucht, um in einem Museum auch nur eine einzelne Rekonstruktion zu realisieren.

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