Wenn Kinder in die Schule kommen, sind sie von Naturwissenschaft begeistert. Am Ende der Schullaufbahn sind Physik und Mathematik die unbeliebtesten Fächer. Irgendetwas läuft hier falsch – doch gehen neue Reformen in die richtige Richtung?

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Welche Rolle hat ein Lehrer – in einer Zeit von Internetvideos, Smartphones und Online-Enzyklopädien? Verliert der Lehrer seine Rolle als Faktenlieferant, weil sich Schüler ihre Informationen ohnehin selbst besorgen können? Wie viel fachliches Wissen ist in der Lehrerausbildung nötig? Sollte das Hauptaugenmerk eher auf pädagogischer Ausbildung liegen? In Österreich wird die Zukunft der Lehrerausbildung derzeit heftig diskutiert – die dahinterliegende Frage müssen sich alle Staaten stellen: Welche Rolle haben Lehrer, und wie viel Fachwissen brauchen sie?

Eine der Hauptaufgaben des Schulunterrichts ist, Schülern das Interesse an intellektuellen Themen nahezubringen. Die Lehrer, an die ich mich heute gerne zurückerinnere, waren jene, die eine Begeisterung über ihr eigenes Fach spüren ließen. Wenn jemand im Klassenzimmer steht, und das, was er zu erzählen hat, tatsächlich aufregend, spannend und wichtig findet, dann kann der Unterricht kaum langweilig werden. Schmerzhaft quälend waren hingegen die Schulstunden, in denen wir das Gefühl hatten, der Lehrer fühlt sich eigentlich selbst angeödet über das, was er da erzählt. Diese notwendige Begeisterung über das eigene Fach kann man aber sicher nur aufbringen, wenn man sich im eigenen Fach zuhause fühlt und sich ein tiefes Wissen angeeignet hat.

Einer der besten Lehrer meiner Schulzeit war ein Biologe, der sich in seiner Freizeit auf wissenschaftlichem Niveau mit Lichenologie beschäftigte – der Erforschung von Flechten, diesen unscheinbaren krustigen bis büscheligen Gewächsen, die man auf Baumrinden oder Steinen findet. Das ist wohl kaum ein Wissenschaftsgebiet, das man als siebzehnjähriger freiwillig ganz oben auf seiner Prioritätenliste einreihen würde – doch aufgrund seiner Begeisterung und durch sein ungeheures Wissen darüber gelang es dem Lehrer, unser Interesse dafür zu wecken. Monatelang sammelten wir Proben, zerschnitten sie unter der Stereolupe und analysierten sie im Mikroskop. Aus mir wurde dadurch kein Lichenologe, aber ich habe dabei ganz gewiss viel über Naturwissenschaft gelernt.

Zu glauben, ein Lehrer müsse in seinem Fach nur das wissen, was er den Schülern beizubringen hat, ist ein gefährlicher Fehler. Man kann komplizierte Themen nur dann verständlich erklären, wenn man viel mehr über sie weiß, als man den Schülern erzählt. Nur wenn das Fachwissen des Lehrers deutlich tiefer geht als das, was er im Unterricht seinen Schülern tatsächlich präsentiert, kann er abschätzen, welche Aspekte besonders wichtig sind und wo die Grenze zwischen zulässiger Vereinfachung und irreführender Tatsachenverbiegung verläuft. Nur ein Lehrer, der auch mit überraschenden Fragen besonders kluger Schüler souverän umgehen kann, leistet wirklich gute Arbeit. Wer sich verschämt aus solchen Situationen herauszuwinden versucht, indem er erklärt, das sei nicht Lehrstoff, das müsse man also nicht wissen, der wird jede aufkeimende Begeisterung bei den Schülern schon beim ersten Aufglimmen sofort wieder abdämpfen.

Besonders in den Naturwissenschaften ist das ein Problem. Um Evolutionstheorie, Quantenphysik oder Wahrscheinlichkeitstheorie unterrichten zu können, braucht man eben sehr viel Vorwissen. Genau die Fächer, die wissenschaftlich besonders herausfordernd sind, in denen es für Lehrer besonders schwierig ist, fachlich souverän zu bleiben, sind die unbeliebtesten Unterrichtsgegenstände. Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Oft sind Lehrer selbst inhaltlich überfordert und schummeln sich über Unterrichtsthemen hinweg, indem sie manche Gebiete ausklammern oder sich öde und stur an die Lehrbücher halten. Für die Schüler ist das keine gute Lösung. Wir brauchen Lehrer, die selbst eine fachlich hervorragende Ausbildung genossen haben. Wir brauchen Lehrer, denen ihr Fach ein echtes inneres Anliegen ist. Wir brauchen Lehrer, die von ihrem Fach so brennend begeistert sind, dass ihre Begeisterungsfunken in den Köpfen der Schüler ein Licht aufgehen lassen.

Dass darüberhinaus eine fundierte pädagogische Ausbildung unerlässlich ist, versteht sich von selbst. Wer sich heute zum Lehrer ausbilden lässt, steht schon während der Ausbildungszeit viel früher und viel öfter im Klassenzimmer als in früheren Jahrzehnten – und das ist gut so. Wer kleine Kinder unterrichten will, wird kaum auf fachliche Herausforderungen stoßen, auf pädagogische und soziale hingegen sehr oft. Wer aber Jugendliche in den letzten Jahren der Schulzeit unterrichtet, muss fachlich allerdings ganz andere Anforderungen erfüllen: Wenn wir Schüler dazu erziehen wollen, intellektuelle Spitzenleistungen abzuliefern und sich in ihre Lieblingsfächer intensiv zu vertiefen, dann brauchen wir Lehrer, die ihrerseits Erfahrung mit fachlicher Tiefe haben. Die Fachausbildung von Lehrern abzuwerten und stattdessen zu glauben, mit pädagogischer Qualifikation und Wikipedia könne man ohnehin jedes Thema unterrichten, wäre ein Fehler, der ungeheuren Schaden anrichten könnte.

naklar.at

Kommentare (21)

  1. #1 MartinB
    Januar 23, 2012

    Würde ich alles unterschreiben. Mir wäre es aber noch wichtiger, wenn die Lehrer genau das tun, was die faktensammelei bei wikipedia nicht tun kann: Erklären, wie man eigentlich wissenschaftlich denkt und Probleme löst.

  2. #2 Rene
    Januar 23, 2012

    Die Inzucht des Schulunterrichts ist schon seit langem bemerkt und diskutiert worden. Sie gehen von der Schule an die Uni, lernen dort verwirrenden und “unnötigen” Stoff, und kehren wieder an die Schule zurück, wo sie das meiste, wenn nicht alles Wissen wieder ablegen, einschließlich der wissenschaftlichen Methodik. Es ist sogar so, dass sich manche zukünftige Lehrer über die Gegenstände und Methoden der Vorlesung beschweren. “Das kann man ja an der Schule doch nicht brauchen.” Zur Verteidigung kann höchstens gesagt werden, dass viele zukünftige Lehrer mit Enthusiasmus, voll von wissenschaftlicher Neugier, zurück an die Schule gehen, wo sie erst vom Seminarlehrer mit strikten Vorgaben in Methodik und Kanon, dann von den Eltern und Schülern gebremst werden.

    Letztlich hilft nur, die Idee der Wissenschaft und des Lernens als Denkprozess in den Köpfen der Eltern, der Schüler, und dann der Kultusministerien zu verankern. Es gibt dazu schon viele Ansätze in den Lehrplänen, aber noch immer zählt Faktenabfrage mehr als Diskussion, Nachdenken und Kreativität, die Frage nach dem Was mehr als die nach dem Warum. Wenn dieses Umdenken einmal eingesetzt hat, wird man erkennen, dass ein ständiges Zurückfahren der Fachinhalte, vor allem durch zeitliche Verkürzung, nicht die richtige Antwort ist.

    Eine mögliche Idee wäre den Lehrer zunächst zum Fach-Bachelor zu machen. Wenn wir schon auf dieses System umstellen, dann wäre das eine Chance. Erst im Master kann er oder sie sich zu einem Lehrer ausbilden lassen. Erst nach dem Bachelor setzen Schulbesuche, Praktika, Didaktik-Inhalte und Pädagogik-Ausbildung ein, und führen zum Master of Education. Eventuell kommen höchstens einige Vorlesung zur Verstärkung des Zweitfachs dazu.

  3. #3 BE
    Januar 23, 2012

    Ich denke, kaum jemand wird den hier gemachten Äußerungen widersprechen. Dennoch gehen sie irgendwie an der Diskussion vorbei. Denn DASS Faktenwissen UND pädagogische Ausbildung für den Lehrberuf wichtig sind, ist wohl jedem klar. Die Frage ist nur: Wie soll bei zeitlich begrenzter Ausbildung die Gewichtung ausfallen? Das ist etwas, auf dass dieser Artikel nicht wirklich eingeht, um was sich jedoch allerorts die Diskussion dreht.

    Ich zum Beispiel muss sagen, dass ich das System hier in NRW stellenweise unsinnig finde. Als Chemiestudent habe ich viele fortgeschrittene Vorlesungen gemeinsam mit den Lehrämtlern besucht und denke bis heute, dass eine ordentliche Pädagogikvorlesung vielleicht sinnvoller gewesen wäre, insbesondere wenn es sich nicht um das Gymnasiallehramt, sondern Grund-/Haupt-/Realschule handelt. Denn Faktenwissen reicht (wie ja bereits im Artikel erwähnt wird) eben nicht aus. Begeisterung muss da sein, aber auch eine Ahnung davon, wie man diese Begeisterung an die Schüler vermittelt. Und das lernt man leider nicht in den trockenen Hauptfachvorlesungen der Uni.

  4. #4 peer
    Januar 23, 2012

    Mathematik steht an der Beliebtheitsskala tatsächlich an zweiter Stelle, ist also nicht so unbeliebt.
    Chemie ist allerdings an vorletzter Stelle.

    Ansonsten liegts halt nicht zuletzt daran, dass Lehrämter in erster Linie mit den Diplomern mitlaufen, aber eben 3 Fächer (Unterrichtsfächer und Erziehungswissenschaften) haben – das kann nicht gutgehen. Wie das in den neuen Studiengängen geregelt ist, weiß ich nicht, aber ich glaube kaum, dass es da großartige Änderungen gibt. Ist ja doch recht teuer extra Vorlesungen für Lehrämtler einzurichten…

  5. #5 knackbock
    Januar 23, 2012

    Ich betreue u.a. ein grosses zoologisches Praktikum und habe entsprechend jedes Jahr mit angehenden Biolehrern zu tun. Ich lasse sie mal für sich selbst sprechen: “Wir sind Lehrämtler, wir müssen das nicht so genau wissen.”

    Diese Einstellung (durchaus durch den universitären Lehrplan gefördert) ist meiner Ansicht nach genauso falsch wie weit verbreitet. Will man nämlich anderen etwas erklären, so sollte man es besser und gründlicher durchdrungen haben, zumindest halte ich es so.

    Ein weiterer Aspekt ist der des Selbstvertrauens bzw der Autorität vor den Schülern. Ich denke, das hängt anteilig direkt mit der eigenen thematischen/fachlichen Qualifikation zusammen, da kann man sich auch nur bedingt selbst täuschen oder verstellen. Anders gesagt: Wenn ich selbst genau weiß, ich habe das Thema irgendwie nur halb verstanden, stehe ich auch deutlich unsicherer vor der Klasse. Und das ist blöd für alle beteiligten.

  6. #6 Fliegenschubser
    Januar 23, 2012

    Ich stimme quasi allem zu. Besonders der Teil, dass Lehrer eine Begeisterung für ihr Fach mitbringen müssen. Ich erinnere mich an meinen Biolehrer, er hat immer leuchtende Augen bekommen, wenn er von seiner freizeitlichen Forschung erzählt hat. Sowas findet man leider viel zu selten.
    Ein großer Nachteil von nicht-begeisterten Lehrern sind nicht-begeisterte Schüler. Und diese wiederum werden vermutlich keine Naturwissenschaft studieren, weil sie in der Schule schon kein Spaß dran hatten. Das reduziert wieder die Anzahl der potenziell guten Lehrer, usw… Ein Teufelskreis, den man hätte schon vor Jahrzehnten durchbrechen müssen.
    Die Idee, dass angehende Lehrer erstmal ein Bachelor- bzw. Grundstudium abgeschlossen haben müssen, und der Lehrberuf dann eine Art weiterführende Ausbildung ist, finde ich sehr gut. Allerdings könnte es auch einige von einer solchen Laufbahn abschrecken, wobei solche es dann wohl nicht ernst genug meinen ;-).

  7. #7 doublemoth
    Januar 23, 2012

    Ich sitze da wunderbar an der Quelle. Meine Schwester studiert auf Lehramt Biologie sowie Religion, während ich Wirtschaftsingenieurwesen studiere und Biologie nur als Hobby mache. Trotzdem ruft sie mich oft an damit ich ihr irgendetwas biologisches erkläre. Dabei geht es nicht um Fachausdrücke, die sie perfekt beherrscht, sondern um Zusammenhänge. Dafür lernen sie so sinnvolle Dinge wie: “Ich spiele auf dem Elternabend mit den Eltern Spiele, um eine gute Atmosphäre zu schaffen und die Eltern besser kennen zu lernen.”

    Ich habe nie wirklich gut auswendig lernen können, dafür konnte ich immer recht gut Zusammenhänge begreifen. Und ich glaube hier liegt der Knackpunkt der gesamten Lehre. Es ist letztendlich total unwichtig, wann z.B. der 2te Weltkrieg angefangen hat. Das kann man innerhalb kürzester Zeit nachschlagen. Viel wichtiger ist es die Zusammenhänge zu verstehen, also welche Ereignisse dazu führten, was die Auswirkungen sind etc.. Also wie schon einige angemerkt haben, die “Warum-” und “Weshalb-” Fragen und die gegebenen Fakten richtig einzusortieren und Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen.

    Dabei finde ich im Gegensatz zu Florian es gar nicht so schlimm, wenn der Lehrer etwas nicht weiß. Er muss es nur zugeben, seine Wissenslücke schließen und es dann den Schülern beantworten. Den besten Unterricht den ich hatte, war Informatik in der 11ten. Es gab keinen Informatiklehrer an der Schule, so musste es ein Mathematiklehrer übernehmen, der zuvor noch nie in seinem Leben programmiert hatte. Er war uns immer eine Stunde voraus und hat versucht, wenn er etwas nicht wusste, sich dies mit uns zusammen zu erabeiten.

    Die Begeisterung muss sein und manchmal reicht das sogar.

  8. #8 ähm
    Januar 23, 2012

    Die Beobachtung von knackbock kann ich bestätigen. Ich studiere Mathematik und teile viele Vorlesungen mit den Lehrämtlern. Dabei ist nahezu immer ein Desinteresse und Ignoranz gegenüber dem Fach zu spüren. Einfache Zusammenhänge, die zwar nicht in der Schule relevant sind, aber im Studium, sind nicht bekannt oder werden nicht als solche erkannt. Die meisten, so mein Empfinden, wollen kein tieferes Verständnis und argumentieren eben mit: “Wir sind Lehrämtler, wir müssen das nicht so genau wissen.”
    In einzelnen Fällen mögen sie recht haben. Was will ein Lehrämtler mit z.B. ganzzahliger Optimierung?
    Dennoch halte ich den Vorschlag von Rene für falsch. Nach sechs Fachsemestern in Mathematik, ohne Erfahrungen im Umgang mit Schülern, werden die meisten das Studium einfach durchziehen, egal ob sich in den Bildungswissenschaften zeigt, dass sie ungeeignet sind. Derzeit müssen allein im Bachelor für Lehrämtler 3 oder 4 Praktika absolviert werden, was ich durchaus richtig finde. Je früher die Leute erkennen, das sie nicht als Lehrer geeignet sind, desto besser für alle.
    Ich denke für Lehrämtler sind die “Kernfächer” der Mathematik, wie Analysis, Algebra, Zahlentheorie und Wahrscheinlichkeitstheorie, völlig ausreichend. Vllt. noch eine Zusatzveranstaltung in der vermittelt wird welche aktuellen Anwendungen diese Dinge haben, um es den Schülern schmackhaft zu machen. Viel wichtiger ist es, wie schon mehrfach erwähnt, das “Warum” und “Weshalb” aufzuarbeiten. Wie oft begegne ich Menschen, die mich fragen: “Und wann hast du alles durch?”. Sie meinen damit, wann ich die ganze Mathematik auswendig kann. Diese Leute denken, dass die Mathe abgeschlossen, also fertig ist. Oh mein Gott!
    Was mir persöhnlich auch sehr aufstösst ist, dass selbst wenn alle diese Vorschläge umgesetzt werden, die Mathe immernoch unbelebt ist. Das ist sie natürlich mitnichten. Um es mal platt auszudrücken: Jeder kennt Goethe und Schiller, wer kennt Gauß, Euler, Cauchy, …? Diese Menschen sind genauso maßgeblich an der Entwicklung unserer Gesellschaft beteiligt gewessen wie die werten Herrn Literaten und Pilosophen (nicht abwertend gemeint). Warum also nicht einmal die Personen hinter den Sätzen vorstellen? Ich denke ein bisschen mehr “Geschichte der Mathematik” und mehr Querbezüge zur Pilosophie, Physik, Geschichte und Kunst im Untericht würden helfen.
    MfG

  9. #9 Goldständer
    Januar 23, 2012

    Hallo,

    Ich habe nun lange und gründlich recherchiert und eine sehr wichtige Entdeckung der Zeit zu den weltweiten Vulkanaktivitäten gemacht. Die Information möchte ich Euch nicht vorenthalten. Also: Augen auf und Ohren spitzen! Es betrifft uns alle. Es ist wie immer “Opensource Wissen”. Leitet diese Informationen auch bitte weiter… Ihr kommt nun dahinter was los ist…

    Viel Spass beim neuen lernen!

    https://goldstaender.wordpress.com/2012/01/22/goldstander-5-sterne-deluxe/

    Goldständer Experiment

  10. #10 JD
    Januar 23, 2012

    @Goldständer

    Was bezweckst du an dieser Stelle mit dem Müll?

  11. #11 BreitSide
    Januar 23, 2012

    doublemouth

    Dafür lernen sie so sinnvolle Dinge wie: “Ich spiele auf dem Elternabend mit den Eltern Spiele, um eine gute Atmosphäre zu schaffen und die Eltern besser kennen zu lernen.”

    Naja, ob Spiele das Richtige sind, kann ich natürlich nicht entscheiden. Aber ich meine, es ist nicht das Dümmste, ein gutes Verhältnis zu den Eltern zu schaffen. Wissen, Begeisterung und Pädagogik sind wichtig, aber nicht alles.

    Das mit der Begeisterung habe ich auch bestens miterlebt. Es gab allerdings auch mindestens einen Lehrer, der bei Geschichtevertretung (das beliebteste Lückenfach) behauptete, immer nur eine Stunde weiter zu sein als wir. In Wahrheit hatte er einfach eine riesige Allgemeinbildung.

    Fast genauso wichtig erscheint mir aber eine stabile Persönlichkeit. Ich weiß nicht, ob Lehrer heute noch so fertig gemacht werden wie zu unserer Zeit, aber da helfen Wissen und Begeisterung nur bedingt. Auf Dauer jedenfalls.

  12. #12 Buck Rogers
    Januar 24, 2012

    Ich kann der Aussage des Artikels auch nur zustimmen. Das erste Gymnasium, auf dem ich war, war eine Art Sammelstelle für Schlaftabletten in Lehrerform. Mein Physiklehrer war die Pfeife vom Herrn. Er sah aus wie klein Adolf und benahm sich auch so. Auch mein Mathelehrer, durch den ich nur verstanden hatte, was das Wort Monotonie bedeutet. Und Chemie, auwei. Eigentlich waren alle Pfeifen, außer dem Biolehrer. Die Standardantwort auf unrichtige Äußerungen eines Schülers des Geschichtslehrers war: “Falsch! 6!” Der Direktor hat es regelmäßig geschafft Schüler zum heulen zu bringen. “Wenn du das nicht begreifen willst, dann geh doch gleich nach Aldi!” Eigentlich war man nur damit beschäftigt die Tafelbilder ins Heft zu kopieren. 3 meiner Lehrer waren Alkoholiker. Die ganze Belegschaft war echt ein Gruselkabinett, mit nur wenigen Ausnahmen. Ab 13 oder 14 J. war für mich klar, dass Schule zum Schwänzen da ist. Ich habe Englisch geliebt, habe Texte für meine Band geschrieben und Texte meiner Lieblingsbands übersetzt, aber im Zeugnis immer nur eine 4 gehabt. Es ging halt nur ums Vokabeln lernen. Ich war kein Auswendiglerner, ich wollte die Zusammenhänge verstehen. In Grammatik war ich immer ganz vorn mit dabei.
    Dass es auch anders geht, habe ich erst auf dem Technischen Gymnasium erlebt. Der Physiklehrer war der Kracher. Er hat eine Freude an seinem Fach gehabt, die einfach ansteckend war. Da kann selbst Harald Lesch einpacken:) Auch der Mathelehrer hat mich dazu gebracht 13 Punkte zu bekommen, obwohl ich sonst immer nur gerade noch eine 4 bekommen habe. Der hatte es einfach drauf einem ein Gefühl für die Mathematik zu geben. Das war etwas Neues für mich. Die Schule war wie eine andere Welt. Vorher hätte niemand angenommen, dass ich nochmal Abi mit 2,3 mache. Ich kann definitiv sagen, dass es an den Lehrern lag. Ich habe jahrelang angenommen, dass ich in dem Alter zwischen 10 und 18 einfach nicht die Reife für Naturwissenschaften hatte, aber das ist falsch. Es wurde einfach nicht richtig an uns Schüler herangetragen. Wenn man keinen Bock auf Unterrichten hat, dann muss man es lassen, auch wenn man merkt, dass es einem nicht liegt. Es gibt ja auch Lehrer, die denken, sie seien gut, die wollen die Schüler begeistern, aber haben trotzdem nicht das Zeugs dazu und werden einfach nicht ernst genommen.
    Es ist ein schwieriges und komplexes Thema.
    Sehr gut dargestellt in diesem Clip von Ken Robinson (und dem Zeichner):

  13. #13 BreitSide
    Januar 24, 2012

    Jetzt muss ich doch mal eine Lanze für das auswendig Lernen brechen:

    Wenn ich zB einen Text übersetzen will, kann ich doch nicht jedes Wort nachschlagen?

    Wenn ich ein mathematisches Problem habe, kann ich doch nicht jede Formel im www suchen?

    Zusammenhänge müssen auch auswendig gelernt werden. Sie bieten nur schönere Aha-Erlebnisse, wenn man sie gerafft hat. Manchmal kann man sich nur ein paar Auswendiglerner sparen, wenn man eine Zusammenhang oder eine Eselsbrücke hat.

    In der anorganischen Chemie kann man zB einige Zusammenhänge bilden, aber das PSE muss man weiterhin auswendig kennen. Die Verteilung der Elektronegativität ist wieder eine Regel/ein Zusammenhang (ab-/zunehmend von rechts nach links bzw oben nach unten), aber diesen Zusammenhang muss man eben kennen. Auswendig. Und auch die Endpunkte.

    In der organischen Chemie ist es weitgehend aus mit den Zusammenhängen. Ob jetzt zB der negative i-Effekt den positiven m-Effekt aufhebt oder übertrifft, das muss ich eben auswendig lernen.

  14. #14 Florian Aigner
    Januar 24, 2012

    @BreitSide:
    Absolut richtig! Mein Kommentar widerspricht dem auch nicht. Auswendiglernen ist in der Tat wichtig. Zwar besteht Intelligenz im Verstehen von Zusammenhängen, nicht im Wissen von Fakten – doch wer keine Fakten griffbereit im Kopf abgelegt hat, der kann sie auch nicht kreativ verknüpfen. Intelligente Erwachsene zehren ihr Leben lang nicht zuletzt von den vielen Fakten, die sie sich früher durch hartes Auswendiglernen erarbeiten mussten.

  15. #15 BreitSide
    Januar 24, 2012

    Flo3 (nach Flo Freistetter und “noch´n Flo”): das war auch nicht als Gegenrede gegen Dich gedacht. Ich hatte eher Buck Rogers gemeint.

    Vor allem, weil ich auch immer sehr großen Wert auf Zusammenhänge gelegt hatte. Wie gesagt, mit einem guten Zusammenhang (meist in der Art “in/direkt proportional”) kann man oft viele Einzelfakten zusammenfassen. Und Verallgemeinerungen (“das geht mit x hoch drei mal irgend eine Konstante”) verhelfen dann zu einem weiter gefassten Blick auf die Dinge.

    Die Kunst ist wohl eher, die Effizienz zu maximieren, also zu erkennen, wann Basiswissen erforderlich ist und wann exakte Details. Eine lebenslange Optimierungsaufgabe…

  16. #16 Buck Rogers
    Januar 24, 2012

    So ein Quatsch. Kann man sich als Erwachsener etwa keine neuen Fakten draufschaffen? Zerre ich mein ganzes Leben von dem, was ich mir damals reinprügeln musste? Ich glaube kaum. Es sind doch gerade die Lehrer, die selber alles nur auswendig gelernt haben, denen es an Begeisterungsfähigkeit fehlt, bzw. die unfähig sind, jemanden zu begeistern. Erst ein echtes Aha-erlebnis saugt die Fakten quasi auf. Wenn ich einen Text, der mich interessiert übersetze und jedes Wort nachschlage, dann lerne ich die Wörter doch viel besser, als wenn mir jemand erstmal 3 Seiten Vokabeln zum auswendiglernen gibt, bevor ich sie im Zusammenhang erfassen kann. Die Formeln in Mathe werden in der Schule auch ersteinmal hergeleitet, bevor man sie auswendig lernt. Alles andere macht doch gar keinen Sinn. Die Herleitung, das sind die Zusammenhänge und die Formel ist dann Fakt. Und weil man die Zusammenhänge verstanden hat, vergisst man sie auch nicht so schnell. Das PSE lernt man auch erst auswendig, wenn einem erklärt wurde, was es damit auf sich hat. Oder habt ihr erst diese Tabelle gepaukt und dann wurde euch erzählt, wie Atome aufgebaut sind? Wenn mein Lehrer mir übrigens Letzteres so vermittelt hätte wie z.B. Brian Cox, in der von F.Freistetter verlinkten BBC Sendung (https://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2012/01/wo-steckt-der-deutsche-brian-cox-und-warum-ist-er-nicht-im-fernsehen.php), dann wäre ich in Chemie wesentlich motivierter an die Sache herangegangen. Was die Schüler sich nur durch hartes Auswendiglernen erarbeiten, wird doch nach der Klausur wieder vergessen, weil sie keinen Bezug zu dem Stoff haben. Viele Fakten, die man als Jugendlicher lernen musste, ergeben im Erwachsenenalter erst Sinn, weil man vielleicht erst dann die Zusammenhänge erblickt. Aber warum soll ein Schüler sie auswendiglernen, wenn er erst im Erwachsenenalter versteht, was das ganze soll?
    Ein Beispiel ist ein Musikerkollege von mir, mit dem ich mich mal übers Doppelspaltexperiment unterhalten habe. Er hatte es in Physik, ich nicht. Er hat damals die Dinge für seine Klausur gelernt, aber er konnte überhaupt nicht nachvollziehen, was ich daran nun so dermaßen interessant finde. “Hey, stell’s dir doch einmal richtig vor, was da wirklich passiert! 1 Photon fliegt da durch und landet auf dem Schirm an einer Stelle, wo es logischerweise gar nicht auftreffen dürfte! Es verhält sich wie eine Welle, wie ein Fluss von Molekülen, die sich gegenseitig beeinflussen, wie Wasser, aber es ist allein unterwegs. Wie kann dich denn sowas nicht faszinieren?” “Weiß nicht, da hab ich mir nie Gedanken drüber gemacht.”
    Bei dem war das Auswendiglernen sogesehen für’n Mors. Es war nur dafür gut, einen guten Schnitt zu bekommen. Nur Fakten, die man im Zusammenhang begriffen hat, kann man kreativ mit Neuem verknüpfen.
    Habt ihr euch meinen link oben mal angesehen? Was haltet ihr denn davon, was der Ken Robinson sagt?

  17. #17 BreitSide
    Januar 24, 2012

    @BR: wir sind gar nicht so weit auseinander wie Du denkst.

    Das PSE musst Du auswendig kennen, da geht kein Weg daran vorbei. Nur WIE Du es in Deinen Schädel kriegst, das ist der große Unterschied. Wenn Du das PSE über die Geschichte der Alchemie, über KrachBumm, über Anekdoten oder wie auch immer angereichert bekommst, musst Du sogar noch mehr lernen, aber es macht einfach mehr Spaß.

    Wenn der Lehrer Dir das Gefühl vermitteln kann, Du bist selbst drauf gekommen, hat er Dir damit jede Menge Endorfine verschafft. Genauso wie das Gefühl, dass er die Sache toll findet. Das lässt Dich durchhalten.

    Nicht umsonst sagt man bei Leistungssportlern, die wichtigste Fähigkeit sei, das unendlich öde Training mit Begeisterung durchzuhalten.

  18. #18 Buck Rogers
    Januar 24, 2012

    Ich habe ja auch nie gesagt, dass Lernen Blödsinn ist. Aber es liegt halt an den Leheren, es den Schülern schmackhaft zu machen. Es muss Interesse geweckt und vorhandenes Interesse gefördert werden. Lernen darf nicht in erster Linie dazu da sein, eine gute Note/Zeugnis/Abschluss/Job/vielGeld zu bekommen. Es muss der Spaß an der Sache vermittelt werden. Gerade heute habe ich einen meiner talentiertesten Gitarrenschüler eine Stunde lang mit den Stufendreiklängen gequält. Der war alles andere als begeistert, als ich ihm erzählt habe, was wir heute machen. Danach haben wir das Gelernte beim Bandtraining in einem neuen Song verbaut. Dann hat er eingesehen, was es für einen praktischen Nutzen hat, zu wissen, welche Akkorde man zusammen benutzen kann. Ein anderer nicht so talentierter Schüler fand es gestern wahnsinnig interessant zu wissen, was es mit den Schwingungen auf sich hat. Ausgegangen von der Oktave, habe ich ihm etwas von Pythagoras erzählt, von Schallwellen, Radiowellen und ihm das Lichtspektrum erklärt. Da war er baff.
    Ein Lehrer muss halt auch mal über seinen Tellerrand hinausblicken:)

  19. #19 Robert Parzer
    Januar 25, 2012

    Ja, der Flechtenkundler war wirklich ein sehr guter Lehrer! Seine Besessenheit führte auch dazu, dass ich noch heute beim Betrachten eines Baumes vor allem sehe, wo die Flechten sind.
    Vor allem aber war er deshalb so besonders, weil ansonsten die Lehrerschaft sich nicht so wirklich besonders auszeichnete….

  20. #20 echt?
    Januar 25, 2012

    Na, ja. Über die Schule kann man schlecht schimpfen, da sie es allen Schülern recht machen muss, unabhängig davon was diese später machen werden.

    Also mal ins Studium geschaut. Mathe für Ingenieure. Da sitzen im Audimax: Elektrotechniker, Maschinenbauer, Bauingenieure und Gartenbauer! Wer unterrichtet uns? Jemand vom Mathe-Lehrstuhl. Weiß er überhaupt, was ein Ingenieur arbeitet/braucht. Nein! Man wird dann 4 Semester mit Mathe beregnet. Im ganzen Berufsleben braucht man von dem Kram mit viel Liebe 10%. Nun kann man natürlich sagen – was soll es, dann hat man eben etwas gelernt, was man nicht braucht. Aber, das Stundenpotential ist ja begrenzt und andere Fächer werden weniger gelehrt.

    Meiner Meinung nach muss man die Mathematik mal gewaltig auslüften – was wird dann für Ingenieure übrig bleiben? Ganz ganz wenig.

    Grüßt echt?

  21. #21 quadrocopterversicherung.com
    April 28, 2017

    Bemerkenswerter Beitrag. Allerdings will ich auch sehen, dass man sich nicht immer auf die Einfachheit der Dinge verlassen darf. Bodenständigkeit ist oft besser als Wolkenkuckungsheime.

    https://quadrocopterversicherung.com/