Eine Dissertation schreiben ist kein Kindergeburtstag. Soll man sich das antun?

Gewisse Dinge werden sich nie ändern: Abends wird es dunkel, im Frühling wird es wärmer, und eine Dissertation ist ein Auf und Ab zwischen Enthusiasmus und Frust. Wenn man, so wie ich, viel mit jungen Wissenschaftlern zu tun hat, lässt sich nicht übersehen, mit welcher Regelmäßigkeit sich gewisse Grundthemen durch alle Doktorarbeiten ziehen (und bei meiner war es natürlich auch nicht anders).

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Irgendwie ist das Grundstudium am Ende dann doch zu schnell vorbeigegangen, auch wenn es eine ganze Weile gedauert hat. Endlich beginnen sich die auf viel zu viel Papier brav mitgeschriebenen Theorien im Kopf zusammenzufügen. Endlich hat man sich an das herangetastet, was man mit etwas gutem Willen Wissenschaft nennen kann. Endlich hat man das Gefühl, etwas Kreatives in seinem Fach gestalten zu können – und nun soll man aufhören?

Zum Glück gibt es einen eleganten Ausweg: Eine Dissertation schreiben! – Der erste Schritt auf dem langen und beschwerlichen Weg, der bis hinauf in die angeblich so goldglänzenden Gipfel der akademischen Karriere hinaufführt – oder einfach nur eine Verlegenheitslösung, weil man noch keine Ahnung hat, was man sonst tun möchte und sich vor drohenden Vorstellungsgesprächen ekelt. Ein paar Jahre gut geheizter Elfenbeinturm statt rauer Wind in der freien Wildbahn. Als Naturwissenschaftler sucht man also nach einer Assistentenstelle und jammert über die mickrige Bezahlung. (Als Geisteswissenschaftler arbeitet man an der Dissertation meist gratis, hat das Jammern aber ohnehin schon längst aufgegeben.)

Und dann sitzt man plötzlich am Schreibtisch oder steht im Labor und soll nun ganz alleine in den Eingeweiden der Wissenschaft herumwühlen. Nun ist man also einer dieser Doktoranden, die man als Erstsemester so ehrfurchtsvoll für allwissende Halb-Professoren gehalten hat und versteht trotzdem nicht, was man nun tun soll. Es ist wie beim Autofahrenlernen, wenn man sich vom Übungsplatz mit den freundlich-kompromissbereiten Kippstangen zum ersten mal in den tosenden Fließverkehr einschleust. Es ist aufregend, es macht Spaß, aber es kann auch ziemlich furchteinflößend sein. Man schreibt sein erstes Paper, man fährt zu seiner ersten Konferenz, man hält den ersten wissenschaftlichen Vortrag. Man hat Angst, von den anwesenden Wissenschaftlern aus der ganzen Welt mit höchst penetrant bohrenden Fragen durchlöchert zu werden und ist dann überrascht von den banalen Harmlosigkeiten, die man stattdessen beantworten muss. Man fühlt sich wichtig und überlegen und ist eigentlich fast beinahe ein Wenig ziemlich sicher, dass man eines Tages den Nobelpreis bekommen wird. Oder so etwas Ähnliches, zumindest.

Und wenn ich auch wandle in finsterem Tal …

Und irgendwann kommen dann die dunklen Phasen. Bei jeder Dissertation. Immer. Niemand bleibt davon verschont. Man stellt fest, dass sich die geplanten Erfolge viel langsamer einstellen, als man gedacht hätte. Das kleine Anfangs-Projekt, geplant als harmlose Fingerübung, bevor man sich den eigentlichen Aufgaben widmet, dauert nun plötzlich schon zwei Jahre. Wozu das alles? Man erkennt, dass die akademische Welt nicht nur aus Triumphen, Nobelpreisen und Ehrenprofessuren besteht, sondern auch aus harter Konkurrenz, Publikationsdruck und unkooperativen Projektpartnern, die sich ein paar tausend Kilometer weit entfernt ganz anders verhalten, als man sich das gewünscht hätte. Man ärgert sich über unerklärliche Computerfehlermeldungen, und über Geräte, die genau dann kaputt gehen, wenn man sie am dringendsten braucht. Man findet einen Fehler in seinem Computerprogramm, auf dem die gesamte bisherige Arbeit aufbaut. Nächtelang kann man nicht schlafen, weil man befürchtet, alle bisher publizierten Ergebnisse könnten nun falsch sein. Tagelang wagt man nicht, mit irgendjemandem darüber zu reden. Schließlich stellt sich der Fehler als harmlos und völlig unproblematisch heraus. Man atmet auf, doch wieder hat man ein Stück kindlichen Enthusiasmus unwiederbringlich verloren.

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Zwischen Selbstausbeutung und Prokrastination

Man verbringt Nächte im Büro. Man arbeitet am Wochenende. Man addiert die Wochenarbeitszeit, vergleicht sie mit der Wochenarbeitszeit in anderen Berufen, wirft einen Blick auf den Gehaltszettel und verzweifelt. Dann rechnet man nach, wie viel Zeit man im Büro tatsächlich mit Arbeit verbringt, und wie viel Zeit verlorengeht, weil man Internetblogs liest, Tee kocht und sich darüber beschwert, dass man so viel arbeiten muss. Das macht den Vergleich mit anderen Berufen ausgewogener, fördert die innere Stimmung aber auch nicht. Man stellt fest, dass man intensiver und zielorientierter arbeiten sollte. Man will aber nicht unbedingt heute damit anfangen. Übermorgen dann. Oder nächste Woche vielleicht. Bei einem Projekt, das auf mehrere Jahre ausgelegt ist, kommt es auf einzelne Tage schließlich nicht an. Wenn man gegen Mittag erscheint, wenn Leute in anderen Berufen schon die Hälfte ihres Arbeitstages hinter sich gebracht haben, wird sich niemand beschweren. Wenn man zwei Wochen lang unproduktiv ist, wird keiner darüber schimpfen. Diese Freiheit, die man als Dissertant oft genießt, ist aber auch eine schwere Belastung. Für Konsequenz, Ehrgeiz und Motivation muss man nämlich selbst sorgen. Und jeder hat Phasen, in denen das nicht klappt.

Am Schluss wird alles gut.

Und dann, eines Tages, geschieht ein Wunder. Man beschließt, fertig zu werden. Man sammelt die Daten zusammen, sortiert die verwendbaren Textpassagen, die sich zu unterschiedlichen Anlässen bereits angesammelt haben. Man rechnet nach, wie viel man da nun wohl noch hinzufügen muss, damit eine Dissertation daraus wird. Erstaunt stellt man fest: So völlig unproduktiv wie man das in unruhigen Nächten befürchtet hatte, war man ja doch nicht. Man findet sich damit ab, dass die drei zusätzlichen Projekte, die so interessant gewesen wären, aber nie zu vernünftigen Ergebnissen geführt haben, einfach unvollendet liegenbleiben müssen. Man beißt die Zähne zusammen und schreibt. Und man wird fertig. Einfach so.

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Plötzlich steht man vor dieser gutgekleideten Prüfungskommission und beantwortet brav die freundlich gestellten Fragen. Man hat Sekt mitgebracht und stößt gemeinsam an. Erst mit den Professoren, dann von den anderen Dissertanten, die ein bisschen neidisch dreinschauen. Man klopft ihnen aufmunternd auf die Schulter und lächelt ihnen zu, denn nun weiß man ja: Es hat sich ausgezahlt. Am Ende wird alles gut. Ganz sicher. Nur weiter so!

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Kommentare (7)

  1. #1 Fliegenschubser
    Februar 28, 2012

    Ein schöner Text am Morgen, bevor ich wieder ins Labor fahre und weiter Ergebnisse jage. Ich finde mich in vielen Passagen wieder, nur im letzten Absatz (noch!!) nicht. Aber irgendwann…..;)

  2. #2 derari
    Februar 28, 2012

    Grade meine Bewerbung für eine Promotionsstelle abgegeben. Das is genau der Artikel den ich grade brauche 😉

  3. #3 Earthshaker
    Februar 28, 2012

    Der Artikel trifft ja voll ins Schwarze 🙂
    Obwohl ich nur angehender Doktorand bin, kenne ich vieles aus meiner Master-Arbeit und den Erfahrungen der Doktoranden, mit denen ich Büro und Labor teile.
    Immerhin ist es eine gewisse Erleichterung, dass es anderswo genauso ist wie bei uns 😉

  4. #4 Florian Aigner
    Februar 28, 2012

    Das Schönste am Job-Wechseln nach der Dissertation: Nie wieder Segmentation-Fault!

  5. #5 martina
    März 1, 2012

    Ja, das kommt mir alles auch seeehr bekannt vor! Ich darf mit die zwei Buchstaben seit einem Monat vor den Namen setzen.
    Ich habe meine Dissertation im Rahmen eines Promotionsstudienganges geschrieben, neben einer (zumeist) vollen Stelle in einer Behörde. Aber nach fünf Jahren war dann alles gut, wie im letzten Absatz des Artikels!
    Und jetzt: Jobwechsel? mal schaun…

  6. #6 Hans
    März 2, 2012

    Besten Dank für den Artikel, der spricht einem aus der Seele!

  7. #7 geciktirici sprey
    Mai 25, 2012

    geciktirici sprey Monat vor den Namen setzen.
    Ich habe meine Dissertation im Rahmen eines Promotionsstudienganges geschrieben, neben einer (zumeist) vollen Stelle