Die Quantenphysik führt eine neue Form des Zufalls in die Welt ein. Das macht aber nichts.

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Wir reden alle immer wieder von „Zufall”, und jeder hat sofort ein Bild davon, was damit gemeint ist. Doch eigentlich ist der Zufall eine verzwickte Sache: Im Grunde ist er meistens nur ein Mangel an Information. Dass die Ampel gerade auf rot springt, wenn ich mit dem Fahrrad die Kreuzung überqueren möchte, erscheint für mich als unangenehmer Zufall. Würde ich aber die exakte Ampelprogrammierung kennen und hätte ich meinen Abfahrtszeitpunkt mit einer Uhr gemessen, die auf die Ampel-Software abgestimmt ist, dann hätte ich genau vorhersehen können, ob die Ampel umschalten wird.

Wenn sich jedes Ereignis im Universum auf eine eindeutige Ursache zurückführen lässt, dann gibt es keinen echten Zufall – nur eine unzureichende Datenlage. Einen Münzwurf könnte man theoretisch vorausberechnen, wenn man die exakte Beschaffenheit der Münze, die Bewegung meiner Hand und jeden feinsten Luftzug kennen würde. Dieses Weltbild war im neunzehnten Jahrhundert populär – man betrachtete die Welt als riesengroßes, äußerst kompliziertes Uhrwerk.

Die Quantenmechanik macht die Sache allerdings etwas komplizierter und verwirrender. Wie sich quantenmechanische Systeme verhalten, wird durch die Schrödingergleichung beschrieben. Mit dieser Gleichung lässt sich aus dem momentanen Zustand eines Quanten-Objektes (etwas eines Atoms) berechnen, welchen Zustand das Objekt zu einem beliebigen anderen Zeitpunkt haben wird. In diesem Sinn ist die Quantenphysik völlig deterministisch und vorhersagbar. Eine solche Vorherberechenbarkeit ist das Gegenteil von Zufall. Wenn wir uns aber nicht auf kleine Quantensysteme beschränken, sondern auch den quantenphysikalischen Messprozess mit einbeziehen, ist es mit dieser Vorhersagbarkeit vorbei. Der Messprozess in der Quantenphysik, der ein kleines Quantensystem mit etwas Großem (einem Messgerät) in Kontakt bringt, wählt immer aus verschiedenen quantenphysikalisch erlaubten Zuständen einen aus, der „tatsächlich” gemessen wird. Welcher Zustand das ist, der Quanten-Möglichkeit zur gemessenen Wirklichkeit wird, lässt sich im Rahmen der Quantenphysik tatsächlich nicht vorhersagen. Diese Auswahl, die beim Messprozess stattfindet, ist rein zufällig.

Das hat allerlei philosophische Diskussionen angestoßen: Wenn von mehreren Möglichkeiten nur eine realisiert wird, was geschieht dann mit den anderen? Spaltet sich die Welt in unterschiedliche parallel-Wirklichkeiten auf, in denen das Quanten-Experiment jeweils unterschiedlich ausgegangen ist?

Solche Spekulationen haben mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun. Für uns hat es auch keine echte praktische Konsequenz. Und ob für uns etwas zufällig erscheint, weil es auf Quanten-Ebene tatsächlich keine tiefere Ursache hat, oder ob sich die Zufälligkeit nur aus einem Mangel an Information ergibt, ist eigentlich auch egal: Für uns als Lebewesen in einer komplexen, chaotischen Welt wird sich das Ergebnis eines Münzwurfs immer genauso zufällig anfühlen wie der Quanten-Zufall, der aus spontan und zufällig zerfallenden Atomen abgeleitet wird.

Mehr zum Quanten-Zufall gibt es in einem neuen naklar-Artikel nachzulesen:
www.naklar.at

Kommentare (39)

  1. #1 Frink
    März 8, 2012

    Es ist nur schwer vorstellbar, dass sich ein System tatsächlich nach einer statistischen Funktion verhält und dies schon die ganze Wahrheit sein soll, weil man doch sehr an Ursachen von Wirkungen gewöhnt ist und sich unweigerlich fragt, wie die Auswahl erfolgt. Auch die Multiversen-Theorie schafft da keine echte Abhilfe, weil sie keine Antwort darauf gibt, warum die Zustände überhaupt unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten besitzen. Und das Problem ist, dass man es niemals wird verifizieren können, falls wir es in der Quantenmechanik mit “echtem” Zufall zu tun haben, man könnte es lediglich widerlegen, würde man bisher unbekannte, verborgene Prozesse erkennnen, deren Ergebnisse sich, wie beim Münzwurf, auch statistisch beschreiben lassen.

  2. #2 Sascha Vongehr
    März 8, 2012

    “Solche Spekulationen haben mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun. Für uns hat es auch keine echte praktische Konsequenz.”
    Moderne Inflations Kosmologie ist keine Wissenschaft? Der Kern der Quantummechanik ist das die parallelen Welten in entanglement bleiben und dies praktische Konsequenzen hat, Anwendungen sogar (e.g. quantum cryptography). Bitte bitte SB.de nur Leute schreiben lassen die wenigstens Ihr eigenes Fachgebiet verstehen.

  3. #3 dominik
    März 8, 2012

    @Sascha: Sie leiden unter zeitinkonsistentem Verhalten (siehe erster Kommentar: https://www.scienceblogs.de/naklar/2012/01/quantenphysik-und-himmelsmechanik.php).

  4. #4 marthin
    März 8, 2012

    Warum sollte der “Zufallsquanteneffekt” mit ausreichenden Informationen nicht auch deterministisch erklärbar sein?

  5. #5 MartinB
    März 8, 2012

    @marthin
    Das ist prinzipiell denkbar und es gibt solche (sogenannte verborgene-variablen)-Interpretationen der Quantenmechanik, allen voran die Bohmsche Pilotwellentheorie.
    Allerdings ist es nicht möglich, dass diese deterministisch bestimmenden Variablen der Messung zugänglich sind, das würde Versuchsergebnissen widersprechen. (Stichwort zum lesen: Bellsche Ungleichung und Aspect-Experimente.)

  6. #6 Uli
    März 8, 2012

    Wenn das Universum komplett deterministisch ist, dann müsen wir uns vom “Freien Willen” verabschieden. Den gibt es dann nicht mehr, weil ja die “Entscheidung” schon von vorneherein feststeht.

    Auch die Lottozahlen von nächster Woche stehen schon fest, wir kennen sie bloß noch nicht. Auch die vom nächsten Jahr stehen alle schon fest und sogar die Klamotten, die die Ansagerin bei der Verkündung tragen wird.

    Da stellt sich dann nur noch die Frage: Wenn es sowieso schon feststeht, was für Kleidungsstücke man aus dem Schrank nehmen wird, warum brauchen die Frauen trotzdem noch so lange??? 😉

  7. #7 Frink
    März 8, 2012

    Dass es keinen freien Willen gibt, hat Benjamin Libet schon 1979 herausgefunden: https://de.wikipedia.org/wiki/Libet-Experiment

  8. #8 MartinB
    März 8, 2012

    @Ulli&Frink
    Freier Wille ist nicht unbedingt mit Determinismus verknüpft. Ich verweise mal wieder auf Dennett “Freedom Evolves”. Die Libet-Experimente widerlegen den freien Willen allerdings nicht, auch das kann man sich von dennett ausführlich erklären lassen (Consciousness explained).

  9. #9 Florian Aigner
    März 8, 2012

    Faszinierend. Sascha Vongehr outet sich hier offenbar als gefinkeltes sozio-kulturelles Versuchsprojekt. Ein Physiker würde wohl niemals so etwas schreiben. Ich harre gespannt der Dinge, die da künftig kommen …

    @martihn:
    Der Begriff “verborgene Variablen” ist ja schon gefallen: Damit bezeichnet man genau diese “Zusatzinformation”, die es geben müsste, um diese Effekte deterministisch zu beschreiben. Nach unserem heutigen Verständnis der Quantenphysik gibt es solche verborgenen Variablen allerdings nicht. Es gibt über ein Teilchen eben nicht mehr Information als in der quantenphysikalischen Wellenfunktion enthalten ist.

  10. #10 fingerhut
    März 8, 2012

    Zustand, System, Objekt… es sollte nicht vergessen werden, dass so etwas nur in unseren Köpfen und auf Papier existiert. Messbar sind ausschließlich Wirkungen. Wie wir diese interpretieren und zu Modellen von Ursachen derselben zusammenfassen, ist recht frei. Als guter Weg erscheint die Methode, die unseren Zwecken am besten dient.

  11. #11 Knezevic
    März 8, 2012

    Ist es vielleicht nicht so, dass sich dahinter eine Art Programm oder deterministische Ursache, hinter dem Zufall verbirgt? Nur weil wir die Methode des “programmierens” noch nicht entdeckt haben, heisst es nicht dass wir es in Deinem Beispiel mit reinem Zufall zu tun haben. Als Beispiel für die Ampelsteuerung: setzt man einen Menchen vor eine Ampel, der zuvor noch so etwas gesehen hat, dann würde dieser auch anfangs auf ein Zufallsprinzip denken. Würde man im mehr Zeit für eine Art Erkenntnis und Untersuchung oder einfach mehr Informationen geben, dann wird dieser auch nicht mehr an reinen Zufall mehr glauben…. Grüße

  12. #12 MartinB
    März 8, 2012

    @Florian
    Nachdem Sasche sich gerade drüben bei CC ausgeheult hat, wie böse doch die Männer in der Wissenschaft unterdrückt werden und nachdem er die Multiversums-idee zur Denknotwendigkeit erklärt hat (von dem Unsinn, den er über Photonen verzapft hat, ganz zu schweigen – Photonen bewegen sich halt nicht immer mit Lichtgeschwindigkeit), ist da wohl Hopfen und Malz verloren…

  13. #13 Niels
    März 8, 2012

    @Florian Aigner

    Ein Physiker würde wohl niemals so etwas schreiben.

    Worauf bezieht sich das?
    Wenn wir Sascha unschönen Ausbruch mal beiseite lassen:
    Über deine Behauptung, dass Interpretationen der QM mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun haben, kann man sicherlich trefflich streiten, oder nicht?
    Ich wüsste nicht, warum ein Physiker da nicht eine andere Meinung vertreten dürfte.

    Darauf hätte man aber sicherlich auch deutlich freundlicher hinweisen können.

    Nach unserem heutigen Verständnis der Quantenphysik gibt es solche verborgenen Variablen allerdings nicht.

    Das ist so aber leider falsch.
    Nach unserem heutigen Verständnis ist es völlig offen, ob es solche Parameter gibt oder nicht.

    Deterministische Interpretationen wie die Bohmsche Mechanik sind doch schließlich noch nicht widerlegt, oder?

  14. #14 MartinB
    März 8, 2012

    @Niels
    Aber der Satz
    “Der Kern der Quantummechanik ist das die parallelen Welten in entanglement bleiben und dies praktische Konsequenzen hat, ”
    erklärt ja auch die Vielen Welten zur einzig gültigen Deutung, was genauso fragwürdig ist wie die Behauptung, es gäbe keine verborgenen Variablen. (Wobei man sich da vielleicht sogar herausreden könnte, was es eigentlich heißt, dass es etwas “gibt”.)

  15. #15 Florian Aigner
    März 8, 2012

    @Niels:
    In der heutigen Standarddefinition der Quantenphysik gibt es keine verborgenen Variablen. Die Bellsche Ungleichung wird verletzt – darüber herrscht Einigkeit. Dass man vielleicht kuriose alternative Gedankenkonstruktionen bauen kann, die eine alternative Quantenphysik errichten, die mit großen Mühen und Plagen zwar deterministisch (bzw “realistisch” ist, und trotzdem mit Experimenten nicht in Widerspruch steht, mag schon sein – aber das als Teil des heute vorherrschenden physikalischen Weltbildes zu betrachten, wäre sicher falsch.

    Ich versuche hier nicht, Quanten-Spitzfindigkeiten für Quantenphysiker zurechtzupolieren (das mache ich in persönlichen Gesprächen, nicht im Internet), sondern Quanten-Grundlagen für nicht-Experten zu erklären. Und genau in diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen einem etablierten Bild einer Theorie und dem umstrittenen Feilen an den Fundamenten einer Theorie zu unterscheiden.

    Die Bohmsche Mechanik mag ja eine hübsche Sache sein, aber: Ich habe Kontakt zu sehr vielen Physikern, die sich mit Quantenmechanik beschäftigen. Kein einziger von ihnen verwendet die Bohmsche Mechanik in seiner täglichen Arbeit. Leider erhalten irgendwelche exotischen Detailtheorien immer viel zu viel Aufmerksamkeit und lenken damit von dem Teil der Physik ab, der sich jeden Tag im täglichen Leben bewährt. Das finde ich schade, daher schreibe ich auch nicht über diese exotischen Spezialfälle.

  16. #16 Thomas Wolkanowski
    März 8, 2012

    Florian, ich denke, Niels hat hier etwas anderes gemeint. Ich pflichte dir vollkommen bei, dass im physikalischen Alltag die angesprochenen philosophischen Implikationen keine echte Relevanz besitzen. Deine Formulierung hier ist ist meinen Augen aber unglücklich gewählt:

    “Das hat allerlei philosophische Diskussionen angestoßen […]. Solche Spekulationen haben mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun.”

    Man kann behaupten, dass diese Spekulationen nicht mehr viel mit Physik zu tun hätten (gerechnet wird tagsüber, diskutiert am Abend), aber mit Wissenschaft allemal, denn wenn wir von philosophischen Diskussionen sprechen, so meinen wir hoffentlich akademische. Meines Wissens gehört die akademische Philosophie immernoch in die Kategorie der Wissenschaften.

    Ich denke also, dass bloß die Formulierung zu hart ist.

  17. #17 MartinB
    März 8, 2012

    @Florian
    Das finde ich jetzt ein bisschen arg – die Quantenphysiker die du kennst evrwenden doch vermutlich die SGL – und die verwendet man in der Bohm-mechanik genauso. Der Unterschied kommt doch explizit *nur* in Messprozessen zum tragen.

    Im täglichen Lebe bewähren sich eh beide, weil sie identische Vorhesagen machen.

    Nur weil historisch gesehen Bohr mehr Gewicht hatte als bohm und seinerzeit tonangebend war, die Kopenhagener Deutung zum Standard zu erklären, halte ich gelinde gesagt für sehr gewagt. Und was das Vereinfachen für Laien angeht: Ja, man soll vereinfachen – soweit wie möglich, ohne dass es falsch wird, aber auch nicht weiter. Den lesern der Scienceblogs darf man ruhig ein bisschen mehr zutrauen und zumuten.

  18. #18 Florian Aigner
    März 8, 2012

    @MartinB:
    Dass es alternative Interpretationen gibt, die dann an den wesentlichen Punkten genauso aussehen wie die allgemein akzeptierte “herkömmliche Schulbuch-Theorie” ist klar. Das habe ich ja versucht zu erklären. Es ist aber für die Lebenswirklichkeit der physikalischen Forschung normalerweise ausgesprochen gleichgültig.
    Deinen Vorwurf verstehe ich nicht. Was hältst du hier für “falsch”?

    Kennst du einen einzigen Physiker, der mit Bohm-Mechanik im Kopf an seine Experimente herangeht?

  19. #19 Tom
    März 8, 2012

    @Florian Aigner
    >>Kennst du einen einzigen Physiker, der mit Bohm-Mechanik im Kopf an seine >>Experimente herangeht?

    Auch auf die Gefahr hin das ich mich als Laie einmische … vielleicht wäres es ganz gut, wenn zumindest einige das täten, nicht um zuletzt zu vermeiden Betriebsblind zu forschen.

  20. #20 MartinB
    März 8, 2012

    @Florian
    für falsch halte ich den schon von Niels zitierten Satz
    “Nach unserem heutigen Verständnis der Quantenphysik gibt es solche verborgenen Variablen allerdings nicht.”

    Für falsch halte ich weiterhin, die Kopenhagener Deutung zu akzeptieren und andere Interpretationen als “kuriose alternative Gedankenkonstruktionen” zu bezeichnen – viel kurioser als Kopenhagen geht es ja kaum, wenn man mal ehrlich ist (wann findet denn eine “Messung” statt? Bei Wechselwirkung mit einem klassischen System? Und wir haben ein entscheidendes Element der Theorie (eben den Messprozess), das in den Gleichungen der Theorie nicht enthalten ist (Genau wann muss ich denn den Eigenzustand zur Messung rausprojizieren? Genau wann geht die Unitarität verloren?)). Wenn du Kopenhagen echt für weniger kurios (um nicht zu sagen abstrus) hältst als andere Deutungen, dann finde ich das ziemlich überraschend.

    Zur Frage
    “Kennst du einen einzigen Physiker, der mit Bohm-Mechanik im Kopf an seine Experimente herangeht?”
    die gegenfrage:
    “Kennst du einen, der streng nach Kopenhagen rangeht, die Wellenfunktion also für ein reines nicht-reales Konstrukt hält (Zitat Wikipedia: ‘Ferner wird in dieser Interpretation darauf verzichtet, den Objekten des quantentheoretischen Formalismus, also vor allem der Wellenfunktion, eine Realität in unmittelbarem Sinne zuzusprechen.’)?”

    Oder ist es nicht vielmehr so, dass die meisten David Mermin folgen: “shut up and calculate” und sich über die Interpretation keine Gedanken machen? Für die Lebenswirklichkeit der Forschung ist nämlich jede Deutung gleichermaßen gleichgültig, das ist mein Punkt. Du stellst die Standard-Interpretation nach Bohr als etwas besonderes heraus, was sie nicht ist.

    Und schließlich sollte man auch die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass der Messprozess doch ein physikalisches Phänomen sein könnte (siehe die Ideen von Penrose). Dann wäre die Frage der Interpretation eines Tages entscheidbar.

  21. #21 Florian Aigner
    März 8, 2012

    Ich habe die Kopenhagener Deutung gar nicht erwähnt. Man kommt in diesem Zusammenhang sehr gut mit der Dekohärenztheorie und dem Quanten-Darwinismus von Zurek weiter. Diese Überlegungen halte ich für das Solideste, was wir derzeit in diesem Zusammenhang haben. Dort werden genau die Fragen beantwortet, die du aufwirfst. Ich nehme an, du kennst diese Arbeiten.

    Darüber könnte man sicher auch ein paar nette Texte schreiben. Das Fehlen des Verweises auf solche Diskussionen in einem Text wie diesem zu kritisieren, finde ich aber ähnlich verfehlt wie Kritik über fehlende Erwähnung von Elektromotoren in einem Vortrag über Dieselfahrzeuge.

    Die letzten beiden Absätze habe ich eben genau geschrieben, weil ich diese Diskussion hier nicht führen wollte. Du hast recht: In der täglichen Forschung ist “shut up and calculate” der am weitesten verbreitete Grundsatz – und das mit großem Erfolg. Es ist nicht zielführend, immer an den Fundamenten zu kratzen, wenn man das tolle, pragmatisch funktionierende Arsenal an Möglichkeiten nich nicht ausschöpft, das man bereits hat – ganz ohne philosophische Spitzfindigkeiten.

  22. #22 MartinB
    März 8, 2012

    @Florian
    Das steht jetzt aber ein bisschen im Widerspruch dazu, dass du oben von “Schulbuch-Theorie” schrubst – das ist doch sicher Kopenhagen oder haben sich die Bücher so stark geändert?

    Den Quantendarwinismus kenne ich nicht – bei Dekohärenz (und davon ist es, wenn mein kurzer Blick bei Wiki ausreicht, ja eine Variante) wird aber das Messproblem letztlich nicht wirklich gelöst, oder? Zitat Penrose (Road to Reality ch29) “Now the ontological positions stealthily shifts and ‘reality’ becomes described by the density matrix itself’.

  23. #23 Florian Aigner
    März 8, 2012

    @MartinB:
    Was hast du für Schulbücher? Ich hätte jetzt auf jeden Fall die Dekohärenz-Theorie als “Schulbuch-Theorie” betrachtet. (Was die “Kopenhagener Deutung” genau ist, wird auch immer wieder unterschiedlich definiert.)

    Die Dekohärenz-Theorie erklärt, warum die oft zitierten Quanten-Phänomene, die eben die philosophischen Probleme bereiten – kohärente Superposition und Verschränkung – durch Kontakt mit großen Systemen zerstört werden. Im Dichte-Matrix-Formalismus: Die off-diagonalen Elemente gehen weg. Übrig bleibt – wie du sagst: die density matrix itself – und zwar eine Diagonalform davon. Die Frage ist: In welcher Basis wird die Dichtematrix diagonal? – und diese Frage beantwortet Zurek in seinem Quanten-Darwinismus. Die Art der Wechselwirkung bestimmt nach Zurek, welche Zustände als “klassische” Messergebnis-Zustände taugen.

    Auf diesem Level kann man natürlich dann immer noch eine Viele-Welten-Theorie überstülpen und sagen: Wenn die Quanten-Superpositionen und Korrelationen zerstört sind, geben sich mehrere gültige klassische Universen, die in meiner Dichte-Matrix zusammengefasst sind – aber diese Universen befinden sich “außerhalb ihrer gegenseitigen Kohärenzlänge”, sind also nicht mehr quantenphysikalisch superponiert. Das ist aber ein Punkt, den ich nicht mehr für besonders spannend halte, weil so etwas (zumindest so weit ich weiß) keinen Messungen mehr zugänglich ist. Daher ist mir das eher egal.

  24. #24 MartinB
    März 8, 2012

    “Daher ist mir das eher egal.”
    Ach so. Das ist für mich der Punkt, wo es anfängt (siehe das Zitat von Penrose und generell Kap. 29, besonders 29.8, wo er Schrödingers Katze mit Dekohärenztheorie analysiert). Dass die Dekohärenz praktisch viele probleme löst, ist klar, aber auf fundamentaler Ebene erklärt sie nicht wirklich, was passiert, wenn ich “messe”.

    Welche Bücher ich hatte? Naja, in den 80ern, als ich studiert habe, war Dekohärenz noch nicht so das Thema und in den meisten Büchern wurde vor allem Kopenhagen erklärt.

  25. #25 Florian Aigner
    März 8, 2012

    hmm. Vielleicht müssen wir uns dann einfach damit abfinden, unterschiedliche Dinge spannend zu finden.

    Ich bin einfach fasziniert von einer unüberschaubaren Fülle an intelligenten Anwendungen und Phänomenen in der Quantenphysik, dass ich das Gefühl habe, aus dem Kratzen an den Fundamenten (oder alternativen Formulierungen der Theorie) weit weniger Spannendes ziehen zu können. Vor allem halte ich es für ziemlich sinnlos, in populärwissenschaftlichen Darstellungen (und, ja, so sehe ich ein Blog) sich nur auf Grundsatzdiskussionen zu verlagern, wenn man den unstrittigen Teil der Theorie (wenn du willst: den “shut-up-and-calculate-Part”) noch nicht vollständig erklärt hat.

    Aber vielleicht schreibe ich wirklich mal etwas mehr über Dekohärenz.

  26. #26 Dr. Webbaer
    März 8, 2012

    Solche Spekulationen [siehe Artikel] haben mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun. Für uns hat es auch keine echte praktische Konsequenz.

    Das kommt hier auch nicht soo gut an. – Was ischt denn ‘quantum cryptography’?

    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. Webbaer

  27. #27 Florian Aigner
    März 8, 2012

    Weil es jetzt schon zweimal kam: Quanten-Kryptographie und ähnliche Anwendungen haben natürlich nichts mit Parallelwelten und Viele-Welten-Theorien zu tun!
    Sie sind eine Konsequenz der wohlbekannten Quanten-Verschränkung und Quanten-Superposition an der wohl heute niemand mehr zweifelt.

  28. #28 MartinB
    März 8, 2012

    @Florian
    Klar, die Faszination teile ich. Aber ich teile auch noch ein bisschen Penroses Hoffnung, dass sich eines tages herausstellt, dass der Messprozess doch tatsächlich ein echtes physikalisches Phänomen ist (seine Ein-Graviton-Theorie passt ja quantitativ leider nicht, die wäre richtig cool gewesen). Und Faszination ist ja nicht begrenzt 😉

    Ich habe auch gar nichts dagegen, in einem Blogeintrag die Interpretationsfrage auszuklammern – aber wenn du Interpretationen ansprichst (siehe das Zitat zum Thema verborgene Variablen), dann solltest du meiner Ansicht nach nicht zu sehr vereinfachen.

  29. #29 Dr. Webbaer
    März 8, 2012

    Die Quanten-Kryptographie ist doch in der Anwendung ein Dienst, der “abhörsicher” ist, weil das Abhören den Zustand des Kanals verändern würde [1], gell. Hier konnte Sascha Vongehr nicht ganz gefolgt werden. – Nehmen Sie bitte Feedback als das was es ist, Dr. W bleibt hier ganz Ohr.

    Metaphysisch bleiben diese Phänomene aber von Interesse, vielleicht kann sich auch die Physik (gemeint immer: die Physiklehre) hier anpassen und irgendwann neu theoretisieren.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] wobei auch das nicht ganz klar ist, sofern der Wb up to date ist

  30. #30 Florian Aigner
    März 8, 2012

    @MartinB:
    Ja, natürlich teile ich die Hoffnung, dass man den Messprozess irgendwann genau versteht. Ich denke, wir sind knapp davor. Für allgemeinverständliche Darstellungen halte ich es aber für besser, eine allgemein verbreitete Meinung darzustellen als diese Meinung zu hinterfragen. Aber ich sehe, dass Scienceblogs hier ein anderes Zielpublikum anzieht als ich das gewohnt bin.

    Deinen Einwand bezüglich der versteckten Variablen sehe ich ein. Trotzdem halte ich das Statement für gerechtfertigt, dass sie nicht Teil der Lehrmeinung sind – auch wenn das nun vielleicht eher eine wissenschaftssoziologische als eine physikalische Aussage ist.

  31. #31 Niels
    März 8, 2012

    @Florian Aigner

    Ich versuche hier nicht, Quanten-Spitzfindigkeiten für Quantenphysiker zurechtzupolieren […], sondern Quanten-Grundlagen für nicht-Experten zu erklären. Und genau in diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen einem etablierten Bild einer Theorie und dem umstrittenen Feilen an den Fundamenten einer Theorie zu unterscheiden.

    Das ist ja auch okay.
    Wenn man dann aber doch etwas über die Fundamente erwähnt, sollte man meiner Meinung nach trotzdem darauf achten, dass es nicht falsch oder ungenau wird.
    Mein Kommentar war überhaupt nicht als Generalangriff auf deinen Beitrag oder gar dein Grundkonzept gemeint, es ging mir nur um ein paar ganz spezielle Aspekte.
    (Übrigens hab ich mittlerweile gelesen, was Sascha Vongehr bei dir bisher sonst so kommentiert hat. Jetzt ist mir auch klar, warum du so reagiert hast und keine Lust auf eine Diskussion mit ihm hattest.)

    Zum Thema:
    Da hat MartinB ziemlich genau das geantwortet, was ich auch geschrieben hätte. Als Ergänzung:

    Deinen Einwand bezüglich der versteckten Variablen sehe ich ein. Trotzdem halte ich das Statement für gerechtfertigt, dass sie nicht Teil der Lehrmeinung sind

    Sehe ich anders. Du hast selbst die Bellschen Ungleichung erwähnt. Dort geht es aber doch ganz genau darum und davon hat eigentlich jeder Physiker zumindest schon mal gehört.
    In jedem etwas ausführlicheren Lehrbuch der QM gibt es auch ein extra Kapital darüber.

    Dass verborgene Parameter eine nicht auszuschließende Möglichkeit sind, ist durchaus Lehrmeinung.

    Zur Dekohärenz:
    Die Dekohärenztheorie (einschließlich deren Erklärung über den Quantendarwinismus) stellt aber doch überhaupt keine Alternative zu den Interpretation der QM dar.
    Deswegen kann das auch gar keine “Standarddefinition der Quantenphysik” sein.
    Die “herkömmliche Schulbuch-Theorie”, ist schon immer noch die Kopenhagener Deutung.

    Die Dekohärenz ist doch erstmal “nur” eine ziemlich mächtige Idee, die Probleme in praktischen allen Interpretationen der QM löst.
    Deswegen ist die Dekohärenz schon ziemlich lange ein Bestandteil der gängigen Interpretationen.
    Unter anderem ist sie mittlerweile eben auch ein Bestandteil der Bohmschen Mechanik.

    Davon abgesehen hat der Quantendarwinismus doch eigentlich ganz genau so viel oder wenig mit Wissenschaft zu tun wie beispielsweise die Viele-Welten-Theorie (oder andere Interpretationen).
    Mir ist deswegen nicht ganz klar, warum du das Eine ablehnst, das Andere aber nicht?

    Ja, natürlich teile ich die Hoffnung, dass man den Messprozess irgendwann genau versteht. Ich denke, wir sind knapp davor.

    Würde mich interessieren, wie du darauf kommst?
    Dafür sehe ich nämlich überhaupt keine Anzeichen.

  32. #32 Niels
    März 8, 2012

    @MartinB

    Aber der Satz
    “Der Kern der Quantummechanik ist das die parallelen Welten in entanglement bleiben und dies praktische Konsequenzen hat, ”
    erklärt ja auch die Vielen Welten zur einzig gültigen Deutung, was genauso fragwürdig ist wie die Behauptung, es gäbe keine verborgenen Variablen.

    Klar.
    Aber was hat
    Ein Physiker würde wohl niemals so etwas schreiben.
    damit zu tun?
    Es gibt doch erstaunlich viele überzeugte Anhänger der Viele-Welten-Theorie, soweit ich das überblicken kann sogar deutlich mehr als Anhänger der Kopenhagener Deutung.
    Da würde man ziemlich vielen Physikern das Physiker-Sein absprechen, nicht?

  33. #33 MartinB
    März 8, 2012

    @Niels
    Mein Zitat bezog sich auf Saschas Statement, nicht auf die Antwort von Florian, die ich einfach nicht verstanden habe (was ist ein gefinkeltes sozio-Dingsbums?). War ein (vermutlich unnötiger) Versuch, klarzumachen, wo ein Problem bei Saschas Aussage steckt, so dass man darauf etwas verschnupft reagieren mag.

    Bin aber beruhigt, dass ich das mit der Dekohärenz doch richtig verstanden hatte, mir kamen ja schon Zweifel.

    “Dafür sehe ich nämlich überhaupt keine Anzeichen.”
    Sehe ich ähnlich – es sei denn, Penrose oder einem seiner Schüler gelingt noch ein Geniestreich; sonst interessiert sich ja kaum jemand dafür…

  34. #34 Thomas J
    März 8, 2012

    @Florian

    “Vor allem halte ich es für ziemlich sinnlos, in populärwissenschaftlichen Darstellungen (und, ja, so sehe ich ein Blog) sich nur auf Grundsatzdiskussionen zu verlagern, wenn man den unstrittigen Teil der Theorie (wenn du willst: den “shut-up-and-calculate-Part”) noch nicht vollständig erklärt hat.”

    Wenn ich mich selbst als Massstab nehme:

    Geneu das Gegenteil ist der Fall. Als Laie interessieren mich die Grundsatzdiskussionen, mehr – sie sind es, die mich faszinieren.
    Die Anwendung an sich ist für mich nicht so relevant, selbst nachvollziehen zu können. (für was auch?)

    Aber grundsätzlich… man soll als Blogger wohl einfach das schreiben, was einen selbst fasziniert, das merkt der Leser und kann sich anstecken lassen.

    Viel Freude weiterhin beim bloggen!

  35. #35 Thomas
    März 9, 2012

    Interessante Diskussion hier.

    Allerdings das “umschalten der Ampel auf rot” als unangenehmen Zufall zu bezeichnen finde ich komplett am Thema vorbei bzw. als Beispiel nicht zutreffend.

    Das umschalten der Ampel ist KEIN Zufall … da voher schon 3x grün geblinkt und auf Gelb umgeschalten wurde.

  36. #36 geciktirici stag
    Mai 29, 2012

    Sie sich auf Evolution konzentrieren wollen, warum nicht an dieser Stelle, unter der bekannten Adresse (obwohl, allzu bekannt ist sie wohl gar nicht). Wie gesagt, (mediale) Unbildung, wohin man schaut Allerdings das “umschalten der Ampel auf rot” als unangenehmen Zufall zu bezeichnen finde ich komplett am Thema vorbei bzw. als Beispiel nicht zutreffend.

    Das umschalten der Ampel ist KEIN Zufall … da voher schon 3x grün geblinkt und auf Gelb umgeschalten wurde.

  37. #37 sperm arttırıcı
    Mai 29, 2012

    Allerdings das “umschalten der Ampel auf rot” als unangenehmen Zufall zu bezeichnen finde ich komplett am Thema vorbei bzw. als Beispiel nicht zutreffend.

    Das umschalten der Ampel ist KEIN Zufall … da voher schon 3x grün geblinkt und auf Gelb umgeschalten wurde.

  38. #38 zayıflama hapı
    Mai 29, 2012

    Allerdings das “umschalten der Ampel auf rot” als unangenehmen Zufall zu bezeichnen finde ich komplett am Thema vorbei bzw. als Beispiel nicht zutreffend.

    Das umschalten der Ampel ist KEIN Zufall … da voher schon 3x grün geblinkt und auf Gelb umgeschalten wurde.

  39. #39 geciktirici
    Mai 29, 2012

    Allerdings das “umschalten der Ampel auf rot” als unangenehmen Zufall zu bezeichnen finde ich komplett am Thema vorbei bzw. als Beispiel nicht zutreffend.

    Das umschalten der Ampel ist KEIN Zufall … da voher schon 3x grün geblinkt und auf Gelb umgeschalten wurde.