Eine kleine Entwicklungsbiologie der letzten Tage:

(1) Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, des Biologen liebstes Haustier, mag genau dieselben Süßstoffe wie der Mensch. Ihr Verhalten in den WG-Küchen dieser Welt hatte aber immer schon nahegelegt, dass sie auf alles steht, was süß ist — nicht nur auf Fructose, sondern auch auf Stoffe wie Aspartam, die für dem Menschen genetisch näherstehende Tiere wie Mäuse etwa gar nicht süß schmeckt, wie die Ticker vorletzte Woche vermeldet hatten.

Interessant ist vor allem die Erklärung, warum Fliege und Mensch sich auf so verblüffende Weise ähneln — “Umwelt und Lebensweise” prägten die Entwicklung des süßen Zahns bei unterschiedlichen Organismen auf ähnliche Weise.

“Ebenso wie die Taufliege, sei der Mensch ursprünglich auf Früchte spezialisiert gewesen. Daher habe die Evolution die Geschmacksrezeptor-Gene beider Arten so geformt, dass die Rezeptoren trotz unterschiedlicher Grundstruktur auf ganz ähnliche Verbindungen ansprächen.” (Studienleiter Paul Breslin, zitiert auf scienceticker.info)

Drosophila ist einer der wichtigsten Modellorganismen der Biologie, seit 2000 genetisch komplett durchsequenziert — und der Wegbereiter für den bislang einzigen deutschen Nobelpreis, der an eine Frau ging.

(2) Dann wurde letzte Woche erstmals die vollständige Gensequenz eines Käfers veröffentlicht: Dabei konnten die beteiligten Biologen zeigen, dass der Rotbraune Reismehlkäfer Tribolium castaneum “sich von allen bisher untersuchten Insekten durch Gene unterscheidet, die in ähnlicher Form auch beim Menschen vorkommen”.

(Joachim Schachtner, Biologe an der Uni Marburg und Mitautor der Studie, hier die Veröffentlichung in Nature)

Ähnlich wiederum die Erklärung für die Nähe von Mensch und Modelltier:

“Umgekehrt hebt sich Tribolium mit einigen seiner Erbanlagen von allen anderen Insekten ab, die man bislang untersucht hat. Ein Beispiel hierfür sind Gene für Vasopressin-artige Verbindungen… Vasopressin ist bei Säugetieren und dem Menschen das wichtigste Neurohormon, das die Rückgewinnung von Wasser in der Niere anregt. “Sein Vorliegen bei Tribolium mag darauf zurückzuführen sein, dass der Käfer in sehr trockenen Habitaten überleben muss”, vermutet Schachtner.” (Pressemitteilung der Uni Marburg)

(3) Und dann das: Neurologisches “Lernen”, Konditionierung und negative Reize — jetzt auch beim Menschen! Auf Telepolis schreibt Florian Rötzer:

“US-Wissenschaftler konnten zeigen, wie das Gehirn durch negative Verstärkung bislang identische sensorische Reize zu unterscheiden lernt. Lernen heißt auch, mögliche Gefahren möglichst frühzeitig zu erkennen, um sie zu vermeiden oder sich auf sie einstellen zu können… Wer in Gefahr geraten ist, verbindet damit bestimmte Sinneswahrnehmungen,… muss aber ebenso lernen, sie von ähnlichen sensorischen Stimuli zu unterscheiden. Solche Assoziationen zwischen sensorischen Stimuli und Gefahren werden auch beim Menschen auf allen Ebenen erlernt.”

Für die in Science erschienene Studie wurde zwar als Modellorganismus der Mensch bemüht, und doch kommt einem diese neuartige Erkenntnis merkwürdig bekannt vor:

von der ebenfalls nobelpreisgekrönten, ebenfalls als Modellorganismus bedeutsamen Salzwasserschnecke Aplysia Californica.

Wenn wir Menschen und unsere Nervenzellen nun nach deren Bildnis modelliert werden können, solls mir recht sein. Ich finde das schleimige Tier mit den Riesen-Neuronen außerordentlich hübsch.

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Aplysia Californica auf flickr.com