Seit bald zwei Wochen reden sich in Bonn rund 5.000 Delegierte aus 190 Nationen die Köpfe heiß. Ihr gemeinsames Thema: wie kann der Erhalt der Artenvielfalt und der Schutz bedrohter Ökosysteme in der Zukunft sichergestellt werden. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Streitpunkt ist wieder einmal das liebe Geld. Bis zuletzt bleibt die Frage offen, ob man sich die ehrgeizigen Ziele, die man sich selbst gesteckt hatte, noch erreichen kann.

Zur Erinnerung: 1992 schlug die Geburtsstunde des globalen Umweltbewußtseins. Geburtsort war Rio de Janeiro. Bei der dortigen UN-Konferenz wurde das Schlagwort Nachhaltigkeit im Sinne des “sustainable development” erstmals offensiv propagiert. Damals unterschrieben die Vertragsstaaten eine Konvention zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Und 2002 wurde beim Umweltgipfel in Johannesburg sogar das Ziel ausgerufen bis 2010 den Verlust von Arten und Ökosystemen deutlich zu reduzieren.

Doch von diesem Ziel ist man noch weit entfernt. Wenn heute und morgen in Bonn kein tragfähiger Konsens zustande kommt, sieht es nicht gut aus für die derzeit mehr als 16 000 Arten, die (nach einer aktuellen Erhebung) vom Aussterben bedroht sind.

Bislang liegt man bei den Verhandlungen in zentralen Punkten – wie etwa beim Thema “Biosprit” oder bei der Regelung des Zugangs zu natürlichen, genetischen Ressourcen – weit auseinander. Doch wie üblich bei solchen Mammutkonferenzen sind die letzten Tage (und oftmals Stunden!) entscheidend. Am Ende will doch niemand als Blockierer dastehen.

Impulse: Angela Merkel setzt mit Ankündigung eines milliardenschweren Programms ein wichtiges Signal

Gestern ging die UN-Konferenz zum Schutz der Artenvielfalt in ihre entscheidende Phase. Seitdem wird auf Ministerebene beraten und um die Formulierung des Abschlußberichts gefeilscht. Und natürlich geht es darum, wer wieviel finanzielle Mittel beisteuert, um Schutzprogramme durchzuführen. Ein wichtiges Signal kam da zur rechten Zeit: gestern kündigte Angela Merkel an, daß die Bundesregierung massiv in finanzielle Vorleistung gehen will. Sie erklärte:

“Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Lebensgrundlagen der gesamten Erde langfristig zu bewahren.”

Um das Abholzen der Wälder zu stoppen, wird Deutschland von 2009 bis 2012 insgesamt 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Und ab 2013 soll dann jährlich diese Summe fließen. Vor allem die tropischen Regenwälder sollen geschützt werden. Eine dringend erforderliche Investition: jährlich gehen 13 Millionen Hektar Regenwald verloren.

Wie wichtig ihr das Thema ist, wurde auch in Merkels wöchentlichem Videocast deutlich:

Nun bleibt abzuwarten, ob die Bundesrepublik hiermit als Vorbild für andere Staaten dient. Erstens, weil die reichen Staaten daran erinnert werden, daß es den Erhalt der Vielfalt nicht zum Nulltarif gibt. Zweitens, weil idealerweise das Vertrauen der Entwicklungsländer gesteigert wird.

Diese sind (vollkommen zu Recht) besonders skeptisch: denn die Länder, die mit ihrer Natur die Biodiversität garantieren, sind in der Vergangenheit kaum am Profit beteiligt worden, den etwa die Medikamentenherstellung auf der Basis von bestimmten Heilpflanzen und Pflanzenextrakten möglich macht.

Der 5-Billionen-Dollar-Mann: Umweltökonom Sukhdev beziffert den “Wert” der biologischen Vielfalt

Vielleicht hat aber auch eine Präsentation des heutigen Tages die Delegierten nochmals aufgerüttelt. Der indische Umweltökonom Pavan Sukhdev stellte die Ergebnisse eines Berichts vor, der im Auftrag der G8-Staaten und wichtigen Schwellenländern erarbeitet wurde. Er bezifferte allein die Kosten des Waldverlusts auf sechs Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts – das wären rund zwei Billionen Euro. Zusätzlich drohe durch die Überfischung der Meere ein Schaden von 80 bis 100 Milliarden Dollar – ebenfalls pro Jahr.

Und ebenfalls Bestandteil von Sukhdevs Botschaft: Nichtstun ist teurer als Handeln! Damit befindet er sich in Übereinstimmung mit dem früheren Weltbank-Chefökonom Nicolas Stern. Der hatte im letzten Jahr mit seinem Bericht über die beträchtlichen volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels in Wirtschaftskreisen eine heftige Klimadebatte ausgelöst.

Auch wenn klar ist, daß sich nicht alle ökologisch-biologischen Daten in ökonomische Kenndaten übertragen lassen, so hat das Team von Pavan Sukhdev versucht, auch die ökonomischen Auswirkungen der Naturzerstörung zu beziffern. Und er stellte fest:

“Das zentrale Ergebnis lautet, dass es nicht nur möglich, sondern absolut notwendig ist, die wirtschaftliche Bedeutung der Biodiversität zu bewerten. Der Verlust des Artenreichtums hat sich so sehr beschleunigt, dass er gefährlich wird. Der Ressourcenverbrauch und die Zerstörung der Lebensgrundlagen verlaufen so rasant, dass kommende Generationen kein Auskommen mehr haben werden, wenn wir jetzt nicht handeln.”

In seinem Zwischenbericht gelangt Sukhdev zum Ergebnis, daß sich bei Einrechnung aller Kosten der Verlust durch Zerstörung der Ökosysteme auf 5 Billionen Dollar pro Jahr addiert. Die Botschaft ist also klar: Wer jetzt nicht investiert, hat in 20-30 Jahren mit enormen Folgekosten zu rechnen. Geht der Verlust an Biodiversität im derzeitigen Tempo weiter, so entspricht dies bis 2050 einem Wertverlust, der mit einem weltweiten Konsumrückgang um rund sieben Prozent vergleichbar ist.

Wenn diese Information die Konferenzteilnehmer beim Konferenzendspurt nicht nochmal richtig motiviert, dann weiß ich auch nicht.

Ein aktuelles Interview mit Pavan Sukhdev zum “Wert der Artenvielfalt” ist übrigens hier auf Focus-Online zu lesen.