Sind Sie im Einklang mit sich und der Welt und glauben an das Gute im Menschen? Oder kultuvieren Sie lieber Ihre Misanthropie frei nach Brecht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral?

Letzteres könnte nämlich viel über Ihr eigenes Verhalten verraten. Wie eine Studie der Ohio State University nun erklärt, schummeln, tricksen und betrügen eher diejenigen unter uns, die auch ein schlechtes Bild ihrer Mitmenschen haben: Wenn sowieso alle abschreiben, ist es ja schließlich fast fair, mitzuziehen.

“Copy and Paste” für Misanthropen

Für die Untersuchung befragte die Psychologin Sara Staats Studenten der Universität. Dabei stellte sie fest, dass die guten Seelen, die nie oder nur selten geschummelt hatten, sich auch bei ihren Kommilitonen keine unfairen Methoden vorstellen konnten. Außerdem haben die ehrlichen Studenten ein generell positiveres Menschenbild: Sie sind empathischer, mutiger, ehrlicher und gehen davon aus, dass ihr guter Kern keine Ausnahme ist.

Ihre tricksenden Kommilitonen hingegen sehen wenig Unterschied zwischen ihrem Verhalten und dem der übrigen Studenten: Sie sind sich zwar bewusst, dass Schummeln falsch ist, halten es wegen der Häufigkeit aber für ein legitimes Mittel.

“Studenten, die nicht schummeln sind eine Minderheit,” erklärt Sara Staats. “Und sie haben zahlreiche Gelegenheiten, ihre Kommilitonen schummeln zu sehen, ohne dass diese dabei ein hohes Risiko eingehen, erwischt zu werden.” Die Psychologin schätzt, dass zwischen 50 und 80 Prozent der Studenten bei Prüfungen und Hausarbeiten bis hin zu Doktorarbeiten trickst. “Wir können das Nicht-Schummeln als eine Form täglichen Heldentums im universitären Milieu sehen.”

Um Studenten zu mehr fairem Wettbewerb und weniger Spickzetteln zu bewegen, empfiehlt Staats daher, die sozialen Kompetenzen der Studenten zu stärken – dies bewirke weit mehr, als die Überwachung bei Klausuren zu verstärken.

Kommentare (5)

  1. #1 Odysseus
    August 19, 2008

    Interessant wäre noch festzustellen, wie die Schummelquote mit der Leistung der Studenten korreliert ist. Schummeln eher die Schwachen, weil sie es brauchen? Oder sollten durchweg gute Noten den Prüfer misstrauisch machen?

  2. #2 Jessica Riccò
    August 19, 2008

    Hallo Odysseus,
    schwer zu sagen, wie die “eigentliche” Leistung der Schummler wäre. Zum einen hängt das von der Art des Schummelns ab – schreibt ein Student während der Klausur alles komplett beim Nachbarn ab, weil er selber völlig überfordert ist, oder kopiert er “nur” Textpassagen aus dem Internet in eine eigene Hausarbeit? Letztere Methode ist zwar auch unfair und faul, sie sagt aber nichts darüber aus, ob der Student nicht trotzdem sehr viel auf dem Kasten haben könnte. Ich will hier nichts schönreden – aber gerade oben schon erwähnter Bertolt Brecht musste sich seinerzeit Diebstahl geistigen Eigentums von Alfred Kerr vorwerfen lassen. Die Uraufführung der Dreigroschenoper enthielt nämlich einige Passagen, die nicht Brecht sondern Francois Villon geschrieben hatte – ohne Quellenangabe. Dafür habe ich jedoch eine Quelle für diese Aussage. Und zwar hier: http://www.welt.de/kultur/article235203/Lauter_Wahlverkanntschaften.html
    Aber es gibt noch mehr bekannte Schummler: Wladimir Putins Doktorarbeit ist auch nicht einwandfrei ( http://www.washingtontimes.com/news/2006/mar/24/20060324-104106-9971r/ ) und ebenso haben zwei deutsche Juristen ( http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,482278,00.html ) sich angeblich mit fremden Federn geschmückt.

  3. #3 MartinB
    August 24, 2008

    Interessante Studie, aber die gezogene Konsequenz (Sozialkompetenz stärken) folgt nicht unbedingt daraus, denn es ist ja nicht klar, ob die Studenten schummeln, weil ihr Menschenbild negativer ist, oder ob sie sich ihr Menschenbild zurechtrücken, um ihr schummeln zu rechtfertigen.

  4. #4 Deseis
    September 8, 2008

    Ich halt das für eine relativ unvollständige Studie,
    die wiedermal mehr statistischer als logisch-kausaler Natur ist.

    Allein schon die psychologische Annahme der Einhaltung von
    Moral/Recht ist alles andere als nur vom Selbstvergleich mit Anderen
    abhängig.

    Schummeln ist nunmal eines der effizientesten Lösungswege für Probleme
    und damit auch untrennbar von Aspekten wie der Bequemlichkeit.

  5. #5 MonikaF
    Mai 31, 2011

    Die Studie zeigt uns eher die Tendenz und die Richtung an in die, die gesellschaftlichen Merkmale und “Wertvorstellungen” gehen… Stellt sich nur die Frage, ob das “tricksen”, betrügen usw. vlt nicht doch eine natürliche Eigenschaft der Menschlichkeit ist. Fakt ist jedoch, dass das Leben von diesen einigen wenigen Menschen, die noch so etwas wie eine innere Moral besitzen, erschwert wird, da diese viel häufiger mit Enttäuschungen – die meist im Zusammenhang mit einem “das kann ich nicht verstehen weil ich nie so handeln würde”-Denken stehen – zu kämpfen haben; bzw. wird Fleiß und harte Arbeit auch nicht gewürdigt –> Das Leben kann ja viel einfacher sein, wenn man sich nur durchschummelt – und gleichzeitig gibt es keine Konsequenzen für Betrüger.
    Der Ansatzpunkt soziale Kompetenzen zu stärken, kommt daher meiner Meinung nach um einiges zu spät und ist wahrscheinlich auch nicht durchsetzbar (zumal man auch die prägenden Phasen der Kindheit und Erziehung berücksichtigen müsste), da sich ein prägendes Gesellschaftsbild anscheinend nun mal in eine bestimmte Richtung entwickelt hat und sich die “sozialen Kompetenzen” wohl eher in Luft auflösen.