Was ist die Welt, was ist Wirklichkeit? Welches Bild machen wir uns von der Welt, in der wir leben? Welche Referenzpunkte haben wir, wenn wir Wahrnehmen, Denken, Handeln und Fühlen? An welchen Strukturen, an welchen Wissensvorräten orientieren wir uns, wenn wir die Welt auf den Begriff bringen?

Solche und ähnliche Fragen bilden den Kernbestand unserer kulturellen Selbstverständigung. Und jede Epoche hat andere Antworten auf die Frage, wie der Mensch sich zu seiner Umwelt in Beziehung setzt. Wobei diese Antworten – die wenig anderes sind als der kulturelle Deutungsvorrat – eben stets in Wechselwirkung und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Innovationsprozessen entwickelt und verändert werden.

Als Richard Rorty im Jahr 1967 den “linguistic turn” ausrief, so brachte er damit eine Entwicklung innerhalb der Philosophie und Denkgeschichte auf den Punkt, die längst die Sprache als das entscheidene Moment für das menschliche Weltverhältnis entdeckt hat. Die sprachliche Konstituierung von Welt und Gesellschaft in und über Diskurse war das große Thema der Geistes- und Kulturwissenschaften der 70er und 80er Jahre.

i-73b76200df60331f4d5cc46980434374-Burda_Beimer01.jpg

Allerdings wurde spätestens in den 80ern unabweisbar, daß das 20. Jahrhundert sich mehr und mehr zu einem Jahrhundert der Bilder entwickelt hatte: die massenmediale Erzeugung und Distribution von Bildern hatte die Gesellschaft längst bis in die feinsten Verästelungen des Alltags geprägt.

Die verschiedenen Formen der Visualisierung und medialen Verarbeitung von (Oberflächen-)Phänomenen war – bei Licht betrachtet – zu einem neuen, konkurrierenden kulturellen Wissens- und Deutungsreservoir geworden.

1994 brachte der Philosoph und Kunsthistoriker Gottfried Boehm diese Macht der Bilder in seiner These eines “iconic turn” zum Ausdruck. Die Bildwissenschaften, die Kunstgeschichte, die Kognitions- und Naturwissenschaften sollten sich – so die Hoffnung – dieser tiefgreifenden Veränderung annehmen.

Dr. Hubert Burda war sehr früh beteiligt, als es um die Diskussion dieser spannenden interdisziplinären Konzepte ging. Im Sommersemester 2002 begann unter dem Titel “Iconic Turn – Das neue Bild der Welt” die Reihe der Felix Burda Memorial Lectures an der Universität München, die sich vier Semester lang der neuen Bedeutung des Bildes und seinen vielfältigen Erscheinungsformen in unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten widmete.

i-987a640309ebf6c160ae4dc2fa0b3eb7-G_Boehm_01.jpg

Am vergangenen Wochenende fand im Burda-Gästehaus in Menzenschwand ein Symposium statt, an dem einige der exponiertesten Köpfe der Debatte um den “iconic turn” teilnahmen. Der Urheber des Begriffs, Prof. Boehm, war ebenso anwesend, wie der Medientheoretiker Prof. Dr. Friedrich Kittler oder der Kunsthistoriker Prof. Hans Belting.

An zwei intensiven Tagen diskutierte man neueste Entwicklungen und zukünftige Konzepte. Gottfried Boehm wiederholte seine Kernthese, daß Bilder einen eigenen Sinn jenseits und unabhängig von Sprache besitzen. Aber auch neue Forschungsarbeiten wurden präsentiert: Prof. Dr. Hendrik Speck berichtete über eine empirische Studie, in der er die Nutzungsgewohnheiten und die neuen Formate bei Youtube untersucht hat.

Wie sehen wir die Welt, wenn wir sie in und durch youtube-Videos präsentiert bekommen? Ist es noch dieselbe Welt, die wir dort wiederfinden? Spannende Fragen, die Diskussion geht weiter…