Auch in meinem Job kommt man eher selten in den absolut innersten Bereich eines Kernreaktors. Der Aufenthalt im Experimentierbereich eines Forschungsreaktors, nur ein paar Meter Luftlinie von den Brennstäben entfernt, ist zwar schon etwas normaler, aber so richtig drauf herumspringen zu können, ist auch für Neutronenwissenschaftler eher selten. Diese Gelegenheit bot sich mir vor kurzem, als einer der Veteranen unseres Institutes, der früher als Intrumentwissenschaftler im alten DIDO-Reaktor gearbeitet hatte, eine Führung durch ebenjenen organisierte.

Der DIDO-Reaktor (kurz für D2O) (oder auch FRJ-2) war ein Schwerwasserreaktor. Er wurde am Ende fast ausschließlich für Neutronenstreuexperimente eingesetzt und befindet sich seit 2006 im Abbau. Alle Brennstäbe sind schon lange entfernt worden und die Experimente nach München (oder nach China) gewandert. Das heißt, die Neutronenleiterhalle, die früher einmal so ausgesehen hat, ist (bis auf ein paar Neutronenleiter) nun vollkommen leer und nur der große Stahlbetonkörper in dem sich das Schwerwasserbecken und die Brennstoffkammern befunden haben, existiert noch.

Dieser soll in diesem Jahr ebenfalls entsorgt werden, was aber eine ziemlich schwierige Aufgabe ist. Denn obwohl das Innenleben des Tanks hauptsächlich aus Aluminium und anderen Werkstoffen gefertigt wurde, die nicht viele Neutronen einfangen und sich damit eher kaum aktivieren, konnte an einigen Stellen nicht auf Stahllegierungen verzichtet werden. Exemplarisch dafür ist die Abdeckplatte des Schwerwasserbehälters, die aus einer rel. normalen Stahllegierung besteht, so dass sich neben dem Eisen und anderen Zusätzen auch Cobalt in der Legierung befindet. Dieses aktiviert sich nun unter Neutroneneinfang recht stark und in der Lebenszeit des Reaktors hatte die Abdeckplatte somit einiges an radioaktivem Co 60 produziert, das nun unter Abgabe von Gamma-Strahlung wieder zerfällt. Diese Gamma-Strahlung sorgt heute noch in unmittelbarer Nähe für eine Dosis von 5mSv/h, was das Arbeiten daran sehr umständlich macht. Zusätzlich hat das Cobalt eine sehr unbequeme Halbwertszeit von 5 Jahren, was es vor allem in Anlagen mit ionisierender Strahlung zu einem klassischen Problemfall macht. Die meisten anderen Materialien haben entweder eine so kurze Halbwertzeit – wie Kupfer 61 mit seinen 3,5 Stunden, dass man einfach nur die 10fache Halbwertszeit warten muss und es dann mit nach Hause nehmen kann, oder sie haben eine so lange Halbwertszeit, dass es eh keinen Unterschied macht. 50 Jahre zu warten, bis man den Deckel gefahrlos in die Hand nehmen kann, ist halt leider keine Option, also muss man sich andere Maßnahmen ausdenken.

Diese sind dann, wie allgemein im Strahlenschutz, Zeit, Abstand und Abschirmung. Kurz gesagt ist der Plan, ein Gerüst aufzubauen und die Platte mit einem Kran schnell herauszuheben und unter Verschluß zu den heißen Zellen zu bringen, wo er dann mit Roboterarmen auseinandergeschnitten werden und in den netten gelben Atommüllfässern verstaut werden kann.

Der Graphitreflektor, der noch wesentlich näher an den Brennstäben dran war als der oben beschriebene Deckel, ist dagegen kaum aktiviert worden. Er besteht aus hochreinem Kohlenstoff und das bisschen C14 ist so gering, dass man glatt ein Stück herausbeißen könnte, ohne sich ernsthaft zu gefährden.

Im Allgemeinen steht bzw. stand der DIDO-Reaktor stellvertretend für eine ganze Generation von Forschungsreaktoren, die nach dem zweiten Weltkrieg in Betrieb genommen wurden. Vom Bau bis zur Inbetriebnahme vergingen damals keine 4 Jahre und die Anträge sollen wohl auch auf die Rückseite einer Serviette gepasst haben. Auch wenn sie viel zu unserem Verständnis von kernphysikalischen Prozessen und Materialwissenschaften im Allgemeinen beigetragen haben, sind sie mittlerweile überholt und können durch neue Generationen von Nachfolgern (im Bereich der Neutronenstreuung zum Beispiel Spallationsquellen) ersetzt werden, die keinen langlebigen Atommüll mehr produzieren und gefahrlos betrieben werden können.

Doch selbst bei ihrem Abbau können wir noch viel von den alten Forschungsreaktoren lernen. Der Forschungsbereich der nuklearen Entsorgung (ich nenne sie immer liebevoll Atommüllmänner), der momentan in Jülich noch betrieben wird, beschäftigt sich speziell mit dem Abbau solcher Anlagen und der sicheren Entsorgung. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es in Deutschland in der Welt kein Endlager für Atommüll gibt, aber gleichzeitig viel davon produziert wird, macht die Forschung daran umso wichtiger. Leider ist das Gebiet von allen Seiten unter Beschuss: Die Industrie will kein Geld geben, weil ihre Atomkraftwerke in absehbarer Zeit keines mehr generieren werden, die Politik will sie nicht unterstützten, weil man dann im gleichen Satz mit der bösen Strahlung erwähnt wird und die Bevölkerung schmeißt sie in den gleichen Topf wie die Atomkraftwerksbetreiber und hält sie für die Bösen. Dennoch sitzen da junge Leute, wie ich, die selber nie Atommüll produziert haben und sich nur dazu verpflichtet fühlen, den der vorhergegangenen Generationen wegzuräumen… aber das würde hier wieder zu viel werden.

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Kommentare (5)

  1. #1 schlappohr
    5. April 2016

    Warum sind 50 Jahre warten keine Option? Der Rückbau dauert in diesem Zustand noch max 20 Jahre, das ist doch schon fast die Hälfte. Der Reaktor steht jetzt dort seit 60 Jahren, warum muss er jetzt so schnell weg? Einmotten, bis 2070 warten und dann mit einem Obi-Schneidbrenner zerlegen, was noch übrig ist. Dem Baum ist es egal, ob er in 20 oder 50 Jahren gepflanzt wird.

  2. #2 Tobias Cronert
    5. April 2016

    Soweit ich es verstanden habe ist es eine Sache der Zulassung und rechtlichen Einordnung. Es gibt bestimmte Stadien im Abbauprozess, die jeweils eine besondere Sicherung der Anlage erfordern (parametersicherung, Wachmannschaften etc. pp.). Zum Beispiel wurde alles Uran im DIDO schon 2006 entfernt, aber die Umweltbehörde brauchte bis 2012 um diesen Schritt bürokratisch abzuschließen und den Reaktor als “Uranfrei” zu deklarieren. Solange aber der Reaktor nicht offiziell “Uranfrei” ist muss permanent 24/7 ein Team an Reaktorfahrern im Kontrollraum anwesend sein. Ergo hat sich 6 Jahre lang hochqualifiziertes Personal in einem Kontrollraum, der nichts mehr kontrollierte und auch keinen Strom mehr hatte den Hintern plattgesessen, weil das Atomrecht das so vorgeschrieben hat.

    Solche Sachen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Abbauprozess und daher möchte man so eine Anlage so schnell wie möglich loswerden und ein Gerüst zu bauen und strahlendes Material durch die Gegend zu hieven ist meist einfacher und billiger, als zu warten.

  3. #3 schlappohr
    5. April 2016

    Also dazu fällt mir nur eines ein:
    Kopf -> Tisch.

    Andererseits: Innerhalb von 6 Jahren könnte man ein ganzes Physik-Selbststudium durchziehen, vollfinanziert und völlig ungestört. Ist doch gar nicht dumm, so gesehen.

    • #4 Tobias Cronert
      5. April 2016

      Als Telearbeitsplatz lässrt so ein Kontrollraum leider etwas zu wünschen übrig, da man für jeden Schluck trinken oder auf Klo gehen 20 Minuten ein- und wieder ausschleusen muss, weil Kontrollbereich… aber ansonsten… wenn man mal eine Sabbathalbdekade braucht, ich hab gehört bald wird in Berlin da so ein Forschungsreaktor dirchtgemacht *g*

  4. #5 Karl Mistelberger
    5. April 2016

    > Auch in meinem Job kommt man eher selten in den absolut innersten Bereich eines Kernreaktors.

    Mit dem Job hat das recht wenig zu tun. Wer interessiert ist meldet sich zu einer Anlagenbesichtigung und wird durch die gesamte Anlage geführt.

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.neckarwestheim-durch-die-toblerone-in-den-reaktor.2786d358-b784-41cf-a44b-2018a38fb80f.html

    Die Besuchergruppe wird unter anderem am Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente vorbei geführt und steht bei laufendem Anlagenbetrieb auf der Betonabschirmung über dem Reaktorkern. Die Vibrationen ausgelöst durch die Kühlwasserpumpen mit ca. 25 MW (35.000 PS) sind kaum spürbar.

    Von der Reaktivität merkt keiner was. Auch die Dosimeter der Besucher zeigen keine nennenswerte Strahlung an. Die Betriebsmannschaft der Anlage kriegt auch nicht mehr Strahlung ab als die Besatzungen der hochfliegenden Jets im Linienverkehr. Da kann man die Besucher unbesorgt zwei Stunden lang durch den Sicherheitsbehälter der mit Nennleistung betriebenen Anlage führen.