Gerade war ich in Japan bei unseren Kollaborationspartnern am Forschungsinstitt RIKEN, um zu fragen, ob ich mir mal ihren Teilchenbeschleuniger ausleihen darf… Irgendwie scheint das ein regulärer Teil meiner Arbeit zu werden, bei fremden Leuten aufzutauche,n um mit großen Kulleraugen um Strahlzeit zu betteln. Naja, gibt Schlimmeres, aber fangen wir mal vorne an zu erzählen.

Also RIKEN ist ein Forschungszentrum – ganz ähnlich wie Jülich – das sich auf Kernphysik spezialisiert hat. Vor kurzem haben sie mit dem extrem starken Teilchenbeschleuniger dort das neue Element Nihonium gefunden… naja eigentlich haben sie (innerhalb von mehreren Jahren) “drei Ereignisse” nachgewiesen (also sie konnten insgesamt 3 Atome produzieren und messen), was unter Kernphysikern offensichtlich ausreicht, um ein neues Element zu entdecken.

Aber ich bin ja Festkörperphysiker und habe davon nur sehr wenig Ahnung und war deswegen auch gar nicht da. Ich war vor Ort, um mit der Neutronengruppe zusammenzuarbeiten und ihren kleinen Teilchenbeschleuniger samt Neutronenquelle zu benutzen. Diese Neutronenquelle, RANS (RIKEN Accelerator-driven Neutron Source), ist eigentlich genau das, was wir im HBS-Projekt in Deutschland auch für Universitäten bauen wollen. Teilchenbeschleuniger, Neutronentarget und Instrument sind zusammen nur ca. 15 Meter lang und ca. 2m breit. Trotzdem produzieren sie ca. 10^9 n/s, von denen 10^5 n/s an der Probe ankommen und genutzt werden können. Das reicht für spezialisierte Fragestellungen durchaus aus, um aktuelle Wissenschaft zu betreiben und genau dies wollen wir, wie schon öfter hier erwähnt, auch an deutschen Universitäten verbreiten.

Nun gehen an der Stelle unsere Absichten aber schon etwas auseinander. Wir in Jülich wollen immer präzisere Neutronenquellen bauen, so dass wir viel mehr Neutronen auf eine Probe fokussieren können. Die Leute von Riken allerdings wollen ihre Quelle mit dem Teilchenbeschleuniger sogar noch weiter verkleinern, um sie auf einen LKW bauen zu können. Denn falls so eine Quelle transportabel wird, dann könnte man sie benutzen um Brücken und ähnliche Betonkonstruktionen damit zu durchleuchten. Dies ist nämlich einer der weiteren großen Vorteile von Neutronen. Während Röntgenstrahlen – vor allem die von Laborquellen – nur wenige mm in Materialien eindringen können, so können Neutronenstrahlen ohne größere Probleme auch durch meterdicke Beton oder Stahlkonstruktionen hindurchgehen.

Konzept einer Neutronenquelle zum Durchleuchten von Brücken und ähnlichen Strukturen

Die Japaner haben nämlich ein Problem. Während des japanischen Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg wurden sehr viele Brücken gebaut, die nun, nachdem die entsprechenden Jahrzehnte ins Land gegangen sind, Risse, Wassereinlagerungen und andere Schwachstellen bekommen. Dabei ist die Diagnose erstaunlich schwierig, denn Ultraschall und Röntgen kann man nur sehr lokal einsetzen und ansonsten kann man nur gucken, ob sich auf der Oberfläche irgendwelche Risse bilden. Daher hatte die Gruppe aus RIKEN eben die tolle Idee dafür Neutronenstrahlen einzusetzen, woran jetzt seit einigen Jahren gearbeitet wird.

Naja, langer Rede kurzer Sinn, ich darf gerne ihre Neutronenquelle für meine Versuche benutzen und muss jetzt nur noch meinen Chef davon überzeugen mich mit meinem ganzen Equipment um die halbe Erde zu karren… obwohl dort alles voll von aggressiven Rehen ist.

Nara_pres

Mein Votrag im japanischen Theater mit der neuesten Pyramide von Jacob Müller

Das ist dann auch schon direkt die Überleitung zu dem anderen Grund meiner Reise nach Japan: Eine Spezialistenkonferenz über Neutronenoptiken, oder kurz NOP. Die fand in Nara/Japan in einem malerischen Tempelbezirk mit japanischem Garten und besagten heiligen Rehen (eigentlich Sikahirsche s.u.) statt und beschäftigte sich nahezu ausschließlich mit der gezielten Extraktion und Verwendung von Neutronen. Kalte Neutronen haben nämlich einen riesigen Vorteil gegenüber thermischen Neutronen und vielen anderen Partikelstrahlen. Wenn ihre Energie abnimmt, dann bekommen sie gewisse Eigenschaften, die man sonst eher nur von sichtbarem Licht kennt wie z.B. die Totalreflektion. Neutronen kann man z.B. an einem Spiegel unter einem bestimmten Einfallswinkel spiegeln und wenn man nun einen Leiter aus solchen spiegelnden, beschichteten Glasflächen produziert, kann man Neutronen quasi wie bei Lichtwellenleitern und Glasfasern transportieren. Darüber hinaus kann man auch Sammellinsen einsetzen und die Neutronen polarisieren, aber das führt an dieser Stelle ein wenig zu weit. Unter anderem auch, weil diese Techniken wirklich die “leading edge” Technologie in der Neutronenphysik sind und sich da noch vieles erst etablieren muss, bevor ich hier sicher davon reden kann.

Kurz bevor wir nach Tokyo gefahren sind, haben es mein Kollege und ich es auch noch geschafft auf den Fujisan, Japans höchsten (Vulkan)Berg, zu klettern. Wir haben den Aufstieg am ersten Tag der Saison gewagt, als der Weg gerade aufgemacht wurde und wurden dafür mit eisigen Temperaturen am Nullpunkt (in Tokyo 35°C), eisigen Winden und geschlossenen Schreinen belohnt 😉 . Aber es hat sich trotzdem sehr gelohnt und der Pilgerweg dort hinauf ist auf jeden Fall eine Erfahrung wert.

Als Deutscher habe ich mich in Japan auf jeden Fall sehr wohl gefühlt und auch (oder vor allem) auf Wissenschaftsebene haben wir dieselben Einstellungen. Ich hoffe sehr, dass wir auch in Zukunft unsere Zusammenarbeit wie geplant fortsetzen können und zusammen die brillianten Neutronenquellen der Zukunft für Jedermann bauen können

Kommentare (16)

  1. #1 Stefan
    14. August 2017

    Moin Tobias,
    in Nara laufen aggressive Sikahirsche (Cervus nippon) herum, nicht Rehe (Gattung Capreolus). Rehe gehören zur Unterfamilie der Trughirsche (Capreolinae), während Hirsche zur Unterfamilie Cervinae gehören (na gut, Hirsche und Rehe gehören zur Familie der Hirsche – Cervidae, sind also verwandtschaftlich nicht gar so weit voneinander entfernt…).
    Entschuldige für den Besserwisserpost, aber als “Blümchenbiologe” musste ich das loswerden. 😉

  2. #2 Tobias Cronert
    14. August 2017

    Hi Stefan, vielen Dank. Als Physiker bin ich ja schon froh, wenn ich ein Reh von einem Wildschein unterscheiden kann, aber ich lerne ja immer gerne dazu. Die haben ja sogar Nippon im Namen… nett *g*
    ansonsten:

  3. #3 Klaus Weber
    14. August 2017

    Die Japaner haben nämlich ein Problem. Während des japanischen Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg wurden sehr viele Brücken gebaut, die nun, nachdem die entsprechenden Jahrzehnte ins Land gegangen sind, Risse, Wassereinlagerungen und andere Schwachstellen bekommen.

    Haben wir hier in Deutschland nicht auch das selbe Problem?

    Sonderveröffentlichung des LBM zur „Pontesgrafie“:

    https://www.lbm.rlp.de/icc/Internet/med/15f/15f203cf-a39b-5841-dbc6-145a7fd72763,11111111-1111-1111-1111-111111111111.pdf

  4. #4 tomtoo
    14. August 2017

    Vogel…Vogel…Vogel. :))

  5. #5 tomtoo
    14. August 2017

    @Tobias
    Ähhm sry sehr schräg jetzt.
    Bin da über die Totalreflexion drauf gekommen. Könnte man Neutronen so langsam machen das man sie über Totalreflexion sozusagen in einer Art “Thermoskanne” sammeln kann ?

  6. #6 Tobias Cronert
    14. August 2017

    @Klaus Weber: Soweit ich weis (ich lebe in Köln quasi “unter” der Atobahnbrücke der A1 über den Rhein, die derzeit für Verkehr über 3,5t gesperrt ist) ist das in Deutschland auch ein aktues Problem. Aber dieser Lösungsansatz (oder besser Diagnoseansatz) wird hier zur Zeit nicht verfolgt.

    @tomtoo: Ja, das kann man. Wenn die Neutronen produziert werden haben sie eine Geschwindigkeit von 10% der Lichtgeschwindigkeit. Für Neutronenstreuung kann man sie benutzen, wenn man sie auf ca. 2000 m/s verlangsamt hat. Wenn man sie nun auf ca. 1 m/s verlangsamt, dann kann man sie auch in einer Alukanne sammeln. Sie unterliegen dann auch der Gravitation und fallen in einen Becher herein. Das nennt man Ultrakalte Neutronen und es wird benutzt um so Sachen, wie präzise elektrische Dipolmoment Messungen vorzunehmen. Aber Allgemein sehr freakiges Zeug 😉

  7. #7 Roland B.
    14. August 2017

    Was hat’s denn nun mit den rehigen Hirschen auf sich? So wirklich aggressiv wirken sie auf dem Foto nicht. Und wie kommen die Viecher dann auf die beheizten Toilettensitze? Oder bringe ich da was durcheinander, und die Toilettensitze sollen mit kalten Neutronen beheizt werden?

  8. #8 tomtoo
    14. August 2017

    @Roland B
    Na das ist doch einfach. Auf dem beheitzten Toilettensitz, beheizte ein paar kalte Neutronen, und ruck zuck wird aus dem Reh ein Hirsch. ; )

  9. #9 tomtoo
    14. August 2017

    Paar sry. ; )

  10. #10 Tobias Cronert
    14. August 2017

    Naja im Herbst waren wir ja noch in China im Forschungsreaktor und der große Unterschied zu Japan und Korea sind halt die beheizten Toilettensitze.

    Auf dem Foto sind die Hirsche zwar recht friedlich, aber die haben uns gezwungen Hirschkekse zu kaufen und sie zu füttern und dann haben sie uns noch mit ihren Geweihen herumgestoßen und unsere Rucksäcke gefressen. Sehr ungezogen.
    Das Gebäude auf dem Foto im Hintergrund ist unser Tagungszentrum mitten im jap. Garten.

  11. #11 rolak
    14. August 2017

    Oh wie schade! Ganz die überschriftsangeregte Erwartung enttäuschend kommt kein ausführlicher Erfahrungsbericht von einer Sitzung am Örtchen, auf Eierkocher.

    Das mit dem erpresserischen und räuberischen Viechzeugs ist ja beim für-mich-und-von-hier-Standard ganz genauso. Bin mir allerdings nicht ganz sicher, welche Mimik nötigender ist: die der Drängeltiere oder die der Pänz mit just leergefütterter Tüte.

  12. #12 Laie
    15. August 2017

    Wahrscheinlich sind Atomkraftwerke die einzigen Dinger, die bei Lecks automatisch von selbst strahlen (und somit die Leckstelle, Materialermüdung etc anzeigen) 🙂

    Wie läuft es gerade in Fukushima, schaffen das die Japaner wegzuräumen?

  13. #13 Tobias Cronert
    15. August 2017

    Also wenn ein AKW ein Loch hat, dass so groß ist, dass ich es mit dem Brückenscanner messen kann, dann ist aber holland wirklich in Not… oder so.

    Ich hatte leider keine Zeit in Fukushima vorbei zu fahren, obwohl ich das eigentlich sehr gerne gemacht hätte. Aber durch meine Arbeit mit den jap. Kollegen dort habe ich nun einen kleinen einblick in die jap. Strahlenschutzgesetze bekommen, die ähnlich streng gestrickt sind, wie unsere. Danach sind die Aufräumarbeiten echt die Hölle auf Erden, was den Papierkram angeht. Ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie kompliziert es wäre eine solche großflächige Kontamination nach deutschen Recht strahlenschutzkonform zu dekontaminieren… das ist echt eine Generationenaufgabe.

    Ich hoffe aber noch mal in nächster Zeit in Japan vorbei zu kommen und dann auch einen Ausflug nach Fukushima machen zu können.

  14. #14 gedankenknick
    15. August 2017

    @Roland B.
    Eine Beschreibung der Benutzung einer japanischen HiTecSchüssel unter Nutzung eines mitteleuropäisch-eingeschränktem Erfahrungshorizonts findet man z.B. hier: https://recumbentlyjapan.blogspot.de/2009/10/cycle-tokyo.html

    @kalte Neutronen:
    Und ich dachte schon, der beheizte Sitz dient dazu, die ultrakalten Neutronen, die in die Schüssel hineingefallen sind und das Klo zu verstopfen drohen, soweit aufzuheizen, dass sie die Keramik auf linearem Weg verlassen können (ohne durch den Siphon zu müssen)… 😉
    Nein, im Ernst: dass man Neutronen soweit bremsen kann, dass sie nicht mehr ohne weiteres Materie durchdringen, war mir völlig neu und ich finde es äußerst faszinierend.

    @Tobias Cronert Als Physiker bin ich ja schon froh, wenn ich ein Reh von einem Wildschein unterscheiden kann…
    Spätestens wenn ein so ein Tier auf die zugerannt kommt wird der Unterschied sichtbar deutlich…
    *duck&cover*

  15. #15 gedankenknick
    15. August 2017

    @Stefan:
    Daran ist sowieso nur Bambi schuld! https://de.wikipedia.org/wiki/Bambi_(Film)#Einfluss 😉

  16. #16 tomtoo
    15. August 2017

    Da lieste was über Neutronenforschung. Und wirst so nebenbei über deinen eigenen Irrtum bzgl. Hirsch und Reh aufgeklärt. So muss das sein !! : )