Wenn man in einen Konflikt zieht, dann sollte man sich vor allem sicher sein, warum man dies überhaupt tut. Falls es da kein tolles Sun Tzu- oder Clausewitz-Zitat zu gibt, dann sicher eines von einem der anderen zig tausend Wissenschaftler, die sich mit solchen zwischenmenschlichen Konflikten auseinandergesetzt haben. Dies möchte ich an dieser Stelle auch machen, um sowohl für mich selber zu definieren, wie weit ich zu gehen bereit bin und gleichzeitig meinen Lesern einen Anhaltspunkt zu bieten, wohin die Reise gehen könnte. Außerdem bin ich natürlich auch “von außen betrachtet” Teil des Systems “Strahlung” und in dieser Hinsicht ist Transparenz (und eine menschliche Komponente) meiner Meinung nach von großem Vorteil.

Egoistische Motive

Fangen wir mal ganz einfach mit meinen ureigennützigen, egoistischen Motiven an. Diese drehen sich vor allem um eine möglichst effektive und erfolgreiche Heilung meiner Leukämie und ein möglichst qualitativ hochwertiges (Rest)Leben. Wie ich hier schon öfter berichtet habe, bin ich dabei in der glücklichen Situation, dass die gute Behandlung von meiner regulären Krankenkasse und dem damit verbundenen Sozialsystem übernommen wird. Dass das beileibe keine Selbstverständlichkeit (im internationalen Vergleich) ist, davon habe ich ja auch schon oft genug berichtet. Im Falle eines erfolgreichen Rechtsstreites bzw. einer Anerkennung als Berufskrankheit würden die Abrechnung der Behandlung dann von der BG übernommen werden. Dies wäre bzgl. Leistungen etc. nur mit Vorteilen verbunden und bei aller Recherche habe ich keinen leistungsbezogegenen Punkt herausfinden können, bei dem meine Behandlung durch die Übernahme der BG in der Qualität gegenüber der KK reduziert werden würde.

Ganz konkret bedeutet das, dass ich bezüglich Zuzahlungen, Pflegeprodukten und dergleichen weniger privat bezahlen bzw. zuzahlen müsste. Darüber hinaus würde die Anerkennung als BK auch evtl. Folgeschäden mit abdecken. Dies ist bei mir durchaus relevant, denn die Behandlung mit Chemo- und Strahlentherapie erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Sekundärtumoren zu erkranken und somit wäre dann auch ein evtl. Speicheldrüsenkrebs im Alter von 60 Jahren ggf. unter dem Dach der BG abgedeckt (wobei dann auch hier ggf. wieder der Zusammenhang nachgewiesen werden muss).

Auf der anderen Seite steht jetzt aber auch, dass ich bei der gesetzlichen KK keinerlei Qualität in der Behandlung vermisse. Ich bekomme alles, was ich brauche, in ausreichender Form und ich habe nirgendwo das Gefühl meine Situation nennenswert verbessern zu können, indem ich irgendwelche zusätzlichen Sachen oder Behandlungen bekomme. Ich werde jetzt nicht an jeder Stelle mit dem allerneuesten, experimentellen High-Tech Krempel behandelt, aber das hat vor allem medizinische Gründe. Nur weil etwas neuer und teurer ist, heißt es ja nicht, dass es auch besser wirkt, speziell bei meinem individuellen Verlauf. Daher ist quasi kein Druck bzgl. einer Anerkennung als BK vorhanden, sondern das Ganze wäre nur “nice to have”.

Die soziale bzw. gesellschaftliche Komponente

Keine Variante ist gratis, das Geld kommt immer irgendwo her. Sprich entweder bezahlt die Solidargemeinschaft der Versicherten meiner gesetzlichen KK oder die Solidargemeinschaft der Betriebe, die über die BGETEM organisiert sind. Dazu kann und will ich auch meinen eigenen Beitrag leisten und Kosten übernehmen, soweit dadurch nicht meine Heilung beeinträchtigt und/oder meine Lebensqualität signifikant eingeschränkt wird. Ganz konkret lasse ich mich morgends gerne von meinem Mitbewohner auf dem Weg zur Arbeit bei der Uniklinik rauswerfen, auch wenn ich dann mit einem guten Buch zwei Stunden warten muss, bis ich an der Reihe bin. Solch kleinere Sachen will ich gerne auf mich nehmen, statt mit dem teuren Taxi zu fahren und die Kosten dieser Fahrt der Solidargemeinschaft aufzubürden. Ich würde allerdings nicht mit dem Bus zurückfahren, weil da die Ansteckungsgefahr für mich zu hoch und meine Heilung einem Risiko ausgesetzt wäre. Ich denke, ihr versteht, worauf ich hinaus will, auch wenn ich mit meiner Kölner Tradition breche, alles abzugreifen, was man irgendwie kostenlos in die Finger bekommen kann.

Dies sollte auch mehr oder weniger im Sinne des Gesetzgebers sein. Wie ja schon erwähnt, ist das ganze Verfahren eine Art Sozialverfahren und es geht nicht Partei gegen Partei, sondern darum, wie die ganze Situation sozialverträglich abgehandelt werden kann. Das sieht man allein schon im ersten Schritt, denn die Meldung als potentielle Berufskrankheit wurde nicht von mir, dem Versicherten, gemacht, sondern von meinem behandelnden Krankenhaus (in einem gewissen Automatismus), welches in diesem Falle als übergeordnete Instanz agiert und für den sozialgerechten Ablauf sorgen soll. Diese Vorgehensweise würde sich dann auch in einem entsprechenden gerichtlichen Verfahren weiter so fortsetzen.

Zeit und Spaß

Wenn es nur um meinen persönlichen Vorteil gehen würde, dann würde ich mir die ganze Arbeit wahrscheinlich gar nicht machen. Die Arbeitszeit, die ich in das Schreiben von Briefen und Gutachten, das Konsultieren von Anwälten und anderen Beratungsstellen investiere, summiert sich bei einem vernünftigen Stundenlohn auf keinen Fall zu Größenordnungen hoch, die in einer sinnvollen Beziehung zu meinen (monetären) Einsparungen stehen würden. Dabei sei hier noch mal kurz erwähnt, dass Begriffe wie “Arbeitszeit” bzw. “Stundenlohn” eine wesentlich andere Bedeutung bekommen, wenn man eine potentiell tödliche Krankheit hat. Wieso sollte ich es also machen? Nur um Recht zu haben? Ja, natürlich ist es schon ein psychologischer Unterschied, irgendjemandem “die Schuld geben” zu können, anstatt dem kosmischen Schicksal aka. Wahrscheinlichkeit ausgeliefert zu sein, aber “jemandem die Schuld zu geben” ist nicht mein Stil. Die einfache Antwort ist Zeit, Spaß und Nutzen für die Allgemeinheit. Mir macht das Herumtüfteln mit ionisierender Strahlung, Strahlenschäden etc. pp. einfach viel Spaß. Das war schon lange vor meiner Erkrankung so und wird auch wahrscheinlich lange danach so sein. Darüber hinaus verbringe ich immer noch viel Zeit im Krankenhaus, wo ich leider wenig in der Wissenschaft arbeiten, aber den ein oder anderen Brief an einen Anwalt verfassen kann. Tja, und dann ist da noch der Nutzen für die Allgemeinheit, aber dazu weiter unten mehr.

 

Die Nachteile

Ich rechne fest damit, wenn ich wieder voll in der Arbeit bin und in Jülich hinter dem Schreibtisch sitze, einen Anruf vom zentralen Strahlenschutz zu bekommen: “Herr Cronert, sie müssen in ihrem Bereich beim HBS den Strahlenschutz bzgl. Blatt A1 bis C4 anpassen. Irgend so ein Idiot hat unsere Berufsgenossenschaft verklagt.”

Das ist natürlich übertrieben dargestellt, aber durchaus realistisch. Eine großteils politische Entscheidung (Anerkennung als Berufskrankheit) hat nun mal leider die Angewohnheit, weitere politische Kurzschlussreaktionen zu erzeugen, wo “Bürohengste” durch Aktionismus ihre Hände rein waschen wollen. Egal ob diese zusätzlichen Maßnahmen jetzt sinnvoll sind oder nicht. Meine Abteilung im Speziellen und alle weiteren Leute, mit denen ich darüber hinaus zusammengearbeitet habe, haben immer sehr viel Wert auf den Strahlenschutz gelegt. Für sich selber und ihre Kollegen. Unfälle, Fahrlässigkeiten oder schlampiges Verhalten kennen ich eigentlich nur aus Berichten und abschreckenden Fallbeispielen. Daher würde es mich sehr betrüben, Grund für sinnlose neue Regelungen zu sein, die meinen Kollegen das Leben schwer machen.

Naja, das Risiko werde ich eingehen. Nach einer kurzen Beratung mit meinem Chef sind wir beide eigentlich zum gleichen Schluss gekommen… wir können nur gewinnen. Falls die Berufserkrankung abgelehnt wird, dann heißt das effektiv, dass alle Strahlenschutzmaßnahmen ausreichend gewesen sind und die Strahlung nicht ursächlich für die Leukämie ist. Das heißt, alles wäre gut so, wie es ist. Falls die Leukämie aber nun als BK anerkannt wird, dann hieße das, dass der Strahlenschutz während meiner Tätigkeiten fehlerhaft gewesen ist. In diesem Fall wäre es dann sehr wichtig aus den Fehlern zu lernen und die Protokolle anzupassen, um zukünftigen Generationen ein sicheres Arbeiten in der Wissenschaft zu ermöglichen. Sprich das ganze ist für uns eine Win-Win Situation.

 

Nutzen für die Allgemeinheit

Neben dem ganz konkreten Nutzen für meine Arbeitsgruppe und die unmittelbaren Kollegen gibt es dann natürlich auch noch einen gewissen Nutzen für die Gesellschaft im Allgemeinen. Erhöhtes Leukämierisiko, vor allem bei Kindern in der Nähe von Atomkraftwerken, ist schon seit langem ein Thema, das mit viel Emotionen und geringer Faktenlage diskutiert wird und auch eng mit dem ominösen Niedrigdosisbereich bei ionisierender Strahlung verknüpft ist, über den ich mich ja hier schon zur Genüge ausgelassen habe. Leider habe ich hier keine Möglichkeit, eine neue Studie zu initiieren und wirklich neue Erkenntnisse darf man jetzt auch nicht erwarten, nur weil ICH mich jetzt aus der Perspektive eines Betroffenen damit auseinandersetze. Aber ich kann auf jeden Fall die ganzen Einzelstudien nochmal aufrollen und offizielle Gutachter von Berufsgenossenschaft und Sozialgericht dazu zwingen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen. Mit einem entsprechenden gerichtlichen Urteil entstünde dann ja auch noch mal eine klare juristische Aussage zu einem Sachverhalt, der in dieser Form wohl eher selten vor deutschen Gerichten gelandet ist. Ich bin mir durchaus bewusst, dass wir in unserem Rechtssystem keine Präzedenzfälle haben, aber sowas wie Signalwirkung gibt es ja in Deutschland durchaus auch.

 

Nun, unterm Strich finde ich es sinnvoll, dass der Sachverhalt noch mal mit der Taschenlampe beleuchtet wird. Ob es dann am Ende meine (Lebens)Zeit wert gewesen ist, wird sich zeigen.

Kommentare (4)

  1. #1 Thilo
    5. Juni 2019

    Du schreibst, dass es in unserem Rechtssystem keine Präzedenzfälle gäbe. Hat wirklich noch nie jemand, der beruflich mit Strahlen zu tun hatte, seinen Arbeitgeber für spätere Erkrankungen haftbar machen wollen? Oder, wenn das wirklich noch nie vorgekommen sein sollte, wäre das nicht für das Gericht ein Indiz dafür, dass es tatsächlich keinen Zusammenhang gebe?

  2. #2 Sbaraquack d.Ä.
    5. Juni 2019

    Auch bei Erkrankungen , die als Berufskrankheit anerkannt sind, gibt es im einzelfall Schwierigkeiten bei der Anerkennung. Wir haben einen konkreten Fall eines Elektrotechnikers , der sich mit PCB vergiftet hat. Der behandelnde Arzt hat es als Berufskrankheit diagnostiziert. Später war er nicht bereit, bei seiner Meinung zu bleiben, sondern diagnostizierte einen Fall von Alzheimer. Die Schwachstelle ist also, einen Arzt zu finden, der vor Gericht ein Gutachten abgibt.

  3. #3 Tobias Cronert
    5. Juni 2019

    @Thilo: Oh, da habe ich mich falsch ausgedrück. Ich wollte damit sagen, dass in Deutschland das Rechtssystem nicht auf Präzedenzfällen basiert, wie dies z.B. im US Amerikanischen Raum der Fall ist. Sprich ob es schon mal einen solchen Fall gegeben hat ist für einen neuen aktuellen Fall eigentlich ziemlich egal und es wird stets neu entschieden.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass solche Fälle schon öfter vorgekommen sind, aber inwiefern die dokumentiert und einsehbar sind wage ich nicht zu sagen. Ich habe vor den ganzen Prozess hier möglichst transparent zu begleiten um das ganze auch im Internet suchbar zu machen und das gibt es mWn bislang noch nicht.

    @ Sbaraquack d.Ä.: Ich habe den RIESEN Vorteil, dass bei mir die medizinische Komponente wirklich nur nebensächlich ist. Es ist eine bestimmte Art von Leukämie diagnostiziert worden. Das funktioniert über ein genetisches Verfahren und ist absolut unstrittig. Danach haben die Mediziner ihre Schuldigkeit getan und der Rest ist Sache des Strahlenschutzes, also von Physikern, wie mir. Das heißt ich darf die ganze Zeit quasi auf meinem Heimatplatz spielen. Das ist sehr sehr komfortabel.

  4. #4 RPGNo1
    5. Juni 2019

    Nach einer kurzen Beratung mit meinem Chef sind wir beide eigentlich zum gleichen Schluss gekommen… wir können nur gewinnen.

    Das sehe ich anhand der nachfolgenden Begründung genauso.
    *Daumen drück*