Sehr großes, ernsthaftes Problem oder wie man in den Medien sagen würde: SuperGau, alles bereit zur Apokalypse. Mein Stammzellenspender ist nicht mehr da. Während bei mir seit Monaten alles auf die Stammzellenspende hinläuft und wir uns auf die Initiierung des dritten Immunsystems vorbereiten, geht mein letzter verbliebener 10/10 Spender verloren. Von dem Komfort von ganzen 3 kompatiblen 10/10 Spendern nun runter auf… erst mal gar keinen. Das ganze passiert zum Glück in einer Phase, wo alles andere nahezu optimal läuft. DIe erste Phase Blinatumumap ist hervorragend spektakulär gut verlaufen und hat innerhalb von vier Wochen meine Krebszellen von 10^-1, was sogar unter dem Mikroskop sichtbar ist, auf 10^-6 heruntergeprügelt – was gerade noch so an der Nachweisgrenze ist. Also annähernd das beste Ergebnis, was man sich so vorstellen kann.

In der zweiten Runde, in der ich mich jetzt gerade befinde, wird das Verhältnis noch weiter gesenkt. Das findet aber generell leider in einem Bereich statt, in dem die Standardtests nicht mehr messen können. Das heißt, hier fahren wir nun eigentlich nur noch blind. Gleichzeitig hat mein neues Immunsystem aufgehört GvHD-Reaktionen zu produzieren, was ebenfalls eine super Verbesserung ist. Tatsächlich zum ersten Mal (so richtig) nach Transplantation. Daher überlege ich momentan auch wirklich erst mal ganz auf die zweite Stammzellentranplantation zu verzichten und zu gucken, ob mein erstes transplantiertes Immunsystem nicht doch alleine mit dem Krebs fertig wird. Eventuell kann man von dem selben Spender ja noch mal ein paar Stammzellen nachgeben… nur so um es etwas anzuschubsen.

Es ist jetzt zum Glück auch nicht so, dass ich dazu gezwungen wäre, ohne zweite Transplantation auszukommen. Denn mein Bruder steht für eine zweite Transplantation als Spender zur Verfügung. Er ist halt leider nur ein haploider Spender und daher nicht so gut geeignet, aber grundsätzlich funktioniert das auch… und zwar gar nicht mal so schlecht. Also zumindest nach den neuesten wissenschaftlichen Studien in dem Bereich. Ich habe die letzten zwei Tage damit verbracht, mir diese eine Studie https://www.nature.com/articles/s41375-019-0544-3 exzessiv anzuschauen. Die wurde im August 2019 veröffentlicht und ist damit so ziemlich das aktuellste, was da draußen auf dem Markt ist. Sie untersucht 1200 Teilnehmer ab 18 und kommt effektiv zu dem Schluss, dass es keine großen Unterschiede zwischen 10/10, 9/10 oder haploiden Spendern kommt, wenn die Transplantation richtig gemacht wird.

Grundsätzlich gibt es schon Unterschiede – die hapbloide Spende macht z.B. weniger akute GvHd, während die 10/10 Spende besser anwächst – aber diese Unterschiede sind immer noch nur im einstelligen Prozentbereich, was unterm Strich mit so vielen anderen Faktoren kein Grund ist, die Pferde scheu zu machen und irgendwelche großen Entscheidungen von solch kleinen Faktoren abhängig zu machen.

Die Nachricht: „Es gibt keinen Stammzellenspender“ hat mich natürlich erst mal aus der Bahn geworfen und mich dazu gebracht den ganzen Verlauf der letzten zwei Jahre zu überdenken und zu analysieren. Das hat mich aber grundsätzlich nur zu der Erkenntniss gebracht, dass wir einfach nach Chema F gearbeitet haben, was lange erprobt und „die normale“ Vorgehensweise war. Das ist eigentlich ganz gut, weil man sich auf die Ergebnisse verlassen kann, aber leider hat gerade das bei mir nicht zu der erwünschten „Heilung nach 5 Jahren“, sondern zu einem Rückschlag aus dem Rezidiv geführt, das mich auch auf einen weit rückwirkenden Erkenntnisstand zurückgeworfen hat.

Nun sind wir in unkartografiertem Neuland und müssen alle Entscheidungen wesentlich anders abwägen, weil wir eben keine guten Beispiele und Erfahrungen haben, auf die wir uns berufen können. Das heißt für mich aber auch, dass ich persönlich wesentlich mehr das Heft in die Hand nehmen muss, um zu sagen, wie ich es denn haben will, bzw. wo ich meinen Pfad hin entwickelt haben will. Meine Ärzte wollen so schnell wie möglich in die zweite Transplant rein und das war bislang auch eigentlich mein Wunsch. Jetzt, wo ich notgedrungen dazu gekommen bin mich noch mal sehr tief mit den Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten auseinander zu setzen, sehe ich das schon differenzierter und wir müssen wirklich mal in eine harte Diskussion gehen, wohin es denn weiter gehen soll.

Wie schon an anderer Stelle auch erwähnt, ist es durchaus eine Option, ein Rennen gegen die Uhr zu veranstalten, denn die wissenschaftlich Entwicklung ist so rasant, dass durchaus in 2 Jahren eine neue Therapie zur Verfügung stehen kann oder eine bereits existierende nun für mich zugelassen wird. Wie gesagt, wir haben noch einen Menge Optionen, bei denen nur halt nicht ganz so klar (mehr) ist welche jetzt das Beste sein sollte.

Grundsätzlich heißt das natürlich auch, dass sich das Risiko erhöht. Unwissenheit bedeutet immer mehr Risiko, aber wir sind schon so weit vorgeschritten, dass es keine sichere Entscheidung mehr gibt, wir sind in den Badlands.

Kommentare (13)

  1. #1 Tim
    4. Mai 2020

    Das sind sicher sehr schwierige Entscheidungen. Ich schätze, bei den bestehenden großen Unsicherheiten und der dynamischen Entwicklung der Medizin wirst Du aber nicht zu schlechteren Erkenntnissen kommen als die Ärzte.

    Insgesamt sieht es doch aber viel besser aus als noch vor einigen Monaten. Ich erlaube mir mal das Gefühl, etwas erleichtert zu sein, und hoffe, dass das angemessen ist.

  2. #2 Karl-Heinz
    4. Mai 2020

    Ich schließe mich Tim an.
    Drücke ganz fest die Daumen, dass sich deine Wellenfunktion Psi zum Positiven hin entwickelt.

  3. #3 stone1
    4. Mai 2020

    Der Anfang ließ ja Schlimmstes befürchten, insgesamt scheinen aber doch die positiven Nachrichten zu überwiegen. Vielleicht ist ja dann doch keine zweite Transplantation notwendig.
    Wie auch immer weiter verfahren wird, alles Gute und weiterhin gedrückte Daumen.

  4. #4 Chrissi
    4. Mai 2020

    Verstehe ich das richtig?

    Krebszellen-Verminderung durch blina brachte gvh Reaktion in ruhigere Fahrwasser?

    War es vielleicht doch keine versus host sondern versus Leukämie-Reaktion?
    Thema Fahrradkette: hätte man vor der ersten Transplantation so niedrige Werte erzielt, wäre die jetzige Entwicklung eine andere?

    Bekommst du noch Kortison? Dein hübsches Gesicht scheint gerade etwas Wasser zu ziehen 😀

    Dir alles Gute und sorry für die Laien-Fragen 🙂

  5. #5 Chrissi
    4. Mai 2020

    Bzw. wie hoch stehen die Chancen dass beruhigtes zweites Immunsystems plus kaum nachweisbare Krebszellen, vielleicht die Möglichkeit eröffnen, einfach zum nächsten Gastronomen zu pilgern, zwei Schweinshaxen mit Sauerkraut und Holledauer Weiße zu sich zu nehmen und den ganzen Alptraum am nächsten Tag auszupinkeln und dann frohlockend dem post-cancer-life zu fröhnen? 🙂

    Also ohne “nachschiessen” vom ersten Spender

  6. #6 Chrissi
    4. Mai 2020

    Sorry. Das habe ich überlesen. Das überlegst du ja gerade.
    Hmmm aber Alkohol besser lassen, da rastet bspw. mein Immunsystem immer wieder aus. Da kommen Allergien aus frühster Kindheit wieder zu Tage 🙁

  7. #7 Tobias Cronert
    4. Mai 2020

    Die Idee ist halt, das unter dem Blina sich die GvHd zu einer GvLeukämie entwickelt hat, wegen dem Antikörper. Das ist schon etrem komfortabel und nahezu das Optimum. Wenn wir das beibehalten könnten wäre es total super.

    Ich habe schon eine lange lange Liste, was ich noch essen möchte vor der Transplant. Wie gesagt, diesmal bin ich besser vorbereitet 😉
    Corona zieht mir da aber momentan eine guten Strich durch die Rechnung, aber ich habe ja jetzt vielleicht noch was Zeit.

    Bislang stehen Korean BBQ, Peking Ente und Canjun und auch Schweinshaxen bzw. Spanferkel ganz ober auf der Liste … Anregungen werden aber noch angenommen 😉
    Mit dem Alkohol werd ichs aber erst mal sein lassen. Da schwimmt genug dummer Krempel in meinem Blut herum, ach ohne Aufnahme per Nahrung.

    Ach ja, bei der ersten Transplant hatten wir auch so Werte erreicht, aber mit total heftigen Chemos halt, nicht mit dem Blina.

  8. #8 Joseph Kuhn
    4. Mai 2020

    Ich weiß nicht, ob du darüber lachen kannst, aber von der Frisur her sind wir uns gerade ziemlich ähnlich.

    Ich wünsche dir Glück – und dass du deinen Humor nicht verlierst.

  9. #9 Chrissi
    4. Mai 2020

    Also ist eine neue Transplantation unausweichlich? 🙁
    Aber cool das blina so gut wirkt.

    Ziel ist jetzt Schweinshaxe mit deftigem Sauerkraut und Löwensenf 😀
    Auch wenn das Verlangen groß ist, du musst echt warten bis das Tier tot und gar ist 😀

    Weitere Anregungen fehlen mir… Schweinshaxe mit krosser Haut und 2cm Fettschicht ist für mich schon max-level dessen was ich unter deftig verstehe 🙁

    Als Nachspeise Stuten mit Butter und Himbeer-Marmelade.

    Als Magen-Öffner vielleicht ein Rinder-Filet in Pfefferraumsauce.
    Wenn du bis Herbst fertig bist, kannst du ja auch ein paar Steinpilze sammeln und Saucen mässig total ausrasten 😀

  10. #10 Bianca Bischof
    5. Mai 2020

    Interessant, die Wissenschaft hinter dem ganzen. Soll sich dein Körper gefälligst an alles halten 🙂

  11. #11 Chrissi
    5. Mai 2020

    Würde ich ihn persönlich kennen, das bedruckte T-Shirt läge schon bereit.
    Aufschrift: “survived leukemia and all i got is this lousy t-shirt”
    😀

    Hey wir wollen positiv denken 🙂

  12. #12 Tobias Cronert
    5. Mai 2020

    Hihi,

    gute T-shirt Idee … das nehm ich mal als Fernziel *g*

    Ansonsten bin ich haltr durch das Kortison sehr aufgedunsen und Mondgesichtigst mit vielen Wassereinlagerungen und die Haare sind sowieso total … ach hier und da fallen sie halt aus und woanders ind sie total dünn, aber das ist auf der Prioritätenliste echt nebensächlich.

    Aber ich habe direkt schon mal Passfotos gemacht, denn so hässlich werde ich sicher nicht mehr, das muss doch in eine offizielles Dokument rein 😉

  13. #13 Markus
    Rosenheim
    12. Mai 2020

    Servus Tobias,

    bin über eine Frage, die sich aus dem Schauen der Serie Tschernobyl bei mir ergeben hatte (hab nur Pipifax studiert 😉 ) , über Deinen Blog gestolpert und hab Deine (Leidens)Geschichte gelesen.

    Ich drück Dir fest die Daumen und wünsch Dir alles Gute…

    Markus