i-0feacfc72e4f28c9c86b569845e5f3e3-ug.jpgBei den eben zu Ende gegangenen Zeitschriftentagen in Berlin hat sich die Branche durch Rückbesinnung auf ihre journalistischen Wurzeln neu Mut gemacht. Und auch die Medienforschung kann hierzu beitragen, weiss sie doch mittlerweile sehr viel über die Leser von Zeitschriften.

Neben der redaktionellen Schwerpunktsetzung, die das Wesen einer Publikumszeitschrift oder allgemein eines Medienangebots bzw. einer Medienmarke ausmacht, kann die Forschung der Medienanbieter mit medienwissenschaftlichen Modellen aufzeigen, warum sich ein Käufer für einen Titel entscheidet (es kann mittlerweile auch das digitale Angebot für iPhone oder iPad sein), aus welchen Gründen der Leser einen Titel (regelmäßig) nutzt, und wie der Leser mit einzelnen Beiträgen bzw. mit Werbung umgeht.

Voraussetzung hierfür sind psychologische Erwartungen, die Rezipienten in Bezug auf die Nutzung einzelner Titel haben. In diesem Zusammenhang relevant ist auch, inwiefern solche Erwartungen nach einer Nutzung erfüllt oder enttäuscht werden. Schließlich überträgt sich die erfahrene Belohnung auch auf inserierte Anzeigenwerbung, es kommt zu einem „Image-Transfer”.

Beim U&G kommt es darauf an, diejenigen Indikatoren zu identifizieren, die trennscharfe und differenzierende Beschreibungen liefern. Es kommt hierbei nicht in erster Linie darauf an, ob die Medienmarke auf bedrucktem Papier oder als App auf dem IPhone genutzt wird. Der Uses and Gratifications Approach bietet hierzu ein geeignetes theoretisches Fundament, diese Indikatoren zu entwickeln.

Der Grundansatz ist wahrlich nicht neu. Die ersten gratifikationsorientierten Studien entstanden bereits in der Mitte des zurückliegenden Jahrhunderts. Sie bildeten seinerzeit eine Gegenperspektive zur klassischen Wirkungsforschung. Fokussiert wurde nun erstmals der Rezipient selbst und damit die Frage, warum bestimmte Personen bestimmte Medien nutzen, und wie sie davon profitieren. Das Konzept der eskapistischen und kompensatorischen Mediennutzung sollte hierbei oftmals in den Vordergrund rücken, wenngleich auch zunehmend weitere Nutzungs­motive ermittelt wurden.

Da die Nutzungsmotive in der Regel eher abstrakt anmuten, werden sie als Motivdimensionen verstanden, die selbst durch eine Vielzahl von Items repräsentiert werden, die konkreter zu erfassen sind (z. B. kann das Nutzungsmotiv „Information”  durch Items wie „erweitert mein Wis­sen”, „gibt mir Entscheidungshilfen”, „gibt mir einen Überblick über unterschiedliche Meinungen”, etc. dargestellt werden). Große Popularität erlangte die Untersuchung von Denis McQuail, die – mittels einer Faktorenanalyse diverser Items – die Motivdimen­sionen  entertainment“, „integration and social interaction“, „identity” und „information” erbrachte (McQuail, 1983). Projiziert man Zeitschriftengruppen in diese Dimensionen, so zeigen sich die folgenden Ergebnisse (s. Abb.).

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Was ist hier gemacht worden? Auf Grundlage der Studie Typologie der Wünsche des Burda Verlages (jährlich erscheinende Markt-Media-Studie mit ca. 20.000 bevölkerungsrepräsentativ befragten Personen) wurde zunächst über Mediennutzungsfragen wie Zeitschrifteninteressen, sowie allgemeinen Einstellungsfragen und soziodemografischer Merkmale eine faktorielle Verdichtungzu Mediennutzungsdimensionen vorgenommen, die die Kanten- und Eckpunkte des Gratifikationstrapezes charakterisieren. Anschliessend wurden darüber per Clusteranalyse gebildete Verwendergruppen von Zeitschriftenlesern (weitester Leserkreis nach Gattungen) projiziert, wobei Punkte den Ort höchster Verdichtung angeben.

So sind Nachrichtenmagazine Orientierungs- und Hintergrundmedien für all diejenigen, die im beruflichen, ggf. öffentlichen Leben mitreden wollen oder müssen. Folglich sind diese Medien häufig auch Agenda-Setter. Eine andere Agenda, die des sozialen Austausches (“Klatsch”), organisieren die wöchentlichen Boulevard-Magazine. Während 14tägliche oder monatliche Frauenzeitschriften vielfach als identitätsstiftende Angebote genutzt werden, sind wöchentliche Frauenzeitschriften der Ankerpunkt für die (heile) private und überwiegend unterhaltende Gedankenwelt. 

Bei der Betrachtung zeigen sich im Übrigen auch differentielle Effekte im Vergleich der verschiedenen Mediengattungen in ihrer Funktion als Werbeträger.  

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Die universelle Anwendbarkeit der Dimensionen und ihrer einzelnen Bestandteile macht das Modell für die Medienrezeptionsforschung attraktiv. Gerade weil er für (Print-)Medienmarken bislang wenig differenziert ist, bietet der An­satz die Möglichkeit, mehr – und vor allem – Neues und Wichtiges über die Mediennutzung von Medienmarken und den Mediennutzer zu erfahren. In der praktischen Anwendung kann hiermit auch den Mediaplanern ein Instrument zur Unterstützung strategischer Planungsprozesse zur Verfügung gestellt werden.

 

Literatur:

McQuail, Denis (1983): Mass Communication Theory. An Introduction. London

 

Kommentare (2)

  1. #1 HR
    November 20, 2010

    Was bei mir ein größeres Fragezeichen im Kopf hinterlassen hat, ist die Fähigkeit der Erstellerin der Graphik, vier Dimensionen auf einer zweidimensionalen Ebene abzubilden. Entweder hängen die “Dimensionen” also doch zum Teil voneinander ab, dann sollte man sie aber nicht so benennen, oder die Graphik ist irreführend – und das spricht nicht unbedingt für McQuails Darstellung ihrer Arbeit, auch wenn sie inhaltlich sicher fundiert ist.

  2. #2 mip
    Dezember 22, 2010

    In der Tat sollte amn vielleicht besser von Faktoren sprechen (gem. dem dahinterstehenden Verfahren der Faktorenanalyse), da eine statistische Unabhängigkeit nicht unterstellt wird bzw. werden kann. Die “Dimensionen” sind hier daher eher umgangsprachlich zu verstehen.