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Noah Pingree ist Schauspieler in New York. Hunderte von Malen hat er die Bühne betreten und sein Können zum Besten gegeben, er liebt seinen Beruf und hat im Laufe der Jahrzehnte dabei eine gewisse Routine entwickelt. An diesem Tag Anfang September ist es anders – als Noah hinter dem Vorhang auf den Beginn der Vorstellung wartet, lässt er sein gesamtes Leben an sich vorbeiziehen. Als der Vorhang sich langsam wieder lichtet ist Noah im Krankenhaus – er hat kurz vor seinem Auftritt einen Schlaganfall erlitten.

Die Welt, in der Noah aufwacht, hat sich verändert. Sein Körper ist halbseitig gelähmt, er muss das Sprechen neu lernen, er wird vermutlich nie wieder auf der Bühne stehen, er wird von nun an auf fremde Hilfe angewiesen sein. Aber noch mehr hat sich verändert, das Verhalten des Krankenhauspersonals ist eigenartig bedrückt – irgendwas stimmt hier nicht. Während Noah im Koma lag, wurden ganz in seiner Nähe die Türme des World Trade Centers angegriffen – die Stadt steht unter Schock.

Wie aus einem radikalen Umbruch zaghaft etwas neues entstehen kann, beschreibt der US-amerikanische Schriftsteller John Griesemer in seinem teilautobiographischen Roman “Herzschlag”. Die Metapher zwischen Noah, der sein Leben im fremden Körper akzeptieren lernen muss und der erschütterten Stadt hat zwar auf 400 Seiten seine Längen – am Ende angekommen, haben aber sowohl Noah als auch der Leser einiges über Zuversicht gelernt, was ohne die Fülle an kleinen Geschichten aus der Biographie des Schauspielers nicht möglich gewesen wäre.

John Griesemer arbeitete vor der Veröffentlichung seines ersten Romans “Niemand denkt an Grönland” selbst als Schauspieler. Einen Schlaganfall hatte er zwar Gott sei Dank nicht, dennoch lässt sich über eine Umwälzung in seiner Biographie spekulieren – immerhin begann er 2001 auch Bücher zu schreiben. Sein Erstlingswerk “Niemand denkt an Grönland” über ein geheimes Lazarett im Koreakrieg brachte ihm nicht nur in den USA Beachtung ein – auch die nunmal zu dem Zeitpunkt sehr mächtige Elke Heidenreich empfahl den Roman.

Dass “Herzschlag” in den USA noch keinen Verleger gefunden hat, mag daran liegen, dass John Griesemers neues Werk schlichtweg langsamer ist. Noah liegt im Koma und denkt an sein Leben – es gibt keinen Krieg und auch keine Kriegsverletzungen, dafür jedoch eine ausführliche Liebeserklärung an das Theater. Wem dies nicht ganz fremd ist, wird sich leicht in “Herzschlag” wiederfinden.

So überrascht es nicht, dass in Noahs verschiedenen Stationen auch immer wieder Theaterstücke, Bücher und Gedichte eine besondere Rolle für ihn spielen wie für andere etwa die autobiographische Plattensammlung. Besonders Rainer Maria Rilkes “Archaischer Torso Apollos” hat es ihm angetan – und er zieht die ganz wundervolle Parallele, mal wieder zum Theater. Ein gutes Theaterstück, erklärt John Griesemer, erkenne man daran, dass man beim Rausgehen denke “Ich muss mein Leben ändern” (und so endet auch Rilkes Gedicht. Ach, ich mag keine Gedichte zerreissen. Hier also die ganze Version:)

Archaischer Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern

Gerade in den Rückblenden beschreibt John Griesemer Anekdoten aus Noahs Leben oft als Ausschnitte eines Theaterstücks. Es ist gut, dass er nicht beschlossen hat, gleich ein Nur-Drehbuch daraus zu bauen – denn wie der Autor selbst zugesteht, ist es “in einem Roman auch mal gestattet einen Satz einbauen, der nicht völlig umwerfend ist – im Theater darf der Autor sich das nicht leisten.” Macht ja nichts.

John Griesemer: Herzschlag, 25 Euro, Arche Verlag.

Hier gibt es noch mehr Rezensionen.

Kommentare (1)

  1. #1 Florian Freistetter
    April 15, 2009

    Von Griesemer hab ich bis jetzt nur “Rausch” gelesen. Ist etwas zäh – aber auch sehr lehrreich.