Was mich immer wieder aufbaut, sind die Stunden in meinen Lehrveranstaltungen, in denen die Gedanken einer Gruppe zusammenfließen und wir gemeinsam die Welt etwas besser verstehen lernen, auch ich. Das ist erfüllte Lebenszeit, gut und schön selbst ohne jeden äußeren Zweck. Wenn der Flow von Sitzung zu Sitzung wieder entsteht und sich die einzelnen Arbeitsepisoden zu einem zusammenhängenden Weg der Erkenntnis, zum erkennbaren Umriß eines Gesamtbildes fügen, dann gilt mir der Kurs als gelungen.

Deshalb bevorzuge ich Seminare in Halbtagesblöcken, gerne mit Zeitspielraum am Ende jedes Blocks. Oft vergeht am Anfang der Zusammenkunft eine Stunde, bis alle wach und konzentriert bei der Sache sind. Bei der üblichen Sitzungsdauer von anderthalb Zeitstunden dächten die Beteiligten an diesem Punkt schon wieder ans Ende und den nächsten Termin. Allerdings ist die starke Konzentration der Flow-Phase nicht länger als vier oder fünf Stunden ohne Raubbau aufrechtzuerhalten. Ich selbst zumindest habe gelernt, mir nach einer Blocksitzung für den Rest des Tages möglichst freizugeben. Dann bin ich am nächsten Morgen wieder einsatzfähig und dabei voller köstlicher Zufriedenheit über die Arbeit des Vortages.

So habe ich es auch gestern gemacht. Dieses Semester erfülle ich meine Lehrverpflichtung mit dem Seminar »Ethics and sustainable international development«, das ich nachträglich zu Blöcken zusammenziehen konnte, jeweils freitags von acht bis zwölf Uhr. Der Großteil der zehn Teilnehmer ist aus freien Stücken regelmäßig dabei, ohne einen Leistungsnachweis anzustreben. Dazu gehören neben dem Kernpublikum der Landschaftsökologie-Studierenden auch Studierende der Biomathematik, der Politikwissenschaft und ein promovierter Physiker, der sich ehrenamtlich beim Bund für Umwelt und Naturschutz engagiert. Einige der Freiwilligen investieren noch zusätzlich Zeit, indem sie einen der Blöcke in der Vorbereitung oder durch einen Vortrag mitgestalten.

Für mich selbst ist das Seminar eine Chance, meinen eigenen Zugang zum Thema der nachhaltigen Entwicklung zu erweitern. Statt wie der frühere Inhaber der Greifswalder Professur für Umweltethik, Konrad Ott, zunächst auf eine »Idee der Nachhaltigkeit« zu abstrahieren und das Nachdenken anschließend auf die Frage nach einer ethischen »Theorie der Nachhaltigkeit« zu verengen, stelle ich und stellen wir im Seminar das Phänomen und den Begriff der Entwicklung in den Mittelpunkt. Ich habe durch das Seminar mehr über Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und das eigenständige Feld der Entwicklungsethik gelernt, mich aber auch über neuentdecktes Material unmittelbar zum Kernthema gefreut. Dazu gehören schöne Fachartikel wie Oluf Langhelles ethische Interpretation der wegbereitenden UN-Studie Our Common Future, auch bekannt als Brundtland-Report (Artikel leider mit Paywall). Jeffrey D. Sachs’ Buch und Online-Kurs The Age of Sustainable Development nahm ich zunächst als dankenswerte Aufbereitung von Grundinformationen wahr. Im Seminargespräch wurde Sachs’ Darstellung jedoch zunehmend zur Steilvorlage für konzeptionelle und politische Kritik.

Wenn ich die Lehre nicht als selbstzweckhafte Erfahrung genießen und für meine Forschung nutzen könnte, würde mich diese Verpflichtung vermutlich frustrieren. Denn sobald ein sogenannter Nachwuchswissenschaftler erst einmal einige Lehrveranstaltungen im Lebenslauf anführen kann, nimmt der Wert jeder weiteren rapide ab, und die Qualität des Unterrichts spielt ohnehin keine Rolle. Viel Lehrerfahrung kann das Bild auch ins Negativ umschlagen lassen: »Du hast ja einen Schwerpunkt in der Lehre«, mußte ich mir schon sagen lassen. Das hieß: Nicht nur macht der Rest deines Lebenslaufs wenig her, dich disqualifiziert als Karriereforscher auch die Neigung, unprofitable Aufgaben engagiert zu erfüllen. Dafür halten wir uns Lehrkräfte.

Ich löse mich innerhalb der Universität derzeit nach und nach von jeder nicht strikt verpflichtenden Aufgabe und Beteiligung. Denn mein Dienstvertrag läuft zum Ende des bevorstehenden Wintersemesters aus, und mein Vorgesetzer lehnt schon länger jede Absprache über eine Verlängerung ab – die in diesem Fall durchaus möglich wäre. Wegen meiner Kinder bin ich an diesen Standort gebunden. Aber handfeste Solidarität wäre wohl im Fächerspektrum der Ethik zuviel erwartet. Warum es eine Freude sein kann, gemeinsam mit anderen Wissenschaft zu betreiben, habe ich bisher fast ausschließlich in der Lehre erlebt.

Kommentare (3)

  1. #1 Cornelia S. Gliem
    10. Juni 2018

    Ja – diese Dynamik dieses “ganze ist mehr als summe der teile” einer gemeinsamen Diskussion (=was im Idealfall dem entspricht was die Alten Symposium nannten), kann herrlich sein (ganz zu schweigen von konkreten ergebnissen).

    Und – dass unis uns viele Professoren vergessen zu haben scheinen, was vena legendi eigentlich bedeutet 🙂

  2. #2 Rene Grothmann
    10. Juni 2018

    Und die anderen Dozenten streichen für Ihr Blockseminar die Vorlesung?

    • #3 Philipp P. Thapa
      10. Juni 2018

      In diesem Fall stimmen die Stundenpläne der Teilnehmer soweit überein, daß wir den wöchentlichen Seminartermin ohne regelmäßigen Konflikt mit anderen Veranstaltungen auf den ganzen Vormittag ausdehnen konnten.

      Sie sprechen zurecht an, daß wir damit einen eher seltenen Glücksfall erleben. Leider ist es im Regelfall tatsächlich schwierig, Blocktermine zu machen, wenn die Stundenpläne insgesamt auf den wöchentlichen Rhythmus angelegt sind. Das mindert nicht die Vorzüge des Blockunterrichts, sondern wirft aus meiner Sicht eher die Frage auf, wie der Unterricht an Hochschulen organisiert sein kann und soll.