Willkommen in Ludmilas Kochstudio. Heute: Wir kochen uns eine grobe Erdatmosphäre. (Und ja, ich verwende Formeln! Und Mathe! Igitt 🙂 )

Dafür brauchen wir – wie ich finde – erstaunlich wenig. Wir werden uns dabei an das Rezept von Held-Suarez-Modell (1) halten. Dieses wurde 1994 von Isaac Held und Max Suarez als “Test” eingeführt wurde, um verschiedene Computerprogramme, die das Erdklima berechnen, miteinander vergleichen zu können, ohne von Details verwirrt oder abgelenkt zu werden.

Das Rezept von Held und Suarez lautet dabei wie folgt:

Zutatenliste:

1. Wie nehmen “einfach” die Navier-Stokes-Strömungsgleichung für ein kompressibles elektrisch neutrales Medium, v ist Geschwindigkeit des Flusses, p ist der Druck, F sind die Kräfte und die Pfeile zeigen, dass das Ganze in den 3 Raumdimensionen stattfindet. Das auf dem Kopf stehende Dreieck ist der Gradient, der uns anzeigt, wie sehr sich eine bestimmte Größe ändert, wenn wir in x-, y- oder z-Richtung gehen.

Auf der linken Seite der Gleichung finden wir dann einen Term, der die Geschwindigkeitsänderung einer Strömung beschreibt, was ich etwas detaillierter hier dargestellt habe:

Ok es hilft nichts, hier muss ich bereits einen kleinen Exkurs einlegen:
Haha! “Einfach”. Guter Witz! Also ne, ernsthaft; so verführerisch einfach die Gleichungen auf den ersten Blick aussehen mögen, die Navier-Stokes-Gleichungen sind – selbst ohne so zusätzliche Schweinereien wie Interaktionen mit magnetischen und elektrischen Feldern – mathematisch immer sehr anspruchsvoll.

In der Regel gibt es keine analytische Lösung, so dass wir nicht darum herum kommen, a) je nach Anwendung einige vereinfachende Annahmen zu Hilfe zu nehmen und selbst dann muss b) das Ganze numerisch – also näherungsweise mit stupider Rechenpower – berechnet werden. Wenn wir denn das Glück haben, dass die Berechnung in einer Zeit konvergiert, die unser Computer auch zu leisten vermag. Weder das eine noch das andere ist immer sicher (wenn ich das jetzt halbwegs durchschaut habe).

Zum Glück gibt es frei verfügbare Programme, die wir für unser Rezept zunächst als Black-Box verwenden können, ohne uns Gedanken machen zu müssen, wie das jetzt numerisch-programmtechnisch im Einzelnen funktioniert. Ich hab hier das MITgcm verwendet. Das ist Open-Source, recht gut dokumentiert und es gibt eine recht gute Support-Gruppe.

Das ist das Gute an Wissenschaft. Jede kann sich, wenn sie es denn unbedingt will, beliebig tief in die Grundmaterie einarbeiten und den Code bis auf die Grundmauern auseinander nehmen und verbessern. Aber wenn es um die reine Anwendung geht und hinterher etwas heraus kommt, das Sinn ergibt, dann vertraue ich zuerst einmal darauf, dass da Generationen von Mathematikern/Meteorologen/Informatiker/Physiker etc. darüber geschaut haben. Besonders vertrauend erweckend finde ich es, wenn das Programm als solches auch ständig angewandt und verbessert wird.

Seht es doch mal so: Wenn wir als Wissenschaftler ständig das Rad neu erfinden müssten, dann hätten wir eine wachsende Anzahl ganz besonders toller Räder, aber wir kämen nie dazu ein Auto oder gar ein Flugzeug zu bauen. Wir sind nun mal alle mit begrenzter Lebensdauer ausgestattet. Ganz abgesehen davon, je nach Anwendung ist es nun wirklich schnuppe, ob mein Rad nun zu 90% einem perfekten Kreis entspricht oder zu 99% oder gar zu 99,9%. Einige Leute mögen das unbefriedigend finden, aber denen empfehle ich immer wieder gerne Isaac Asimov’s Klassiker von 1989: The Relativity of wrong. Ich sollte es mir echt angewöhnen, ein paar Kopien des Essays zu diversen Veranstaltungen mitzunehmen. Ach ja und jede sollte mit dem Prinzip von Fermi-Abschätzungen vertraut sein.

Ok, wo waren wir? Ach ja, bei unserem Rezept und da bei den Navier-Stokes-Gleichungen.

2.  Wir vereinfachen die Gleichungen, weil wir von Atmosphären wissen, dass mit zunehmender Höhe der Luftdruck geringer wird. Genauer gesagt wissen wir, dass der Zusammenhang zwischen Druck und Höhe dem hydrostatischen Gleichgewicht genügt.

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Kommentare (18)

  1. #1 MartinB
    Dezember 6, 2012

    Ganz großes Kino – bei den Formelerklärungen habe ich mich gekringelt.

  2. #2 Lars Fischer
    Dezember 6, 2012

    Sehr schöner Artikel, der kommt gleich mal in unseren Newsletter.
    Allerdings meinst du in der Überschrift bestimmt Taufliege, nicht Fruchtfliege. *duck*

  3. #3 Ludmila Carone
    Dezember 6, 2012

    @MartinB Schön, dass es gefällt.
    @Lars: Taufliege? Zumindest bei der Wiki steht, dass ich die Viecher auch Fruchtfliegen nennen darf. Ich geb aber zu, dass ich einfach das englische Wort übersetzt hab, ohne mir groß Gedanken zu machen, ob das Viech auf Deutsch auch so heißt. Das kann natürlich böse in’s Auge gehen und sollte ich für die Zukunft auf jeden Fall abklären.

  4. #4 Quantom
    Dezember 6, 2012

    Super geschrieben.
    Bitte ein weiteres Rezept aus deinem Kochstudio 😀

    Mach weiter so!

  5. #5 rolak
    Dezember 6, 2012

    Zur weiteren Vertiefung werde ich mir diesen post morgen nochmal in aller Ruhe zu Gemüte führen {müssen}, doch nach dem ersten Durchlesen und -klicken kann ich mich MartinBs Meinung nur anschließen:

    Um Dich selber zu zitieren: Tres chic!

  6. #6 wereatheist
    Berlin
    Dezember 6, 2012

    Très chic, en verité 🙂
    Trotzdem bischen nitpicken: es sind nicht 192 x 20, also
    6 x 32 x 20 Zellen, sondern 6 x 32 x 32 x 20 Zellen.

  7. #7 wereatheist
    Dezember 6, 2012

    Und wie geht ´köcheln´? (Link würd allemal reichen)

  8. #8 rolak
    Dezember 6, 2012
  9. #9 Ludmila Carone
    Dezember 7, 2012

    @wereatheist https://mitgcm.org/public/r2_manual/latest/online_documents/node30.html Das ist das entsprechende Kapitel im MITgcm-Handbuch.
    Kurz: Zeitliche Integration mit der Adam-Basforth-Methode
    räumliche Integration mit der finiten Volumen-Methode. Dabei Verwendung des Arakawa-C-Grids, um festzulegen wo zu welchemn Zeitschritt welche Größe berechnet wird.
    Dann gibt es da aber noch einen fiesen nichtlinearen Teil, der – wenn ich das so halbwegs durchschaut habe – durch die Integration der Kontinuitätsgleichung innerhalb der Randbedingungen entsteht, der auf ne Art und Weise gelöst wird, die ich noch gar nicht verstanden habe. Aber das wird sich sicherlich irgendwann ergeben, wenn ich noch tiefer in die Materie einsteige.

  10. #10 wereatheist
    Dezember 7, 2012

    @rolak: haha!
    @Ludmila: mille grazie!

  11. #11 Alderamin
    Dezember 9, 2012

    @Ludmila

    Sehr schön, wie das Modell all die atmosphärischen Effekte hervorbringt, die wir von der Erde kennen.

    Funktioniert Dein Kochrezept eigentlich auch auf dem Jupiter? Evtl. mit der zusätzlichen Zutat eines inneren Wärmeflusses? Die Entstehung der horizontalen, teils gegenläufigen Wolkenbänder ist doch m.W.n. bisher noch nicht völlig geklärt (wobei ich darüber schon lange nichts mehr gelesen habe, vielleicht hänge ich dem aktuellen Wissen da 10 Jahre nach).

  12. #12 Alderamin
    Dezember 9, 2012

    @Ludmila

    Hm, bei Dir hängt meine andere Mail-Adresse wohl auch im Spam-Filter. Was habe ich da bloß böses verbrochen, dass mich Science Blogs überall aussperrt?

    Die Frage war, ob das Modell auch die Jupiter-Atmosphäre modellieren kann, wenn man aufsteigene Wärme und schnelle Rotation mit einbezieht. Ob sich dann die typischen gegenläufigen Streifenzonen ausbilden würden.

  13. #13 Ludmila Carone
    Dezember 9, 2012

    @Alderamin: Bei mir ist das System sowieso noch extra stark eingestellt und schiebt fast jeden in die Moderation. Ich hoffe, das legt sich, wenn ich was aktiver bin.

    Bezüglich Jupiter: Das ist eine gute Frage und wird mich sicherlich auch noch beschäftigen. Aber wenn ich die Rotation hochschraube, zerfällt die Atmosphäre bereits in verschiedene streifenförmige Zellen. Zusätzlicher Wärmefluss dafür gar nicht vonnöten.

  14. #14 Alderamin
    Dezember 9, 2012

    Danke, dann freue ich mich schon auf den zugehörigen Artikel 🙂

  15. #15 fj
    https://blog.effjot.net/
    Februar 16, 2013

    Das ist toll, wie ein relativ einfaches Modell die großskaligen Strömungsmuster erzeugen kann. Wie lange rechnete das Modell (mit welcher Hardware) für die 1200 Tage?

    Das Konvektionsvideo ist auch großartig. Der Prof. erinnert mich irgendwie an Doc Brown. Fehlt nur noch, daß er uns zeigt, was er entdeckt hatte, als er im Klo ausrutschte und sich den Kopf anschlug. Great Scott! 😉

  16. #16 Ludmila Carone
    Februar 17, 2013

    @fj Wenn ich das auf 6CPUs parallel (jeweils 2,4 GHz) rechne, dauert es etwa 12 Stunden.

  17. #17 fj
    https://blog.effjot.net
    Februar 25, 2013

    Oha, das ist doch noch einiges. Ich hatte gehofft, daß wäre was zum „rumspielen“. Aber selbst ohne Wasser scheint das alles noch viel zu rechenaufwendig zu sein. 🙁

  18. #18 Ludmila Carone
    Februar 26, 2013

    @fj Andererseits, laueft das Modell auf einem Dektop-Computer. Halt mit 8-CPU core. Da ist mensch mit 1500 Euro schon dabei 🙂 Will sagen, fuer engagierte Laien oder/ und Schulen ist das bereits durchaus bezahlbar. Die Schule braeuchte im Grunde nur 1-2 solcher Rechner und die Ergebnisse koennen dann wieder auf rechenschwaecheren Rechnern ausgewertet werden.

    In ein paar Jahren koennte das Beispiel auch auf Standard-Rechnern laufen, wenn die Rechenpower weiterhin nach oben geht.