Leider fallen immer wieder Leute auf die, “das einsame Genie zeigt es dem verkalkten Establishment”-Geschichte herein. Es gibt sicherlich tausende, die dem Paten der Wissenschaft ‘widerlegen’ möchten – was gut und billig ist, schließlich ist der Mann Jahrzehnte tot und kann sich nicht wehren. Sie sehen dabei leider nicht, dass Ihr eigentlicher Gegner weder eine tote Berühmtheit, noch das wissenschaftliche Establishment ist, sondern die Wirklichkeit selbst.

Das scheint mir überhaupt ein Kardinal-Problem des ‘Pans narrans’ zu sein: Der Geschichten-erzählende Affen – also wir –  zieht eine gute Story der Wirklichkeit in der Regel vor –  und nimmt sich dabei selbst so unglaublich wichtig. Wie meinte ich noch oben: “Wir sind die Tollsten und Schönsten bla bla bla” Dabei ist die Welt hinter den Geschichten dank Citizen Science inzwischen auch für jeden erreichbar. Es war noch nie so leicht wie heute, Wissenschaft zu seinem Hobby zu machen. Im Niederländischen gibt es die schöne Redewendung “al doende leert men“: Nur wer etwas damit tut, kann es auch wirklich begreifen. Ich bin sowieso absolut dafür, in Schulen ständig kleine Studien durchführen zu lassen. Kinder sind aufgrund ihrer natürlichen Neugierde perfekte kleine WissenschaftlerInnen.

Allerdings verstehe ich schon, dass nicht jeder soviel Mühe darauf verwenden will. Und auch das Lesen und Bewerten von Studien ist für den normalen Laien einfach zu viel verlangt. Die Arbeiten sind auf Englisch verfasst, dazu kommt die so genannte ‘Paywall’, die dafür sorgt, dass viele Fachaufsätze gar nicht erst von jedermann gelesen werden können. Deswegen braucht es Wissenschafts-Übersetzer. Fachjournalisten, die das Ganze einordnen. Man lässt ja auch keinen Wirtschaftsjournalisten ein wichtiges Fußballspiel kommentieren, der noch nicht mal die Spielregeln kennt. Leider passiert aber genau das oft genug in der Presse- und Medienlandschaft. Man liest einen Artikel von jemandem, der einfach nicht versteht, wie “Wissenschaft” funktioniert. Wir bloggenden WissenschaftlerInnen dagegen können dem Prozess Wissenschaft ein menschliches Gesicht geben und hoffentlich ein wenig zeigen, was es im Alltag bedeutet. Oder aus unserer Perspektive eingreifen.

Weitere nette Beiträge zum Thema:

Tooth fairy science‘ aber auch Englisch.
Carl Sagans productivity kit.  (auch Englisch).
Florian hatte letztens einen schönen Beitrag geschrieben. Internet-Diskussionen bringen nichts.
Ein anderer Florian Jörg produziert unter diewahrheit.at auch immer schöne Videos zu dem Thema.
———
(1) Sir Terry Pratchett (seufz) einer der lustigsten und scharfsinnigsten Humanisten, die je gelebt haben. So long, Terry…

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Kommentare (8)

  1. #1 rolak
    April 24, 2015

    Ein anderer Florian

    welcher?

    Völlig unabhängig davon ein schöner Stoßseufzer-Appell.

  2. #2 Ludmila Carone
    April 24, 2015

    @rolak: Oh ja, hab ich den Namen falsch abgelegt. Ups.

  3. #3 Pilot Pirx
    April 26, 2015

    “Ich bin sowieso absolut dafür, in Schulen ständig kleine Studien durchführen zu lassen…”
    Das war zu meiner Schulzeit in der DDR keine Seltenheit.
    Wir haben z.B. mit unser AG Biologie jahrelang an der Erfassung des Pflanzenbestandes in einem bestimmten Gebiet teilgenommen. War DDR-weit, da waren tausende Schüler unterwegs .
    Und “Sternschnuppen” haben die Jungen Radioamateure gezählt mit ihren KW-Geräten.
    Mit selbstgebastelten Antennen und Empfängern oftmals.
    Auch das hab ich mitgemacht.
    Wenn da ein Doktor von der Humboldtuni zur AG kommt und und erzählt, wozu man das braucht und warum das wichtig ist und dass die Wissenschaftler das mit den Pflanzen ohne unsere Hilfe nicht hinbekommen, kommt man sich als Fünftklässler doch schon etwas wichtig vor und gibt sich Mühe… 🙂

  4. #4 LasurCyan
    April 26, 2015

    Sehr schöner Artikel, deshalb auch vielen Dank!

    ein schöner Stoßseufzer-Appell.

    Das trifft es formidabel, rolak.

    Das war zu meiner Schulzeit in der DDR keine Seltenheit.

    So würde ich das auch sehen, Pirx (der Lemsche ‘Pirx’ war seinerzeit (nebenbei getuschelt) mein HauptHeld, OT,..sorry). Eine Aufgabe in einer AG damals, war herauszufinden, ob die ‘BauernRegeln, wie Eisheilige etc.’ belegbar sind. Ich weiss nicht mehr, woher die WetterDaten stammten, aber nach der Auswertung selbiger, nunja, passte das unerwarteterweise auf einmal – zu den Regeln der Bauern. Sehr irritierend und wichtig diese Erkenntnis für mich war^^

  5. #5 Ludmila Carone
    April 27, 2015

    @Pilot Pirx, LasurCyan,
    Schön zu hören, dass Ihr so viel Spaß dabei hattet. Schade, soviel Interaktion zwischen Wissenschaftlerinnen und Schulen war zu meiner Schulzeit im Westen nicht. Auch wenn die DDR-Schiene vermutlich aus der Not geboren war, da haben wir im Westen eindeutig den “Zug” verpasst. Aber er kommt so langsam an’s Rollen mit Kinder-Uni und anderen Aktionen. Ist mir persönlich aber immer noch viel zu wenig.

    Waren die AGs verpflichtend für alle? So wie ich die kannte, traf es dann wieder “nur” die wenigen, die sich sowieso schon für das Thema interessieren. Wir leben allerdings in einer so hochtechnisierten Welt und die wissenschaftliche Methode ist zu wichtig, zum einordnen von Risiken, um es als Randthema für Interessierte abzuhandeln. Weniger Fakten auswendig lernen lassen und mehr “Selbst tun und selbst lernen” – unter Aufsicht von jemandem, der die wissenschaftliche Methode auch wirklich versteht. Das würde ich auch nicht bei jedem NatMat-Lehrer vorausgesetzt wissen. Wir kriegen es ja schon teilweise an der Uni nicht beigebracht. Es wird stillschweigend vorausgesetzt, was ich persönlich für einen Riesenfehler halte.

  6. #6 LasurCyan
    April 27, 2015

    Waren die AGs verpflichtend für alle?

    Vermutlich ja, bin mir aber nicht sicher, Ludmila. Die von mir erwähnte AG war eine AstronomieAG, die erweiternd auf den AstronomieUnterricht der 9.Klasse aufbaute. Da bin ich, definitiv freiwillig, als DrittKlässler reingerutscht, dh. mein Vater hat mich dorthin geschleppt, weil ihm die Antworten auf die bohrenden Fragen des Knaben ausgingen. Was für ein Glück, das war für mich die Vertreibung in das Paradies. Die AG hatte auf dem Dach eine Plattform mit festen Stativen für die Refraktoren, zwei Fotolabore und einen Lehrer, der fachübergreifend Begeisterung verbreiten konnte. Als Zugabe gab es sogar noch ein Planetarium. Eigentlich fehlte zum vollständigen Glück nur noch ein anständiges Raumschiff^^

  7. #7 rolak
    April 27, 2015

    “Selbst tun und selbst lernen” – unter Aufsicht

    Das war¹ bei mir extrem lehrerabhängig, konkret: Zwei haben es gemacht, der Rest nicht. Irgendwo auch verständlich, war es doch eine rein freiwillige und bis auf strahlende Augen unvergütete Zusatzleistung. Die Zeit, die Vorbereitung, ggfs Kontakte knüpfen + Spezialisten einladen, alles.
    Ein bißchen innerhalb der Schulstunden, doch hauptsächlich außerhalb, ob nun in AGs oder Exkursionen, für uns Schüler beides ebenfalls rein freiwillig.

    _____
    ¹ die 70er waren meine GymnasialZeit

  8. #8 Uli
    August 4, 2015

    Sucht mal auf Youtube nach “Brady Haran”.

    Dann schaut euch z.B. die “Deep Sky Videos” an.

    Und dann fragt euch, warum es so jemanden in Deutschland nicht gibt.