Zur Erinnerung an den gestern (gestern gemeldet) letzte Woche verstorbenen Physik-Nobelpreisträger Peter Grünberg stelle ich hier nochmal zwei Beiträge in einem online, in denen ich mich 2007 (damals noch in der “wir”-Form) mit dem kuriosen Phänomen auseinandersetzte, dass nicht so recht klar war (ist?) wie denn nun das Phänomen genau heißt und vor allem geschrieben wird, das Grünberg entdeckt und für das er und  Albert Fert 2007 den Nobelpreis verliehen wurde. Damals hatte uns die Pressestelle des Forschungszentrums Jülich noch mitgeteilt, dass sie auch noch eine Antwort von Grünberg persönlich bekommen wollten, die sie uns dann schicken wollten …

Der Rsnmgnt(o)wdrstnd oder wie heißt der Effekt?

Okay, wir sind Nobelpreisträger, nur wo mit genau eigentlich? Während in der Chemie mehr eine Lebensgesamtleistung gekrönt wurde, gab es in Physik den Preis für die Entdeckung eines Effekts. Nur, welchen Effekts genau? Exakt hier tauchen wir in ein Problem ein, dass es gibt, seit Deutsch keine Wissenschaftssprache mehr ist.

Das dies schon lange nicht mehr so ist, ist besonders bedauerlich für deutschsprachige Wissenschaftsjournalisten, so wie uns und alle unsere Kollegen, die jetzt ständig damit konfrontiert werden, Effekte, die in der aktuellen Wissenschaftssprache Englisch benannt werden, ins Deutsche zu übersetzen.

Wie also heißt der Effekt, denn die Nobelpreisträger Grünberg und Fert entdeckt haben:

Der Giant Magntoresistance Effect, kurz GMR effect.

Genau. Und auf deutsch? Wir konnten es nicht genau sagen und haben mal bei den Kollegen nachgesehen, wie die das Problem lösten – mit einem etwas verwirrenden Ergebnis.

Schauen Sie mal im Folgenden (und achten Sie insbesondere auf die Verteilung der Bindestriche und die Verwendung des Buchstaben o):

Focus.de: Riesenmagnet-Effekt
stern.de: Riesenmagneto-Widerstand oder Riesenmagnetowiderstand (dpa)
Spiegel Online: Riesenmagnto-Widerstandseffekt
sueddeutsche.de: Riesenmagnetwiderstand, aber gerne auch GMR-Effekt.

faz.net: Riesenmagnetwiderstand, aber auch Riesenmagnet-Widerstand.
Zeit.de: Riesenmagnet-Widerstand, aber auch GMR-Effekt

Standard.at: Riesen-Magnetowiderstand (GMR-Effekt)
NZZ online: Riesen-Magneto-Widerstander (wobei uns nicht klar ist, ob das ‘er’ am ‘Widerstand’ ein Fehler ist oder gewollt.)

Bild.de: Riesenmagnetowiderstand
ARD.de (BR): Riesen-Magnet-Widerstand, aber auch Riesenmagneto-Widerstand
ARD.de (WDR): Riesenmagneto-Widerstandseffekt
ZDF.de (heute): Riesenmagnetowiderstand

Wikipedia: GMR-Effekt (dt. Riesen-Magnetowiderstand)

Tja, schwierig, wir wussten es auch nicht und hofften auf Hilfe aus einem Fachbuch. Zufällig haben wir Zugriff auf einen unterarmdicken Sammelband des 30. Ferienkurses des Instituts für Festkörperforschung 1999, Magnetische Schichtsysteme, der am FZ Jülich vom 1. bis 12. März durchgeführt wurde, also praktisch an der Geburtsstätte (zumindest der deutschen Entdeckung). Selbst Nobelpreisträger Fert und natürlich Herr Grünberg hatten daran teilgenommen.

Also sozusagen eine Premiumquelle.

Und wie heißt es dort? Zum Beispiel im Beitrag von einem Herrn Mertig von der TU Dresden.
Titel: Theorie des Magnetowiderstandes
Kapitel: Giant MagnetoResistance.

“Abschließend möchten wir noch den SUPERMAGNETWIDERSTAND (…) diskutieren …”

In einem anderen Beitrag von Forschern aus Bielefeld heißt es: Riesenmagnetowiderstand.

Im Beitrag von Herrn Grünberg selbst taucht das Wort nicht ein einziges Mal auf (Klar, er hatte ihn ja schon 1986 entdeckt, man forscht ja weiter.)

Und der letzte Test: Die Website des FZ-Jülich.

In der Pressemitteilung: Riesenmagnetowiderstands – oder GMR-Effekt.

Auf der Mitarbeiterliste (Herr Grünberg hat, weil emiritiert, keine eigene Homepage wie aktuelle Mitarbeiter): Riesenmagnetowiderstand

Fazit: Es ist nicht leicht oder Deutsch wäre besser mal Wissenschaftssprache geblieben.
Unsere Anfrage an das Forschungszentrum Jülich angesichts der Probleme deutschsprachiger Medien mit der Übertragung des englischen giant magnetoresistance ins Deutsche.

Hier die Antwort von Kosta Schinarakis aus der Pressestelle des FZ Jülich:

Peter Grünbergs letzter Artikel zu dem Thema spricht vom
Riesenmagnetowiderstand
und
Riesenmagnetowiderstandseffekt
je nach dem, was gemeint ist.

Siehe https://www.pro-physik.de/Phy/pjtoc/25753/3

Dies ist auch die Übersetzung laut Langenscheidt:
giant magnetoresistance (GMR) ? Riesenmagnetowiderstand m (GMR)
VDI; gigantischer Magnetowiderstand m VDI

(In einem Interview kam die Frage auch auf: Da gab sich Peter Grünberg aber tolerant: Riesenmagnetowiderstand oder Riesenmagnetwiderstand (ohne o) war ihm gleich lieb).

Er hat uns versprochen, die Anfrage an Herrn Grünberg weiter zu leiten. Die werde aber sicher ein wenig auf sich warten lassen, da Herr Grünberg derzeit in Skandinavien weilt …

Durch einen der Kommentare zu unserem Ursprungsartikel, erfuhren wir auch, dass das “o” ein ganz besonderes “o” ist, nämlich ein Fugenlaut, in dem Fall also ein Fugen-“o”:

Der liebe Kollege Hockeystick meinte dazu:

Das zungenfreundliche Fugen-o findet sich durchaus auch außerhalb der Physik, so etwa in der Blog-o-sphäre oder in den Anch-o-vis. Zu letzteren möchte ich die einschlägige Fachliteratur zitieren:

“Hier lernen Sie unter der fachlichen Anleitung von Prof. Dr. phil Padó zum Beispiel, wie sich das Wort Anchovis morphologisch aus dem Wort Fisch herleiten lässt: “Fisch” lässt sich zerlegen in die zwei Morpheme “Fis-ch”. Hier erkennt das geübte Auge sofort das verkürzte Zirkumfix “Fis”, das noch gut in der alten Form “Fis-ch-fis” zu sehen ist. Dieses Wort trat nachweislich auch mit dem Allomorph “vis” (“Fis-ch-vis”) auf. Seit 1860 (Romatik, Wagner) ist zudem die enharmonische Verschiebung von “Fis” nach “As” ein häufig beobachtetes Phänomen, was sich mit der seit dem 14. Jahrhundert nur noch im niederfränkischen nachweisbaren Nebenform”As-ch-vis” belegen lässt, bzw mit der später durch Epenthese abgewandelten Form “An-ch-vis”. Aus Ausspracheerleichterungsgründen lässt sich schon früh ein Fugen-o nachweisen (vergleiche die ähnliche Bildung: “Radio-o-orchester”), wodurch das Wort “Anchovis” in seiner heute bekannten Form entstand.”

Kommentare (6)

  1. #1 Mars
    10. April 2018

    wäre Grünberg am 31.03 gestorben und der beitrag ein tag später veröffentlicht …
    … ach ich wär sicher drauf reingefallen.

  2. #2 Marcus Anhäuser
    10. April 2018

    Ja, das war schon ein wenig skuril damals. Ob das immer noch so Probleme bereitet, müsste man mal nachschauen – wenn Zeit ist. Falls sich jemand berufen fühlt, die entsprechenden Medien zu checken? oder wir machen hier eine Sammlung auf. Jeder ein Medium.

  3. #3 rolak
    10. April 2018

    2007

    Hatte sich damals die wenn-es-denn-sein-muß-Übersetzung ‘Magnetoresistiver Effekt‘ noch nicht eingebürgert? Fände ich erstaunlich.
    Die bewahrt ja nicht nur das Akronym, sondern auch noch den erschrockenen Leser vor der Mehrdeutigkeit ‘Widerstand gegen Magnete bzw Magnetfelder’ und dem gemeinten ‘Magnetfeld wirkt auf Widerstandswert’.

  4. #4 Marcus Anhäuser
    10. April 2018

    Wie sollte sich ‘resistiv’ einbürgern, viel zu widerspenstig ;-). Ich höre und lese den Begriff gerade zum ersten Mal.

  5. #5 rolak
    10. April 2018

    ?einbürgern

    Wie üblich, Antrag stellen.
    Eingedudent ists ja bereits, Marcus, wenn auch imho ziemlich restriktiv.

  6. #6 Karl Mistelberger
    11. April 2018

    Barry Marshall erhielt einen Nobelpreis für den Nachweis, dass Helicobacter-pylori-Bakterien die Ursache für die meisten Magengeschwüre sind. Manche seiner Patienten haben mit dem lateinischen Namen Schwierigkeiten. Marshall ist tolerant. Seine Patienten dürfen auch Helicopter sagen:

    https://www.mediatheque.lindau-nobel.org/videos/33641/2014-man-helicobacter