Wir haben ja hier auf ScienceBlogs eine Serie über den Nobelpreis und seinen Träger. Es handelt sich um ein Langzeitprojekt, bei dem alle (noch lebenden) Preisträger porträtiert und unter anderem zu einer Art Pirelli Kalender für Intellektuelle zusammengefasst werden sollen. Ich selbst kann jetzt so direkt nicht viel mit einem Kalender mit Nobelpreis-Trägern anfangen, aber Gott, wer bin ich schon. In La Recherche, dem grössten französischen Wissenschafts-Journal, welches sich an ein breites Publikum wendet, gab es letzten Monat ein Nobelpreis-Spezial, wobei ich dort einen Artikel über die dunkle Seite des Planeten Nobel besonders interessant fand.
Hier hatte ich schon einmal meine Überzeugung kundgetan, dass Wissenschaftler ein ganz normales « Produkt » ihrer Gesellschaft sind, mit allen Stärken und Schwächen. Das zeigt sich in der Tat auch auf Nobelpreis-Niveau und La Recherche gab einige überraschende und einige den meisten hier bekannte Beispiele.

i-0e9c71676e0be28de292f610b97fda91-Fritz Haber.jpg

Fritz Haber, 2ter von links, bei der Vorbereitung eines Giftgasangriffs.

Bekannt ist sicher die Rolle, die Fritz Haber im ersten Weltkrieg bei der Entwicklung und Organisation der deutschen Giftgas-Produktion hatte. Er selbst war massgeblich an der industriellen Produktion von Senfgas (oder Yperite wie es die Franzosen nach der Schlacht bei Ypres, in der es erstmals zum Einsatz kam, nennen) beteiligt. Sein Nationalismus war bis zum Kriegsende ungebrochen, ja er plante sogar für die Zeit nach dem Krieg seine waffentechnischen Arbeiten am damaligen Kaiser Wilhelm Institut fortzuführen. Doch trotz alledem und obwohl er offiziell auf die Liste der deutschen Kriegsverbrecher von den Alliierten gesetzt wurde, wurde ihm 1918 zum Kriegsende der Nobelpreis für Chemie unter anderen für die Entwicklung der Ammoniak-Synthese im sogenannten Haber-Bosch Verfahren verliehen. Den Zeitpunkt der Nobelpreisvergabe an ihn kann man wohl nur als etwas unglücklich bezeichnen.

i-875c18dec855fd81795718740994f546-Lorenz_and_Tinbergen.jpg

Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen. Zitat Lorenz 1938: Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist

Doch die Liste der Nobelpreis-Träger mit fragwürdigen Ansichten und fragwürdigen sonstigen Meriten ist noch deutlich länger. Konrad Lorenz, Alexis Carrel oder Charles Richet (alle Medizin Nobelpreis) haben deutlich rassistische Ansichten vertreten und sich für eine eliminatorische Eugenik eingesetzt. Doch nicht nur bei den Medizinern ist’s bisweilen zappenduster, auch bei den Physikern und Biologen gibt’s genug böse Überraschungen. William Shockley (Nobelpreis für Physik für seine Beteiligung an der Transistorentwicklung) hat sich mit rassistischen Äusserungen zur Intelligenz der « Schwarzen » hervorgetan und zur Hebung der allgemeinen Intelligenz seine Spermien der Nachwelt schockgefrieren lassen (das erinnert schon ziemlich stark an die Figur des General Ripper in Dr. Strangelove).
Bekannt sind sicher auch die anti-semitischen Ausbrüche der beiden deutschen Experimentalphysiker und Nobelpreisträgern Philipp Lenard und Johannes Stark, die sich im Kampf um Macht und Posten aufs Engste an den Nationalsozialismus anschmiegten.
Und doch und doch, schaut man in das Testament Alfred Nobels (was natürlich nicht ich, sondern La Recherche getan hat), dann wird darin ausdrücklich betont, dass mit diesem Preis nicht die allgemeine Persönlichkeit ausgezeichnet werden sollte, sondern die singuläre Entdeckung und ihr Entdecker. Wäre es nämlich so, dass das allgemein Gute, Schöne und Geniale ausgezeichnet würde, hätte Richard Feynman und Albert Einstein sicher jeder 5 Nobelpreise abräumen müssen. Von daher habe ich keinerlei Probleme mit einem Physik Nobelpreis für jemanden, mit dessen politischen oder sonstigen Vorstellungen ich nun nicht gerade übereinstimme. Von den oben genannten hätte ich wahrscheinlich nur Haber seinen Preis nicht gegeben, und zwar hauptsächlich weil er zum Zeitpunkt der Übergabe als Kriegsverbrecher aufgelistet war.
Eine andere Frage ist natürlich, ob das Kommitee sich jemals schon richtig verhauen hat und den Preis für fragwürdige, gefälschte oder falsch interpretierte Experimente vergeben hat. Allgemein gelten da wohl nur zwei Preise als etwas verdächtig, eine sehr gute Quote, die wohl hauptsächlich daher rührt, dass man in Stockholm gern ein paar Dekaden ins Land ziehen lässt, um sicher zu gehen, dass man da nicht aufs falsche Pferd gesetzt hat. Diese Strategie liess ja dann auch Donald Cram (Chemie Nobelpreis 1987) sagen, dass die wichtigste Eigenschaft eines Nobelpreisträgers seine Langlebigkeit ist.
Zurück zu den beiden Nobelflops : die beiden etwas verdächtigen Preise sind beide in der Medizin vergeben worden und zwar einmal 1927 an Johannes Fibiger, der wohl meinte die erste durch externe Infektion (Fadenwürmer) verursachte Form von Krebs gefunden zu haben. Sein Versuchsanalyse aber übersah, dass die karzinogen gepuschten Ratten ausser an der Fadenwürmer-Infektion auch an Vitamin A Mangel litten. Der zweite Fall ist der des Portigiesen Antonio Moniz, der erste der « erfolgreich » Lobotomien (also die Trennung des Cortex vom Thalamus) im Falle schwerer Psychose einsetzte.

i-e7a246be1633c0fec4a8177a7a05eca1-moniz.jpg

Antonio Caetano de Abreu Freire Egas Moniz: “for his discovery of the therapeutic value of leucotomy in certain psychoses”

Allein das Resultat der Operation war häufig schlimmer als die ursprüngliche Erkrankung. 50.000 Lobotomie Operationen wurden danach bis in die 60er Jahre durchgeführt, eine Vereinigung der Familien der Opfer dieser Behandlungsweise forderte energisch die Aberkennung des Preises an Moniz.

Nun ja und meine ganz persönliche Entäuschung unter den Nobelpreisträgern ist sicher Ivar Giaever (1973, Physik Nobelpreis für Tunneleffekte in Supraleitern), der sich mehrmals bei Diskussionen als « Klimaskeptiker » betätigte. Keine Schande und nicht weiter tragisch. Nur seine Argumente sind dabei so offensichtlich aus dem Internet zusammengegoogelt und so ohne eigene Überlegung, die meinethalben auch falsch sein kann, aber doch wenigstens neu und originell und irgendwie “Nobel-like” sein sollte, dass ich schon ziemlich enttäuscht war. So oder so, alles nur allzu menschlich und vertraut, vertrauter und näher als es das schwedische Zeremonie und der Fan-Klub der Nobelpreisträger in Lindau es vielleicht manchmal erscheinen lassen.

PS. Und zum Schluss mein Nobel Lieblingsvideo. Das Nobel Banquet im Zeitraffer, entweder hier oder direkt für den Realplayer.

Kommentare (25)

  1. #1 Müller
    November 25, 2008

    @Hoffmann

    Wieder so ein Artikel, der unterteste Schublade ist. Ich würde nie, nie, einen „Nachruf“ auf Personen schreiben, die ich nicht gekannt habe. Das sollte man den Historikern überlassen, am besten denen, welche die Zeit noch miterlebt haben.

    Ivar Giaever (als noch lebenden Klimakritiker) in eine Reihe mit den Verstorbenen und moralischen und ethisch angreifbaren Preisträger zu stellen ist unter aller Würde.

    Wieder mal wird aus dem Hinterhalt geschossen, Verstorbene werden als Opfer gesucht und dazu benutzt um Kausalketten zu spinnen.

    Niedertracht und Neid schwingen beim Lesen des Beitrages mit. Das hinterlässt mehr als einen negativen Nachgeschmack.

  2. #2 Stefan
    November 25, 2008

    Niedertracht und Neid …

    Beim Lesen? Ach was – Sie meinen wohl eher beim Schreiben, wenn man sich in Ihre Hirnwindungen versetzt?

  3. #3 Georg Hoffmann
    November 25, 2008

    @Mueller
    Das letzte Mal, dass du einen Text verstanden hast, muss in deinem persoenlichen Neolithikum irgendwann zwischen Grundschule und Baumschule stattgefunden haben. Wie meistens weiss ich nichtmals wovon du in deinem eigenartigen Deutsch gerne reden moechtest (dass du es nicht tust, steht ausser Frage).
    Nur soviel, ich finde es sogar ausgesprochen wichtig, dass man ueber die Vergangenheit und ihre Akteure urteilt. Es ist fast die Standardverteidigung unserer Eltern- und Grosseltern-Generation: Ihr haettet es nicht anders gemacht. Darum geht es nicht. Es geht darum , was man haette machen sollen, legt man die moralischen Standards an, denen man genuegen moechte. Anyhow, um all das geht es mir in dem Post ueberhaupt nicht. Ich habe lediglich einen La Recherche Artikel paraphrasiert, den ich interessant fand und der schoen zeigt, dass Wissenschaftler eben die gleichen Macken, Vorurteile, Staerken, Grausamkeiten etc zeigen, wie es ihre Zeitgenossen tun. Ich habe auch nicht ansatzweise versucht, jemandem einen Nachruf zu schreiben (haette aber keine Probleme damit, dies nach Beschaeftigung mit einer Biographie zu tun) und ueber Lorenz liesse sich sicher mehr sagen, als dass er zu einem Zeitpunkt seines Lebens ein ueberzeugter Nazi war. Das war er aber eben.
    Giaever ist eine Enttaeuschung, weil er nicht originell ist und sofort klar ist, dass er nicht ueber das Thema wirklich nachgedacht hat. Er erzaehlt ein Zeug nach, was selbst du geschrieben haben koenntest. Und das ist natuerlich wirklich zu wenig.

  4. #4 Ludmila
    November 26, 2008

    Schöne Sache der Artikel. Auch die dunklen Seiten so manchen großen Geistes darf man nicht verschweigen. Leider scheinen einige Nobelpreisträger in den späten Lebensjahren irgendwie abzudriften.

    Behe ist IDler. Pauling hatte es irgendwie mit dem Vitamin C.

    Manche sprechen sogar von der Nobelkrankheit.

    Ach, und wenn man Fritz Haber erwähnst, müsste man im gleichen Atemzug Clara Immerwahr erwähnen. Diese Frau war mit ihren Ansichten ihrer Zeit weit voraus und ist daran tragischerweise und an dem Wirken ihres Mannes zugrunde gegangen.

  5. #5 TSK
    November 26, 2008

    Die “Guten, Schönen und Genialen” Einstein und Feynman ? Na ja. Einstein war laut seinen bekannten Kindern, Eduard und Hans Albert, ein Scheißvater und deren Beziehung war zeitlebens gestört. Feyman (den ich selber sehr schätze) hat am Manhattan Projekt gearbeitet und sich nicht gegen den Einsatz der Atombombe gegen zivile Ziele ausgesprochen.

    Das sind Sachen, die man selbst bei persönlicher Sympathie schwer unter dem Gesichtspunkt “gut” subsumieren kann. Wenn man sich wirklich genau umschaut, gibt es kaum bekannte Nobelpreisträger, an denen man keinen schwarzen Fleck und keine fragwürdigen Entscheidungen erkennen kann. Ich wäre da also *sehr vorsichtig* , jemanden mit dem Etikett “gut” auszuzeichnen.

  6. #6 Wolfgang
    November 26, 2008

    Da fehlt noch ein Nobelpreisträger mit verhängnisvoller Vergangenheit:

    Gajdusek- der Kuru Forscher. Details hier:

    https://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=8672011&top=SPIEGEL

  7. #7 sil
    November 26, 2008

    Da gibts dann auch noch den PCR-Entwickler und späteren AIDS-Virus-Leugner Kary Mullis.
    https://www.virusmyth.com/aids/index/kmullis.htm

  8. #8 Georg Hoffmann
    November 26, 2008

    @sil,Wolfgang, Ludmilla
    Heavy stuff, kannte ich ueberhaupt noch nicht (ausser Pauling).
    @TSK
    Na und “schoen” waren sie auch nicht. Mit der Formulierung “das Gute, Schoene und (normalerweise) Wahre” benutze ich den Ausdruck des Humanistischen Menschenideals (Kalokagathia), das, da hast natuerlich recht, nie stimmt. Ich wollte hauptsaechlich sagen, dass der Nobel-Preis kein Preis fuer Kalokagathia ist, selbst wenn Einstein oder Feynman wahrscheinlich praegend fuer eine ganze Physiker-Generation waren und sie eben nicht “nur” etwas tolles gefunden haben, dafuer haben sie (laut Nobel-Regeln) den Preis nicht erhalten. Und letztlich meine ich auch, dass das ganz gut so ist, denn was Gut und Schoen und Wahr ist, darueber laesst sich naemlich streiten. Zu seiner Zeit wurde Haber sicher selbst von den Alliierten nicht so gesehen, wie wir ihn heute sehen.

    PS Ich halte die Mitarbeit am Manhattan Projekt fuer vertretbar (die Bedrohung, dass NAZI Deutschland das Gleiche tun koennte, war reell angesichts der fueherenden Rolle Deutschlands in der Physik zu dieser Zeit). Feynman Position zum spaeteren EInsatz der A Bombe wuerde mich interessieren. Hast du da was?

  9. #9 Müller
    November 26, 2008

    Lieber Georg

    Wenn dir “dissen” wichtiger ist als Aufklärung, dann wechseln sie die Branche und werde Rap-Musiker. Bei denen gehört das zum Geschäft.

    Die Kommentare hier im Blog zielen in die selbe Richtung. Dissen von Nobelpreisträgern.

    P.S.:

    “Es ist fast die Standardverteidigung unserer Eltern- und Grosseltern-Generation: Ihr haettet es nicht anders gemacht.”

    Meiner nicht. Die waren nicht in der NSDAP und keine Nazis.

    “Es geht darum , was man haette machen sollen, legt man die moralischen Standards an, denen man genuegen moechte.”

    Das nenne ich Klugscheißen. Frag mal meine Nichte und meinen Neffen. Die haben einen Vortrag in der Schule (von Opfern/Zeitzeugen der NS-Zeit gehört) und meinen sie wären auch im Widerstand gewesen. Klar doch.

    “Anyhow, um all das geht es mir in dem Post ueberhaupt nicht.”

    Warum spricht du es dann an? Bist du da vorbelastet?

    “Ich habe lediglich einen La Recherche Artikel paraphrasiert, den ich interessant fand und der schoen zeigt, dass Wissenschaftler eben die gleichen Macken, Vorurteile, Staerken, Grausamkeiten etc zeigen, wie es ihre Zeitgenossen tun.”

    Nennt sich auch Boulevardjournalismus, oder im Dreck wühlen.

    “Ich habe auch nicht ansatzweise versucht, jemandem einen Nachruf zu schreiben (haette aber keine Probleme damit, dies nach Beschaeftigung mit einer Biographie zu tun) …”

    Das glaube ich dir gerne. Fang am besten mit Fred Singer an, wenn der nicht mehr lebt.

    “… und ueber Lorenz liesse sich sicher mehr sagen, als dass er zu einem Zeitpunkt seines Lebens ein ueberzeugter Nazi war. Das war er aber eben.”

    Günther Grass war auch ein Nazi und sogar in der Waffen-SS. Kommt der jetzt auch auf deine Liste?

    “Giaever ist eine Enttaeuschung, weil er nicht originell ist und sofort klar ist, dass er nicht ueber das Thema wirklich nachgedacht hat. Er erzaehlt ein Zeug nach, was selbst du geschrieben haben koenntest.”

    Danke, ich fühle mich geehrt.

  10. #10 Müller
    November 26, 2008

    P.S.

    Es gibt rund 800 Nobelpreisträger.

    “Die dunkle Seite des Planet Nobel” sollen die gezeigten Beispiele darstellen?

    Da sind wir bei ca. 1% der Nobelpreisträger. Wirklich dunkel. Ich frage mich, kann sich Schellnhuber mit diesen dunklen Gesselen noch zeigen und schmücken?

  11. #11 ali
    November 26, 2008

    “Meister Müller, he, heran!

    Mahl Er das, so schnell er kann!”

    Hier kann man sie noch erblicken

    Fein geschroten und in Stücken.

    (Wilhelm Busch, “Max und Moritz”)

    Was für den Müller von Busch bei Max und Moritz galt, beschreibt Blogmüllers Arbeit hier auch nicht schlecht. Mass, Höflichkeit, Anstand und Vernunft, ‘fein geschroten und in Stücken’…

  12. #12 TSK
    November 26, 2008

    ————
    Ich halte die Mitarbeit am Manhattan Projekt fuer vertretbar (die Bedrohung, dass NAZI Deutschland das Gleiche tun koennte, war reell angesichts der fueherenden Rolle Deutschlands in der Physik zu dieser Zeit).
    ———–

    Ich kann das Buch “Heller als tausend Sonnen” empfehlen. Jedoch wurde Heisenbergs Behauptung, die Deutschen hätten nicht wirklich das Interesse gehabt, die Bombe zu bauen und er hätte das versucht, bei einem Gespräch mit Bohr durchblicken zu lassen, vom letzteren kühl verneint. Es war jedoch den Geheimdiensten bekannt, dass die Deutschen nicht weitergekommen sind, was man bequemerweise “vergaß”, den Leuten in Los Alamos zu erzählen.
    Feynman schreibt im “Surely you are joking/ Sie belieben zu scherzen” am Ende des Kapitels “Los Alamos from below”, dass die Physiker mit Ausnahme von Wilson unbekümmert den gelungenen Test gefeiert haben. Wilson sagte, dass sie etwas Entsetzliches geschaffen haben. Feynman hatte dann, als er nach Cornell zurückkehrte und Bauarbeiten beobachtete, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit ? Warum sich anstrengen und etwas Neues bauen, wenn es doch so leicht zerstört werden kann ?
    Andere haben es nicht so leicht genommen. Leo Szilard, der die eigentliche Idee von der Atombombe hatte und zeitlebens dann gegen Ihren Einsatz gekämpft hat (der Franck Report ist von ihm initiiert worden), gab Physik auf und wurde Molekularbiologe. Oppenheimer, vorher ein Befürworter und Unterzeichner der Stellungnahme des “Scientific Panel”, machte eine 180° Kehrtwendung, was ihn unbequem machte und schließlich zum Ausschluss führte.

    @Müller:
    ————
    Ich würde nie, nie, einen „Nachruf“ auf Personen schreiben, die ich nicht gekannt habe.
    ———–
    Da das offensichtlich als empfehlenswertes Verhalten propagiert wird, stelle ich mir gerade vor, was passieren würde, wenn sich alle Leute daran halten würden: Die Geschichtsbücher wären leer. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass du Hoffmann nicht persönlich kennst, was dich aber nicht daran hindert, eine Beurteilung über ihn abzugeben (“Niedertracht und Neid”).

    Frage: Was dir auf die Nüsse zu gehen scheint, ist:

    – wenn man die Fehler anderer Leute dazu benutzt, um sich selbst moralisch
    aufzuwerten und damit Urteile über sich abgibt, die sehr zweifelhaft
    sind (Ich hätte das nicht gemacht. Ich bin ein besserer Mensch. Ich hätte
    gekämpft/wäre auf die Straße gegangen).
    – “De mortius nil nilsi bene”. Verstorbene dürfen nicht kritisiert werden, weil sie sich
    dann nicht mehr wehren können. Negative Sachen dürfen überhaupt nicht erwähnt
    werden, weil sich das nicht gehört.

    Ist das korrekt ?

  13. #13 Georg Hoffmann
    November 26, 2008

    @TSK
    “Feynman hatte dann, als er nach Cornell zurückkehrte und Bauarbeiten beobachtete, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit ? Warum sich anstrengen und etwas Neues bauen, wenn es doch so leicht zerstört werden kann ?”
    Na, so richtig enthusiastisch hoert sich das aber nicht an, oder? Ich habe die beiden Buecher, von denen du schreibst, auch gelesen. An eine Zustimmung Feynmanns zum Bombenabwurf kann ich mich nicht erinnern. Das ist aber schon lange her.

    “Es war jedoch den Geheimdiensten bekannt, dass die Deutschen nicht weitergekommen sind, was man bequemerweise “vergaß”, den Leuten in Los Alamos zu erzählen.”
    Das interessiert mich. Wo hast du das her?
    Mich ueberrascht das insofern, dass auch Leuten wie Weizaecker keineswegs klar war, wie weit sie es noch bis zu einer Bomben haetten. Wie konnte dann der US Geheimdienst zu einer so klaren Aussage kommen?

  14. #14 Ludmila
    November 26, 2008

    Hmm, gab es da nicht kurz nach der deutschen Kapitulation im 2. Weltkrieg die Aktion, dass die deutschen Forscher des Atomprogramms vom britischen (?) Geheimdienst gefangen genommen und heimlich abgehört wurden, um mal rauszufinden, wie weit die mit ihrem Atomprogramm wirklich waren? Und dass sich erst da rausstellte, dass die eigentlich meilenweit weg von jedem Erfolg waren?

    Ich glaub, in so einer Zeit da herrschte soviel Chaos und Unsicherheit. Hinterher wird sich immer jemand finden lassen, der es besser wusste oder es stellt sich heraus, dass wichtige Infos oft aus Nachlässigkeit oder wegen einem dummen Zufall versickerten.

  15. #15 Müller
    November 26, 2008

    Das ist hier ja wie Akte-X.

  16. #16 TSK
    November 26, 2008

    Nein, keine Akte X. Die Briten waren in der Lage, das gesamte deutsche Heerfunknetz lückenlos abzuhören, weil die Enigma geknackt war (Unternehmen Ultra). In dem Fall
    ist es eine Kleinigkeit herauszufinden, inwieweit der Gegner Planungen zu einer neuen Waffe in Erwägung zieht. Schließlich kann man von Luft und Liebe keine Waffen bauen und die Amerikaner hatten durch Los Alamos unter bestmöglichen Bedingungen eine klare Vorstellung davon, welch ein logistischer Aufwand zu bewältigen ist. Das ließe sich unmöglich geheimhalten und da es auf deutscher Seite nichts dementsprechendes gab, war sich der Geheimdienst hinreichend sicher, dass kein ernstzunehmendes Atomprogramm existierte.

    Was Feynman angeht, Szilard hatte mehrere Petitionen vorbereitet (Franck Report, Oak Ridge Petition) und alle Leute, die er kannte, um Ihre Unterstützung und deren Unterschrift gebeten. Auf der anderen Seite hat Oppenheimer unter Leitung des Scientific Panel eine entgegengesetzte Stellungnahme veröffentlicht. Feynman’s Name taucht weder auf der einen noch auf der anderen Liste auf. Ich finde Feynman’s Beschreibung nicht enthusiastisch, aber doch ziemlich zynisch (Soll die Welt doch untergehen, kann man doch nicht verhindern). Ignorieren (der Mehrheit) hat im Falle
    der Nazis viele Verbrechen erst möglich gemacht.

  17. #17 Georg Hoffmann
    November 27, 2008

    @TSK
    Hmm, nicht ueberzeugt. ENIGMA war nur das Kommunikationssystem der deutschen U-Boote, viele andere Codes waren nicht geknackt (Simon Singh). Ferner war nicht klar ob Zentrifugen der einzige Weg war um genuegend spaltbares Material zusammen zukriegen. Auf jeden Falls hatten die Deutschen 42 den ersten Atommeiler gebaut und das war, soweit ich weiss, den Alliierten auch nicht bekannt.
    So oder so, halte ich es fuer voellig gerechtfertigt, dass ein amerikanischer Jude am Manhattan-Projekt mitgearbeitet hat und ich waere sogar fuer ihren EInsatz gegen NAZI Deutschland gewesen, wenn es (ganz wichtig) KEINE andere Moeglichkeit gegeben haette es zu besiegen und Ausschwitz zu stoppen.

  18. #18 TSK
    November 28, 2008

    ———-
    ENIGMA war nur das Kommunikationssystem der deutschen U-Boote, viele andere Codes waren nicht geknackt (Simon Singh).
    ———

    Das ist völlig falsch. Simon Singh beschreibt sogar selbst in dem Buch “Geheime Botschaften” genau, dass die Enigma vom deutschen Heer und der Reichsbahn gekauft und verwendet wurde (S. 178). Es wäre ja auch ziemlich sinnlos, wenn der polnische
    Hauptmann Ciezki (S. 180) Mathematiker anstellt, um die U-Boote auf den Weltmeeren zu verfolgen. Auf Seite 198 sieht man sogar ein Photo von Guderian zusammen mit der Heeresenigma. Auch die Lorenzmaschine war geknackt worden. Es gab damit keine weitverbreitete Verschlüsselung mehr, die sicher war.
    Ein paar Anmerkungen später

  19. #19 TSK
    November 29, 2008

    Sorry für das “völlig falsch” anstatt “nicht ganz richtig”, ich war ziemlich gereizt, weil ich Simon Singh nachgeschlagen habe und dann auch erwarte, dass jemand die Quelle
    nachgeschlagen hat.

    —————-
    Ferner war nicht klar ob Zentrifugen der einzige Weg war um genuegend spaltbares Material zusammen zukriegen
    —————
    Doch, das war klar. Da Isotope chemisch identisches Verhalten zeigen, muss man physikalische Verfahren benutzen und Gaszentrifugen sind die damals (und auch heute noch) einzig rationellen Verfahren, um genug Masse am spaltbaren Material zu bekommen. Ein Atommeiler ist was völlig anderes als eine Bombe: Wenn es zur Kritikalität kommt, dann schmilzt der Scheiß einfach weg anstatt zu explodieren.

    —————
    So oder so, halte ich es fuer voellig gerechtfertigt, dass ein amerikanischer Jude am Manhattan-Projekt mitgearbeitet hat
    —————
    Das kann man noch verstehen, ja.

    ——————
    und ich waere sogar fuer ihren EInsatz gegen NAZI Deutschland gewesen, wenn es (ganz wichtig) KEINE andere Moeglichkeit gegeben haette es zu besiegen und Ausschwitz zu stoppen.
    ——————
    Aber die moralische Frage ging nicht um Deutschland, das inzwischen kapituliert hatte. Es ging um Japan und um die Frage, wie man mit der Bombe umgehen sollte. Szilard hat ganz klar deutlich gemacht, dass vor einem eventuellen Einsatz eine Demonstration stattfinden sollte und er hatte andere darum gebeten, mitzuunterschreiben. Feynman hat sich darum gedrückt.
    Und Auschwitz war den Allierten scheißegal. Es gab schon Mitte 1944 allierte Luftaufnahmen vom KZ, die belegen, dass die Allierten die Schienenstränge hätten bombardieren können, wenn sie gewollt hätten, um die Todesmaschinerie zu verlangsamen. Sie haben es aber nicht getan.

  20. #20 Jane
    Dezember 1, 2008

    “Es war jedoch den Geheimdiensten bekannt, dass die Deutschen nicht weitergekommen sind”

    Ja, wenn das so einfach wäre. Selbst wenn man Funksprüche entziffern kann, dann hat man immer noch das Problem, dass man aus diesen Unmengen von Informationen, die natürlich auch falsch sein können (absichtlich oder unabsichtlich), sinnvolle Erkenntnisse generieren muss.

    “Und Auschwitz war den Allierten scheißegal. ” So, so und was genau wollen Sie und damit sagen?
    Außerdem war Hitler Vegatarier und Tierfreund und Himmler Esoterik- und Astrologie-Freak. Nur mal so nebenbei.

    Jetzt hätte ich als Nicht-Biologin noch eine Frage zu Lorenz: Ich habe als Kind voller Begeisterung seine Bücher gelesen und wollte dann auch “Tierforscherin” werden. Meine Tante (Dr. biol) beendete diese Phase abrupt, in dem sie mir mitteilte, Lorenz habe sich den ganzen kitschigen Schmu eh nur ausgedacht, heute würde das keiner mehr ernst nehmen. So wurde eine vielleicht hoffnungsvolle Karriere im Keim erstickt….Im Ernst: Sind Lorenz Forschungen heute überhaupt noch relevant, außer als Beispiel dafür, wie man es möglichst nicht machen soll?
    Würde mich einfach interessieren.

  21. #21 Georg Hoffmann
    Dezember 1, 2008

    @Jane

    Ich befuerchte, fuer profunde Auskuenfte zu Lorenz bist du bei mir an der falschen Stelle (Hilferuf an unsere Biologen hier). Sein Hauptansatz war sicher, Verhalten in aenhlicher Weise evolutif zu beurteilen, wie sonstige “tierische” Eigenschaften (wie langer Hals oder schnelle Beine). Das bleibt nach wie vor aktuell. Sein deutscher Wiki-Eintrag ist auch sehr gut geschrieben.
    Ansonsten ist sicher seine Mischung aus Kulturpessimismus, Sozialdarwinismus und rassisch durschtraenkten Vorstellungen einer “Naturgesellschaft” einerseits und spaeter seine anti-technische Haltung und Gruenen-Naehe andererseits, recht typisch fuer seine Generation deutsch/oesterreichischer Wissenschaftler.

  22. #22 Jane
    Dezember 1, 2008

    Uuups, ich bin hier ja im “Klima-Blog”. Trotzdem Danke für die Antwort. 😉

  23. #23 TSK
    Dezember 1, 2008

    ———-
    Selbst wenn man Funksprüche entziffern kann, dann hat man immer noch das Problem, dass man aus diesen Unmengen von Informationen, die natürlich auch falsch sein können (absichtlich oder unabsichtlich), sinnvolle Erkenntnisse generieren muss.
    ———-

    Nach “Hinsley, British Intelligence in the Second World War” wurden August 1943
    84 000 Nachrichten pro Monat entziffert. Bletchley Park, die Entzifferungsstätte, wurde von mehreren tausend (bis Kriegsende 9000) Personen bewohnt.

    ———-
    So, so und was genau wollen Sie und damit sagen?
    ———-
    Sorry für den Zynismus. Ich will damit sagen, dass moralische Ziele bei der Planung der Allierten praktisch keine Rolle spielten und man als jüdischer Emigrant nur hoffen konnte, das Nazideutschland schnell unterging. Es wäre schön, wenn man mich berichtigen würde, aber ich bezweifle, dass irgendjemand von den Allierten die Hand gerührt hätte, wenn Hitler die Konzentrationslager ohne Krieg eingeführt hätte. Das war auch der Hauptgrund für den Zionismus: die Erfahrung, auf sich alleine gestellt zu sein.

  24. #24 Jane
    Dezember 1, 2008

    @TSK: “84 000 Nachrichten ” Eben, und das alleine in Bletchley Park. Und die Mehrheit war unwichtiger oder falscher Mist. Wen interessiert schon, ob U-96 die Rollmöpse ausgegangen sind.

    “Das war auch der Hauptgrund für den Zionismus: die Erfahrung, auf sich alleine gestellt zu sein.”

    Ja, da sind wir einer Meinung. Le Chaim Israel.

  25. #25 Ulrich
    Dezember 3, 2008

    @ Ludmila:
    Leider scheinen einige Nobelpreisträger in den späten Lebensjahren irgendwie abzudriften. Behe ist IDler. Pauling hatte es irgendwie mit dem Vitamin C.

    Um Gottes Willen, Michael Behe ist doch kein Nobelpreisträger!

    Meine persönliche Ergänzung für die Liste ist Brian Josephson. Nicht böse, aber leider total in den Schwachsinn abgedriftet: Parapsychologie, Telepathie, Kalte Fusion, Homöopathie. Sein Brief an Barack Obama sagt alles – erster link auf https://www.tcm.phy.cam.ac.uk/~bdj10/