Von meiner Gartenbewässerung gehen natürlich keine ungewöhnlichen Gefahren aus. Wenn man den EHS-Prozess ernst nimmt, kann man aber zwei potentielle Gefahrenquellen identifizieren: Eine Druckerhöhungspumpe (also eine Maschine) und unter Druck stehendes Wasser. Beides in diesem Fall nicht allzu wild – haben viele daheim. In einer Chemieanlage hat man aber häufig mit anderen Stoffen als Wasser zu tun, von denen dann ganz andere Gefahren ausgehen.

2. Das Risiko abschätzen

Wenn man glaubt, alle potentiellen Gefahrenquellen identifiziert zu haben, überlegt man, auf welche Weise der unsichere Zustand eintreten kann. Man entwickelt Szenarien und bewertet sie in Bezug auf Schadensausmaß und Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit. Insbesondere muss man unterscheiden, ob es nur zu wirtschaftlichem oder auch Personenschaden kommen kann. Wirtschaftlicher Schaden ist eine Frage der Abwägung von Kosten. Personenschaden muss mit allen Mitteln so unwahrscheinlich gemacht werden wie möglich – da gibt es keine Diskussion. Je größer der potentielle Schade und je wahrscheinlicher sein Eintreten, desto aufwändiger werden die Gegenmaßnahmen.

Ein Schadensszenario für meine Anlage könnte sein:

Leckage in der Druckseite der P100, Druckschalter schaltet Pumpe unplanmäßig ein. Infolge dessen Wassereinbruch im Anbau mit Benetzung umstehender Personen, Beschädigung von Boden, Wänden und Inventar. Bei längerer Dauer Gefahr der Überflutung des Anbaus. Erheblicher Wirtschatflicher Schaden.

Risiko wird eingeschätzt mit 10.000 € Sachschaden durchschnittlich alle 20 Jahre[3].

In diesen paar Zeilen steckt viel Information. Meine Pumpe schaltet sich automatisch ein, wenn man den Han aufdreht, weil dann der Druck auf ihrer Druckseite sinkt. So funktionieren viele Gartenpumpen. Wenn jetzt an irgendeiner Stelle ein Rohr platzt oder ein Riss sich bildet, dann würde sie sich ebenfalls einschalten und so lange fördern, wie sie kann. Das wäre natürlich völlig unprogrammgemäß. In diesem Fall hätte ich nur mit wirtschaftlichem Schaden in evtl. großer Höhe zu rechnen. Der Schadensfall kommt nicht sehr häufig vor, aber der Schaden wäre groß – deswegen ist auch das Risiko nicht gerade klein. Ich sollte also schon etwas tun – ich muss aber nicht!

Würde meine Gartenpumpe unter sonst gleichen Bedingungen siedende Salpetersäure fördern, wäre das Risiko ein ganz anderes: Wasser macht nur nass, Salpetersäure tut richtig weh. Den Tod von Menschen ohne Gegenmaßnahmen in kauf zu nehmen ist nicht akzeptabel – in diesem Fall muss man etwas tun.

3. Gegenmaßnahmen festlegen

Gegenmaßnahmen dienen der Risikoreduktion. Durch sie will man das Risiko auf ein annehmbares Maß senken. Es ist eine Binsenweisheit, dass absolute Sicherheit nicht möglich ist. Risikomanagement ist ein Geschäft voller Unwägbarkeiten, ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und Was-Wäre-Wenn-Situationen. Das schlägt sich in der Fachsprache wieder. Was genau annehmbar heißt, schneit nicht vom Himmel. Sterbliche Menschen müssen darüber entscheiden. Sie berufen sich dabei auf Erfahrungswerte und bewährte Praxis – und sind sich bei jedem Schritt darüber bewusst, dass sie das Risiko nur reduzieren, aber nicht aus der Welt schaffen können.

Während des EHS-Prozesses legt man oft keine detaillierten Gegenmaßnahmen fest, sondern bestimmt für jedes Szenario die Qualität, die die Gegenmaßnahme mindestens haben muss. Ausgedrückt wird diese durch den Risikoreduktionsfaktor.

Wenn die Risikoabschätzung aber z.B. wie oben ergibt, dass alle 20 Jahre mit einem Sachschaden von 10.000 € zu rechnen ist, dann ist das in meinen Augen ein bisschen zu hoch, um annehmbar zu sein. Als einziges Mitglied des EHS-Teams entscheide ich, dass ich mit einem Risiko von 100 € Schaden alle 20 Jahre bzw. 10.000 € alle 2.000 Jahre sehr viel besser leben kann, also die Gegenmaßnahme einen Risikoreduktionsfaktor von 100 bringen muss. Jetzt kann ich entweder Maßnahmen ergreifen, um das Schadensausmaß zu reduzieren oder, um die Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit zu senken.

4. Die Maßnahmen umsetzen

Da nur mit wirtschaftlichem Schaden zu rechnen ist, darf die Risikoreduktion natürlich nicht sehr viel kosten.

Ich rüste meine Pumpe mit einem Grenzwertgeber aus, der detektiert, wenn Wasser aus dem Fußboden steht. So was gibt’s für 50 € zu kaufen. Das ist schon mal was anderes als 10.000 €. Das ist eine Maßnahme der Funktionalen Sicherheit: Ich überwache die Anlage kontinuierlich und schalte sie notfalls aus.

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Kommentare (2)

  1. #1 artlan
    13. Juni 2017

    Ich habe nun bereits seit gut 25 Jahren mit HSE in verschiedensten Unternehmen und Dienstleistern zu tun, aber die Acronymen EHS, HES rsp SHE sind mir eigentlich nur in deutschsprachigen Suchergebnissen – Ausnahmen bestätigen die Regel 😉 – im Internet bzw in wikipedia untergekommen.
    Aber vielleicht bin ich nicht gnaz up to date und die Bezeichnung HSE gilt in den Unternehmensberatungen mittlerweile als zu abgedroschen 😉

  2. #2 Oliver Gabath
    15. Juni 2017

    Kann durchaus sein, dass nur im deutschen Sprachraum EHS etc. benutzt wird – ich werd mal die Kollegen in Amerika fragen^^