Nachdem wir uns überlegt haben, was Risiko eigentlich ist und aus welchen Szenarien sich welche Risiken für unsere Beispielanlage ergeben, wollen wir eines davon näher betrachten und Maßnahmen entwickeln, das konkrete Risiko auf einen für uns akzeptablen Wert zu senken. Erinnern wir uns an die Definition aus Teil 1:

Risiko ist das Produkt aus Schadensausmaß und Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit

Dieses Risiko entsteht, weil wir z.B. Technik einsetzen, die uns großen Nutzen bringt, aber mit spezifischen Gefahren versehen ist, wie etwa der automobilisierte Individualverkehr auf den Straßen, der Einsatz hochwirksamer Medikamente oder der Betrieb von Chemieanlagen. Genauer gesagt gilt diese Definition für das Rohrisiko[1], das besteht, solange wir keine Maßnahmen zur Risikoreduktion ergreifen. Und genau darum soll es im Folgenden gehen.

 

Risikoreduktion

In Teil 4 haben wir die die Wichtigkeit einer genauen Abschätzung von Schadensausmaß und Schadenseintritts-Wahrscheinlich besprochen. Dieses Rüstzeug brauchen wir jetzt wieder, denn im Folgenden wollen wir das Rohrisiko, wie es sich in der Risikomatrix bzw. dem Risikographen darstellt, durch geeignete Maßnahmen auf ein akzeptables Restrisiko reduzieren.

Der Begriff Restrisiko ist negativ besetzt, aber ich will ihn gar nicht umgehen oder durch ein anderes Wort ersetzen. Wir sollten sogar, bevor wir zur eigentlichen Tat schreiten, ein bisschen küchenphilosophisch darüber sinnieren. Der Zweck der Risikoreduktion soll sein, das Rohrisiko auf ein akzeptables Restrisiko zu reduzieren, wohlwissend, dass dieses nie Null werden kann. Jedes Gerät kann versagen, jeder Mensch Fehler machen – eine kleine Chance besteht immer, dass etwas schiefgeht und sich ein Unfall ereignet. Das ist ein Aspekt der fundamentalen Unsicherheit, die im Probabilistischen Riskomanagement steckt. Genauer gesagt, ist es eine Eigenschaft der fundamentalen Unsicherheit, die in unserer Welt steckt und die durch das Probabilistische Risikomanagement abgebildet wird. Wie groß oder klein das akzeptable Restrisiko am Ende sein darf, ist eine Entscheidung, die letzten Endes wir alle als Gesellschaft treffen. Indem wir als Wähler unser Kreuz setzen oder als Kunden dieses oder jenes Produkt kaufen, gestalten wir die Rahmenbedingungen der Produktion mit. Langsam zwar, kleinteilig und indirekt – aber immerhin. In Deutschland würde heute niemand eine Anlage genehmigen, bei der große Mengen giftiger Stoffe unkontrolliert in die Atmosphäre abgelassen werden können. Aber bis es so weit war, ist viel Wasser den Rhein runtergeflossen. Es gab eine Zeit, da war es anders: Da gehörten Industrieunfälle halt so dazu und wenn sie in China, Indien oder Südamerika passiert waren, hat sich hierzulande sowieso kaum jemand ernsthaft dafür interessiert. Das ist heute anders. Wir als Gesellschaft sind zwar auch heute noch viel zu uninteressiert an den chronischen Umweltkatastrophen im Nigerdelta, Sibirien oder dem Nordwesten der USA, aber wir sind zumindest sehr viel hellhöriger geworden, was Unfälle betrifft.

Vor wenigen Jahrzehnten hätte niemand sich bei der Planung einer neuen Anlage so intensiv Gedanken über mögliche Risiken gemacht und schon gar nicht, wie man sie einigermaßen quantifizieren kann. Da sind wir heute schon weiter. Aber auch heute gilt, dass niemand uns sagt, welches Risiko genau akzeptabel ist und welches nicht. Die Entscheidung nimmt uns niemand ab. Und so sind die Zahlenwerte, die jetzt gleich folgen, nicht vom Himmel geschneit, sondern Ergebnis einer langen Entwicklung hin zu immer besser abgesicherten Anlagen, hin zu immer kleineren Restrisiken. Sie sind vermutlich nicht Endpunkt, sondern vorläufiger Meilenstein auf einem Weg, der auch in der Zukunft weiter beschritten werden wird. Mag sein, dass sie in 20 Jahren nicht mehr akzeptabel sind – aber heute sind sie gültig. Und nach Wissen und Gewissen die beste Lösung, die wir Techniker zurzeit anbieten können.

Nach diesen einleitenden Worten fangen wir jetzt an. Wir beginnen mit der folgender Definition:

Ein Schutzsystem bzw. eine Sicherheitseinrichtung zeichnet sich dadurch aus, dass sie das anhand eines gegebenen Szenarios abgeschätzte Rohrisiko auf ein akzeptables Restrisiko reduziert

Mit dieser und der allgemeinen Risikodefinition werfen wir einen Blick auf die Risikomatrix bzw. den Risikographen – besonders auf die Risikoklassen. Wir erkennen sofort, dass das Risiko je nach Größe in verschiedene Klassen eingeteilt ist.

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Kommentare (4)

  1. #1 Lercherl
    6. Juni 2018

    Zu “Rohrisiko”:

    [1] Meine Wortwahl. Wenn jemand ein passenderes Wort kennt, immer her damit!

    Ich habe mir gerade die ISO 14971 angeschaut (Risikomanagement für Medizinprodukte). Dort verwenden sie keinen eigenen Begriff dafür sondern sprechen über den ganzen Zyklus nur von “Risiko”, das erst ganz zum Schluss zum “Restrisiko” wird.

    Statt “Rohrisiko” fällt mir nur “Ausgangsrisiko” ein. Aber der Schreibfehler mit “Rohrrisikomatrix” ist auch sehr schön 🙂

    • #2 Oliver Gabath
      11. Juni 2018

      Danke für den Hinweis – aber so schön er auch ist, werd ich ihn doch wohl korrigieren^^

      Ich würde für das ursprüngliche Risiko schon gerne einen eigenen Begriff wählen. Würfelergebnisse in P&P- oder Tabletop-Spielen werden oft natürliche Würfe genannt, wenn der unmodifizierte Wert, den der Würfel nach dem Wurf zeigt gemeint ist. Ausgangsrisiko finde ich nicht schlecht, aber unterm Strich werde ich vorerst wohl beim Rohrrisiko bleiben.

  2. #3 Hobbes
    9. Juni 2018

    Eine schöne Reihe, leider gibt es hier nichts zu diskutieren 🙂

    Auch wenn es etwas OT ist:
    Gibt es eigendlich Datensätze wie sich die Risikofaktoren im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt haben? Also Zum Beispiel, das Risiko einer Fischvergiftung von 1950 bis jetzt, oder einer chemischen Vergiftung am Arbeitsplatz, eines Autounfalls etc.? Ich finde wohl zu jedem einzelnen Thema etwas aber eine Gesamtauflistung vieler solcher Dinge wäre mal ein interessanter Datensatz. Insbesondere weil ich mich für Trends und Wahrnehmung interessiere.

    • #4 Oliver Gabath
      11. Juni 2018

      Ich freu mich, wenn sie ankommt 🙂

      Gute Frage aber. Ich kann zu dem Thema nichts sagen, weil ich davon zu wenig verstehe. In meiner kleinen Welt der chemischen Industrie schwanken die Anforderungsraten im Jahresmittel stark und es gibt meines Wissens nach noch keine wissenschaftliche Betrachtung zu ihrer Entwicklung. Die Ausfallraten von Geräten und Systemen stimmen aber ziemlich gut mit den Daten überein, die von den Herstellern angegeben werden.