Risikoreduktion durch Organisatorische Maßnahmen

Risikobewusstes Handeln beginnt in den Köpfen von Menschen. Wir bemühen uns zwar, durch bessere Technik die Unsicherheiten des Faktors Mensch so gut wie möglich aufzufangen, aber ein großer und wichtiger Unfallvermeider bleiben hellwache Menschen, die ihr eigenes Handeln möglichst sicher gestalten. Dass es ausreicht darauf zu bauen, dass Menschen keine Unfälle erleiden wollen oder mutwillig verursachen würden, um Unfälle zu vermeiden ist ein so naheliegender wie falscher Gedanke. Die erste Prämisse ist wohl richtig: Kaum jemand macht sich gerne weh – auch Masochisten hauen sich bei der Arbeit nicht gern den Hammer auf den Daumen. Falsch wäre es zu glauben, dass das reicht. Das tut es nicht. Menschen sind keine Maschinen, sie können nicht alles im Blick haben, stehen oft unter Stress, besonderes dann, wenn sie mit gefährlichen Situationen konfrontiert werden und umso mehr, wenn diese Situationen unerwartet und neu sind. Kurz: Menschen, auch wenn sie sich noch so bemühen, machen Fehler. Deswegen ist es so wichtig, in einem Unternehmen eine Kultur zu fördern, die sicheres Handeln zur obersten Direktive macht. Das ist oft nervig, scheint oft unnötig und nicht selten fühlen sich die Leute nicht ganz ernst genommen. Mein Arbeitergeber heißt hierzulande unter anderem auch Fa. Handlauf Benutzen, weil an jeder Treppe in verschiedenen Höhen ein Schild oder Aufkleber mit diesem Gebot angebracht ist. Das mag man lächerlich finden, aber eingedenk der Tatsache, dass sich auf Treppen ein enormer Teil der Arbeitsunfälle ereignet, kann ich mir schon vorstellen, dass durch diese Maßnahme bei mehreren 10.000 Personen, die täglich Treppen benutzen, übers Jahr einige Unfälle vermieden werden.

Durch das eigene Handeln wird aber nicht nur die eigene Sicherheit gefördert, sondern ganz oft auch die der Anlage in der man arbeitet. Ist zum Beispiel ein bestimmtes Risiko relativ klein, kann man es vielleicht schon damit ausreichend reduzieren, dass man in der Risikobetrachtung regelmäßige Kontrollgänge vorschreibt, bei denen der unsichere Zustand wahrscheinlich auffällt. Vielleicht ist es aber auch so groß, dass die regelmäßigen Kontrollen das erste Glied in einer ganzen Maßnahmenkette sind – im Sinne des eskalierenden Maßnahmenkonzeptes im Rahmen der Verteidigung in der Tiefe. Das können so einfache Sachen sein, wie der explizite Hinweis, auf Ordnung und Sauberkeit zu achten. Ja, das hört sich schon ein bisschen lächerlich an, aber die Erfahrung lehrt, dass eine Industrieanlage auch nur ein Hobbykeller ist, wenn es darum geht, irgendwelches Zeugs, das man später vielleicht noch braucht, aber jetzt grade nicht, zwischenzulagern. Es kann auch der explizite Hinweis sein, bei jedem Rundgang ein bestimmtes Manometer zu beobachten. Auch in den modernsten Industrieanlagen kann man noch nicht alles in Echtzeit in die Leitwarte übetragen – Sensoren, Leitsysteme und Rechner brauchen Zeit für die Signalverarbeitung und Peaks gehen schnell verloren. Für Betrieb und Sicherheit einer Anlage kann es aber einen Unterschied machen, ob der Zeiger ruhig bleibt oder zuckt. Im Regelbetrieb macht eine Anlage andere Geräusche als bei einer Störung. Erfahrene Anlagenfahrer entwickeln mit der Zeit einen sechsten Sinn für ihre Maschinen, sie erkennen anhand der Vibration, der Geräusche und evtl. der Gerüche, ob alles gut ist oder nicht. Noch weiss keiner, wie solche Sinne mit Messgeräten und verfeinerten Algorithmen abzubilden sind. Der Traum von der vollautomatisierten Fabrik wird auch in der Industrie 4.0 in solchen Fällen schnell an seine Grenzen stoßen.

Was z.B. Arbeitsunfälle mit Maschinen in der Industrie angeht kann man auch viel diskutieren – insbesondere, was alles nicht gemeldet wird, weil die es auch in den Augen der Betroffenen Bagatellen sind. Oder was nicht gemeldet wird, weil die Handwerker Angst um ihre Jobs haben (traurig, aber wahr). Und aus Hundert anderen Gründen. Aber auch wenn man das alles in den Kalkül zieht, bleibt die Erfahrungstatsache, dass schwere Verletzungen und Todesfälle – also das, was sich auch beim besten willen nicht unter den Teppich kehren lässt und üblicherweise als Loss of Time Incident (LTI) bezeichnet wird – in anderen Ländern sehr viel seltener passieren als in Deutschland. Obwohl es vielerorten keine hervorragend ausgebildeten Handwerker gibt, liegen z.B. die US-amerikanischen Unfallraten an Maschinen teilweise deutlich unter den deutschen. Ein Hauptgrund der immer wieder dafür genannt wird ist die breite Verwendung von Checklisten.

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Kommentare (1)

  1. #1 Uli Schoppe
    4. Juli 2018

    Das mit dem Schlüsselbrett ist ja eine super Sache, sowas hätte ich mir gewünscht als ich noch selber montieren gefahren bin.
    Jetzt sitz ich auf einem Bürostuhl, finde das mit den Checklisten ja schon recht gut, frage mich aber wie ich damit zb das Anhängen von Lasten regeln soll. Das ist nämlich in meiner Abteilung ein echtes Problem. Du glaubst gar nicht was Menschen alles für eine vernünftige Idee halten…