Georg Dahm und Denis Dilba haben gelinde gesagt die Schnauze voll von der klassischen Verlagsindustrie. Gleich zweimal innerhalb weniger Monate mussten Sie jenen Niedergang persönlich miterleben, den unserer einer gerne mit akademischer Distanz ‘medienökonomisch’ als “strukturelle Krise” beschreibt: zuerst das Aus für die FTD als eines der Flaggschiffe deutschen Qualitätsjournalismus, und dann der ‘plötzliche Kindstod’ des nur wenige Monate überlebenden Springer-Projekts News Scientist Deutschland. Doch wer zweimal scheitert, hat auch mehr als zweimal so viel gelernt wie jene, die sich noch sicher wähnen auf ihren Redakteursstellen: FAIL BETTER MEDIA heißt das Unternehmen, das die beiden selbstironisch-selbsternannten ‘Medienmogule’ gegründet haben, um frei nach Samuel Beckett (Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better) durch ein ‘failing forward’ amerikanischer Prägung neue Wege zu gehen. Eine neue Form des Storytellings. Und eine neue Form der Finanzierung des publizistisch visionären Vorhabens, nämlich per Crowdfunding (die Messlatte der angepeilten 30.000 € haben die Jungs gerade geschafft… and counting).

Georg, den ich persönlich noch aus Zeiten von Gruner&Jahr und über die TELI kenne, und Denis haben ein paar Absätze hier für den Blog verfasst:

 

Wir sind in den letzten Wochen oft gefragt worden, warum wir mit „Substanz“ ein neues Wissenschaftsmagazin auf den Markt bringen wollen. Eine Frage sticht dabei heraus:

„Wie wollt Ihr die Eierköpfe in den Elfenbeintürmen sexy machen?“

Wir haben auf diese Frage so geantwortet:

„Ach, die sind schon ziemlich sexy, man muss nur richtig hinsehen und eben nicht mit dem Eierkopf-Klischee anmarschieren. Im Prinzip sehen wir keinen Unterschied zwischen Wissenschaftlern, Startup-Gründern und Rockstars: Alle drei arbeiten sich die Finger blutig für eine Idee, an die sie glauben, und nehmen für diese Leidenschaft ziemlich viel in Kauf.“

Der Schlüsselbegriff ist: Leidenschaft. Dem deutschen Wissenschaftsjournalismus fehlt es an Leidenschaft. Nicht an der Leidenschaft der Autorinnen und Autoren für ihre Themen. Sondern an der im Text spürbaren Leidenschaft der Protagonisten für ihre Forschung. Unser Alltag, unsere Routine ist Wissensvermittlung. Wir machen Geschichten, in denen die Persönlichkeit der beteiligten Forscher ein schmückender Randaspekt bleibt. In die Vollen greifen, den Menschen hinter der Erkenntnis beschreiben, dürfen wir einmal im Jahr, wenn die Nobelpreisverleihung Wissenschaft für einen kurzen Moment zum Seite-1-Thema adelt.

Warum gehen so wenige Absolventen der großen deutschen Journalistenschulen in den Wissenschaftsjournalismus? Weil sie nicht glauben, dass es in unserem Feld die packenden Geschichten zu erzählen gibt. Man kann ihnen diesen Irrtum nicht verübeln. Welche Dramatik in einer wissenschaftlichen Karriere, in einer wissenschaftlichen Debatte stecken kann, erzählen wir zu selten mit allen Mitteln unseres journalistischen Handwerks.

Wir haben neulich mit einem Autoren gesprochen, der tage- und nächtelang mit Teilchenpysikern durch ihren Versuchsaufbau gekrochen ist. Wir haben mit ihm nicht über Textlängen gesprochen, sondern über Leidenschaft. Über die Leidenschaft, die er in diesen Tagen und Nächten erlebt hat. Und über seine Leidenschaft, diese Geschichte aufzuschreiben. „Schreib sie so auf, wie es dein Herz dir befiehlt“, haben wir ihm gesagt. Der Kollege war überrascht – und beglückt.

Wir müssen keine süßliche Homestory machen, um einen Forscher zum Protagonisten einer packenden Geschichte zu machen. Wir müssen nur hinsehen und erkennen, dass er schon der Protagonist einer packenden Geschichte ist. Und diese Geschichte müssen wir aufschreiben.

Vielleicht schreibt unser Autor im ersten Anlauf epische 30.000 Zeichen. Und wenn schon: Wenn die Geschichte gut ist, gibt es da draußen Leser, die genau diese 30.000-Zeichen-Geschichte aufsaugen werden. Andere werden lieber die schlanke 15.000-Zeichen-Variante lesen wollen – und die können wir ihnen auf Knopfdruck bieten. Das geht, weil wir digital sind. Digital heißt nicht nur, einer Geschichte etwas hinzuzufügen, Links, Bilder, Animationen, Youtube-Filme. Digital kann auch heißen, aus der Geschichte etwas zu entnehmen. Digital heißt für uns: Die Geschichte kann sich dem Leser anpassen, kann sich verändern, kann atmen.

 Kein Ressort ist so prädestiniert dafür, diese Möglichkeiten zu erkunden, wie das Wissenschaftsressort. Wir erzählen extrem schwierige Themen. Und wir erzählen sie Lesern mit extrem unterschiedlichen Wissensständen. Also nutzen wir doch die Chance, die darin liegt, dass wir nicht mehr gebunden sind an die starre Form des Papiers.

Den hohen Anspruch, den wir hier beschrieben haben, werden wir auch mit Substanz nicht immer einlösen. Macht nichts: Eine gute redaktionelle Dramaturgie braucht auch die ausgeruhten, zurückgenommenen Erklärstücke ohne großes Tschingderassabumm. Wir werden nicht jedes Schwarzbrot verzuckern können. Aber wir können eine Spielwiese schaffen für uns und für die Leser, auf der wir mit Leidenschaft viele Disziplinen ausprobieren.

Wir hoffen, dass wir auf dieser Wiese viele, viele Mitspieler finden. Zu oft wollten Verlagskaufleute uns erklären, dass unser Ressort nicht sexy ist. Zeigen wir ihnen, wie falsch sie liegen.

Kommentare (14)

  1. #1 Fliegenschubser
    21. März 2014

    Klingt gut. Wenn man es schafft, auch nur die Häflte der Leidenschaft, die ein Wissenschaftler für sein Fach empfindet, einzufangen und anderen zugänglich und verständlich zu machen, wäre sehr viel erreicht. Sehr, sehr viel.

  2. #2 Alexander Gerber
    22. März 2014

    Genau: Welches Erkenntnisinteresse und welche persönliche Motivation treibt uns an, Nächte im Labor zu stehen oder tagelang Daten zu schubsen (um neben den “Fliegen” s.o. auch die Sozialforschung nicht zu vergessen, wo der Forschungsprozess ja oft noch abstrakter und vermeintlich langweiliger ist — letztlich “Jemand vorm Rechner”). Was könnte authentischer sein?

  3. #3 Isabell Lisberg-Haag
    23. März 2014

    Nicht nur die Wissenschaft selbst auch die Wissenschaftspolitik ist ein faszinierendes Universum. Auch hier gilt: Leidenschaft und Interessen der einzelnen Player verdeutlichen. Wer setzt welche Trends und warum? Wie wirken diese Trends in die Gesellschaft und welche Rückwirkungen gibt es ? Spannend für viele LeserInnen …

  4. #4 May
    25. März 2014

    “Dem deutschen Wissenschaftsjournalismus fehlt es an Leidenschaft”

    Ich würde eher behaupten, die Leidenschaft ist das Problem. Wer sich als Kreuzritter sieht. wird als Kreuzritter betrachtet. Fakten spielen selten eine Rolle. Der Wissenschaftsjournalimus besteht m.E. aus Pressemitteilungen, aufgearbeitet in einer Weise, die möglichst viele Clicks erzeugt.

  5. #5 Bettina Wurche
    1. April 2014

    Hmmmm…ich sehe da noch ein gewisses Defizit, diese wissenschafts- und journalistischen Perlen auch in die breite Menge zu transportieren…
    “Die Medien” filtern für meinen Geschmack zu stark. Warum läuft vor der Tagesschau zur besten Sendezeit täglich dieser Börsenblödsinn? Und nicht wenigstens jeden 2. Tag das “Science-Ding des Tages”?
    Außerdem werden durch die Filter der populärwissenschaftlichen Medien ganze Wissenschaftszweige als “langweilig” oder “unverkäuflich” ´rausgekickt. Ich sehe da momentan echt Schwierigkeiten, guten Content irgendwo unterzubringen.

    Zur Anmerkung mit den aufgehübschten Pressemitteilungen:
    Ja, da ist ein beträchtliches Problem in der Wissenschaft, sich mal auf den Rat von Leuten zu verlassen, die gut schreiben können. Ein deutscher Wissenschaftler hat immer noch einen Chef, der garantiert alles stromlinienförmig umtextet. Um ja keine doofen/neidischen /… Bemerkungen der hohen Fachkollegen zu riskieren.
    Auch auf den Hinweis hin, dass solche Pressemitteilungen kaum noch einer lesen will, weil sie langweilig sind.
    GRRRRRRRRRR

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