Die Kurzversion meiner methodischen Kritik ist gestern auch auf derstandard.at unter dem Titel “Islamkindergärten-Studie: Ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel” veröffentlicht worden. Da ich weder im Standardforum, noch auf Facebook und Twitter, auf alle Fragen bzw. Kommentare einzeln eingehen kann und will, hier eine kleine Zusammenstellung. Und, wie immer, ist es faszinierend wie diese schriftlichen, virtuellen Debatten ablaufen. 🙂

Standard_Userkommentar_20151222

Zu dem Thema was alltägliche, subjektive Wahrnehmung von sozialwissenschaftlicher Analyse unterscheidet, habe ich einen eigenen Beitrag erstellt.

Wurde die Langversion bezahlt?

Nein. Kein Cent ist geflossen. Alle Scienceblogsbeiträge entstehen ohne Bezahlung.

Was für ein Format hat die methodische Kritik?

Sie ist ein Blogpost. Keine Auftragsarbeit, kein Forschungsbeitrag, kein Artikel in einem Journal, nichts aus einem Peer-Review-Verfahren, sondern ein Feedback zu einem Paper, das sich selbst als ‚Vorstudie‘ qualifiziert.

Warum meine ich dafür qualifiziert zu sein?

Im Lauf der Jahre habe ich unzählige studentische Arbeiten betreut. Ich habe für Journals in Peer-Review-Verfahren eingereichte Artikel begutachtet und auch für Tagungen bzw. Konferenzen eingereichte Beiträge bewertet. Aus diesen Bereichen stammen meine Skills in der Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten.

„Das ist ja nur eine Vorstudie“ – kam in mehreren Variationen

Eine Vorstudie ist kein Freibrief für methodische Beliebigkeit. Wissenschaftliche Regeln gelten für jede Arbeit, die das Label ‚wissenschaftlich‘ für sich in Anspruch nimmt. Dies hat der Projektbericht „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ getan, der Text ist nicht als Artikel, Meinung oder Blogpost in die Öffentlichkeit gekommen.

Vorstudien oder Pretests können z.B. in Bezug auf die Reichweite oder die untersuchten Zielgruppen eingeschränkt, aber nicht von den Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens befreit sein: Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Transparenz gelten immer. D.h. auch, dass die Vorgangsweise und die Fallauswahl in einer Vorstudie dargelegt werden müssen. Auch der Zusatz „Kurze Darstellung der relevanten Zwischenergebnisse“ kann diese Ansprüche nicht relativieren.

„Legst du da nicht ein wenig zu weitgehende Maßstäbe an eine Arbeit, deren Sinn, wenn ich es richtig verstanden habe, allein darin bestand herauszufinden ob man sich die Sache genauer anschauen sollte?

Nein, lege ich nicht. Wäre das ein Blogpost oder auch Zeitungsartikel: Kein Thema. Alles was mit Meinung gelabelt wird: Kein Thema. Aber dieser Projektbericht/Vorstudie spielt genau damit. Sagt, es ist wissenschaftliche Arbeit, publiziert im Namen der Uni Wien, im Namen eines Institutes, und nimmt für sich damit eine andere Stellung in Anspruch.

Sie sind nicht in die Öffentlichkeit gegangen mit: ‚Wir sind der Meinung dass…‘ Sondern mit: ‚Da gibts eine Studie und die zeigt, da gibt es ein Problem. Und das sieht so aus.‘ Das Label ‘Vorstudie’ kam ja erst nachträglich, das Paper war anfangs gar nicht zugänglich. Nur eben: Genau das kann dieser Projektbericht nicht nachweisen. Die ‘Vorstudie’ kann die tatsächlichen Probleme nicht aufzeigen, so wie sie gemacht ist. Sie bringt keinen validen Nachweis.

Mehrere Kommentare haben unterstellt ich hätte einen – wie auch immer gearteten – Bias, deshalb: 

Habe ich für die IGGÖ gearbeitet?

Nein. Ich habe vor Jahren (2007) ein Seminar zu Projektmanagement im Rahmen des Projekts Fatima gehalten, veranstaltet von der MJÖ, der Muslimischen Jugend Österreichs. Bezahlt wurde das zweitägige Seminar vom Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend.

Ich halte seit vielen Jahren, neben meiner Lehr- und wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, Seminare. Wie alle Trainer- und BeraterInnen arbeite ich für unterschiedlichste Felder und AuftraggeberInnen.

Tätigkeit für das IIS?

Dies war ein methodischer Beratungsauftrag im Rahmen meiner methodischen Beratungstätigkeit: Ein Vorgespräch plus ein Workshoptermin zur Grounded Theory. Danach war der Auftrag beendet. Damit diesbezüglich Transparenz herrscht, habe ich das in die Langversion inkludiert. Auch im Bereich der methodischen Beratung arbeite ich für unterschiedlichste Felder und AuftraggeberInnen.

Motivation für die methodische Kritik?

Die gleiche wie für meinen Scienceblog Sociokommunikativ: Sozialwissenschaften zugänglich zu machen und ihren wissenschaftlichen Zugang zu erklären. Dadurch, dass Gegenstand und Forschende – soziale Phänomene und Menschen –  nicht trennbar sind, haben wir mit anderen Umständen umzugehen als z.B. die Naturwissenschaften. Dies versuche ich darzulegen.

Und mich ärgert es, wenn sozialwissenschaftliche Projekte schlecht gemacht werden und dann dem ganzen Feld auf den Kopf fallen oder auch politisch instrumentalisierbar werden. Sozialwissenschaftliche Forschung soll gesellschaftliche Phänomene zugänglich machen und zu Lösungen beitragen. Pauschale Verurteilungen und Polarisierungen durch schlecht gemachte sozialwissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen, widerstrebt mir unglaublich.

Dass die sozialwissenschaftliche Community zu der öffentlichen Debatte geschwiegen hat und immer noch schweigt, war ein Auslöser für meine methodische Kritik. Viele WissenschafterInnen setzen sich nur ungern öffentlichen Debatten aus – warum kann im Standardforum unter meinem Beitrag sehr einfach nachgelesen werden. 😉 Menschen ohne fachliches Wissen sind insbesondere in sozialwissenschaftlichen Feldern bzw. Themen schnell am (ab)urteilen. Ich finde es wichtig, dass sich WissenschafterInnen auch öffentlich einbringen und bin keine Freundin des Elfenbeinturms, deshalb habe ich auch meinen Scienceblog gestartet.

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Kommentare (6)

  1. #1 Silvester Schröger
    Salzburg
    Dezember 26, 2015

    Sehr geehrte Frau Schaffar,
    bravo. Da haben Sie es Ihrem Kollegen Aslan aber so richtig gezeigt. Sind Sie jetzt zufrieden?
    Glauben Sie wirklich, dass Ihre methodische Hirnwichserei irgend jemanden interessiert, die Hardliner der islamischen Community ausgenommen?
    Kurz und Aslan haben mit politischem Gespür und praktischer Erfahrung eine Eiterbeule aufgestochen. Ihr Querschuss ist eine Nebelgranate, die so unnötig ist wie ein Kropf, weil sie von einem gewaltigen gesellschaftspolitischen Problem ablenkt: Seit Jahren lässt sich beobachten, dass ein einflussreicher Teil der islamischen Welt die Deutungshoheit über den “wahren” Islam auch in Europa an sich gerissen hat. Als Folge erleben wir die konsequente Festigung von Parallelstrukturen mit reaktionär-religiöser Schlagseite. Mit Ihrer kleinlichen “Methoden-Kritik” spielen Sie dieser Entwicklung in die Hände. Hauptsache, Sie haben die Reputation Ihrer Zunft gerettet, nur scheinbar zwar, aber sicherlich gut gemeint.

    • #2 Andrea Schaffar
      Dezember 27, 2015

      Wäre das meine Intention gewesen, hätte es wohl gereicht ein Pamphlet zu machen, das der Qualität von Aslans Projektbericht entspricht.

      Und ganz im Gegenteil: Nicht ich spiele Entwicklungen in die Hände. Der, qualitativ unwissenschaftliche, Projektbericht tut dies. Der Projektbericht/Vorstudie trägt zur Polarisierung bei, schafft Schwarz/Weiß-Malereien ohne jegliche Verankerung in empirischen Daten. Und um genau dies aufzuzeigen, war eine Analyse des Ganzen notwendig.

      Kurz und Aslan haben keine Eiterbeule aufgestochen. Sie haben mit Hilfe der Medien eine Eiterbeule geschaffen.

  2. #3 Dr. Webbaer
    Dezember 26, 2015

    Gegenrede :
    Hierzu) „Das ist ja nur eine Vorstudie“ – kam in mehreren Variationen
    Eine ‘Vorstudie’ liegt nicht vor, ‘Vorstudien’ meinen Studien, die weitergehende Studien anleiten oder (in seltenen Fällen) von ihnen ableiten sollen.
    Was vorliegt:
    -> https://images.derstandard.at/2015/12/10/ProjektberichtIslamischeKindergaertenErgebnissefinal-2.pdf
    … ist ein Projektbericht, der ganz anscheinend besondere Mängel erkennt wie berichtet, die als ‘relevante Zwischenergebnisse’ kommuniziert worden sind, die als politisch direkt wichtig und insofern zeitnah und vorab kommuniziert worden sind.
    Besondere Behandlung kleiner Kinder kann schon mal, wie viele finden, außerordentlich berichtet werden.
    Hierzu) Ist meine methodische Kritik ein Versuch die Existenz radikaler Phänomene vom Tisch zu wischen, wie von manchen behauptet?
    Ihre Kritik wirkt halt im Missverständnis der hier behandelten Ad-Hoc-Meldung ungünstig.
    Es bringt nüscht bei derartigen Ad-Hoc-Meldungen formal(istisch) zu werden.
    Sie setzen sich hier nur ungünstig aus, exponieren sich, Sie haben auch in früherer Berichterstattung auf bei den scienceblogs.de mit dem Begriff ‘Hetze’ hantiert, diese muss nicht vorliegen, wenn Kleinkinder islami(sti)sch indoktriniert werden und dies zwischengemeldet wird und wenn dies einige in der Folge nicht gut finden.

    MFG
    Dr. W (der natürlich nicht dissen will, Ihnen abär bei der Diss viel Erfolg wünscht)

    • #4 Andrea Schaffar
      Dezember 27, 2015

      @Vorstudie: Mit der Begrifflichen Ungenauigkeit hab ich in meiner Analyse begonnen. Vorstudie wurde imho nur als Begriff verwendet, um (vermeintlich) unangreifbar zu werden.

      @Ihre Kritik wirkt halt im Missverständnis […]
      Die Vorstudie/Projektbericht/whatsoever spielt genau damit. Gibt vor wissenschaftlich zu sein, nimmt damit für sich Platz in Anspruch und ist es aber nicht. Insofern war die einzige Möglichkeit dem wissenschaftlich zu begegnen, das zu tun was ich tat. Was ich getan habe, weil sich sonst niemand diesbezüglich analytisch zu Wort gemeldet hat.

  3. #5 Dr. Webbaer
    Januar 13, 2016

    Wie dem auch sei, werte Frau Schaffar, gerne beizeiten noch zur fortlaufenden Entwicklung berichten, ob sich da was getan hat in Wien, ob und wie Ihre Analyse beihelfen konnte und wie sich die Sache mit einigem Abstand darstellen wird.

    MFG
    Dr. W

    • #6 Andrea Schaffar
      Januar 31, 2016

      Bleibe auch gespannt. 🙂 Sollte ja angeblich bald so weit sein, dass die Endversion rauskommt. 🙂