Die wissenschaftliche Redlichkeit bei der Beauftragung durch österreichische Institutionen scheint ja nicht immer im Fokus zu stehen und war in der Vergangenheit schon öfter Thema in diesem Scienceblog. Ein weiteres Beispiel wurde heute endlich öffentlich zugänglich. Die Studien wurden, und das ist einer der Skandale an dem sich die österreichische Öffentlichkeit derzeit abarbeiten muss, beauftragt um dem damaligen Noch-Nicht-Kanzler Kurz zu helfen. Dieser hatte damals noch kein Budget via seiner Partei der ÖVP, da er noch nicht deren Obmann war. Vermutet wird – die Prozesse laufen noch und es gilt die Unschuldsvermutung – dass diese Studien im Finanzministerium beauftragt wurden, um die Grundlage für die weiteren politischen Schritte zu schaffen. Kurz war bekanntlich immer sehr an Meinungsumfragen und Ähnlichem interessiert. Und da gerade die Zeit der Beurteilung von Bachelor- und Masterarbeiten ist, passt es gut das etwas genauer anzusehen.
Was sticht ins Auge?
Layout und Format: Die Gestaltung des Konvolutes hat mit einer Studie nichts zu tun. Das “Produkt” besteht hauptsächlich aus zusammengestellten PowerPoint-Folien. Ob die schlechte Kopie Absicht ist oder die Erstversion schon so ausgesehen hat, lässt sich nicht sagen. Der erste Fließtext findet sich auf Seite 39, ist aber nur 2 Seiten lang. Dann beginnen wiederum weitere Folien, dazwischen finden sich Tabellen, dann wiederum weitere Folien.
Inhalte: Das Dokument besteht aus mehreren Teilen. Die ersten 40 Seiten sind die “Ergebnisse qualitative Studie: Wirtschafts- und Budgetpolitik”. Die nächsten 28 Seiten sind mit “Aktuellen Themen” aus dem Jänner und April 2017 gefüllt und bestehen hauptsächlich aus Tabellen ohne jegliche Erklärungen. Die restlichen Inhalte ab Seite 69 sind mit einer weiteren PowerPoint-Präsentation zum Thema “Ergebnisse Antraglose Arbeitnehmerveranlagung” gefüllt. Darauf folgt ab Seite 87 eine sehr kurze PowerPoint mit nur 4 Slides zum Thema “Ergebnisse Zufriedenheit mit der Finanzverwaltung”.
Methodik der quantitativen Anteile: Alle Inhalte ab Seite 28 beziehen sich auf Onlinebefragungen. Die Stichprobengröße ist angegeben. Auffällig ist, dass es keinerlei Texte gibt. Beim Abschnitt ab Seite 69 gibt es zumindest Grafiken, die die Ergebnisse darstellen. Als sehr ungewöhnlich können die Seiten 41 bis 68 bezeichnet werden. Ungewöhnlich ist schon unkommentiert Tabellen mit Zahlenmaterial aus Befragungen zu verwenden und diese auf Folien zu stellen. Dies dann als Studie zu abzugeben entspricht in keinem Fall einer guten, wissenschaftlichen Praxis.
Sämtliche dargestellten Daten in diesen Teilen sind rein deskriptive Übersichten in Tabellenform. Eine weitergehende statistische Auswertung, die Darstellung von Zusammenhängen und die Interpretation der Daten, existieren in den Unterlagen nicht. Diese bräuchte es aber, um eine Einordnung der Ergebnisse transparent zu machen. Um dies zu kontextualisieren: Jede Bachelorarbeit muss sich zumindest inferenzstatistisch mit dem Datenmaterial auseinandersetzen. Dies heißt in Alltagssprache übersetzt, dass Zusammenhänge zwischen Variablen (Korrelationen) berechnet werden müssen und auch geschaut werden muss, ob diese Zusammenhänge zufällig oder aber systematisch (und damit überzufällig, d.h. signifikant) sind. Erst dies lässt tatsächliche Aussagen über das Material und eine Dateninterpretation zu. Reine Deskription kann keine tatsächlichen Aussagen treffen, wird aber zur Darstellung von Stichprobe und Ergebnissen natürlich in Studien gemacht, um an den Auftraggeber:innen einen Eindruck zur Erhebung zu vermitteln. Üblicherweise werden auch Kreuztabellierungen verwendet, um Unterschiede im Datenmaterial sichtbar zu machen.
Die Teile ab S 69 enthalten zwar keine Tabellen sondern diverse Grafiken, bewegen sich aber ebenso rein auf einer deskriptiven Ebene. Dies ist zwar etwas übersichtlicher, und damit für die Auftraggeber:innen besser nachvollziehbar als einfache Tabellen, bringt aber außer Beschreibung auch keine weiteren Einordungen. Hier gilt genau das Gleiche, wie im Absatz zuvor beschrieben.
Zumindest bei einem dieser Studienteile (57 und 58) wurde das Instrument angehängt. Eigentlich ist dies immer bei allen Studien unabdingbar, dass die genutzten Erhebungsinstrumente in den Anhang inkludiert werden.
Methodik der qualitativen Anteile: Besonders originell, eine andere Bezeichnung fällt mir dazu nicht ein, ist der Teil zu Beginn des Dokuments. Bezeichnet als “Ergebnisse qualitative Studie: Wirtschafts- und Budgetpolitik” wird darauf verwiesen, dass 3 Gruppendiskussionen und 10 “Tiefeninterviews” durchgeführt wurden.
Zu den Gruppendiskussionen: Angegeben wird, dass mit “leitenden Angestellten”, “Freiberuflern” und “EPUs” gesprochen wurde und an welchen Tagen die Gruppendiskussionen durchgeführt wurden. Nicht angegeben wurde die Rekrutierungsstrategie, d.h. wie gesampelt wurde, und vor allem aber wie viele Personen an den Diskussionen teilgenommen haben. Spannend sind die drei genannten Gruppen, da alle 3 den üblichen Zielgruppen einer Partei, der ÖVP, entsprechen. Warum genau die Auswahl auf diese Berufsgruppen fiel, wird nicht argumentiert.
Auch geht aus der Darstellung nicht hervor welche Art von Gruppendiskussion dies waren. Methodisch unterscheiden wir selbstläufige Gruppendiskussionen mit einleitendem Impuls oder halbstrukturierte Diskussionen, die mehr Gruppeninterviews entsprechen, mit vorbereiteten Fragen. Dies hat nämlich auf die in diesen Seiten überhaupt nicht erwähnte Form der Auswertung einen Einfluss. Während selbstläufige Formate meist mit einer interpretativen Auswertung analysiert werden, greift man bei semi-strukturierten Verfahren auf Inhaltsanalysen als Instrument zurück. Dass nicht angegeben wurde wie ausgewertet wurde, passt ins Bild. Absolut nicht nachvollziehbar ist, wie diese Studie zu ihren Ergebnissen kommt – etwas das bei den dargestellten Inhalten noch lustig wird.
Zu den Tiefeninterviews: Wie einer meiner Professoren damals während des Studiums immer wieder gerne, und polemisch, anmerkte, sind sogenannten Tiefeninterviews ein besonders witziges Instrument. Sinngemäß meinte er: Da sagen die Leut’ dann sie machen Tiefeninterviews und glauben sie sprechen einfach mit wem und fragen bsonders tief. Daran muss ich immer denken, wenn ich diesen Begriff lese. In den Sozialwissenschaften werden halbstrukturierte Formen von Interviews von selbstläufigen, erzählgenerierenden unterschieden. Erstere haben als Basis einen Leitfaden, dieser wird der guten wissenschaftlichen Praxis folgend in den Anhang aufgenommen. Selbstläufige Interviews gibt es in unterschiedlichen Formen, eines der geläufigsten ist das narrative Interview das mit einem Gesprächsimpuls beginnt. Zusätzlich gibt es Interviewformen mit spezifischer Ausrichtung, dazu gehören biograpische, problemzentrierte und einige anderen Formen von Interviews. (Der Vollständigkeit halber: Strukturierte Interviews gibt es auch, diese werden auf Basis eines Fragebogens durchgeführt. Die Markt- und Meinungsforschung bezeichnet diese meist als Telefoninterviews.)
Hier gilt genauso wie bei Gruppendiskussionen: Die Form des Interviews zieht eine spezifische Form der Auswertung nach sich. Jede Erhebungsmethode braucht eine Methodik zur Auswertung und Analyse. Dies muss in einer Studie, wissenschaftlichen Arbeit oder auch Qualifizierungsarbeit transparent gemacht werden. In den heute veröffentlichten Unterlagen gibt es keinerlei Hinweis darauf.
Fazit zum qualitativen Teil: Wie die Ergebnisse zustande kommen, ist unklar. Weder gibt es einen Verweis auf die Form der Erhebung und die Erhebungssituation, noch wird transparent gemacht wie ausgewertet wurde. Transkripte aus den Interviews und Gruppendiskussionen sind nicht angeführt. Diese müssen zwar nicht in einer wissenschaftlichen Arbeit zur Gänze in den Anhang aufgenommen werden, weil dies oft den Rahmen sprengen würde, aber es braucht zumindest eine Übersicht über die Materialen und eine Bezeichnung für jedes Transkript. Üblich ist auch aus den Transkriptionen zu zitieren und damit den Proband:innen mittels verwendeter Zitate eine Stimme zu geben. Deshalb braucht es eine eindeutige Bezeichnung für jedes Interview bzw. Gruppendiskussion und die Angabe der Zeilen aus dem das Zitat stammt.
Um hier einen Einblick in die Praxis an Unis und FHs zu geben: Wir verlangen von unseren Studierenden im Anhang eine genaue Auflistung aller Materialien, der Bezeichnungen der Transkripte, wann die Erhebungen stattgefunden haben und sonstige Angaben zur Nachvollziehbarkeit. Aus den Materialen muss zur Veranschaulichung und aus Gründen der Transparenz zitiert werden. Um dies überprüfen zu können, müssen die Studierenden ihre Transkripte zugänglich machen. Bei der Beurteilung überprüfen wir dann, ob die angeführten Zitate auffindbar sind und können so auch die Interpretationsschritte nachvollziehen. Auch in den Angang gehören natürlich Materialien, um die Auswertung transparent zu machen. Dazu gehören Kategorienschemata, Netzwerke aus Analysen, Maps und – immer abhängig vom Auswertungsverfahren – andere Elemente, die der Nachvollziehbarkeit der Arbeit dienen.
Die Inhalte der Studie: Nun kommen wir zum unterhaltsamen Teil der heute veröffentlichen Seiten. Alles ab Seite 38 sind Tabellen bzw. Grafiken und Deskription. Darauf braucht nicht weiter eingegangen werden als weiter oben schon getan. Lustig ist der erste Teil der “Studie”. Wie auch immer die Ergebnisse, wie schon ausgeführt, entstanden sind, sie zeigen worum es geht. Deshalb hier einige Beispiele aus dem Dokument.
Cherrypicking aus den Erhebungen: Die ersten Seiten sind aus den Interviews und Gruppendiskussionen aus gewählte Aussagen. Einer Überprüfung halten diese nicht stand. Der Eindruck entsteht, dass diese willkürlich ausgewählt wurden.
Ab Seite 9 werden Informationen zu österreichischen Parteien dargestellt, jeweils eingeleitet durch “spontane Aussagen” zur jeweiligen Partei. Interessant ist mit welcher Partei begonnen wird. Die bzw. der Leser:in wird schon erraten haben, dass natürlich die ÖVP zuallererst angeführt wird.
Auf zusammengetragene “Werte und Inhalte” zur Partei, folgt eine Übersicht welche Persönlichkeiten der Partei erwähnt wurden. Das (vermutete, die Untersuchungen laufen noch) Ziel dahinter war die ÖVP unter Reinhold Mitterlehner in einem negativen Licht dazustellen, um die Basis für einen Wechsel an der Parteispitze herzustellen. Dafür wurden Aussagen zur ÖVP zusammengetragen. Nicht nachvollziehbar ist woher diese Aussagen stammen.
Warum auch immer folgt darauf “Die ÖVP als Automarke” mit Aussagen wie “fährt nicht so schnell, eher schön langsam” und “VW steckt durch Skandale auch in der Krise – gleich wie die ÖVP” plus zwei weitere Aussagen. Dies wiederholt sich auch für die anderen Parteien SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos. Diese Parteien werden mit den Automarken Puch, Tesla, VW Bus, Skoda, VW Golf, Ford bzw. Opel illustriert.
Auf Seite 20 folgt ein “projektives Verfahren” zur “Familienbildung/Relation der einzelnen Parteien zueinander”. Wie diese Analyse entstanden ist, kann nicht nachvollzogen werden. Für die Erhebung gibt es einen Hinweis. Die Teilnehmer:innen der Gruppendiskussionen wurde gebeten sich die Parteien als Familie vorzustellen, um “Aufschluss über Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einer Gruppe, Beziehungen und Umgang untereinander” zu geben.
Der Text erinnert an einen Schulaufsatz in dem eine Familie beschrieben wird. Wenig überraschend wird als erstes die ÖVP als “Vater, teilweise als Großvater” erwähnt und alle anderen Parteien in Relation dazu beschrieben. In einer interpretativen Analyse wäre dies eine Stelle an der die erste generative Frage mit der Adressierung einer patriarchalen Struktur formuliert wird. Der SPÖ wird die Rolle als Mutter zugeteilt, den Grünen jene der Tochter und die FPÖ wird “teilweise als Sohn, der gerade aus der Pubertät kommt, gesehen”. Manchmal aber “auch als ‘bösen’ Onkel bzw. als ‘schwarzes’ Schaf”. Für die Neos bleibt die Rolle als Hausfreund, Nichte oder des Vaters der auf Dienstreise ist, oder aber auch als “kleines Kind”. Was auch immer mit diesen Zeilen bezweckt wurde, drängt sich die Vermutung auf, dass diese mehr das Mindset der Autor:innen zeigt als auf tatsächliche Analysen oder Transkripte zu verweisen.
Ohne Frage der skurrilste Teil folgt ab Seite 21: Hier werden Parteichefs und Politiker von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos als Tiere dargestellt. Angeführt wird, dass die Teilnehmer:innen der Gruppendiskussionen gebeten wurden “sich unterschiedliche Politiker als Tiere” vorzustellen. Das Ziel dieser “Übung” war es “Aufschluss über die Wahrnehmung von Politikern in Hinblick auf unterschiedliche Eigenschaften, sowie deren Stellung in der Partei” zu geben.
Interessant ist, dass nur Männer untersucht wurden. Weibliche Politikerinnen kommen in der Analyse nicht vor. Eine Begründung für die Auswahl wird nicht geliefert. Interpretativ ist dies allerdings interessant. Vor dem Hintergrund des Wissens wie diese “Studien” beauftragt wurden und dass diese (vermutlich) Sebastian Kurz nutzen sollten, ist eine (mögliche) Erklärung jene der potentiellen Konkurrenten. Alle angeführten Personen können als solche bezeichnet werden. Politker:innen der Grünen, mit denen Kurz später eine Koalition eingegangen ist, gehörten scheinbar damals nicht dazu – diese Zeilen sind reine Vermutung, und könnten wahrscheinlich nach den Befragungen vor dem Untersuchungsausschuss beantwortet werden.
Interessant ist, dass mit Christian Kern (SPÖ) gestartet wird. Er wird als “eitler Pfau”, “Hirsch” und “Fuchs” bezeichnet. Hier findet sich auch ein Satz zur Analyse: “Christian Kern wird mit schlauen, machtorientierten Tieren, die sich gerne in Szene setzen, in Verbindung gebracht”. Als zweite Person wird Reinhold Mitterlehner (ÖVP) angeführt, jener Parteichef der von Sebastian Kurz ersetzt wurde. Mitterlehner wird als “als eher zurückhaltendes Tier, das gegebenenfalls rabiat werden kann, gesehen”. Zur Imagebildung werden Hase, Affe, Hyäne und Maulwurf dargestellt. Bei beiden Personen gehen sämtliche Aussagen in eine negative Richtung. Ein Indikator, der darauf verweist in welche Richtung die Analyse ausgerichtet ist.
Als nächste werden Hans Peter Doskozil (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP, damals Außenminister) angeführt. Bei Kurz gibt es die erste rein positive Aussage “sieht süß aus” neben dem Photo eines Eichhörnchens und die Analyse “wird mit schlauen, zielstrebigen Tieren in Verbindung gebracht”. Nach diesen beiden werden noch damalige Finanzminister Hans Jörg Schelling, der ehemalige FPÖ Parteichef Heinz Christian Strache und der damalige Neos-Parteichef Matthias Strolz als Tiere dargestellt. Bei Schelling, damals Minister im beauftragenden Ministerium, finden sich positive Aussagen wie “hat den Überblick” und “ein Tier, das nicht so offensichtlich ist, aber alles mitbekommt”. Strache und Strolz werden Aussagen mit negativer Richtung zugeschrieben.
Im Anschluss an die Tierdarstellung werden Aussagen bezüglich unterschiedlicher Inhalte ausgeführt und analysiert. Auch hier wiederum: Wie diese Analysen zustande kamen, ist nicht nachvollziehbar. Kategorien, wie die “Verständlichkeit/Inhalt”, “Zuordnung zu Parteien/Politiker”, “Glaubwürdigkeit” und “Fazit” werden dargestellt. Auf den folgenden Seiten werden Inhalte rund um Finanzen, Arbeitslosigkeit, Steuergeld, u.ä. ausgeführt – alles Themen, die von der ÖVP bzw. Kurz zu späteren Zeitpunkte aufgegriffen wurden. Der letzte Abschnitt bietet einen Ausblick und beschäftigt sich mit Wirtschaftsthemen, Zukunftsthemen, Arbeitszeitverkürzung, Leistung, Mindestsicherung und Strategien, wie z.B. “Wir müssen weg von Ankündigungen hin zu Resultaten kommen”. Aussagen, die an Wahlkampfslogans aus vergangenen Wahlkämpfen erinnern. Dann werden nach politischen Wahrnehmungen der Gruppen in den Gruppendiskussionen – Unternehmer und leitende Angestellte – die Wahrnehmungen zu Parteien angeführt. Warum letzteres für das die Studie finanzierende Finanzministerium relevant sein sollte, erschließt sich nicht.
Ab Seite 39 folgt der einzige Fließtext: Hier wird zu Beginn auf das Studiendesign eingegangen. Interessant ist, dass die Aussagen aus den Folien zu Beginn des Dokuments den Angaben auf S. 39 widersprechen. Zu Beginn, auf S. 3, wird von 3 Gruppendiskussionen und 10 Tiefeninterviews gesprochen. Am Ende dieses Abschnittes ist allerdings nur mehr von Tiefeninterviews die Rede, die Gruppendiskussionen werden nicht mehr erwähnt. Hier wird nun geschrieben, dass “25 BürgerInnen, gestreut nach Alter und Geschlecht, sowie 10 Unternehmer befragt” wurden. Hier wird nun auch die Länge der Interviews mit “ca. 45 Minuten” und der Erhebungszeitraum mit 14.8.-25.8. angegeben, wie auch auf eine darauf aufbauende Onlinebefragung verwiesen.
Diese Inkonsistenz wirft die Frage auf, ob die Gruppendiskussionen und Interviews stattgefunden haben. Dass die Angaben über die Erhebungen auseinandergehen, ist ungewöhnlich. Nachdem – im Regelfall – solche Studien eine intensive Auseinandersetzung mit dem empirischen Material erfordern, vergessen die beteiligten Wissenschafter:innen wohl kaum wie gearbeitet wurde. Zum Abschluss gibt es noch einen Abschnitt mit Empfehlungen – interessant wäre es diese mit dann in späteren Wahlkämpfen getätigten Aussagen zu vergleichen.
Fazit zum Dokument: In Summe wurden 155.940 € ab Steuergeldern für “Studien” ausgegeben, die keinen wissenschaftlichen Grundlagen entsprechen. Weder ist transparent wie die Erhebungen gestaltet wurden, noch in welcher Form ausgewertet und analysiert wurde. Selbst wenn man eher lockere Standards anlegen würde, wie dies der Markt- und Meinungsforschung manchmal nachgesagt wird, unterschreitet diese Dokument auch jene Kriterien. Offen bleibt warum das Finanzministerium Aussagen über Parteien und Politiker:innen benötigt. Die Vermutung, dass Ziel und Zweck der “Studien” die Generierung von Materialien zur medialen Verwertung, erscheint plausibel. Wie auch bei den Studien zu den Islamkindergärten, wird Wissenschaft instrumentalisiert, um tendentiösen Aussagen eine seriösen Anstrich zu geben. Und wie auch bei den Studien zu Islamkindergärten besteht ein Zusammenhang zu Sebastian Kurz. Eine Erklärung dafür und Aufklärung über die Hintergründe werden die österreichischen Steuerzahler:innen – hoffentlich – im nächsten Untersuchungsausschuss bekommen. Dringend notwendig wäre dies.
Ergänzung: Mein Fokus hier liegt am methodischen Design und der Durchführung der “Studie”. Den Tabellen und darin enthaltenen Zahlen bin ich nicht nachgegangen. Wäre aber spannend zu prüfen, ob die behauptete Repräsentativität stimmt. Sprich: Dass die gezogene Stichprobe in ihren Merkmalen tatsächlich der Grundgesamtheit, d.h. der Bevölkerung von Österreich, entspricht.
Links:
Link zur Studie: auf der Website des Finanzministeriums
Artikel auf orf.at zum Thema: Beinschab-Studien nun öffentlich
]]>
Kleine Einleitung – bitte diesen Absatz überspringen, wenn nicht interessant und direkt zu den Tipps gehen: Neben meinen methodischen Tätigkeiten, auf denen der Hauptfokus meines Scienceblogs Sociokommunikativ liegt, beschäftigen mich Medienforschung und -pädagogik schon lange. Ich halte seit mehreren Jahren die Einführung in die Medienpädagogik an der Universität Wien. In meinen Trainings- und Beratungstätigkeiten – die inzwischen finanziell fast wichtiger sind als Forschung oder Lehre – wurde der Themenkomplex Digitalisierung zunehmend wichtiger. Meine Vorlesungen finden seit vielen Jahren digital unterstützt statt und die Nutzung multimedialer Inhalte ist quasi Tagesgeschäft. Mediendidaktik ist dabei eines der Themenfelder, das mich schon recht lang beschäftigt – ich wollte das einfach immer anders machen als ich es an den Unis als Studentin kennengelernt habe. Einige meiner Überlegungen finden sich zum Beispiel auch in der Publikation “Lehrende arbeiten mit dem Netz“.
Strukturiert vorbereiten: Den Ablauf des Webinars designen. Überlegen welche Elemente wann stattfinden sollen. Was muss anfangs gesagt werden? Welche Übergänge müssen gestaltet werden? Was muss auskommentiert werden, da virtuell nicht sofort sichtbar? Wie und wann sollen die Teilnehmer*innen eingebunden werden?
Ziele definieren und kommunizieren: Insbesondere in virtuellen Settings ist es wichtig den Teilnehmer*innen Orientierung zu geben. Worauf können sie sich einstellen? Welche Inhalte und interaktiven Teile wird es geben? Wie lange wird es dauern?
Klarheit schaffen und klar kommunizieren: Virtueller Kommunikation fehlen Aspekte, die face 2 face vorhanden sind. Umso wichtiger ist es sich dessen bewusst zu sein und aktiv gegenzusteuern. Explizites Ansprechen hilft, um den Teilnehmer*innen Klarheit zu geben. Auf Körpersprache, Aussprache und Rhetorik achten!
Mit Technik vertraut machen und üben: Ausprobieren des Settings und mit der Software vertraut machen! Wartezeiten für Teilnehmer*innen möglichst vermeiden, um die Aufmerksamkeit zu halten. Ton- und Videoqualität checken, für ausreichende Beleuchtung sorgen und einen passenden Hintergrund nutzen!
Analysieren der Zielgruppe: Was macht meine Teilnehmer*innen aus? Welche medialen Vorlieben haben diese? Wie sollte ein Webinar gestaltet sein, damit dies für die Teilnehmer*innen möglichst ideal abläuft?
Mehr als Powerpoint: Zum Beispiel interaktiv auf Folien zeichnen. Unterschiedliche bzw. andere Präsentationsformen nutzen. Passende Bewegung am Bildschirm hält wach.
Multimediale Materialien: Bilder, kurze Videos, Comics, u.ä. einbauen, um Vortragsteile abwechslungsreich zu gestalten.
Narrative Elemente einbauen: Die Teilnehmer*innen brauchen Zeit, um das Gehörte zu verarbeiten und zu verankern. Wissensvermittlung funktioniert umso besser, wenn (auch) erzählerische Anteile und Beispiele genutzt werden.
Interaktion aktiv gestalten: Möglichkeiten zu virtuellen Kleingruppen nutzen und diese zu vorbereiteten Fragenstellungen diskutieren lassen. Abstimmungen nutzen, um Teilnehmer*innen mitwirken zu lassen.
Q&As und virtuelle Diskussionen: Abhängig von der Anzahl der Teilnehmer*innen sind unterschiedliche Formate möglich. Grundregel ist, umso mehr Personen, umso stärker müssen diese Teile gesteuert und strukturiert sein.
Webinar aufzeichnen: Ein Webinar nochmals nachschauen zu können, kann hilfreich sein. Das Video sollte gleich im Anschluss an den Termin via Plattformen zugänglich gemacht werden.
Auf Nachbereitung achten: Unterlagen, weiterführende Links oder Literatur, interessante Videos zum Thema u.ä. können die Wirkung des Formats vervielfachen. Dies schon im Vorfeld vorzubereiten hilft, um direkt nach dem Ende Ressourcen bei der Hand zu haben.
Für längerfristiges virtuelles Lernen: Zwischen den virtuellen Terminen kann durch Übungen, das Bearbeiten von Fragestellungen oder kurzen Wissenstests vertieftes Lernen erreicht werden. Auch diese sollten schon im Vorfeld vorbereitet werden, um direkt im Anschluss die Möglichkeit zur Vertiefung zu geben. Am Ende des Webinars einen Call-To-Action zu integrieren, macht Sinn!
Flipped Classroom: Reine Wissensvermittlung muss nicht interaktiv stattfinden. Diese kann z.B. in Videos ausgelagert werden und das Webinar für Q&As und virtuelle Diskussionen genutzt werden. Hier hilft es schon vorab zu kommunizieren, dass das Nutzen der zur Verfügung gestellten Ressourcen vorab empfohlen wird oder aber sogar verpflichtend ist.
Bei längerfristigen, virtuellen Lernformaten: Ein Gesamtdesign für den Ablauf konzipieren. Für Abwechslung sorgen und Termine unterschiedlich gestalten. Den Teilnehmer*innen vermitteln was, wann und wie gearbeitet wird.
Üben und trainieren: Neue Ansätze ins eigene Tun zu integrieren braucht Zeit. Anfangs kleine Schritte zu machen und sich Zeit zu lassen, macht Sinn. Wichtig ist es sich diese auch zu geben. Strategien zu entwickeln was und wie man auf technische Hoppalas und Schwierigkeiten reagieren kann, ist ebenso sinnvoll. Und last but not least: Hilfe und Coaching holen, nicht zu glauben man müsse jedes Rad neu erfinden oder allen Trends folgen, kann auch für Entlastung sorgen.
Digital und virtuell zu unterrichten kann spaßig sein.
]]>
Digitalisierung ist ein Phänomen, dem immer noch viele etwas ratlos gegenüberstehen. Vieles verändert sich. Der Alltag von Menschen ändert sich, Abläufe in Organisationen werden anders, digitale Medien und Apps sind alltägliche Begleiter und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen oft nicht ganz greifbar. Der technologische Wandel ist für die Forschung interessant, aber so ganz klar wie dem methodologisch und methodisch – vor allem sinnvoll – begegnet werden kann, ist es oft nicht. Warum?
Digitalisierung hat neue Prozesse hervorgebracht, bekannte Abläufe wurden auf den Kopf gestellt und viele dieser Prozesse sind noch nicht endgültig ausgehandelt. Bestes Beispiel dafür sind Organisationen und ihre Strukturen. Seitdem ich beruflich weniger an Universitäten und mehr in Unternehmen und NGOs unterwegs bin, ist mein Einblick diesbezüglich auch ein anderer und intensiverer. In vielen Bereichen fehlen die Zugänge um diese Veränderungsprozesse steuern zu können, oft auch deshalb weil die Steuerung sozialer Prozesse an sich oftmals mehr dem Zufall als einem überlegten Ansatz entspricht. Egal ob technologieaffine oder –ferne Organisationen: In den meisten fehlen die Antworten wie den Herausforderungen begegnet werden kann. Technologieaffine, wie z.B. IT-Unternehmen, sind zwar dem technologischen Wandel gut gewachsen, häufig aber mit den dadurch bedingten sozialen Veränderungen über- bzw. gefordert. Technologiefernere Organisationen, selbst welche mit implementierten, organisationellen Changeansätzen, sind oft mit den zusätzlichen und ungewohnten, technologisch bedingten Herausforderungen konfrontiert. Spannend dabei ist, und das ist das Feld in dem ich mich inzwischen viel bewege, dass jede Organisation ihre ganz eigenen Anforderungen, Ticks, Gewohnheiten und auch Macken hat, denen sinnvollerweise situativ begegnet werden muss – keine Organisation gleicht einer anderen.
Ähnliches gilt auch für Forschungsansätze: Mehr vom Gleichen funktioniert nicht, wenn sich Abläufe und Prozesse verändert haben. Die Messung des Status Quo liefert kaum Daten über mögliche Ansatzpunkte für notwendige Veränderungen. Deshalb greifen quantitative, sozialwissenschaftliche Analysen häufig zu kurz oder bleiben auf der Ebene von Zufriedenheitsbeschreibungen und Ähnlichem. Datenanalysen – Stichwort big data – liefern hier oft wesentlich sinnvollere Ergebnisse und in diesem Bereich tut sich seit einiger Zeit sehr viel um neue Ansätze und Wege zu erreichen. Um aber die oben beschriebenen Veränderungen in Organisationen zu erfassen, braucht es andere Zugänge. Veränderungen von Prozessen und das Erfassen habitueller bzw. kollektiver Ausrichtungen, d.h. der Mindsets von Organisationen und den Menschen darin, funktioniert nur mit Methodologien, die dementsprechend agieren.
LeserInnen dieses Blogs werden jetzt schon wissen was ich meine. Interpretative Forschungsansätze können genau das. In den letzten beiden Jahren arbeite ich viel genau an den Übergängen und Schnittmengen zwischen Forschung und Beratung. Mit Organisationsanalysen, die methodologisch mit Grounded Theory oder dokumentarischer Methode durchgeführt werden, können kollektive Orientierungen, Prozesse und Argumentationslinien gut erfasst werden. So entsteht quasi eine Theorie zu einer spezifischen Organisation, die darin enthaltenen Modelle erfassen gut welche Ausprägungen von Phänomenen sich in diesen Unternehmen und NGOs wiederfinden. Damit steigt das Verständnis – ums umgangssprachlich zu sagen – wo der Schuh drückt und was die Menschen in den Organisationen beschäftigt. Die daraus entwickelten Beratungsmaßnahmen und Veränderungsprozesse sind so forschungsbasiert in der Perspektive der handelnden Personen(gruppen) begründet und wesentlich treffsicherer. Besonders gut funktioniert dieser Zugang, wenn die Maßnahmen partizipativ mit Beteiligung der Organisationsmitglieder entwickelt und dann auch umgesetzt werden. Das Forschen hat den Vorteil in die Logik – bzw. Logiken, oft sind in Organisationen unterschiedliche vorhanden – der Unternehmen und NGOs Einblick zu erhalten und zu verstehen warum welche Abläufe vorhanden sind. Soziologisch gesprochen ist jedes solche Projekt eine kleine Sozialisation in den Habitus einer Organisation. Die Begleitung ist dann schlicht näher an den Notwendigkeiten dran.
Warum hab ich mich in diese Bereiche bewegt? Einerseits weil solche Arbeiten in universitären Umfeldern kaum möglich sind, weil zu interdisziplinär und zu wenig den derzeitigen Anforderungen des universitären Feldes entsprechend. So gerne ich unterrichte, so sehr haben sich die Universitäten verändert – und das in meinen Augen nicht zum Besseren, aber das ist ein anderes Thema. Andererseits ist das für mich die vernünftigste Verbindung meiner beiden Leidenschaften: Sozialwissenschaften bzw. ihre Methodologien und aber auch Gruppendynamik und Organisationsentwicklung, dem sehr umsetzungsorientierten Pendant dazu. Erfahrungslernen ist schlicht etwas sehr Praktisches, das gut und zielführend die Basis für Veränderungsprozesse liefern kann. Und interpretative Sozialforschung ist unschlagbar gut im Erfassen der Hintergründe und Zusammenhänge. Beides gemeinsam in einem Projekt umzusetzen, ergibt praxisorientierte Forschung und Beratungsprozesse, die direkt an den Bedürfnissen und Anforderungen der Organisationen dran sind. In meinen Augen eine Win-Win-Situation für beide Bereiche.
Schaffar, A.: Dynamiken im digitalen Wandel. Herausforderungen bezüglich Medien, sozialer Prozesse und Demokratie. In: Gruppe. Interaktion. Organisation. Vol. 50 (2019), Springer Verlag, p. 309-318. Online abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s11612-019-00475-z (Open Access provided by University of Vienna)
]]>Gastautorinnen am Scienceblog Sociokommunikativ: Sophie Backhausen, Antonia Hauenschild, Nina Neumann, Marie-Therese Tauscher!
Wer waren die Menschen, die sich im Sommer 2015 organisiert haben, um Geflüchtete zu unterstützen? Sie werden als Zivilgesellschaft bezeichnet. Aber wer ist die Zivilgesellschaft und vor allem: Wie nutzt sie Medien und andere Kommunikationskanäle?
Rund 73 Prozent der befragten Zivilgesellschaft ist weiblich, mehr als zwei Drittel davon sind zwischen 26 und 55 Jahren alt. Der Großteil kommt aus Wien – vor allem aus der Leopoldstadt, Ottakring, Landstraße und Donaustadt. Zwei Drittel von ihnen leben in einer Beziehung, sind verheiratet oder verpartnert. Fast 60 Prozent haben einen Studienabschluss. Damit sind mehr als die Hälfte der HelferInnen AkademikerInnen. 40 Prozent der Befragten sind berufstätig, es haben sich aber auch sehr viele StudentInnen und PensionistInnen beteiligt. Das Einkommen von rund einem Drittel der HelferInnen liegt bei weniger als 1.500 Euro netto im Monat.
Mehr als die Hälfte der befragten HelferInnen hat selbst oder durch eine ihnen nahestehende Person Erfahrung mit Flucht oder Krieg. Sie alle engagierten sich im Sommer 2016 vor allem deshalb, weil sie das Gefühl hatten, etwas tun zu müssen. 40 Prozent wurden von Freunden und Bekannten zum Mitmachen ermutigt.
Der typische Helfer bzw. eigentlich die typische Helferin aus dem Sommer 2015 ist also weiblich, zwischen 26 und 55 Jahre alt und lebt in einer Beziehung, ist verheiratet oder verpartnert. Außerdem kommt sie aus Wien, ist Akademikerin und berufstätig. Diese stellt daher einen aus den Daten generierten Prototyp dar: Ist im Weiteren also von Frauen und ihrem Mediennutzungsverhalten die Rede, dann ist dieser Typus gemeint und befinden sich diese etwa immer im angegebenen Altersrahmen. Der Bogen zur Gesamtzivilgesellschaft wird im nun folgenden Text gespannt, um zusätzlich eine anschauliche Einbettung zu erzielen.
Mediennutzung
Die Mediennutzung der Zivilgesellschaft ist vor allem deshalb von Interesse, weil sie zeigt, wie die Hilfe organisiert wurde und im Sommer 2015 abgelaufen ist. Diese Umfrage macht deutlich, wie sich die Organisation der selbstorganisiert Helfenden von der Organisation professioneller NGOS unterscheidet. Sie liefert neue Daten und Perspektiven rund um die virtuelle Selbstorganisation der Zivilgesellschaft.
Die HelferInnen haben sich über Facebookgruppen, via Twitter oder Mailinglisten organisiert und Informationen verbreitet, wo Hilfe benötigt wurde. Vor allem diverse Social Media Kanäle waren für die Koordination und die Weitergabe von Informationen wichtig. Twitter und WhatsApp wurden für die Koordination eher seltener genutzt, häufiger waren SMS, vor allem wurden aber E-Mails und auch Facebook genutzt.
Frauen nutzten diese Kanäle vor allem zur Informationssuche und deren Weitergabe, Beiträge wurden hauptsächlich geteilt und geliked, aber nicht selbst geschrieben. Im Vergleich dazu kommentierten Männer weitaus häufiger, waren diskussionsfreudiger und haben auch mehr Beiträge selbst verfasst.
Für 30 Prozent der 25- bis 35-Jährigen waren Postings auf einem Social-Media-Kanal der Ansporn zum Mithelfen.
Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen die These, dass sich die Helfenden über eben diese Kanäle organisieren und Social Media vor allem zur Informationsbeschaffung und -weitergabe nutzten. Die Ereignisse im Sommer 2015 können als ein Ad-hoc Steuerungsereignis gesehen werden, wobei die Logik der virtuellen Selbstorganisation beibehalten wurde und diese Schiene bei Bedarf weitergefahren wird.
Im Allgemeinen ergab die Befragung der HelferInnen zum Thema Mediennutzung im Rahmen der Flüchtlingsbewegung 2015/16, dass Social Media – im Speziellen Facebook – für 69 Prozent der Berufstätigen sehr wichtig war. Aber auch unter den Studierenden, die sich engagierten, spielte Social Media eine bedeutende Rolle. 90 Prozent gaben an, Facebook im Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung rund um ihr Engagement und zum Thema im Allgemeinen zu verwenden.
Mediennutzung in Korrelation mit Bildungsgrad und Berufstätigkeit
Auch der Bildungsgrad in Relation zur Mediennutzung spielte für die Untersuchung eine Rolle. Befragte mit Hochschulabschluss nutzten Social Media, für 25 Prozent waren sie sogar sehr wichtig. Eine Ausnahme stellen die PhD-AbsolventInnen dar, von denen lediglich 13 Prozent Social Media für sich selbst als sehr wichtig einschätzten. Davon posteten wiederum ein Drittel (etwa 25 Prozent) selbst Beiträge. Zwei Drittel verfolgten Diskussionen und beteiligten sich mit Kommentaren daran, verfassten aber selbst keine Postings.
Fokus: Frauen
Diese Zahlen legen nahe, dass die Nutzung von Printmedien durchaus mit dem Bildungsgrad korreliert. 70 Prozent der Frauen mit Universitätsabschluss nutzten Printmedien regelmäßig zur Informationsbeschaffung, während es unter jenen mit Abschluss einer Lehre oder Berufsschule nur in etwa 43 Prozent waren.
In Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit waren für nur etwa 17 Prozent der berufstätigen Frauen Printmedien sehr wichtig, für 6 Prozent gar nicht. Die restlichen Befragten nutzten Zeitungen nur sporadisch. Auch die Gruppe der Studentinnen verhielten sich hier ähnlich.
Dies zeigt, dass die Nutzung von Printmedien mit dem Faktor Bildungsgrad zusammenhängt und weniger mit dem Faktor Erwerbstätigkeit.
Diese Zahlen zeigen, dass es bei der Social Media Nutzung zwischen Frauen mit Hochschulabschluss und jenen mit Berufsschul- oder Lehrabschluss keine großen Unterschiede gibt. Die Nutzung liegt bei oder knapp über 90 Prozent. Lediglich PhD-Absolventinnen nutzten Social Media etwas weniger (etwa 80 Prozent). Das könnte an anspruchsvolleren Berufen und damit einhergehend weniger Zeit zur Nutzung liegen.
Grundsätzlich lag die Social Media Nutzung von berufstätigen Frauen bei 94 Prozent, von berufstätigen Studentinnen bei 90 und im Vergleich dazu von Arbeitslosen bei 100 Prozent. Es gibt also keine großen Unterschiede im Social-Media-Nutzungsverhalten in Korrelation mit der Erwerbstätigkeit.
Diskussionsverhalten auf Social Media
Im Rahmen einer ehrenamtlichen, zivilgesellschaftlich motivierten Selbstorganisation spielen Austausch und Diskussionsverhalten eine große Rolle. Daher wurde in der Datenerhebung ein Fokus auf diesen Bereich gelegt. Vor allem Berufstätige (523 unter den Befragten) gingen Diskussionen zum Thema auf Social-Media-Plattformen nicht aus dem Weg und stellten sich ihnen, wenn sie entstanden. Aber auch StudentInnen, PensionistInnen, Hausfrauen und Hausmänner mieden Diskussionen nicht bewusst. Rund 54 Prozent der berufstätigen Frauen hingegen vermieden Diskussionen auf Social Media ganz bewusst, hingegen nur 17 Prozent der Arbeitslosen und der 10 Prozent der berufstätigen Studentinnen. Eine Erklärung für dieses Verhalten kann das Alter liefern. Studierende sind meist jünger und haben einen höheren Grad an Medienaffinität als Berufstätige, die im Schnitt schon etwas älter sind. Ob man in einer digitalisierten Mediengesellschaft sozialisiert wurde oder nicht, hat einen Einfluss auf die jeweilige Social-Media-Aktivitäten. Daher ist anzunehmen, dass das Verhalten von älteren Berufstätigen, Diskussionen eher zu vermeiden, von einem Mangel an Medienaffinität kommt.
Sieht man sich die Korrelation zwischen Bildungsgrad und Diskussionsverhalten an, so zeigt sich, dass Menschen mit Hochschulabschluss Diskussionen nicht suchten, aber auch nicht bewusst vermieden. Solche Diskussionen fanden beispielsweise auf öffentlichen Facebookseiten bekannter Personen oder in öffentlichen Facebookgruppen statt. Nur 15 Prozent der Hochschulabsolventen wollten sich wirklich auf Diskussionen rund um das Thema Flüchtlingsbewegung einlassen.
Im Allgemeinen ließen sich rund 93 Prozent der berufstätigen Frauen auf Diskussionen ein. Bei arbeitslosen Frauen, Studentinnen und Pensionistinnen war das Verhältnis ähnlich. Daran lässt sich erkennen, dass Personen, die sich gerne auf Diskussionen einlassen, dies unabhängig von ihrer Lebenssituation tun und etwa der Faktor „wenig Zeit durch Erwerbstätigkeit“ hier eher eine geringere Rolle spielt.
Offline Informationsbeschaffung
Im Rahmen der Offline Interaktion wurden mehrere Medien abgefragt. Die aussagekräftigsten Ergebnisse lieferten die „Medien“ Bücher, Print und Persönlich Treffen. Bücher waren für drei Viertel aller Berufstätigen und die Hälfte der Frauen wichtig. Nur etwa 7 Prozent der Frauen empfanden das Lesen im Zusammenhang mit bzw. über die Flüchtlingsbewegung als nicht wichtig.
Dass gerade arbeitslose und berufstätige Frauen vermehrt Bücher lesen, erklärt sich durch deren höheres Alter. Der hohe Anteil an Bücher Lesenden, lässt sich damit erklären, dass es sich bei den Befragten um die sogenannte „petite bourgeoisie“ (Bourdieu 1982, S. 292f.) handelt – die Frauen sind meist auch hoch gebildet. Der Milieuwechsel sorgt oft für ein stärkeres soziales Bewusstsein und mehr Verständnis, beides Faktoren die zu zivilgesellschaftlichem Engagement führen.
Die Möglichkeit eines persönlichen Treffens korreliert wiederum mit dem Faktor Zeit und ist durch die Arbeitslosigkeit der Frauen zu erklären. Die Wichtigkeit der persönlichen Interaktion macht deutlich, dass nicht alles über Social Media läuft bzw. laufen kann.
Mediennutzung von Frauen in Korrelation mit ihrem Familienstand
Grundsätzlich nutzten etwa 88 Prozent der verheirateten Frauen Social Media zur Koordination der Flüchtlingshilfe. Frauen, die in einer Beziehung lebten, nutzten Social-Media-Kanäle dafür etwas häufiger, nämlich rund 92 Prozent von ihnen. Unter den Single-Frauen nutzten 95 und bei den Geschiedenen 89 Prozent Social Media. Eine Erklärung für die leicht höheren Werte bei Singlefrauen liegt darin, dass die zivilgesellschaftlich engagierte Single-Frau etwas mehr Zeit hat, sich mit Social Media auseinanderzusetzen als jene mit Partner.
Jeweils 30 Prozent der Verheirateten und 39 Prozent der in einer Beziehung lebenden folgten der Kommunikation in den im Sommer und Herbst 2015 gegründeten Gruppen und Foren, posteten aber selbst nichts. Bei den Singles sind es rund 32 und bei den Geschiedenen 22 Prozent. Diese etwas geringere Prozentzahl bei den geschiedenen Frauen im Bereich des aktiven Postens könnte am Alter liegen. Geschiedene Frauen sind häufig bereits etwas älter und haben nicht die gleiche Medienkompetenz durch Mediensozialisation wie jüngere Frauen.
Dieser Einblick in das Mediennutzungsverhalten der Zivilgesellschaft bestätigt so manche Annahmen, birgt aber auch Überraschungen. So wurden beispielsweise, entgegen mancher Vermutungen, alte Medienformen, wie Bücher für die Informationsbeschaffung, nicht von den neuen Medien ersetzt, sondern Alt und Neu ergänzten sich. Auch Faktoren wie Erwerbstätigkeit oder Bildung lassen sich nicht immer pauschal mit bestimmten Nutzereigenschaften in Verbindung bringen, es zeigten sich immer wieder individuelle Verhaltensweisen in allen Gruppen. Konsens lässt sich jedoch darüber bilden, dass Medien, insbesondere Social Media Kanäle, zentral zur Organisation der Zivilgesellschaft beitrugen und auch für die weitere Kommunikation innerhalb der Gruppe sehr wichtig waren.
Quellen:
Bourdieu, Pierre (1982) [1979]: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
]]>
Zur Person: Mag. Dr. Maria Schreiber ist Sozial- und Kommunikationswissenschafterin, forscht und lehrt zu digitalen Medien mit einem Schwerpunkt zu visueller Kommunikation und Social Media. Sie ist im Vorstand des Wiener Frauennetzwerkes Sorority und twittert unter @perceptionalize.
Was ist Dein Forschungsgebiet und was fasziniert Dich daran?
Grob gesagt ist mein Forschungsgebiet das Internet. Das gibt es seit rund 20 Jahren und es fasziniert mich auch seitdem. Vor allem weil es darin um Menschen geht und wie etwas Technisches Beziehungen ermöglichen und auch verunmöglichen kann. Eben wie das Technische einen Zusammenhang mit unserem sozialen Zusammenleben haben kann. Angefangen hat das bei mir als ich mit 16 chatsüchtig geworden bin, und dann als Spezialgebiet zur Matura das Internet zum Thema gemacht habe. Und auch meinen ersten Freund hab‘ ich über das Internet gefunden, was Anfang der 2000er Jahre noch sehr ungewöhnlich war. Das hat dann weiter zum Publizistikstudium geführt und dort war ich überrascht, dass es darin nicht so viel um Digitales ging, sondern hauptsächlich um Print und Fernsehen. Aber zum Glück gab es in dem Fach immer die Möglichkeit die eigenen Interessen zu verfolgen und einzubringen.
Und Dein aktuelles Forschungsgebiet: Wie bist Du dort hingekommen?
Forschungsthemen ergeben sich bei mir aus Alltagsbeobachtungen, Dinge, die mir in meinem täglichen Leben begegnen. So bin ich auch zu dem Bilderthema gekommen. Mir ist so vor etwa 10 Jahren aufgefallen, dass ich meine Kamera nicht mehr verwende, sondern nur mehr Bilder mit dem Handy mache. Mir ist damals auch aufgefallen, dass Leute immer mehr private Bilder posten, auch weil das einfacher geht, wenn die Kamera direkt auf dem Gerät ist, von dem man die Bilder auch gleich posten kann. So kam ich zu meinem Thema „Digitale Bildpraktiken. Handlungsdimensionen visueller, vernetzter Kommunikation.“ Grundsätzlich geht es dabei um Transformationen von zwischenmenschlicher, visueller Kommunikation: Dass wir, so wie wir miteinander telefonieren, SMS schicken oder Briefe schreiben, seit ungefähr 10 Jahren auch Bilder schicken und herzeigen – vor allem auf diversen Social Media Plattformen im Internet. Unsere Verständigung hat sich also verschoben von schriftlicher hin zu visueller Kommunikation. Was ich so faszinierend finde ist, dass wir vorher schon Photos gemacht haben, aber jetzt sind sie zu Mitteln zwischenmenschlicher Kommunikation geworden, kleben nicht in irgendwelchen Alben, sondern schwirren jeden Tag millionenfach zwischen uns hin und her.
Diese Kommmunikationsform ist eine Mischung aus privater Photographie, SMS schicken und Computernutzung – ist quasi das Destillat aus allem. Konvergenz hat, kann man sagen, im Smartphone seinen Höhepunkt gefunden. Konvergenz meint dabei, dass in einem Gerät verschiedene mediale Funktionen und Kanäle zusammenkommen. Im Fall vom Smartphone sind das: Internet, Zeitung, Fernsehen, usw. also alles eigentlich. Was früher getrennt war, ist jetzt alles in einem Gerät. Etwas das dabei besonders auffällt ist, dass ältere Menschen mehr in Geräten oder Hardware denken und jüngere in Software. Das heißt ältere machen Urlaubsphotos mit der Kamera und Handyphotos – im Sinn von Schnappschüssen – auch mit dem Handy. Bei den jüngeren ist das anders, diese machen Photos für Snapchat oder Instagram und denken also an die verschiedenen Social Media Plattformen.
Was fasziniert Dich an diesem Thema?
Mich faszinieren Themen immer, wenn es auch viele Konflikte darum und auch Aufmerksamkeit dafür gibt. Gerade zum Beispiel bei Selfies und Selbstdarstellung stimmt das. Da wird beispielsweise gesagt „Oh mein Gott unsere Kinder sind bedroht“. Ich werde bei solchen Aussagen immer misstrauisch und möchte genauer dahinter schauen, was eigentlich wirklich passiert. Es gibt es ja das Phänomen der ‚moral panic‘, was bedeutet ‚etwas macht alles schlecht und ist böse, eine Gefahr für die Gesellschaft’ – diesen Vorwurf gibt es im Kontext vom Internet und damit zusammenhängenden Dingen sehr oft. Und da denke ich mir, das muss man eigentlich erst genau beforschen, weil es viel zu wenig Wissen gibt, um voreilige Schlüsse zu ziehen. Der erste Reflex von vielen älteren Menschen oder Eltern, Leuten die EntscheidungsträgerInnen ist, dass jüngere Menschen beschützt werden müssen und grundsätzlich unwissend und inkompetent sind. Das ist sehr bevormundend bzw. auch entmündigend. Eigentlich hat das nicht unbedingt mit dem Alter zu tun. Es gibt viele jüngere Menschen, die medial inkompetent sind, aber auch viele ältere. Das war für mich die grundlegende Frage, eben wie auch der Soziologe Erving Goffman sagt „what the fuck is going on here?“. Das halte ich überhaupt für eine gute sozialwissenschaftliche Ausgangsfrage. Überhaupt einmal zu verstehen, worum es da überhaupt geht. Welche unsichtbaren Regeln, Annahmen und Voraussetzungen spielen in einer sozialen Situation eine Rolle?
Welche gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Rolle spielt für Dich Dein Forschungsthema?
Einerseits ist Kommunikation und auch visuelle Kommunikation Schmierstoff für alle sozialen Beziehungen. Gesellschaft funktioniert nicht ohne Kommunikation. Egal wo, auf allen Ebenen, in Liebesbeziehungen, in Organisationen, in Familien, usw.. Es ist ganz wichtig zu verstehen, wie wir kommunizieren. Das zu verstehen bedeutet auch, dass wir verstehen, wie wir miteinander leben. Und natürlich auch wie wir miteinander zusammenleben möchten, das heißt: Was für eine Gesellschaft wollen wir eigentlich? Wie möchten wir diese gestalten? Und diese technische Infrastruktur oder das Internet ist ja kein neutraler Ort. Hinter den Plattformen über die wir kommunizieren, stecken auch kommerzielle Interessen. Die EigentümerInnen der Plattformen möchten Gewinn machen und das nämlich mit unseren Daten. Hier geht es auch um Verantwortung, natürlich auch um rechtliche Fragen und vor wem sich solche AkteurInnen verantworten müssen. Diese Plattformen und Social Media sind so stark und innig mit unserem Alltag verbunden. Die Frage ist: Was bedeutet das eigentlich, wenn ich meinen ganzen Alltag, meine Kommunikation, die Veranstaltungen zu denen ich gehe, die Radiosendungen, die ich höre, die Rezepte die ich suche, wenn ich das alles über eine Plattform gefiltert bekomme? Das führt mich zu dem Thema Wissen und News, also Nachrichten: Woher bekommt man das Wissen über die Welt? Wie komme ich zu meinem Wissen über die Welt und wer gestaltet das mit? Welche Algorithmen, welche Plattformen, welche FreundInnen, die mir Links weiterleiten, haben darauf einen Einfluss?
Was sind da Deine wichtigsten Erkenntnisse? Auch aus Deinem Dissertationsprojekt?
Eine wichtige Erkenntnis ist so wichtig, wie auch banal: Technik ist nicht an sich böse. Die Potentiale und Beschränkungen von technischen Dingen spielen immer mit dem zusammen was Menschen tun. Das eine kann man nicht ohne das andere betrachten. Und auch eindimensionale, kausale Diagnosen a la „Selfies sind narzisstisch“ oder „alle Jugendlichen sind Digital Natives“ sind zu kurz gegriffen und werden der Komplexität der Welt nicht gerecht. Gerade qualitative Methoden ermöglichen es, dass Sozialforschung die Komplexität der Welt aufzufächern kamnn und die vielfältigen Zusammenhänge und Bedingungen von – in diesem Fall digitaler – Kommunikation zu verstehen. Konkret heißt das zum Beispiel: Welches Photo ich wo poste, hat mit vielen Faktoren zu tun. Hauptsächlich damit wer der oder die AdressatIn, d.h. das Publikum für das Bild, ist. Da gibt es im Netz inzwischen eine große Spannbreite an Möglichkeiten. Ich kann ein Photo nur einer Person schicken, z.B. in Snapchat, und das Photo zerstört sich dann selbst. Ich kann es aber genauso auf meine Facebookseite mit z.B. 600 FreundInnen posten und damit zur Diskussion stellen. Das sind sozusagen ganz unterschiedliche Grade von Öffentlichkeit und aber auch von Interaktivität des Bildes. Es macht einen Unterschied, ob man es liken und kommentieren kann oder ob es eine intime Nachricht an eine spezifische Person ist. Das was auf den Bildern zu sehen ist und was darauf gezeigt wird, richtet sich auch nach dem Öffentlichkeitsgrad, wo das Bild und auch für wen es zu sehen ist. Ich vergleiche das gerne damit: Bilder auf Facebook oder Instagram entsprechen dem Sprechen von Hochdeutsch. Das ist quasi ordentlich und schön gefasst, dass es einfach jede/r versteht. Während in Messengerprogrammen gerne auch an spezielle Leute Bilder geschickt werden, die wie Dialekte oder Insiderschmähs funktionieren. Diese Bilder gehen an einen kleinen Kreis von Leuten, die wissen warum etwas schön oder auch lustig ist.
Wenn Du kurz umreißt, wie Du arbeitest: Wie gehst Du vor?
Ich arbeite nach den Prinzipien der rekonstruktiven Sozialforschung. Die Lebenswelten von Beforschten stehen dabei für mich im Mittelpunkt, die Zusammenhänge im Alltag und wie diese Menschen handeln. Es geht darum: Nicht nach dem einen warum zu fragen, sondern wirklich nachzuzeichnen, wie sie handeln und womit das etwas zu tun hat. Was für mich das Asset qualitativer Forschung ist, dass man so der eigentlichen Komplexität des Alltags gerecht werden kann – und auch dem Forschungsfeld bzw. den Menschen darin die Strukturierung der Kommunikation zu überlassen. Wenn ich Interviews führe, dann folge ich der Art und Weise wie meine InterviewpartnerInnen reden und höre vor allem zu. Anders als z.B. bei einem Fragebogen, wo die Kommunikation von den Forschenden vorstrukturiert wird und sich die Beforschten in diese vorgegebene Struktur einfügen müssen. In meiner Forschung kommen die Menschen selbst zu Wort, ihre Perspektive wird damit zugänglich und rekonstruierbar.
Was kann mit diesem Forschungsansatz erreicht werden?
Die Vielschichtigkeit sozialer Beziehungen kann so besser und intensiver verstanden werden. Hier ist mir wichtig keinen einfachen, monokausalen Erklärungen aufzusitzen, sondern eben die komplexen Zusammenhänge des Alltags auch für die Forschung zugänglich zu machen. Und ebenso transparent zu machen, wie viel Gesellschaft in jeder kleinen Handlung jedes Menschen drinsteckt.
Was magst Du weiterhin beforschen? In welche Themen möchtest Du Dich bewegen?
Eine Frage, die sich hier für mich aufdrängt ist Authentizität und auch Vertrauen. Das sowohl Institutionen und kommerziellen AkteurInnen gegenüber, als auch dem eigenen Freundeskreis. Im Kontext von Bildern geht es vor allem um die Fragestellungen: Welche Bilder sind manipuliert oder gephotoshopped. Wir haben oft den Eindruck, dass alle unsere FreundInnen auf Urlaub sind oder viel Sport machen. Was macht hier Social Media mit unserer Wahrnehmung von der Welt? Und wem glauben wir oder wem glauben wir nicht? Das sind so die spannendsten Fragen, die mich auch sicherlich noch weiterhin antreiben werden.
Danke für das spannende Gespräch und viel Spaß noch beim weiteren Forschen!
]]>
Mehrere österreichische Zeitungen und Nachrichtenplattformen berichteten von 95.000 €, die für einen Energie-Schutzring rund um das Krankenhaus Nord in Wien den Besitzer wechselten. Nach Bekanntwerden ließ der Skandal nicht lange auf sich warten: Bei der Summe handelt es sich um Steuergelder.
Gerade im Gesundheitsbereich sind esoterische oder unwissenschaftliche Strömungen keine Seltenheit. Einerseits lässt sich damit gut Geld machen, andererseits fehlt es medizinischen Ausbildungen häufig an Distanz zu esoterischen und/oder unwissenschaftlichen Strömungen. Beispielsweise können ÄrztInnen bei der Akademie der Ärzte, dem “Bildungsforum der Österreichischen Ärztekammer und Expertenplattform für DFP, Arztprüfungen und ärztliche Fort- und Weiterbildung”, ein Diplom für Homöopathie erwerben: Lehrgang Homöopathie der Akademie der Ärzte. Auch diverse andere Angebote finden sich in Ärzteausbildungen betrachtet man die Liste der ÖAK Diplome, die angeboten werden.
Der nun bekannt gewordene Skandal rund um eine Programmleiterin, die fast 100.000 € für einen energetischen Schutzring an einen Esoteriker überweisen ließ, ergänzt hier das Bild. Mit allerlei Unfug wird Geld gemacht. Der Gesundheitsbereich ist dabei aber nicht allein. Kürzlich waren in Wien z.B. auch Veranstaltungen der Wirtschaftskammer Thema bei denen Astrologie im Mittelpunkt stand. Dieser “Berufs”zweig verfügt sogar über eine eigene Sparte und Vertretung in der Wirtschaftskammer.
Viele Gründe also warum Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Prinzipien eigentlich in alle Lehrpläne an Schulen und in Lehramtsausbildungen integriert werden sollten, um zumindest langfristig solchem Unfug entgegenzuwirken.
Quellen:
wien.orf.at: KAV zahlt Esoteriker 95.000 Euro
krone.at: 95.000 Euro Steuergeld für „Bewusstseins-Forscher“
derstandard.at: KH-Nord: Projektleiterin wegen Energetik-Auftrag abgezogen
]]>
Den Text zur Pluralität in Wiener Kinderbetreuungseinrichtungen zu lesen, macht Freude. Vorgelegt wurde eine differenzierte und ausgewogene Studie. Das Studiendesign umfasst mehrere methodische Zugänge und macht so eine multidimensionale Analyse möglich. Alle Teilbereiche wurden zusammengetragen und führten zu einer gemeinsamen Konklusio inklusive weiterführender Empfehlungen. Ums umgangssprachlich zu sagen: So muss sozialwissenschaftliche Forschung. Aus methodischer Sicht – und das ist es was ich im Rahmen von #kigagate analysiert habe – ist dies eine gut dokumentierte, transparente und methodologisch fundiert verankerte Forschungsarbeit.
Alle Kritierien auf die bei der Beurteilung wissenschaftlicher Arbeiten geschaut wird, wurden eingehalten:
Quelle der Grafik: S. 36 der Studie, Pluki, Titel: Abbildung 7.1.: Gesamtanlage der Studie
Bis auf diesen einen Punkt bzgl. einer Auflistung der verwendeten Quellen ist dies eine umfangreiche, gut gemachte und reflexive Arbeit. Auch die Medienberichterstattung reflektiert dies. Die Ergebnisse aus diesem Teil der Studie können und konnten nicht skandalisiert werden, sie sind fundiert und gut aufbereitet. So blieb u.a. der Kronenzeitung gestern nur auf den Teil von Ednan Aslan zurückzugreifen und hier einen Einzelfall zu einem Skandal aufzubauschen. Die Berichterstattung in z.B. Standard oder Kurier näherten sich dem Thema auf ganz andere Weise.
Bleibt also die, zugegeben rhetorische, Frage: Cui bono?
Die Wissenschaften, und dabei insbesondere die Sozialwissenschaften, haben nicht der Politik oder dem Boulevard zu dienen, sondern müssen der gesamten Gesellschaft ihre Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Der Studie zur “Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung sogenannter „islamischer“ Einrichtungen” ist dies methodisch einwandfrei gelungen.
Quellen: Beide Studienteile sind über das Medienportal der Universität Wien zugänglich.
]]>Morgen, am 21.12.2017, werden die Endergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Mir wurde die Studie schon heute zugespielt, ich kam nicht umher sie mir genauer anzusehen und hier wiederum eine methodische Analyse zu veröffentlichen.
Entstehung der Studie – nicht als Teil des Forschungsteams
Beauftragt wurde ein interdisziplinäres Forschungsteam zusammengesetzt aus zwei Institutionen. Grundsätzlich eine zielführende Strategie, um zu ausgewogenen und umfassenden Erkenntnissen zu gelangen. Insbesondere bei einem so öffentlichen und umstrittenen Thema war diese Vorgangsweise eine umsichtige. Die Entscheidung nicht einen Bericht, und damit gemeinsam akkordierte Aussagen in die Öffentlichkeit zu tragen, lag offensichtlich bei Aslan. Dieser zog es vor seinen Teil im Alleingang zu veröffentlichen. Meinen Informationen nach wird auch die morgige Präsentation aus aneinandergereihten Statements bestehen und nicht, wie eigentlich üblich und sinnvoll, eine gemeinsame Vorstellung der Ergebnisse. Ob dies eine bewusste Strategie ist, um die Gültigkeit und öffentliche Wirkung der Ergebnisse zu unterlaufen, lässt sich nur spekulieren, liegt aber nahe.
Edit – siehe Info von Heiko Heinisch in den Kommentaren: “Die getrennte Durchführung und auch Abgabe wurde sehr früh im Team beschlossen. Das finden Sie auf S. 3 des anderen Studienteils. Aslan hat schlicht und einfach den Abgabetermin – der von der anderen Gruppe einmal verschoben wurde (was Sie auch im anderen Teil der Studie finden werden) – eingehalten.”
Unverhältnismäßig hoher Anteil an Zitaten
Der Text besteht in weiten Passagen aus einer Aneinanderreihung von Zitaten, die aus den Interviews, den Handakten oder Websites entnommen wurden. In studentischen Arbeiten ist dies üblicher Weise eine beliebte Strategie, um sich der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit zu entziehen und Platz zu füllen. Zulässig ist dies nicht. Nicht die Ergebnisse sollen für sich stehen und die LeserInnen sich einen Reim darauf machen, sondern die Quellen Gegenstand und Ausgansgpunkt für Analysen sein. Die in wissenschaftlichen Texten enthaltenen Zitate sollen die Ergebnisse transportieren und greifbar machen. Betrachtet man z.B. die Seite 21 des Berichts mit den Ausführungen zum Thema „Religiöse Erziehung und Koran in den Konzeptionen der Betreibervereine“ ist sichtbar, wie hier – nicht wissenschaftlich korrekt – vorgegangen wurde. Auf deskriptiver Ebene wird eine Litanei an Zitaten aus den Handakten angeführt. Würde die Studie dies tun, was sie mit dem Verweis auf Strauss und der Erwähnung von Memos, behauptet – nämlich der Grounded Theory zu folgen – würden sich an dieser Stelle gänzlich Anderes finden. Eine Typologie unterschiedlicher Zugänge zu religiöser Erziehung und der Konzeptionen im Rahmen der Trägervereine wäre hier zum Beispiel eine naheliegende und auch zielführende Möglichkeit. Damit ließe sich das Feld der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen bzgl. der Perspektiven in der Praxis fassen, etwas das die InspektorInnen der MA 10 und 11 bei ihrer Arbeit unterstützen könnte. So aber bleibt es bei einer rein beschreibenden Aufzählung ohne wissenschaftlichem Wert.
Sampling und Fallauswahl
Auch wenn das Sampling auf S. 10 des Berichts erwähnt wird, greifbar ist nicht welche Auswahl getroffen wurde und welche Fälle warum und wie in die Daten eingingen. Das Ziel eines Samplingprozesses ist es alle Perspektiven in einem untersuchten Feld zu erfassen, um damit umfassende Aussagen treffen zu können. Willkürlich bzw. in der Studie intransparent „77 islamische Einrichtungen schriftlich bzw. telefonisch“ (S. 10) zu kontaktieren und dann mit jenen zu reden, die einem Interview zustimmen, gehört nicht dazu.
Definition zu islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen
Positiv fällt auf – und so sollte dies auch in Bezug auf das Sampling gemacht werden – dass die Kriterien für die Definition ausführlich transparent gemacht werden. (S. 11 ff) In einem so unklaren Feld, wie den schnell gewachsenen Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien, sind Kriterien oftmals nicht eindeutig. Hier anzusetzen und klar zu transportieren wie es zur Auswahl der Grundgesamtheit an islamischen Kigas und Kigrus kam, entspricht einem korrekten wissenschaftlichen Vorgehen. Ähnliches sollte dann auch in Folge bei der Fallauswahl (eigentlich) geschehen.
Transparenz der Quellen und Anhang
Im Text wird auf Interviews verwiesen, die aber im Anhang nicht angeführt werden. Auch wenn es nicht notwendig ist gesamte Transkripte in den Anhang zu inkludieren, so ist es zielführend eine Übersicht der geführten Interviews mit Datum, der maskierten Bezeichnung und weiteren, relevanten Informationen in einer Liste im Anhang anzuführen. Damit ist gewährleistet, dass interessierte KollegInnen das Datenmaterial nachfragen können bzw. bei etwaigen Zweifeln diese durch das transparent machen der Quellen ausräumen zu können. Wäre ich an Stelle der Auftraggeberin würde ich, so wie dies auch bei universitären Qualifizierungsarbeiten üblich ist, vom Auftragnehmer verlangen die Transkripte zur Verfügung zu stellen – natürlich anonymisiert und so bearbeitet, dass die Identität der Interviewten geschützt ist.
Warum im Anhang Listen mit den Nachnamen von Kindern veröffentlicht werden, nicht aber eine Übersicht über die geführten Interviews inkludiert ist, ist nicht nachvollziehbar und auch nicht zielführend. Auch eine Aufzählung des weiteren Datenmaterials, wie z.B. der Handakten, Websites von BetreiberInnen, usw. wäre sozialwissenschaftlich korrekt.
Im Anhang fehlt der Leitfaden für die durchgeführten Interviews. So bleibt intransparent was genau und wie gefragt wurde und wie dieser gestaltet war. Auf S. 9 der Studie werden lediglich die groben Überschriften der Themenbereiche des Leitfadens angeführt, etwas das als nicht ausreichend qualifiziert werden kann.
Methodische Intransparenz: Auswertungsstrategie unklar
Der einzige Hinweis auf die gewählte Auswertungsstrategie fällt mager aus: „Die Analyse des Datenmaterials orientierte sich grundsätzlich an den Prinzipien der „interpretativen Sozialforschung“ (Rosenthal 2005), gemäß denen Konzepte, Begriffe, Kodierungen und Kategorien auf Grundlage des qualitativen Datenmaterials entwickelt werden (vgl. Kelle und Kluge 2010, 18).“ (S. 10) Unabhängig davon, dass es _die_ interpretative Sozialforschung nicht gibt, weil dies schlicht ein Überbegriff für mehrere Ansätze ist, reicht dies als Erklärung nicht aus. In Forschungsarbeiten werden die gewählten Wege transparent gemacht und die Vorgangsweise dargestellt. Ziel ist dabei natürlich den wissenschaftlichen Gütekriterien Genüge zu tun und für andere Forschende Überprüfbarkeit und Anknüpfungspunkte zu schaffen. Ein reines Anführen von Literatur macht den Forschungszugang nicht zugänglich.
Literaturverzeichnis
Strauss, 1998, wird im Kontext von Memos erwähnt, findet sich aber nicht im Literaturverzeichnis wieder. Meine Vermutung ist, dass dies eines der Überbleibsel der ersten Version ist, die Grounded Theory als Forschungsstrategie flog ja, nach meiner ersten Kritik, aus der Endfassung.
Fehlendes Modell bzw. gegenständliche Theorie
Im Titel der Studie ist von Motiven und Strategien die Rede, eine Konzeptualisierung dieser Ankündigungen fehlt im Text. Die Worte Typologie oder Typik finden sich im gesamten Text nicht, dies wären aber eigentlich aufgrund der Ausrichtung der Studie und Ankündigung erwartbare Ergebnisse.
Inhaltliche Anmerkungen
Abseits der methodischen Analyse sticht die Argumentation in der Studie ab S. 16 ins Auge. Die von Aslans Arbeit verursachten öffentlichen Diskurse werden als Ausgangspunkt der Untersuchung bzgl. der Reaktionen der MA 11 gewählt und argumentiert. Auf S. 25 wird angeführt die Reaktionen fielen „einigermaßen hektisch“ aus und die Ergebnisse wären „mit großer Aufregung zur Kenntnis genommen“ worden. Die MA 11 wäre dem Thema mit „Ratlosigkeit“ begegnet, wird auf S. 26 weiter ausgeführt. Wenn schon derartige Wertungen in einen wissenschaftlichen Text aufgenommen werden, dann sollten diese zumindest profund untermauert und analysiert werden. Nur die Wertung zu postulieren ohne Begründungen anzuführen, entspricht keiner guten wissenschaftlichen Praxis.
Die MA 11 ist sicherlich nicht völlig frei von den oben erwähnten Thematiken und Baustellen gibt es im Kinderbetreuungsbereich ohne Frage unzählige. Auch Kritikpunkte würden mir aus meiner Praxis im Bereich der Kindergruppen so einige einfallen, auch das Wort Ratlosigkeit bzgl. der Bewertungen von pädagogischer Qualität und der Rückzug auf feuer- oder baupolizeiliche Gutachten werden in dem Kontext häufig diskutiert. Wichtig wäre – aus sozialwissenschaftlicher Sicht – diese Argumente auf die Basis von Fakten und Beweisen zu stellen und nicht mit Postulaten und Anschuldigungen zu agieren, denen keine Begründungen folgen.
Abschließendes Fazit
Faszinierend ist, wie sehr sich all diese Kiga-gate-Texte ähneln. Qualität und Wissenschaftlichkeit scheinen kein Kriterium zu sein, sonst würden sich nicht die immer gleichen Fehler wiederholen. Und wiederum kann auch hier abschließend nur angemerkt werden: Eine positive Bacherlor- oder Masterarbeit wäre das nicht. Dafür fehlen die Quellen, die Transparenz bzgl. des Samplings und der Arbeitsweise und die Wahl bzw. Strategie des Auswertungsverfahrens. Bleibt also wie so oft die abschließende Frage: Cui bono? Wem nutzt dies alles?
Quellen: Beide Studienteile sind über das Medienportal der Universität Wien zugänglich.
]]>Die islamischen Kindergärten in Wien sind seit mehr als einem Jahr Teil des öffentlichen Diskurses. Grund dafür ist eine Studie, die ohne wissenschaftliche Fundierung Behauptungen aufstellt. Mit der Vorstudie und der einige Monate später veröffentlichten Studie habe ich mich hier am Scienceblog ausführlich auseinandergesetzt – Links sind unten nochmal gesammelt aufgeführt. Methodisch waren beide schlecht gemacht, die Vorstudie schlechter als der dann folgende Endbericht.
Heute veröffentlicht der Falter eine Story dazu, wie der Text des Berichts, und damit die Ergebnisse, verändert wurden. Dem Falter wurde ein Wordfile mit Korrekturen zugespielt. Einen kleinen Einblick gab Florian Klenk, Chefredakteur des Falter, via Twitter und Facebook: Ab 17 Uhr ist der Artikel und auch alle internen Dokumente auf der Website des Falter zugänglich: #kurzleaks auf der Website des Falter
Was heute veröffentlicht wurde und noch wird, stützt die damalige Kritik. Schlecht gemachte Studien öffnen Tür und Tor für deren Instrumentalisierung. Wissenschafter oder Wissenschafterin sein, heißt den Fakten treu zu bleiben und zu wissen wie mit Auftragsforschung umgegangen wird. Für sozialwissenschaftlich Tätige gilt dies noch umso mehr, weil wir von unserem Gegenstand – den Menschen – nur durch fundiertes methodisches und nachvollziehbares Arbeiten – trennbar sind. Imho sollte die Universität Wien schleunigst Konsequenzen ziehen.
Scienceblogbeiträge zum abschließenden Projektbericht:
Islamische Kindergärten: Der Abschlussbericht – Eine methodische Kritik, Kurzfassung
Islamische Kindergärten: Der Abschlussbericht – Eine methodische Kritik, Langfassung
Drei Hauptkritikpunkte an der Evaluierung – verfasst für science.orf.at
Auf anderen Plattformen:
Kritik an Studie zu islamischen Kindergärten – Science.orf.at
Zur “Vorstudie”:
Methodische Kritik zur „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ – Kurzfassung
Langfassung: Methodische Kritik zur „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“
]]>
Heute beim Frühstück waren einige der oben genannten Punkte Thema. Klar, diese Dinge sind derzeit im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Vieles davon ist relativ gesehen neu – zumindest im Verhältnis zur Dauer der restlichen Medienhistorie. Aber ganz neu ist das alles nicht. Hier ein paar Aussagen, die im Diskurs des Öfteren zu hören sind und einige Thesen und Erwiderungen aus sozial- und medienwissenschaftlicher Sicht darauf:
„Wir leben in einem postfaktischen Zeitalter!“
Die Ansicht heute in einer postfaktischen Zeit zu leben, in der gesicherte Erkenntnisse nicht mehr zählen und Unwahrheiten zu vorherrschenden Inhalten werden, ist – nun ja – interessant. Vor allem weil diese impliziert, davor wäre so etwas wie ein faktisches Zeitalter gewesen. Wo und wann soll das gewesen sein? Der Alltag war immer schon nicht-faktisch. Ein entscheidender Faktor für die derzeitigen Debatten ist die Sichtbarkeit. Was wir beobachten können ist, dass die althergebrachten Filter, die Fakten von Gerüchten trennen, nicht mehr im gleichen Maß funktionieren. Ein Beispiel dafür sind Medien wie Zeitungen oder Fernsehen. Diese hatten über lange Zeit die Funktionen inne den Informationsfluss zu filtern, Fakten von Nicht-Fakten zu trennen und zu entscheiden welche Inhalte in die Öffentlichkeit gelangen. Auch da gab es immer schon mediale Formen, die ihren Schwerpunkt im Nicht-Faktischen hatten – Boulevardmedien, die Regenbogenpresse, usw. – nur konnten diese eingeordnet werden und deshalb auch unter dem Filter dieser Wahrnehmung konsumiert werden.
Mediale Filterfunktionen greifen heute nicht mehr in gleicher Weise. Äußerungen, ob faktisch oder nicht, werden via Social Media oder Websites gleichrangig zugänglich. Die NutzerInnen sind damit mehr gefordert selbst zu beurteilen was wahr ist oder eben nicht. Und wie meist bei technologischen Entwicklungen hinken die gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher. Medienkompetenzen bzw. media literacy, der englischsprachige Begriff ist da weitaus treffender, konnten mit der Entwicklung von Kommunikationstechniken nicht mithalten. Die meisten Menschen sind schlicht nicht so weit. Und auch die oft vielgepriesenen ‚digital natives‘ sind da nicht weiter als die ‚digital immigrants‘. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Stanford hat dies klar gezeigt: Die meisten jungen Menschen können Fakten und Fake-News nicht unterscheiden. Die mehrere Jahrzehnte alte Forderung Lehrpläne diesbezüglich aufzuwerten und das Thema in den Schulalltag aufzunehmen sind meist das Papier nicht wert auf dem sie stehen.
Fazit: Wir leben in keinem postfaktischen Zeitalter. Wir waren niemals in einem faktischen. Das nicht-faktische wird inzwischen einfach sichtbarer und die adäquaten Strategien um damit umzugehen, wurden noch nicht entwickelt.
„Wir alle leben in Filterblasen!“
Natürlich, das tun wir. Die Algorithmen von Social Media Plattformen zeigen uns mehr von dem, was wir liken, teilen oder kommentieren. Dadurch werden Informationen gefiltert und wir bekommen zu sehen, was uns entspricht. Allerdings ist das ganz und gar nichts Neues. Die größte Filterbubble von allen ist unser Alltag. Nichts ist mehr gefiltert als unser reales Leben. Wir brauchen Mechanismen um mit der Komplexität des Alltags umzugehen. Deshalb lernen wir von Anfang an auszuwählen. Der Prozess nennt sich Sozialisation und ist so alt wie die Menschheit selbst. Unsere Umfelder und Herkünfte gestalten unsere Wahrnehmungen mit, wir lernen abzuwägen und zu beurteilen.
Unsere direkten Kontakte wählen wir dementsprechend passend aus. Wir umgeben uns mit Menschen mit denen wir uns wohlfühlen. Und mit wem fühlen wir uns wohl? Mit anderen, die uns bzgl. Einstellungen und Verhalten ähnlich sind – soziologisch formuliert: Mit jenen, die uns habituell ähnlich sind. Bourdieu lesen hilft diesbezüglich übrigens ungemein.
Die Medienwissenschaft beschäftigt sich seit ihren Anfängen mit dem Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Wir wählen Inhalte so aus, dass sie unsere Meinungen verstärken und bestätigen. Zu lernen von den eigenen Ansichten zu abstrahieren, dies zu einem begleitenden Prozess zu machen und damit Kritikfähigkeit zu entwickeln, ist nichts Selbstverständliches. Gelernt wird dies in jenem Teil des Sozialisationsprozesses, der sich Bildung nennt.
Was klingt durch diese Aussagen durch? Die – imho etwas naive – Erwartungshaltung neue Technologien würden das Leben verbessern, demokratischer gestalten und gleichmäßiger machen. Die – paternalistische – Haltung, dass Menschen erzogen werden müssten und damit zu etwas Besserem gemacht werden als sie aktuell sind, zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte.
Fazit: Soziale und kommunikative Filterblasen gab es immer schon, im realen noch viel stärker als im virtuellen Leben. Das Phänomen ist nicht neu, es wird nur im Diskurs via Social Media greifbarer. Im Virtuellen wird es möglich, die alltäglichen Filterblasen zu verlassen und sich zu konfrontieren. Viele Menschen tun das aber nicht. Warum sollten sie auch? Bzw. woher sollten sie wissen, dass dies Qualitäten hat? Das tun und wissen sie im ‚real life‘ meist auch nicht.
„So schlimm war es noch nie, die Umgangsformen sind so oarg!“
Beobachtbar sind Radikalisierungen in Kommentaren, Herabwürdigungen von anderen Diskutierenden, virtuelle Rüpeleien oder auch das Phänomen Hatespeech. Im medialen Diskurs wird dies als etwas Neues dargestellt und – oft – mit drohendem Zeigefinger gewarnt. Aber auch hier gilt: Das ist nicht neu. All das gab es immer schon. Nur waren diese Dinge nicht so sichtbar. Die Öffentlichkeiten haben sich geändert. Inzwischen hat jeder und jede ihre eigene Öffentlichkeit und kann sichtbar werden. Facebook, Twitter, Instagram und Co, also alle Plattformen in denen direkte Kommunikation möglich ist, schaffen diese Möglichkeiten. Das was Menschen früher am vielzitierten Stammtisch gepoltert haben, poltern sie heute virtuell. Und im Virtuellen treffen Milieus aufeinander, die sich früher im realen Leben nicht getroffen hätten. Um das in Wiener Vergleichen darzustellen: Die Gäste eines Vorstadtwirtshauses treffen nicht auf die Besucher eines innerstädtischen Kaffeehauses. Die BesucherInnen eines Megaplex kreuzen nicht die Wege jener mit einem Abo für die Oper oder Josefstadt. Im Virtuellen treffen Menschen in noch nicht verhandelten gesellschaftlichen Bereichen aufeinander. Im Alltag wissen Primarärztin und Bauarbeiter, Rechtsanwalt und Putzfrau wie sie miteinander umgehen, ihr gesellschaftlicher Umgang ist durch soziale Konventionen geregelt. Im Virtuellen stehen sich beide Seiten – vermeintlich – gleichberechtigt gegenüber, der kommunikative Umgang ist nicht geregelt und virtuelle Sammelbecken, wie Gruppen oder Pages, schaffen zudem kollektive Strukturen. Zusätzlich liegen die Tücken von Geschriebenem in der Exaktheit. Getipptes ist leichter misszuverstehen, schriftliche Diskussionen sind anfällig für Polarisierungen und unsere kollektiven Fähigkeiten diesbezüglich noch eher unterentwickelt.
Fazit: Neu sind nicht die Umgangsformen, neu ist die mediale, virtuelle Konfrontation. Gespräche und Gesprächsformen, die sonst im direkten Gespräch am Bier- oder Kaffeehaustisch geblieben wären, sind nun für alle nachlesbar und Menschen, die sich im „richtigen Leben“ nie treffen würden, begegnen sich nun virtuell.
Und nur der Vollständigkeit halber, weil ich das auch schon zu hören bekam:
„Früher wurde mehr auf Intellektuelle gehört!“
Ja. Ganz sicher. Bledsinn. Wo genau soll das gewesen sein? In meiner Kindheit und Jugend – ich stamme aus einem der Wiener Flächenbezirke in Transdanubien – war ‚Intellektuelle‘ ein Schimpfwort.
Bisserl elaborierter: Aus einer bildungsbürgerlichen Perspektive mag das stimmen, aus anderen gesellschaftlichen Perspektiven nicht. Das Phänomen der ‚Lügenpresse‘ lässt sich aus sozialwissenschaftlicher Sicht auch milieuspezifisch erklären. JournalistInnen sind und sehen sich als Gatekeeper, sie treffen Entscheidungen darüber was berichtenswert ist und was nicht. Und sie gehören natürlich zu einem tendenziell bildungsaffinerem Milieu – auch wenn so einige JournalistInnen MilieuwechslerInnen sind, mein Institut, die Publizistik und Kommunikationswissenschaft, war und ist ein Sammelbecken dafür. Ein recht elitärer Gesellschaftsbereich, der Journalismus, entscheidet also darüber was und über wen berichtet wird. Dementsprechend wird und wurde ausgewählt. Und dementsprechende Inhalte landeten auch in den medialen Formaten. Social Media verändert diese Vermittlungsinstanzen, Journalismus funktioniert in vielen Gesellschaftsbereichen nicht mehr wie vor 20 Jahren. Die Wirkmächtigkeit und Funktionen verschieben sich und diesbezügliche Aushandlungsprozesse sind im Laufen. Die Skepsis von Milieus den anderen gegenüber bekommt so einen medialen Kanal, der vor Social Media nicht existent war.
Fazit: Früher wurde über die Kronen Zeitung und ihre dummen LeserInnen lamentiert, heute äußern sich die LeserInnen via Social Media selbst und werden sichtbar. Heute wird über die rüpelnden Kommentare und deren Sichtbarkeit lamentiert. Die Skepsis vieler Milieus gegenüber bildungsaffinen Medien ist geblieben, wird aber jetzt – „Lügenpresse!!!1111einseinself“ – vielerorts greifbar. Neu ist damit die Wirkmächtigkeit des Boulevards in virtuellen Kanälen, ehemals getrennte Diskurse treffen via Social Media aufeinander.
Ist jetzt alles so viel furchtbarer und schlechter als ‚früher‘?
Nein. Die Phänomene sind nicht neu. Die Intensität ist neu und wir haben noch keine Wege des Umgangs und der Verarbeitung gefunden. Derzeit wird die Vernachlässigung des Bildungssystems geballt greifbar. Menschen müssen lernen mit technologischen Errungenschaften umzugehen, das passiert nicht von selbst. Jede neue Welle technologischer Entwicklung braucht eine Phase der gesellschaftlichen Adaption und des Dazulernens – etwas das Zeit und Aufwand braucht. Medienhistorisch betrachtet folgen auf Phasen einer Technologieeuphorie immer Phasen des Kulturpessimismus und der Schwarzmalerei. Wir werden unsere Schulen und Lehrpläne weiterentwickeln und Umgangsformen mit der Digitalisierung und virtueller Kommunikation entwickeln müssen. Unsere hierarchischen Bildungsinstitutionen werden sich über kurz oder lang so verändern müssen, dass die Entwicklung von individueller und kollektiver media literacy möglich wird.
P.S.: Übrigens gründe ich gerade mit anderen gemeinsam eine dementsprechende Schule: Die Innovationsschule LernArena. Seit kurzem gibts auch einen Beitrag von Okto zur Innovationsschule LernArena.
]]>
Dieser Blogbeitrag hier ist mal etwas anderes: Keine Methodenreflexion oder Studienkritik, sondern eine kleine Schilderung über eine Lehrveranstaltung an der Publizistik der Universität Wien aus der zuerst ein Projekt und dann sogar ein – derzeit im Aufbau befindliches – Forschungsinstitut entstanden ist. Auch darin enthalten die Erzählung wie ein Fragebogenprojekt entsteht.
Am Anfang des Wintersemesters 2015/16 standen die Flüchtlingsbewegungen. Ein Ereignis an dem niemand vorbei konnte, so präsent war es sowohl im Alltag, als auch medial. Einer meiner Lehraufträge in dem Semester lautete Forschungmanagement und ich gestalte Lehre ja sehr gerne möglichst praxisnah. Sonst umfasst das Format ein Forschungsplanspiel mit Review- und Begutachtungsprozess – didaktische Gestaltungen und Lehrdesign sind Steckenpferde mit denen ich (wirklich gern) viel Zeit verbringe. In dem Wintersemester allerdings waren die Eindrücke bzgl. der Flüchtlingsbewegungen, der Grenzen, der vielen Menschen und der Hilfe, die geleistet wurde, intensiv. Sozialwissenschaftlich spannend waren die vielen Bilder, die von den helfenden Menschen gezeichnet wurden. Noch bevor es Begriffe wie Bahnhofsklatscher gab, wurden medial diverse Stereotypen gemalt. Entweder waren es nur Studierende, die sonst nichts besseres zu tun hatten oder die “Gutmenschen” oder Arbeitslose. Die Liste könnte noch recht lange ergänzt werden. Trotzdem diverse Institutionen, wie z.B. auch “meine” Uni Wien, MitarbeiterInnen Zeit für Hilfsleistungen zur Verfügung stellte, hielten sich die Stereotypen und Vorurteile hartnäckig.
Eine – sozialwissenschaftlich fundierte – Anwort auf die Frage wer die Zivilgesellschaft eigentlich ist und wie sich diese zusammensetzt, gab es nicht und gibt es bis heute nicht. Aus einem Planspiel in der Lehrveranstaltung wurde deshalb ein konkretes Projekt. Die Studierenden leisteten die Vorarbeit, recherchierten und entwarfen Fragen. Das erste Mal startete ich den Versuch ein Gesamtprojekt mit allen Aspekten eines Forschungsprojekts in einer Großgruppe von 20 Leuten umzusetzen. Zugegeben ein bisserl ein Drahtseilakt, weil es nie klar sein kann, wie engagiert oder interessiert die Gruppe und ihre Teile sind. Aber es ging gut. Wir entwarfen in einem intensiven Prozess ein gemeinsames Erkenntnisinteresse, erarbeiteten die Grundlagen, wälzten methodische Überlegungen, frischten langvergessenes Wissen auf – und am Ende des Semesters hatten die Gruppen ein tatsächliches, quantitatives Forschungsprojekt – zum Teil – miterlebt.
Warum zum Teil? Endergebnisse, wie bei einem Forschungsprojekt mit einem eingespielten Team, können aus Lehrveranstaltungen nicht erwartet werden. Aus der Lehrveranstaltung gingen, als Semesterabschluss, mehrere Gruppenarbeiten hervor. Dies war der Startschuss für die Weiterarbeit. Vier der Studierenden blieben, wir arbeiteten im Sommersemester, neben den sonstigen Tätigkeiten, weiter. Viel wurde umgestellt und der Fragebogen wuchs. Um dem ganzen Projekt, und v.a. auch den Daten, einen rechtlichen Rahmen zu geben, gründeten wir einen Verein: FiZ – Forschungsinstitut Zivilgesellschaft.
Methodisch gesehen versucht der Fragebogen vor allem eins: Einen Teilbereich der Gesellschaft zu erfassen und Daten über seine Zusammensetzung zu liefern. Die gewählten Perspektiven sind möglichst vielfältig. Neben soziodemographischen Daten fragen wir nach der Mediennutzung – naheliegend als kommunikationswissenschaftliches Projekt – aber auch Privacy, politische und ehrenamtliche Tätigkeiten und das Engagement werden abgefragt. Ziel ist es grundsätzlich zu erfahren, wie sich die Zivilgesellschaft zusammensetzt, was die helfenden Menschen selbst darunter zu verstehen und damit die Basis für weitere Forschungen zu legen.
Fragebögen unterliegen vielen Einschränkungen. Sie sind schnell zu lang und umfangreich. Das Instrument ist keines, dass Menschen fesselt und fasziniert. Einen Ausgleich zwischen den notwendigen und sinnvollen Fragen und dem Umfang, d.h. diesen in einer halbwegs erträglichen Balance zu halten, ist dabei die Herausforderung. Interessant ist auch, dass vor allem und wie viel Zeit in die Formulierung der Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten fließt. Mehrere Teamsitzungen lang haben wir über einzelne Fragen diskutiert bis endlich alles gepasst hat – wobei es ein endgültig so gut wie nie gibt. Die methodische Herausforderung ist, nichts mehr ändern zu können. Nach dem Pretest bleibt alles fix, etwaige Fehler ebenso. Fragebögen sind sehr abstrakte methodische Instrumente und das Design aufwändig. Für eine Fragestellung, wie die hier geschilderte, kommt allerdings nur dieser Zugang in Frage. Deskription können quantitative Ansätze einfach sehr gut. Sobald der Erhebungsprozess beendet ist – wir stecken derzeit mitten in der Distribution – werden wir über die Ergebnisse berichten.
]]>
An dieser Stelle meine drei Hauptkritikpunkte an der „Evaluierung ausgewählter islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien“, um die mich science.orf.at gebeten hat und zu denen ich am vergangenen Freitag im Funkhaus interviewt wurde. Das Interview war die Basis zu dem Artikel und wird eventuell noch als Radiointerview veröffentlicht – wenn dem so ist: Infos folgen.
Ich habe ebenso eine Kurzversion meiner Analyse und auch die eigentliche Analyse, die Langfassung, auf meinen Scienceblog SocioKommunikativ gestellt.
Die grundsätzliche, schon an der Erstversion geübte Kritik, dass die Bezeichnung als Vorstudie nicht von wissenschaftlichen Grundsätzen und Arbeitsweise entbindet, bleibt aufrecht.
1. Ein Drittel des Textes besteht aus einer Beschreibung von bzw. Auseinandersetzung mit Vereinen:
a) Dieser Teil bleibt methodisch unklar und entspricht weder den Grundsätzen für theoretische Arbeiten, noch jenen für empirische: Quellen fehlen bzw. werden nur unsauber angeführt (“Weiterführende Literatur”, S. 22-24). Die Auswahl der Vereine, sprich das Sampling des Materials für die „Dokumentenanalyse“, ist nicht vorhanden.
b) Das rechtliche Verhältnis der Vereine bzw. Trägervereine zu den Kinderbetreuungseinrichtungen bleibt unklar: Besteht ein direkter, rechtlicher Zusammenhang? Sind dies die rechtlichen Träger der Kinderbetreuungseinrichtungen? Wie gestaltet sich das geäußerte Naheverhältnis zwischen den Vereinen und den Kinderbetreuungseinrichtungen. Eine genauere Überprüfung auf Basis der angegebenen Links war kaum möglich: Gingen teils ins Leere, führten teils zu Youtube-Videos.
(Anm.: Bei der MA 11 werden z.B. Kindergruppen als eigenständige Vereine mit eigenständigem pädagogischem Konzept eingereicht. Gehören diese Gruppen, was nicht bei allen der Fall ist, zu einem Trägerverein, so steht dieser in einem rechtlichen Verhältnis mit der MA 11.)
c) Der Transfer der erstellten Kategorien (S. 71ff.) auf die Kinderbetreuungseinrichtungen erfolgt auf Basis welcher Kriterien und Nachweise? Im Abschlussbericht ist dies als Postulat ohne Nachweis enthalten: „Es ist aufgrund des bisherigen Standes der Analyse davon auszugehen, dass salafistische bzw. islamistische Organisationen in der Kinderbetreuung nicht so einfach auf ihre politischen Ziele verzichten können. Die in der Studie kurz angeführte Darstellung der Ideologie der Vereine bzw. dieser Akteure schlägt sich zweifellos auf die Pädagogik nieder.“ (S. 104, Abschlussbericht)
2. Das Sampling wird zwar erwähnt, bleibt aber wie in der Erstversion intransparent. Die ausgewählten Fälle und wofür diese stehen wird nicht beschrieben. Das Feld der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen bleibt somit ungreifbar und nicht nachvollziehbar.
3. Auswertungsprozess intransparent: Die Beschreibung als qualitativ-empirische Vorstudie sagt nichts darüber aus welcher Auswertungszugang verwendet wurde. Die Auswertungsschritte sind in der Arbeit nicht nachvollziehbar. Ein Kategorienschema wird erwähnt, ist aber nicht in der Arbeit enthalten. Die vorliegende Forschung entspricht damit nicht den Kriterien der Reliabilität.
Der Abschlussbericht ist zugänglich unter:
Adnan, Eslan: „Projektbericht. Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien. Tendenzen und Empfehlungen.“, Online veröffentlicht unter: https://typo3.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_iis/Abschlussbericht__Vorstudie_Islamische_Kindergarten_Wien_final.pdf
[Zuletzt abgerufen: 23.3.2016]
]]>
Beim ersten Ansehen des Abschlussberichts sticht zuerst das Positive ins Auge: Im Vergleich zur Erstfassung erfüllt das Paper jene formale Kriterien, die an wissenschaftliche Arbeiten gestellt werden. Das Layout ist im passenden Format gestaltet. Das Inhaltsverzeichnis verrät, dass alle relevanten Elemente enthalten sind. Die darin enthaltene Strukturierung ist sinnvoll und logisch, die Feld- und Methodenbeschreibung ebenso enthalten, wie der Anhang und ein Abbildungs- und Quellenverzeichnis.
Differenzierter wird die Beurteilung nimmt man Feldzugang, Sampling und methodische Vorgangsweise unter die Lupe. Diese erscheinen nur auf den ersten Blick positiv. Auch wenn die Grounded Theory als Rahmenmethodologie aus dem Bericht geflogen ist – der Begriff kommt darin nicht mehr vor – bleibt die methodische Vorgangsweise inkonsistent und nicht greifbar. Gesprochen wird von einer qualitativ-empirischen Arbeit, was damit genau gemeint ist und wie methodisch gearbeitet wurde, ist aber nicht nachvollziehbar. Beispielsweise wird die Erstellung eines Kategorienschemas angeführt, das aber nicht im Abschlussbericht enthalten ist. Welchem Auswertungsverfahren die Vorgangsweise folgt, ist nicht ersichtlich. All diese Schritte sind notwendig, um sozialwissenschaftliche Standards zu garantieren, sie sind Teil unseres Werkzeugkastens und deshalb unabdingbar. Angeführt werden drei Methodenbücher, zwei davon allerdings Überblicksliteratur, eines ein Buch aus dem Bereich der Grounded Theory. Die Ergebnisse sind, wie in der Erstversion der Vorstudie auch, weit entfernt von einer datenbegründeten Theorie.
Spannend ist die Struktur des Abschlussberichts: 40 Seiten davon werden als Dokumentenanalyse qualifiziert. Anders als theoretische Texte bzw. formale Inhalte, die in Forschungsberichten Begrifflichkeiten und Grundlagen der Forschung ausführen, wird dieser Abschnitt des Berichts aber als elementarer Bestandteil und Basis der empirischen Analysen eingesetzt. Als Grund dafür wird angeführt: „Für die Bereiche Kindergarten und Kindergruppen reichten die Ergebnisse der hier kurz skizzierten Forschungen allerdings nicht aus, weil kaum ein Verband oder Verein unter dem Namen der jeweiligen Dachorganisation einen Kindergarten oder eine Kindergruppe betreibt. […] Aus dieser Tatsache heraus war es notwendig, neben der Verbands- und Vereinsanalyse auch Daten zu den einzelnen Vereinen (Bereich Kindergarten/Kindergruppen) zu erheben.“ (S. 7, Abschlussbericht) Um also die empirische Lücke nicht ausreichend vorhandener Daten zu stopfen, wurden – nicht fundierte – 40 Seiten zu theologischen und politischen Orientierungen in islamischen Kindergärten und –gruppen verfasst. Nicht fundiert ist dies aus mehreren Gründen: In dem Textabschnitt werden Verbände, Vereine und Organisationen behandelt, nicht aber die untersuchten Kinderbetreuungseinrichtungen selbst. Die Ergebnisse werden später an mehreren Stellen des Abschlussberichtes auf die Kinderbetreuungseinrichtungen übertragen. (Vgl. u.a. S. 104, Abschlussbericht) Die in den 40 Seiten erstellten „Tendenzen“ werden den empirischen Analysen zugrunde gelegt und die Trägervereine damit ohne empirischen Beweis mit den Kindergärten gleichgesetzt. (S. 73, Abschlussbericht) Um derartige Aussagen treffen zu können wäre aber z.B. ein Vergleich der Trägervereine mit den pädagogischen Konzepten und dem gelebten Alltag der Kinderbetreuungseinrichtungen notwendig.
Wie dieser Textteil zustande kam, die Quellen ausgesucht und analysiert wurden, bleibt komplett im Dunkeln. Statt in den Fußnoten den Bezug zu einzelnen Quellen transparent zu machen, wird teils „weiterführende Literatur“ angegeben. (S. 22-24, Abschlussbericht) Auch für Dokumentenanalysen gilt das Gleiche, wie für alle anderen wissenschaftlichen Analysen: Sie müssen nachvollziehbar, dokumentiert, transparent und überprüfbar sein. Die 40 Seiten sind demzufolge ausgeführte Meinung, nicht aber empirische oder transparente, theoretische Analyse.
Die eigentlichen Auswertungen des erhobenen Materials der Leitfadeninterviews bergen wenig Überraschungen oder Neues. Die skandalisierenden, medial veröffentlichten Schlüsse stammen bei Durchsicht des Abschlussberichts nicht aus den empirischen Daten. Die Auswertung zeigt bekannte Themen auf zu denen durchaus Handlungsbedarf besteht, wie zum Beispiel die Sprachförderung der Kinder. Bedrohliche oder extremistische religiöse Tendenzen sind im Auswertungsteil, der auf Interviewdaten basiert, nicht vorhanden.
Die methodische Qualität der Auswertung ist hinreichend: Mehr deskriptiv als analytisch bleiben die Erkenntnisse auf der Ebene einer Zusammenfassung. Eine Vielzahl an Zitaten aus den Interviews ist in großem Umfang vorhanden, wird aber an den meisten Stellen kaum kommentiert – ein Umgang mit Zitaten, der so nicht stattfinden sollte. Verwendete Zitate sollen zur Untermauerung von Erkenntnissen angeführt werden und Ergebnisse für LeserInnen greifbar machen, nicht aber für sich stehen und als Seitenfüller verwendet werden – ‚less is more‘ ist hier ein gutes Prinzip. Die Ergebnisse aus den Interviews sind, trotz des formulierten Anspruches diesbezüglich, nicht in einem Kategorienschema greifbar und dieses auch nicht im Abschlussbericht enthalten.
Die Vorgangsweise der Evaluationsstudie lässt sich anhand dieses Beispiels illustrieren: Die Leitungen der Kindergärten, wird ausgeführt, legen Wert auf islamische Prinzipien – eine Aussage, die nicht weiter verwundert. Dies wird mit Bezug auf die tatsächlich erhobenen Daten auf S. 104 angeführt. Alles Weitere bleibt Spekulation, wie selbst formuliert wird: „Es ist aufgrund des bisherigen Standes der Analyse davon auszugehen, dass salafistische bzw. islamistische Organisationen in der Kinderbetreuung nicht so einfach auf ihre politischen Ziele verzichten können. Die in der Studie kurz angeführte Darstellung der Ideologie der Vereine bzw. dieser Akteure schlägt sich zweifellos auf die Pädagogik nieder.“ (S. 104, Abschlussbericht) Übersetzen könnte man dies mit: Aus den erhobenen Daten lässt sich dies zwar nicht herleiten, aber trotzdem wird es so sein.
Fazit: Auch wenn die Form des Abschlussberichtes den Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten entspricht, die methodische Umsetzung der „Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien“ tut dies nicht. Auf den ersten Blick sind die einzelnen Schritte besser maskiert, halten aber einer Überprüfung nicht stand. Methodisch wurde unsauber gearbeitet, die Arbeit ist intransparent und nicht nachvollziehbar. Auch die Endversion bleibt so im Fahrwasser ihrer Erstfassung und ist immer noch ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel. Wenn auch etwas weniger offensichtlich.
Der Abschlussbericht ist zugänglich unter:
Adnan, Eslan: „Projektbericht. Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien. Tendenzen und Empfehlungen.“, Online veröffentlicht unter: https://typo3.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_iis/Abschlussbericht__Vorstudie_Islamische_Kindergarten_Wien_final.pdf
[Zuletzt abgerufen: 23.3.2016]
]]>
Dieser Text hier ist die Basis meiner Analyse, d.h. die Langfassung der Auseinandersetzung mit der methodischen Qualität des Abschlussberichts. Da es dazu Nachfragen gab: Der Text kann gerne in Lehrveranstaltungen als Beispiel verwendet werden. Ich freue mich über eine kurze Info dazu.
Da mir klar ist, dass sich nur einschlägig Interessierte durch mehrere Seiten Analysetext durcharbeiten werden, habe ich eine Kurzversion verfasst. Zum Artikel auf science.orf.at führt dieser – noch kürzere – Beitrag.
Vorab zur Benennung: Der Filename ist „Abschlussbericht__Vorstudie_Islamische_Kindergarten_Wien_final“, am Deckblatt steht „Projektbericht. Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien. Tendenzen und Empfehlungen.“ Im Vorwort schreibt Ednan Aslan: „Diese innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne als Pilotprojekt durchgeführte Vorstudie weist vorerst auf Tendenzen in den muslimischen Kindergärten und Kindergruppen hin. Um diese Tendenzen vertiefend analysieren bzw. verstehen zu können, sind sicherlich weitere Untersuchungen erforderlich.“ (S. 1 Projektbericht) Die Benennung ist dem folgend inkonsistent, ich bleibe im Weiteren beim Terminus Abschlussbericht, wie in der Filebenennung. In meiner Kritik der Erstfassung der Vorstudie habe ich umfassend ausgeführt, dass egal welcher Art eine wissenschaftliche Arbeit ist, die Kriterien und Standards einzuhalten sind und führe das deshalb an dieser Stelle nicht nochmals aus. Der Begriff Vorstudie ist und bleibt kein Freibrief zu wissenschaftlicher Beliebigkeit, die sich in mangelnder Nachvollziehbarkeit und z.B. auch einem unzureichenden Sampling zeigt.
Beim ersten Ansehen des Abschlussberichts sticht zuallererst das Positive ins Auge: Das Paper erfüllt jene formale Kriterien, die an wissenschaftliche Arbeiten gestellt werden. Das Layout ist im passenden Format gestaltet. Das Inhaltsverzeichnis verrät, dass alle relevanten Elemente enthalten sind. Die darin enthaltene Strukturierung ist sinnvoll und logisch, die Feld- und Methodenbeschreibung ebenso enthalten, wie der Anhang und ein Abbildungs- und Quellenverzeichnis. Warum ist das wichtig – und keine kleinkarierte Nebensächlichkeit, wie manchmal angemerkt wird? Diese Standards sind ein Aspekt dessen Reliabilität, d.h. Vergleichbarkeit, herzustellen. Diese Form gewährleistet den Fokus auf den Inhalt, darum geht es bei solchen Studien, das Layout soll durch ein unauffälliges Layout bewusst in den Hintergrund treten. Die angeführten Quellen, Anhänge wie Interviewleitfäden oder Abbildungen gewährleisten die Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Aussagen.
Nicht im Anhang enthalten sind eine Übersicht über die Anzahl und Art der geführten Interviews oder Interviewtranskripte. Im Abschlussbericht selbst sind Transkriptstellen enthalten. Die Interviews verfügen über eine Codierung – auf S. 75 im Abschlussbericht wird die erste Transkriptstelle mit „KiGaJEl01“ angegeben – über die Bedeutung dieser Codierung gibt es aber im Bericht keine Aufklärung. Relevant ist dies, da die im Abschlussbericht getroffenen Aussagen nur überprüft werden könn(t)en, wenn Transkriptstellen zugänglich sind. Wobei hier anführt werden muss, dass dies in den Disziplinen unterschiedlich gehandhabt wird. Die Spannbreite reicht von vollständigen Transkripten im Anhang bis zu relevanten Transkriptteilen im Fließtext oder Anhang plus einer zusätzlichen Übersicht im Anhang. Grundsätzlich ist aber wichtig, dass die empirische Arbeit nachvollziehbar wird. (Vgl. dazu z.B. den Projektbericht zu Radio Orange) Im Abschlussbericht zu den islamischen Kindergärten fehlt eine Übersicht über die geführten Interviews und die Codierungen sind für LeserInnen nicht nachvollziehbar. Auch wenn also Transkriptstellen im Fließtext vorhanden sind, ist der Forschungsprozess objektiv für Dritte nicht nachvollziehbar. Dies wird in weiterer Folge auch bzgl. des Samplings relevant.
Als Autor wird allein Ednan Aslan angeführt, auch auf der Homepage findet sich kein Hinweis auf eine Mitarbeit von anderen Personen. Demzufolge müsste er das Projekt alleine durchgeführt und umgesetzt haben. Davon ist nicht auszugehen, aber die Praxis weitere Mitarbeitende nicht anzuführen ist an Universitäten (leider immer noch) weit verbreitet.
Zeitlich wird angeführt, dass das Projekt „innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne als Pilotprojekt“ (S. 1, Abschlussbericht) durchgeführt wurde. Der Zeitraum von Anfang Juli 2015 bis Ende Jänner 2016, immerhin 7 Monate, ist für ein qualitatives Projekt diesen Umfangs kein kurzer Zeitraum. Projektdurchführend ist ein religionspädagogisches Institut, d.h. ein Institut, das im pädagogischen Feld tätig ist und damit Zugang zu pädagogischen Feldern hat oder haben sollte. Insbesondere vor diesem Hintergrund kann ein Projekt in einer Zeitspanne von 7 Monaten allen sozialwissenschaftlichen Kriterien folgend – inklusive eines Samplingprozesses und einer korrekten Auswertung – umgesetzt werden. Und auch an dieser Stelle ist wiederum anzumerken, dass auch ein eng gesetzter Zeitrahmen kein Argument für wissenschaftliche Beliebigkeit ist oder sein darf. Die Verantwortung dem Feld und auch gesellschaftlichen Diskursen gegenüber gebietet, um mal dieses Wort zu verwenden, wissenschaftliche Redlichkeit.
Diese Absätze sind gleichlautend zur Erstfassung. Alle inhaltlichen Anmerkungen aus meiner ersten Kritik bleiben insofern aufrecht.
Der Abschnitt ist spannend und kann auch als symptomatisch für die Studie angesehen werden. Angeführt werden die Landkarte muslimischer Organisationen und durchgeführte Projekte. Postuliert wird „über eine Vielzahl theologischen und ideologischen Materials“ zu verfügen, um dann aber zu schreiben, dass dieses Wissen für den Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen nicht ausreichend wäre. (S. 7 Abschlussbericht)
Danach folgt eine Argumentation über nicht vorhandene Datenbanken, Verbände und deren Verhältnis zu ihren bzw. den Kinderbetreuungseinrichtungen. Erst in der Fußnote wird angeführt welche Kriterien zu einer Einstufung als islamischer Kindergarten/Kindergruppe führen. Wissen darüber wie das Feld der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen aussieht, ist nach den Angaben im Abschlussbericht nicht vorhanden. Geschätzt wird „die Zahl der muslimischen Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien auf ca. 150“ (S. 8 Abschlussbericht).
Wie der Feldzugang, d.h. der Kontakt zu den Kinderbetreuungseinrichtungen, gestaltet wurde, wird im Kapitel Feldzugang nicht erklärt. Im Abschnitt 3.2 „Zugang zu den islamischen Kindergärten und Kindergruppen“ auf S. 9 wird rein die Recherche im Vereinsregisterauszug und online beschrieben.
Feldzugang meint etwas anderes: Dabei geht es um Kontaktherstellung zum Feld, den relevanten Orten, Institutionen und auch Personen. Diesen Prozess zugänglich zu machen und als Teil der Forschungsstrategie darzustellen, darum ginge es in einem Abschnitt mit dem Titel „Feldzugang“. (Vgl. dazu u.a. https://www.el.rub.de/wiki/sozentin/index.php/Feld#Der_Feldzugang)
Schwierigkeiten im Feldzugang sind in sozialen Bereichen nichts Ungewöhnliches. SozialwissenschafterInnen sind im Umgang mit diesen geschult, der Zugang zu einem Feld und das Herstellen tragfähiger Vernetzung und Beziehungen in einem Feld ist einer der zeitaufwendigsten Teile eines qualitativen Projektes. Wie kann man in so einem Fall vorgehen? Zuerst einmal stimmt es nicht, dass es keine Daten über dieses Feld gibt. Öffentliche Daten sind aus verständlichen Gründen – Datenschutz – nicht zugänglich. Kinderbetreuungseinrichtungen können allerdings nicht ohne behördliche Bewilligung gegründet werden. Die MA 11 und MA 10 der Stadt Wien verfügen über sämtliche Daten bzgl. der Wiener Kinderbetreuungseinrichtungen und steht mit diesen auch mehrmals jährlich in Kontakt. Ein erster sinnvoller Schritt wäre also gewesen mit diesen beiden MAs in Kontakt zu treten und diese als ProjektpartnerInnen zu gewinnen. Als Universitätsinstitut ist dies ein üblicher Vorgang. Forschung an Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen ist ohne behördliche Unterstützung kaum möglich und auch nicht empfehlenswert. Dass die Stadt Wien und damit auch die Magistrate Interesse an Ergebnissen haben, zeigt die Bereitschaft an dem inzwischen öffentlich angekündigten Forschungsprojekt zu islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien.
Die Vorgangsweise im Rahmen der „Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien“ an den Behörden der Stadt Wien vorbei zu agieren, macht im Kontext des finanzierenden Außenministeriums und – ministers andere Thesen plausibel: In der Evaluierung ging es nicht um die Produktion wissenschaftlicher Ergebnisse, um – wie in der Einleitung argumentiert wird – „Chancen und Herausforderungen dieser Kindergärten aufzuzeigen und somit zu einer Weiterentwicklung der einzelnen Kindergärten und deren Konzepten“ beizutragen. Dafür wäre eine Kooperation mit der Stadt Wien und ihren Magistraten notwendig unabdingbar.
Naheliegender Schluss: Dies war eine Auftragsstudie, die für politische Argumentation und Öffentlichkeit genutzt werden sollte. Anders lässt sich das Agieren an den zuständigen Behörden vorbei kaum nachvollziehbar erklären.
Im Anschluss an die (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Feldzugang folgt eine Aufzählung anderer Studien und Ausführungen über die Notwendigkeit von Forschungsmaßnahmen im untersuchten Feld.
Nun die für mich spannendste Frage: Wurde am Projekt seit der Erstfassung methodisch etwas verbessert? Auffällig ist, dass die Grounded Theory als gewählter Zugang rausgeflogen ist. In der Erstfassung der Vorstudie wurde ein an die Grounded Theory angelehnter Ansatz angegeben – und zur Erinnerung: Etwas derartiges, nämlich einen angelehnten Ansatz, gibt es nicht. Das wäre so als würde man sagen, man hat sich an die Grundrechnungsarten angelehnt, aber so ganz richtig gerechnet hat man dann nicht.
Einer meiner Hauptkritikpunkte war, dass die vorliegenden Ergebnisse den Ansprüchen einer Grounded Theory in keiner Weise entsprochen haben. Aus methodischer und methodologischer Perspektive ist das Weglassen der Rahmenmethodologie schräg. Qualitative empirische Projekte werden zu Beginn eines Projektes klar in einem methodologischen Rahmen verortet, dieser Zugang ist in der Folge forschungsleitend in Bezug auf die Herangehensweise, die Arbeit im Feld, Samplingprozesse und vor allem die Auswertung. Am Ende eines Projektes die Arbeitsweise, Projektstruktur etc. einfach wegzulassen bzw. weglassen zu können, stützt meine in der Erstkritik formulierte Vermutung. In der Evaluierung islamischer Kindergärten wurde nie nach der Grounded Theory gearbeitet, diese wurde rein als Label oder Qualitätsbezeichnung genutzt ohne jemals umgesetzt worden zu sein.
In der Kapitelüberschrift wird von einer „qualitativ-empirischen Analyse“ gesprochen. Was das genau sein soll, bleibt unklar. Ein Verfahren mit dieser Bezeichnung gibt es nicht. Qualitativ und empirisch ist ein Überbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren im Rahmen der Sozialwissenschaften. Im Bericht werden drei Bücher als methodische und methodologische Quellen angeführt: Ein Überblickswerk von Burkard Porzelt zur empirischen Religionspädagogik. In diesem auf Google Books zugänglichen Buch gibt es ein Kapitel zu qualitativen Ansätzen, das einen kurzen Überblick über eine Vielzahl an Ansätzen gibt, aber aufgrund der Kürze keinen Einblick in methodische Verfahren geben kann. Als zweites Buch wird von Anselm Strauss „Grundlagen qualitativer Sozialforschung.“ angegeben. Dieses Buch kenne ich gut, es steht bei mir im Regal. Es ist, trotz seines allgemeinen Titels, eines der Einführungsbücher in die Grounded Theory. Der recht allgemeine Titel des Buches, der von manchen auch als irreführend bezeichnet wird oder werden kann, erklärt sich mit verkaufstechnischen Argumenten. Als drittes Werk wird Uwe Flicks Kompendium zu den qualitativen Methoden angegeben. Dies ist ein Einführungsbuch mit Überblickswissen, aber für methodische Analysen aufgrund des Überblickscharakters nur bedingt brauchbar. Weiterführende Literatur findet sich nicht in den Angaben. Alle drei Bücher finden sich erst in der Literaturliste wieder und werden nicht genutzt um die methodische Vorgangsweise zu fundieren. Etwas das ich meinen Studierenden in einem Bakkalaureatsseminar als Minuspunkt anrechnen würde, da dies kein methodisch exaktes Arbeiten ist.
Mein Schluss aus diesem Abschnitt des Abschlussberichtes ist, dass hier wenig methodisches Wissen am Werk war. Auch die auf S. 14 angefertigte Abfolge an Begrifflichkeiten stützt diese These. Die Begriffe und Vorgangsweise sind ungewöhnlich. Nicht Fälle werden offen und selektiv kodiert, sondern Materialien (Texte oder Transkripte, Bilder, usw.). Auch wird bei qualitativen Verfahren kein Kategorienschema pro Fall entwickelt, sondern (meist) ein gesamtes oder gar keines – wobei in dem Abschlussbericht nicht klargelegt wurde nach welchem Verfahren gearbeitet wurde, insofern bleibt die Beurteilung hier offen. Definitiv aber, wenn ein Kategorienschema entwickelt wurde, müsste dieses in der Arbeit enthalten sein. Warum sollte man sich die Arbeit machen, wenn dieses dann nicht verwendet wird? Kategorienschemas sind bei inhaltsanalytischen bzw. qualitativen Arbeiten eines der wenigen Dinge, die sich grafisch umsetzen lassen und damit die Arbeit greifbar machen. Die qualitativen Verfahren unterliegen ja einer Konkurrenz zu den quantitativen und können mit hübschen Tortendiagrammen oder Balkengrafiken nicht mithalten. Das Kategorienschema nicht zu verwenden, so man eines entwickelt hat, wäre insofern kontraproduktiv für die eigene Arbeit.
Dies war ein weiterer Kritikpunkt meiner ersten Analyse. In der Erstfassung der Vorstudie war kein Sampling enthalten. Diesmal existiert die Überschrift und einige, wenige Zeilen, aber nicht mehr. Was ein Samplingprozess leisten soll und warum theoretical sampling bei explorativen Verfahren grundlegend notwendig sind, habe ich in der ersten Kritik ausführlich erläutert. Etwas Dementsprechendes findet sich auch im Abschlussbericht nicht. Aus den formulierten Zeilen lässt sich nichts Relevantes extrahieren, das Feld der islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen erschließt sich dadurch nicht und die Auswahl der Fälle bleibt im Dunklen. Eine Darstellung des Samplingprozesses und die Argumentation der Fallauswahl ist ein Kernelement bzgl. der Wissenschaftlichkeit qualitativer Arbeiten und muss demnach in jedem derartigen Paper enthalten sein.
Dass von 15 angefragten Kinderbetreuungseinrichtungen nur 8 zugesagt haben, verwundert angesichts der Berichterstattung nicht. Ein Feld in dieser Art und Weise in die öffentliche Debatte zu bringen, hat dementsprechende Folgen.
Nachdem der Anspruch der Grounded Theory fallengelassen wurde, brauche ich meine methodologische Kritik an der Instrumentenwahl nicht nochmals wiederholen. Leitfadeninterviews sind häufig eingesetzte und sehr übliche Wege, um zu Material zu kommen und auch für reduktive Verfahren gut nutzbar. Ob anderes sinnvoller wäre darüber ließe sich diskutieren. Die entwickelten Leitfäden sind zugänglich, sie sind strukturiert und logisch. Die Fragen sind zwar teils nur bedingt erzählgenerierend und eher knapp, aber dies ist Entscheidungsspielraum der Durchführenden und insofern passend.
Diese Abschnitte haben in der Erstfassung der Vorstudie gefehlt. Jede sozialwissenschaftliche Arbeit braucht eine Erklärung der verwendeten Begriffe und des notwendigen Wissens, um der Studie folgen zu können. In diesem Abschnitt wird mit den Quellen korrekt umgegangen und diese jeweils passend angeführt.
Auf 40 Seiten werden in diesem Abschnitt diverse Organisationen und Ausrichtungen beschrieben. Angegeben wird, dass diese die hinter den Kinderbetreuungseinrichtungen stehen. Die Fundierung in Quellen und Materialien wird teils unspezifisch vorgenommen. Gleich zu Beginn des Kapitels werden in den Fußnoten lange Listen von weiterführender Literatur angegeben, dies ist zumindest ungewöhnlich und mir in dieser Form noch nie begegnet. Dieser Textabschnitt ist deskriptiv und allgemein gehalten, der Zusammenhang zu den Kinderbetreuungseinrichtungen ist wenig greifbar. Vorausgesetzt und postuliert wird, dass die ausgewählten Organisationen einen direkten Zusammenhang und Einfluss auf die Kinderbetreuungseinrichtungen haben. Ob dies tatsächlich so ist, kann beim Lesen, und auch beim Vergleich zu den angeführten empirischen Ergebnissen, nicht festgestellt werden.
Weitere, vor allem inhaltliche, Schlüsse müssten thematisch auf dem Gebiet tätige KollegInnen ziehen. Aus sozialwissenschaftlicher und methodischer Sicht ist dieser Teil mit 40 Seiten im Verhältnis zur empirischen Analyse sehr ausführlich geraten und das Ziel für den dann folgenden Ergebnissteil nur schwammig formuliert. Der am Ende des Abschnittes gezogene Schluss „Es wäre also eine dringende Aufgabe weiterer Forschungen zu ermitteln, inwieweit die Präsenz dieser Theologie im Alltag der Kindergärten und -gruppen den Voraussetzungen des BildungsRahmenPlans entspricht.“ (S. 61 des Abschlussberichtes) hätte auch prägnanter und mit weniger Seiten erreicht werden können.
Hier hilft ein Rückgriff auf eine andere Stelle am Beginn des Abschlussberichtes. Angeführt wird: „Für die Bereiche Kindergarten und Kindergruppen reichten die Ergebnisse der hier kurz skizzierten Forschungen allerdings nicht aus, weil kaum ein Verband oder Verein unter dem Namen der jeweiligen Dachorganisation einen Kindergarten oder eine Kindergruppe betreibt. […] Aus dieser Tatsache heraus war es notwendig, neben der Verbands- und Vereinsanalyse auch Daten zu den einzelnen Vereinen (Bereich Kindergarten/Kindergruppen) zu erheben.“ (S. 7, Abschlussbericht)
Übersetzt heißt dies: Das empirische Material war nicht ausreichend, deshalb wurde eine Analyse anderer Materialien gemacht, deren methodische Gestricktheit allerdings nicht argumentiert wird. Auch für solche Analyse gelten aber die gleichen Bedingungen wie für Interviewtexte o.ä.. Es braucht eine Darstellung des gewählten Weges, der Materialauswahl und der Auswertungsschritte. Insbesondere dann, wenn dieser Teil als Argumentationsgrundlage eingeführt wird und den empirischen Auswertungen vorangestellt wird. Dieser ausführliche Teil der Studie, immerhin mehr als ein Drittel der Seiten des Berichts – der Anhang wird hier nicht gezählt, hat den Ausführungen im Bericht folgend mehr mit dem Meinungsteil einer Tageszeitung als mit einer wissenschaftlichen Untersuchung zu tun.
Der weitere Teil des Kapitels 8 beschäftigt sich mit den Voraussetzungen der Gründung einer Kinderbetreuungseinrichtung, den Interessen dahinter und unterschiedlichen Konzepten. Umfangreich werden Zitate aus Interviews übernommen, dazwischen an mehreren Stellen nur kurze Bemerkungen. Dies entspricht nicht üblicher wissenschaftlicher Praxis. Zitate sollen getroffene Erkenntnisse darstellen und illustrieren, nicht aber für unkommentiert für sich stehen. Das Verhältnis von Zitattexten zu selbstverfassten Stellen ist hier unpassend. In einer studentischen Arbeit wäre dies nicht akzeptabel.
Vier Ausrichtungen werden an dieser Stelle des Berichts aus den Analysen, anzunehmen ist aus den vorangegangenen 40 Seiten, dargestellt. Ausgeführt wird: „Nicht im Fokus der empirischen Untersuchung standen hingegen die Zielsetzung, die alltagspraktische Bedeutung von theologischen Strömungen sowie die Formen religiöser Erziehung in den entsprechenden Kindergärten, Kindergruppen und Horten zu beobachten.“ (S. 71, Abschlussbericht) Gerade diese alltagspraktische Umsetzung, sprich wie der gelebte Alltag in den Kinderbetreuungseinrichtungen aussieht, wäre aber das Interessante. Ein Punkt den ich in meiner Erstkritik beleuchtet habe.
Dahinter steht die Frage, ob die Vorannahme des Einflusses der hinter den Kinderbetreuungseinrichtungen stehenden Organisationen hält oder nicht. Den Angaben im Abschlussbericht folgend können darüber keine Aussagen getroffen werden. Die erhobenen Daten geben darüber nur unzureichend Auskunft. (Anm.: Durch die Wahl anderer Instrumente als Leitfadeninterviews wäre dies methodisch durchaus möglich.) Angegeben wird, dass dies aufgrund des zeitlichen Rahmens nicht möglich war und dann der Schluss gezogen, dass aber „Nichtsdestotrotz ist jedoch davon auszugehen, dass sich die theologische Ausrichtung und das religiöse Profil der Vereine darin niederschlagen und markant darauf Einfluss nehmen […]“.
Dies ist eine hübsche Argumentationskette, die sich wie folgt übersetzen lässt: Wir haben Annahmen, die stellen wir in einem argumentativen Text (S. 21-61) ausführlich dar. Daraus ziehen wir unserer Schlüsse. Wir können aufgrund des gewählten empirischen Weges aber nicht sagen, ob Zusammenhänge oder Einflüsse bestehen bzw. wie diese aussehen. Dafür hatten wir nicht genügend Zeit. (Anm.: Und nicht das passende methodische Werkzeug.) Aber nichtsdestotrotz wird es schon Zusammenhänge und Einflüsse geben. Böse ließe sich hier noch der Zirkel schließen und ein ‚weil wir es so sagen‘ ergänzen. Letzteres wäre aber natürlich eine polemische Anmerkung.
Sozialwissenschaftlich korrekte Forschung ist dies nicht. Wenn auch besser argumentiert, bleibt auch der Abschlussbericht hier im Fahrwasser der Erstversion.
Nach 74 Seiten folgt nun – endlich – der Berichtsteil mit den durchgeführten Auswertungen. Hier findet sich auch Grounded Theory Vokabular wieder, da von einer Sättigung gesprochen wird, die im Rahmen der Vorstudie nicht erreicht werden konnte. Sättigung meint ein erschöpfendes Beschreiben, Erfassen und Theoretisieren der im Feld gefundenen Konzepte und Ansätze. Dies wäre, wenn der Methodologie folgend argumentiert, auch mit wenig Material möglich. Wenn, und dies ist der Punkt an dieser Stelle, methodisch korrekt gearbeitet wurde. Die auf den Seiten 74 bis 103 werden Ergebnisse beschrieben und dargestellt. Positiv zu bemerken ist, dass die Darstellung an den Texten bleibt und Zitate einbezieht. Der Einsatz der Zitate ist aber, wie schon in den dem 40-seitigen Abschnitt zuvor zu umfangreich. Viele Seiten beinhalten mehr Zitattexte als verfasste Textpassagen. Dies ist, wie schon ausgeführt, keine gute wissenschaftliche Praxis. Die Forschenden sollen Analysen anstellen, nicht Material für sich sprechen lassen. Nicht die Länge eines Textes kennzeichnet die Güte einer Arbeit, sondern die Fähigkeit die Ergebnisse in Konzeptionen, Modelle und Konzepte zusammenzufassen. Zitate sollen dabei, die Schlüsse aus dem Material fundieren und transparent machen, d.h. für die Lesenden zugänglich machen. Die dargestellten Ergebnisse klingen beim Durchlesen plausibel, auch weil sie deskriptiv an den Zitatstellen bleiben. Die Aussagen aus den Transkriptstellen werden in den Berichtstexten paraphrasiert.
Dem zu Beginn des Abschlussberichts auf S. 14 geäußerten Anspruch ein Kategorienschema zu entwickeln, wird die vorliegende Arbeit nicht gerecht: Ein Kategorienschema strukturiert Material und erklärt darin enthaltene Phänomene. Dies macht soziale Konstruktionen zugänglich, erklärt und macht diese verständlich. Entwickelte Kategorien sind deshalb, wenn richtig gemacht, keine wortwörtlichen Übernahmen von Begrifflichkeiten aus dem Text, sondern eine Form der Metaanalyse. Die Kategorien einer Studie, die ich in meiner Vorlesung zu qualitativen Methoden im Herbst genutzt haben, lauten zum Beispiel wie folgt: „Subjektives Vaterschaftskonzept“ oder „Praxis der Vaterschaft“. (Beispiel entnommen aus Birgit Behrisch: “Die Leute haben sich sicherlich überhaupt nicht vorstellen können, dass ich der Vater bin” – Vaterschaft, Erziehung und Alltagserleben von Vätern mit Behinderung.)
Die Kategorien im Abschlussbericht haben demgegenüber keinen konzeptiven, sondern deskriptiven Charakter und beschreiben den Inhalt der zugeordneten Transkriptstellen. Die Vermutung aus meiner Erstkritik war, dass eine rein deskriptive Analyse in Form einer Zusammenfassung durchgeführt wurde. Dies bleibt auch für den Abschlussbericht aufrecht. Die Ergebnisse beschreiben die Inhalte der Interviews, analysieren diese aber nicht.
Die dargestellten Inhalte überraschen nicht weiter: Transferiert auf katholische Kindergärten wären Aussagen, wie z.B. „Dabei wird den Kindern das Denken und Hinterfragen z.B. bezüglich Gott verboten.“ (S. 87) in sehr ähnlicher Form möglich. Dass Kinderbetreuungseinrichtung mit religiösem Hintergrund diesen auch leben, verwundert nicht weiter. Die im Abschlussbericht dargestellten Ergebnisse aus den Interviews klingen nicht dramatisch oder überraschend. (Anm.: Die in der Öffentlichkeit transportierten skandalisierenden Elemente stammen nicht aus dem tatsächlichen, empirischen Teil.) Dieser zeigt Schwierigkeiten wie z.B. Sprachproblematiken auf, die bekannt sind. Salafistische Tendenzen werden anhand des erhobenen Materials nicht dargestellt – das Wort kommt nur ein einziges Mal in der Auswertung vor, auf S. 87 wird diesbezüglich eine Vermutung angestellt, die durch ein ‚vielleicht‘ relativiert wird: „Um die göttliche Prüfung bestehen zu können, bräuchte es nur der „richtigen“ Vorbilder, vor allem der „richtigen“ Bildung, die Kinder zu einer sehr konservativen, vielleicht sogar zu einer salafistischen Theologie hintreibt.“ (S. 87, Abschlussbericht)
Kurz: Die Auswertung überrascht nicht. Die skandalisierenden, veröffentlichten Schlüsse stammen bei Durchsicht des Abschlussberichts nicht aus den empirischen Daten. Die Auswertung zeigt bekannte Themen auf zu denen durchaus Handlungsbedarf besteht, wie zum Beispiel die Sprachförderung der Kinder. Bedrohliche oder extremistische religiöse Tendenzen sind im Auswertungsteil nicht vorhanden.
Woher kommen also die öffentlich transportierten und skandalisierenden Elemente der Studie? Diese stammen aus der Dokumentenanalyse, die in keinem empirischen Kontext entstanden ist und wissenschaftlichen Kriterien auch nicht standhalten kann. Dafür wurden aus einer – als subjektiv qualifizierbaren – Perspektive Materialien zusammengetragen, die Argumentationslinien stützen sollen. Der dem zugrunde liegende Arbeitsprozess wurde nicht transparent gemacht und ist demnach nicht nachvollziehbar.
Das Ende des Abschlussberichtes zur Evaluierung islamischer Kindergärten beginnt mit einem Resümee. Die Feststellung „islamische Kindergärten waren nicht bereit, am Forschungsprojekt mitzuwirken“ klingt angesichts des Medienrummels, der von Minister Kurz und Prof. Aslan verursacht wurde, ist absurd. Ein ganzes Feld vorzuführen, Anschuldigungen vorzubringen und ein mediales Tamtam in diesem Ausmaß zu verursachen, führt dazu Glaubwürdigkeit zu verlieren. Warum sollte ein islamischer Kindergarten zur Kooperation bereit sein, wenn die Ergebnisse einer Vorstudie tendenziös und skandalisierend in die Medien getragen wurden?
Dies ist nicht, wie auf S. 104 angeführt, eine „methodische Einschränkung“, sondern schlicht unprofessionell. Dies als Grund anzuführen eine „Analyse der Ideologie einiger Trägervereine und Kindergartenbetreiber“ durchzuführen quasi eine forschungstechnische Quadratur des Kreises. Jede wissenschaftliche Untersuchung, auch eine Dokumentenanalyse, muss reliabel und valide durchgeführt werden. Die 40 Seiten im vorliegenden Abschlussbericht sind dies nicht. Weder ist die Auswahl der Materialien dokumentiert und gesampelt, noch ist der Weg der Analyse erklärt: Wie diese Ergebnisse zustande kamen, ist nicht nachvollziehbar. Sie können dementsprechend als Meinung qualifiziert werden und nicht als wissenschaftliche Ergebnisse.
Punkt 2 auf Seite 104 zeigt eines der Prinzipien bzgl. der Vorgangsweise in der Evaluation: Die Leitungen der Kindergärten legen Wert auf islamische Prinzipien – eine Aussage, die nicht weiter verwundert. Damit hat sich der Bezug auf die tatsächlich erhobenen Daten. Alles Weitere bleibt Spekulation, wie selbst formuliert wird: „Es ist aufgrund des bisherigen Standes der Analyse davon auszugehen, dass salafistische bzw. islamistische Organisationen in der Kinderbetreuung nicht so einfach auf ihre politischen Ziele verzichten können. Die in der Studie kurz angeführte Darstellung der Ideologie der Vereine bzw. dieser Akteure schlägt sich zweifellos auf die Pädagogik nieder.“ Übersetzen könnte man dies mit: Aus den erhobenen Daten lässt sich dies zwar nicht herleiten, aber trotzdem wird es so sein.
Die weiteren Zusammenfassungen bergen keine Überraschungen: Islamische Kindergärten enthalten religiöse Erziehungselemente, die Qualität der Sprachförderung ist unterschiedlich, Eltern ist die Zusammenarbeit mit den Kinderbetreuungseinrichtungen wichtig und religiöse Praxis hat für Eltern einen Stellenwert.
Dementsprechend enthalten auch die Empfehlungen für Veränderungen keine Überraschungen: Sprachförderungen sollten, ebenso wie die Qualifikationen von Betreuenden, gesteigert werden und Konzepte für den Umgang mit kultureller Vielfalt erarbeitet werden. Alles Empfehlungen, die ebenso für jede andere Kinderbetreuungseinrichtung oder auch Schule in Wien gelten können. Dies ist (leider) im gesamten Bildungssektor zutreffend. Hier zeichnen die Daten aus der Evaluation das gleiche Bild, das auch im restlichen Wiener Feld anzutreffen ist.
Punkt 5 der Ausblicks ist dann wiederum fast amüsant: Den Kontext des medialen Trubels aus dem Forschungsprozess auszublenden und mit einem Kontrollempfinden bei den nicht-teilnehmenden Kinderbetreuungseinrichtungen zu argumentieren ist, wie vorhin schon angeführt, absurd. Damit vermehrte, notwendige Kontrollen zu begründen dementsprechend sinnvoll. (Anm.: Veränderungen bzgl. Kinderbetreuung in Wien ist sinnvoll, da sind sich viele und sehr unterschiedliche Seiten einig. Anlassreglements für einzelne Gruppierungen sind aber etwas anderes.)
Punkt 6 und 7 beinhalten Allgemeinplätze, die auch sonst im Bildungssektor zu hören sind. Organisationsentwicklung wäre in so vielen Organisationen wünschenswert – egal welcher Ausrichtung. Die Zusammenarbeit von Schulen und Kindergärten im Allgemeinen anstrebenswert, auch hier unabhängig von der Ausrichtung.
Punkt 8 geht von im Abschlussbericht geäußerten Postulaten aus: Die Trägervereine sollten überprüft werden, deren „positive Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft“ (S. 109) gehört untersucht. Würde diese Empfehlung auf der Grundlage von Fakten getroffen werden, so bleibt zu konstatieren, dass der aufgebrachte Zusammenhang zwischen den Vereinen und den Kinderbetreuungseinrichtungen empirisch überprüft werden und auf dieser Basis Empfehlungen entwickelt werden sollten.
Die dann noch folgenden Empfehlungen sind Allgemeinplätze, die in ähnlicher Form auch für nicht-islamische Kinderbetreuungseinrichtungen geäußert werden können. Der festgestellte Forschungsbedarf im untersuchten Feld ist unbestritten vorhanden.
Passend zur Struktur und Arbeitsweise innerhalb der Evaluierung islamischer Kinderbetreuungseinrichtungen beginnt auch die Schlussbemerkung: Die Begründung für die medial transportierten Ausführungen findet sich in der Dokumentenanalyse. Die Aussage „In den untersuchten Kindergärten ließen sich diese Tendenzen wiederentdecken.“ verwundert an dieser Stelle und stimmt mit den Darstellungen im Abschlussbericht nicht überein. In den Ausführungen auf Basis der erhobenen Daten finden sich keine Hinweise auf salafistische oder islamistische Tendenzen in den Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Argumentation endet wiederum bei den Verbänden und Organisationen bzw. deren „nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die pädagogische Arbeit der Kindergärten“ (S. 111).
Der konstatierte, weitere Forschungsbedarf zu differenzierten Analysen wie gegen Ende der Schlussbemerkung attestiert, bleibt ohne Frage bestehen: Auch der vorliegende Abschlussbericht ist dazu selbst nämlich nicht fähig. Jene Teile mit empirischer Fundierung zeigen, trotz diverser methodischer Mängel insbesondere beim Auswertungsverfahren, keine bedrohlichen oder gefährlichen Tendenzen auf. Die 40-seitigen Ausführungen der als Dokumentenanalyse qualifizierten Passage, stellt jene – medial transportierten – bedrohlichen und gefährlichen Tendenzen ohne Fundierung dar. Dieser Textteil bleibt wissenschaftlich zur Gänze intransparent, die Auswahl der Dokumente nicht nachvollziehbar und die Vorgangsweise im Rahmen der Analyse wird nicht erklärt.
Auch wenn die Form des Abschlussberichtes den üblichen Anforderungen entspricht, die methodische Umsetzung der Evaluierung tut dies nicht. Auf den ersten Blick sind die einzelnen Schritte besser maskiert, halten aber einer genaueren Überprüfung nicht stand. Auch die Endversion der Vorstudie bleibt im gleichen Fahrwasser und ist immer noch ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel. Wenn auch etwas weniger offensichtlich.
Methoden und deren Hintergründe, Methodologie genannt, sind sozialwissenschaftliche Werkzeuge. Dieses Handwerkzeug und das damit verbundene Wissen gewährleistet die Qualität der Arbeiten. Wer sein Auto in eine Werkstatt bringt, erwartet sich zurecht, dass die dort verwendeten Werkzeuge und Geräte exakt arbeiten und messen. Niemand würde dort auf die Idee kommen zu sagen, es wäre egal, ob z.B. die Bremsen korrekt eingestellt wurden. Auch wenn wir die Geräte nicht verstehen, erwarten wir uns, dass sie funktionieren. Dafür gibt es unterschiedliche Professionen.
Ebenso verhält es sich mit sozialwissenschaftlichen Instrumenten. Nur wenn korrekt gearbeitet wird, die Instrumente passend eingesetzt und die Ansprüche an diese Arbeiten erfüllt werden, können gültige Aussagen getroffen und soziale Phänomene dargestellt werden. Wer meint bei Sozialwissenschaften wäre dies anders, weil diese „keine wirkliche Wissenschaft“ (alles schon mal gehört ) wäre, zeigt nur keine Ahnung zu haben. Mensch zu sein qualifiziert nicht dafür Menschen zu beforschen. Oder anders formuliert:
Meinung und wissenschaftliche Erkenntnis sind zwei unterschiedliche Dinge: Ersteres kann jeder und jede haben, hat aber nichts mit Fakten und deren Richtigkeit zu tun. Behauptungen und Postulate ohne faktische Richtigkeit bleiben dies, auch wenn sie sich als Wissenschaft tarnen. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen ein Fundament haben, Beweise beinhalten und nachvollziehbar und überprüfbar sein.
An den medialen Konsequenzen aus den Debatten um islamische Kindergärten zeigt sich die Verantwortung von Forschung und Forschenden. Meinungen und Behauptungen ohne Fundament verursachen gesellschaftlichen Schaden. Wie schwierig und schmerzhaft es ist dies wieder zu reparieren, ist Geschichtsbüchern zu entnehmen.
Der Abschlussbericht ist zugänglich unter:
Adnan, Eslan: „Projektbericht. Evaluierung ausgewählter Islamischer Kindergärten und –gruppen in Wien. Tendenzen und Empfehlungen.“, Online veröffentlicht unter: https://typo3.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_iis/Abschlussbericht__Vorstudie_Islamische_Kindergarten_Wien_final.pdf
[Zuletzt abgerufen: 23.3.2016]
]]>
Bis 16.4.2016 läuft die Ausstellung noch. Dass sie für Star Wars Fans ein Muss ist, war zu erwarten. Viele originale Exponate aus den alten Filmen sind zu sehen: Von Chewbacca über R2D2, dem unvermeidlichen Yoda bis zu Anakin und einigen Raumschiffen befindet sich fast alles was in Star Wars Rang und Namen hat derzeit in Wien.
Nicht zu erwarten war, dass das Konzept auf Sozialwissenschaftliches abzielt und damit auch für andere Zielgruppen interessant wird. Die durch die Ausstellung leitende Idee ist das Erschaffen eines eigenen Star Wars Charakters – meiner findet sich in dem Bild rechts. Über 10 Stationen hinweg werden Planeten ausgewählt, Eigenschaften ausgesucht und vieles mehr. So entsteht eine personalisierte Figur, die am Ende der Ausstellung in Lebensgröße abgebildet wird und per Email verschickt werden kann. Alle Schritte werden von animierten Videos begleitet und erklären, quasi im Vorbeigehen, Konzepte rund um Identitätsbildung, -konzeption und –aspekte. Phänomene, die sonst im Alltag kaum beleuchtet oder vermittelt werden, werden so anhand von Star Wars Figuren greifbar. Beispielsweise wird Resilienz, d.h. das Phänomen an Krisen zu wachsen, anhand von Luke und Anakin Skywalker erklärt. Letzterer wird, wie hinlänglich bekannt, zu Darth Vader. Auch wenn bei Vater und Sohn ähnliche Voraussetzungen vorliegen, ist die persönliche Entwicklung unterschiedlich. Luke lernt aus der Krise, überwindet diese und wendet sich der hellen Seite zu.
Sozialisationsagenturen, wie Familie oder MentorInnen, werden thematisiert. Persönlichkeitsfaktoren und Werthaltungen reflektiert. Kulturelle Einflüsse diskutiert. Kurz: Eine gelungene didaktische Umsetzung ermöglicht die Vermittlung komplexer Identitätsprozesse anhand von Star Wars. Das war das erste Mal, dass ich meinen Kindern anhand etwas für sie so Tollem schnell und einfach erzählen konnte, womit ich mich in meiner Arbeit u.a. beschäftige. Diese Aspekte der Ausstellung richten sich an Kinder bzw. Menschen ohne sozial-analytischen Background. Inhaltlich war für mich, und auch meine beiden versierten Begleiterinnen, nicht viel Neues dabei. Doch durch die gelungene Aufbereitung hat der Besuch allen Spaß gemacht.
Für Schulklassen gibt es zur Verfügung gestelltes Material und Lernblätter zu unterschiedlichen Themenbereichen – das Passwort dazu kann bei den Ansprechpersonen nachgefragt werden. Die erklärenden Videos aus der Ausstellung wären auch für Vorlesungen eine abwechslungsreiche Bereicherung, sind aber leider nicht zugänglich – ich musste das nachfragen, die Vorstellung Star Wars Material in meine Vorlesung zu qualitativen Methoden einzubauen, ist zu verlockend.
Fazit: Wer Star Wars mag und sich Gedanken über Identitätsprozesse machen möchte, sollte die Ausstellung besuchen. Wer R2D2 und Co im Original sehen will, ebenso.
]]>
Zu dem Thema was alltägliche, subjektive Wahrnehmung von sozialwissenschaftlicher Analyse unterscheidet, habe ich einen eigenen Beitrag erstellt.
Wurde die Langversion bezahlt?
Nein. Kein Cent ist geflossen. Alle Scienceblogsbeiträge entstehen ohne Bezahlung.
Was für ein Format hat die methodische Kritik?
Sie ist ein Blogpost. Keine Auftragsarbeit, kein Forschungsbeitrag, kein Artikel in einem Journal, nichts aus einem Peer-Review-Verfahren, sondern ein Feedback zu einem Paper, das sich selbst als ‚Vorstudie‘ qualifiziert.
Warum meine ich dafür qualifiziert zu sein?
Im Lauf der Jahre habe ich unzählige studentische Arbeiten betreut. Ich habe für Journals in Peer-Review-Verfahren eingereichte Artikel begutachtet und auch für Tagungen bzw. Konferenzen eingereichte Beiträge bewertet. Aus diesen Bereichen stammen meine Skills in der Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten.
„Das ist ja nur eine Vorstudie“ – kam in mehreren Variationen
Eine Vorstudie ist kein Freibrief für methodische Beliebigkeit. Wissenschaftliche Regeln gelten für jede Arbeit, die das Label ‚wissenschaftlich‘ für sich in Anspruch nimmt. Dies hat der Projektbericht „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ getan, der Text ist nicht als Artikel, Meinung oder Blogpost in die Öffentlichkeit gekommen.
Vorstudien oder Pretests können z.B. in Bezug auf die Reichweite oder die untersuchten Zielgruppen eingeschränkt, aber nicht von den Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens befreit sein: Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Transparenz gelten immer. D.h. auch, dass die Vorgangsweise und die Fallauswahl in einer Vorstudie dargelegt werden müssen. Auch der Zusatz „Kurze Darstellung der relevanten Zwischenergebnisse“ kann diese Ansprüche nicht relativieren.
„Legst du da nicht ein wenig zu weitgehende Maßstäbe an eine Arbeit, deren Sinn, wenn ich es richtig verstanden habe, allein darin bestand herauszufinden ob man sich die Sache genauer anschauen sollte?“
Nein, lege ich nicht. Wäre das ein Blogpost oder auch Zeitungsartikel: Kein Thema. Alles was mit Meinung gelabelt wird: Kein Thema. Aber dieser Projektbericht/Vorstudie spielt genau damit. Sagt, es ist wissenschaftliche Arbeit, publiziert im Namen der Uni Wien, im Namen eines Institutes, und nimmt für sich damit eine andere Stellung in Anspruch.
Sie sind nicht in die Öffentlichkeit gegangen mit: ‚Wir sind der Meinung dass…‘ Sondern mit: ‚Da gibts eine Studie und die zeigt, da gibt es ein Problem. Und das sieht so aus.‘ Das Label ‘Vorstudie’ kam ja erst nachträglich, das Paper war anfangs gar nicht zugänglich. Nur eben: Genau das kann dieser Projektbericht nicht nachweisen. Die ‘Vorstudie’ kann die tatsächlichen Probleme nicht aufzeigen, so wie sie gemacht ist. Sie bringt keinen validen Nachweis.
Mehrere Kommentare haben unterstellt ich hätte einen – wie auch immer gearteten – Bias, deshalb:
Habe ich für die IGGÖ gearbeitet?
Nein. Ich habe vor Jahren (2007) ein Seminar zu Projektmanagement im Rahmen des Projekts Fatima gehalten, veranstaltet von der MJÖ, der Muslimischen Jugend Österreichs. Bezahlt wurde das zweitägige Seminar vom Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend.
Ich halte seit vielen Jahren, neben meiner Lehr- und wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, Seminare. Wie alle Trainer- und BeraterInnen arbeite ich für unterschiedlichste Felder und AuftraggeberInnen.
Tätigkeit für das IIS?
Dies war ein methodischer Beratungsauftrag im Rahmen meiner methodischen Beratungstätigkeit: Ein Vorgespräch plus ein Workshoptermin zur Grounded Theory. Danach war der Auftrag beendet. Damit diesbezüglich Transparenz herrscht, habe ich das in die Langversion inkludiert. Auch im Bereich der methodischen Beratung arbeite ich für unterschiedlichste Felder und AuftraggeberInnen.
Motivation für die methodische Kritik?
Die gleiche wie für meinen Scienceblog Sociokommunikativ: Sozialwissenschaften zugänglich zu machen und ihren wissenschaftlichen Zugang zu erklären. Dadurch, dass Gegenstand und Forschende – soziale Phänomene und Menschen – nicht trennbar sind, haben wir mit anderen Umständen umzugehen als z.B. die Naturwissenschaften. Dies versuche ich darzulegen.
Und mich ärgert es, wenn sozialwissenschaftliche Projekte schlecht gemacht werden und dann dem ganzen Feld auf den Kopf fallen oder auch politisch instrumentalisierbar werden. Sozialwissenschaftliche Forschung soll gesellschaftliche Phänomene zugänglich machen und zu Lösungen beitragen. Pauschale Verurteilungen und Polarisierungen durch schlecht gemachte sozialwissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen, widerstrebt mir unglaublich.
Dass die sozialwissenschaftliche Community zu der öffentlichen Debatte geschwiegen hat und immer noch schweigt, war ein Auslöser für meine methodische Kritik. Viele WissenschafterInnen setzen sich nur ungern öffentlichen Debatten aus – warum kann im Standardforum unter meinem Beitrag sehr einfach nachgelesen werden. Menschen ohne fachliches Wissen sind insbesondere in sozialwissenschaftlichen Feldern bzw. Themen schnell am (ab)urteilen. Ich finde es wichtig, dass sich WissenschafterInnen auch öffentlich einbringen und bin keine Freundin des Elfenbeinturms, deshalb habe ich auch meinen Scienceblog gestartet.
Heiße ich Parallelgesellschaften, radikale Religiösität, und was sonst noch so als Vorwurf kam, gut?
Nope. Keinesfalls.
Ist meine methodische Kritik ein Versuch die Existenz radikaler Phänomene vom Tisch zu wischen, wie von manchen behauptet?
Nein. Was auch immer bei einer korrekt gemachten Studie rauskommt: Die Ergebnisse sind – unabhängig von persönlichen und politischen Vorlieben – zu akzeptieren, da man es mit Fakten zu tun hat, die soziale Perspektiven und Ausschnitte beleuchten.
Die Bandbreite diesbezüglicher Phänomene ist groß. Probleme im Bereich von Kinderbetreuungseinrichtungen sind existent, wie in der Langversion geschrieben. Diese lassen sich aber meiner Felderfahrung nach (d.h. nicht empirisch abgesichert) auf die enorme Steigerung der Anzahl von Gruppen und nicht nur auf die islamischen Gruppen zurückführen.
Arbeiten, wie die ‚Vorstudie‘, suggerieren aber, dass alle islamischen Kigas und Kindergruppen ein Problem darstellen – und dabei kann aber eine Arbeit dieser Qualität darüber keine Aussagen treffen. Das halte ich für gefährlich und unethisch. Daher der Blogpost dazu.
Würde ich selbst an einer Studie zu Kinderbetreuungseinrichtungen mitarbeiten?
Was für eine Frage. Natürlich.
Ist das die Motivation zu den Blogposts gewesen?
Nein. Siehe oben.
Bis vor kurzem hätte ich das auch nicht machen können, weil ich selbst im Feld aktiv war (Kindergruppen-, dann Schulobfrau). Inzwischen würde das, weil ich nicht mehr aktiv Teil des Feldes bin, zwar funktionieren. Dafür braucht es aber Zeit und Ressourcen, die ich im Moment gar nicht hätte.
Qualifikationsgrundlage meiner methodischen Kritik?
Eigentlich wäre das ja einfach ergooglebar und auch in meiner Scienceblogkurzbio steht dazu etwas drin. Aber falls es jemanden tatsächlich genauer interessiert:
Ich arbeite seit Ende der 90er als Sozialwissenschafterin, habe ursprünglich Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert, damals noch mit einem Nebenfach, bei mir war das eine Kombi aus Soziologie, Politikwissenschaft und weiteren Studienrichtungen. Ende der 00er Jahre kamen zwei Jahre in einem Postgraduatelehrgang am IHS Soziologie dazu. Einige Ausbildungen zu Training und Beratung habe ich auch hinter mir und bin auch Teil der ÖGGO, der Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung.
Während des Studiums war ich als Tutorin tätig, aus der Zeit stammt der Start meines Methodenschwerpunkts, ich habe mit em. a.o. Univ.-Prof. Vitouch gearbeitet. Seit 2001 unterrichte ich angestellt als Lektorin an der Uni Wien am Institut für Publizistik, inzwischen auch an der TU Wien, an der ich auch mal Assistentin war. Lehraufträge an der SFU oder in Krems waren in Lauf der Jahre auch dabei.
Meine erste Lehrbeauftragung war die Einführung in die empirische Sozialwissenschaft, die Methodeneinführungsvorlesung, damals parallel zu Kollegen Vitouch. Im Lauf meiner beruflichen Tätigkeit folgte eine intensive Auseinandersetzung mit qualitativen Methoden – insbesondere der Grounded Theory und der dokumentarischen Methode. Ich habe zur qualitativen Forschung eine Vorlesung entwickelt, die ich aktuell halte. Ebenso halte ich eine LV zu Forschungsmanagement und im Sommersemester die Einführungsvorlesung zur Medienpädagogik im Audimax (eins meiner Forschungsfelder) und LVs zu Arbeitstechniken, gruppendynamischen Strategien und interner Organisationskommunikation. In der Lehre verbinden sich so meine wissenschaftlichen Arbeitsfelder mit Trainings- bzw. Beratungstätigkeiten. (Alles im Vorlesungsverzeichnis der Uni Wien nachrecherchierbar.)
Meine Forschungstätigkeiten sind dzt. außeruniversitär, sowohl im quantitativen, als auch – und hauptsächlich – im qualitativen Sektor angesiedelt. Zweiteres auch deshalb, weil diese Art von Forschung die ideale Grundlage für weitere Beratungstätigkeiten und Maßnahmenentwicklung ist. Auch hier wieder ein Link zwischen den Berufsfeldern.
Wo ich, wann, wie genau tätig war, würde hier den Rahmen sprengen. Ich gehöre zur ersten Generation der prekär wissenschaftlich Arbeitenden. Unter meinen anderen Arbeitgebern waren u.a. die TU Wien (FWF Projekt), die Boltzmann-Gesellschaft oder das Forschungszentrum Seibersdorf. Seit 4 Jahren forsche, berate und trainiere ich im Rahmen unserer eigenen Firma – ich war die ewigen prekären Anstellungen leid. Im Zuge dessen habe ich 2012 begonnen auf Scienceblogs zu schreiben. Die Freiheit, die mit diesen Arbeitsformen verbunden ist, schätze ich, insbesondere fürs wissenschaftliche Arbeiten, sehr.
Meinem Herkunftsinstitut der Publizistik bin und bleibe ich durch Lehrtätigkeit intensiv verbunden. Diese universitäre ‚Heimat‘ schätze ich, bei allem was an Uni und Institut berechtigt zu kritisieren ist, sehr. Die Entwicklung der Publizistik hin zu einer Sozialwissenschaft seit mehr als 20 Jahren miterleben und mitgestalten zu dürfen, finde ich großartig und möchte ich nicht missen.
Warum bin ich keine Dr.?
Ja, das werde ich oft gefragt. Und zurecht. Mehr als die Hälfte der Dissertation ist schon länger fertig. Sie ist das Projekt, das immer liegen bleibt, wenn es anderes zu tun gibt. Und ich hab ziemlich gut zu tun. Und sie ist das Projekt für das ich aus meinem sonstigen Alltag eine Zeit lang aussteigen müsste, etwas das nicht so einfach ist angesichts von Job, Familie und sonstigem. Der Blog ist da praktischer: Immer nur recht kurze Arbeitseinheiten produzieren einen Text und keine fixe Verpflichtung.
Ich hoffe es ist jetzt alles befragt und beantwortet. Und nun allen schöne Ferien und gute Erholung!
]]>
Unsere individuellen Wahrnehmungen sind immer subjektiv. Wir sind geformt durch unsere Herkunft, Bildung und viele andere Faktoren. Gut transportiert wird das in diesem Cartoon: On a plate – a short story of privilege. Im Laufe unseres Aufwachsens lernen wir unseren gesellschaftlichen Platz kennen, akzeptieren ihn oder auch nicht, transformieren ihn oder auch nicht. Wir sehen was wir gelernt haben zu sehen. Wir schätzen was wir als positiv erfahren haben. Wir verachten was uns geschadet hat. Das sind komplizierte und auch individuell sehr unterschiedliche Wege. Weder determiniert uns unser soziales Umfeld zur Gänze, noch können wir gänzlich individuell und individualistisch selbst entscheiden. Sozialisation ist ein komplexer Prozess. Wer daran interessiert ist, soll Bourdieu lesen.
Werden diese individuellen Eindrücke verarbeitet und verallgemeinert – z.B. in einem Interviewleitfaden oder Fragebogen – sind sie trotzdem immer noch genau das: Eine individuelle Meinung auf der Basis subjektiver Wahrnehmungen.
Sozialwissenschaften machen anderes: Wir holen Meinungen und Erzählungen ein. Wir transkribieren sie und verarbeiten sie. Wenn die Meinungen in Zahlen verarbeitbar sind, nennt sich dies quantitative Forschung. Repräsentative Ergebnisse die soziale Realitäten auf der Basis von Grundgesamtheiten abbilden. Ein Resultat dieser Forschungen sind die bekannten Prozentangaben oder Tortendiagramme zu gewissen Fragestellungen.
Geht es nicht um Zahlen, sondern darum zu verstehen, wie soziale Phänomene funktionieren, kommen qualitative Ansätze zum Einsatz. Dabei geht es um eine andere Form der Repräsentativität: Darum alle Denkweisen und Perspektiven zu einem sozialen Phänomen zu erheben. Umgangssprachlich könnte man formulieren: Es geht darum herauszufinden wie Menschen ticken und anzuschauen welche kollektiven Orientierungen es da gibt, d.h. welche gemeinschaftlich geteilten Perspektiven es bezüglich eines Themas gibt.
Wie kann dieses Wissen hergestellt und erhoben werden?
Durch die richtigen Werkzeuge: Methoden und deren Methodologie, die Theorie hinter den methodischen Werkzeugen. Die Auseinandersetzungen rund um diese Themen dienen dazu die Werkzeuge zu fundieren, zu überprüfen was diese genau leisten können und messen, das Instrumentarium zu schärfen und reflexiv mit diesen umzugehen. Methoden entwickeln sich immer weiter, der Bereich der visuellen Soziologie ist da derzeit das beste Beispiel. Aktuell laufen vielfältige Bemühungen den empirischen Umgang mit Bildmaterial zu professionalisieren.
Warum ist es wichtig, dass diese nachvollziehbar und korrekt angewendet werden?
Weil nur so zwischen einer individuellen und subjektiven Meinung und der tatsächlichen Beschreibung eines sozialen Phänomens unterschieden werden kann. Vergleichbar wäre das mit einem Chemiebaukasten, der zuhause genutzt wird, und einem professionellen Labor. In beidem können chemische Experimente gemacht werden, nur sind in ersterem die Wissenschaftlichkeit und die Bedingungen egal. Dort geht es um ein Ausprobieren und erstes Testen. In einem professionellen Labor ist nicht daran zu denken Versuchsbedingungen zu ignorieren, die Umstände zu vernachlässigen, keine Dokumentation anzufertigen usw..
Warum ist das für sozialwissenschaftliche Laien oft schwer nachzuvollziehen?
Weil unser aller Alltag wie eine Decke über den sozialen Phänomenen liegt, sonst wäre dieser Alltag viel zu anstrengend. Wir haben gelernt, auch evolutionär bedingt, viele Aspekte auszublenden, um schneller und effizienter wahrnehmen und entscheiden zu können.
Warum aber sind dann solche Studien, wie die von mir kritisierte, gefährlich?
Sie geben vor wissenschaftlich zu sein, eine Aussage treffen zu können und soziale Realitäten abzubilden. Und sie werden gehört. Die Menschen denken, dass etwas dran sein muss und schwupps steht eine ganze Bevölkerungsgruppe pauschal im (medialen) Kreuzfeuer. Das vergiftet das gesellschaftliche Klima und schürt Ängste. Und Angst, da bin ich ganz der Meinung von Angela Merkel, (so spooky so ein Satz ist ), ist ein schlechter Ratgeber. Angst lässt uns auf ein kleines Spektrum fokussieren, schränkt unseren Blick ein, verringert, in der Annahme, das schnell irgendwas passieren muss, unsere Handlungsmöglichkeiten und –optionen. Meist folgt dann irgendeine einfache, flotte Maßnahme, die ein Symptom behandelt und uns wieder Sicherheit gibt. Auch wenn diese Sicherheit oft vermeintlich ist.
Geschichte der „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, hier die Umstände, wie sie sich mir derzeit darstellen. Beauftragt wurde die Evaluierung vom Bmeia, dem Bundesministerium Europa, Integration, Äußeres. (Hier der Link zur Datenbank Integrationsprojekte, danke an den Hinweis! Aus dem Projektbericht und -website geht die Finanzierungsquelle btw nicht hervor.) Der Umsetzungszeitraum war ambitioniert von Juli bis Dezember 2015 (Angabe im Projektbericht vom IIS, in der Datenbank steht 1.6.-1.12.2015). Darin enthalten sind keine repräsentativen – weder im qualitativen noch im quantitativen Sinne – und nachvollziehbaren Aussagen. Und auch an dieser Stelle nochmals: Ob Vorstudie oder nicht, getroffene Aussagen müssen immer grundsätzlich nachvollziehbar sein, wenn ein Paper im wissenschaftlichen Kontext platziert wird.
Jener Politiker, der die Arbeit beauftragt hat, hat die vorläufigen Ergebnisse in die Öffentlichkeit getragen. Verwendet wurde die Evaluierung um anzuklagen. Aufgrund der Qualität der Arbeit kann aber niemand sagen, ob dies auch tatsächlich so ist. Diesen Anspruch kann die Studie nicht erfüllen, wie in meiner Langfassung der methodischen Kritik ja ausführlich dargelegt.
Die Medien greifen ein solches Thema natürlich auf. Es hat ja Brisanz und passt zu den öffentlichen Diskursen. Einige Menschen sagen: “Aber da wird schon was dran sein.” Öffentlich werden Maßnahmen verlangt und gesagt, dass schnell etwas geschehen muss. Noch immer weiß aber zu diesem Zeitpunkt noch niemand, was konkret in der Studie steht und wie sie gemacht wurde. Die kritischen Fälle werden und wurden nicht an die Behörden weitergegeben, die MA 11 der Stadt Wien hat sich wiederholt dazu geäußert und um Informationen gebeten – z.B. in der ORF Sendung Thema. Eine Informationsweitergabe wurde mit Hinweisen der Vertraulichkeit abgelehnt.
Der öffentliche Diskurs hebt, durch die politische Inszenierung hervorgerufen, ab und wird intensiv. Stellungnahmen werden verlangt und eingeholt, diverse Verbände äußern sich. Öffentlich und medial werden Schuldige gesucht und auch gefunden. Pauschal werden alle Kindergärten und -gruppen über einen Kamm geschoren. Diese Prozesse polarisieren und beeinflussen das gesellschaftliche Klima.
Dann wird die Studie, nun im Wording eine Vorstudie, geleakt. Aber das tatsächliche Paper liest zu diesem Zeitpunkt schon kaum noch jemand. Die Fronten sind verhärtet, der Schaden im Diskurs schon entstanden und eine neue Facette der Narrationen rund um Islam bzw. Islamismus wurde etabliert. Wissenschaft, Politik und Medien formen so gesellschaftliche Bilder, entwickeln im Wechselspiel Narrationen und prägen die öffentliche Meinung.
Noch mehr Menschen sagen nun: ‚Es wird schon was dran sein.‘ Gesellschaftliches Porzellan ist damit zerschlagen, die gesellschaftliche Balance noch weiter gestört und so wird nach und nach das Klima vergiftet – ausgelöst durch eine ‘Vorstudie’ die keine ist.
Und wie so oft bleibt am Ende zu fragen: Wem nützt es? Cui bono?
]]>Analyse des Projektberichts „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“. Für alle, denen die ausführliche Variante meiner Analyse zu lang ist, hier eine Kurzfassung:
Die Debatte rund um die Evaluierung islamischer Kinderbetreuungseinrichtungen zieht sich seit mehr als einer Woche. Der Projektbericht wurde am 16.12.2015 über ein Facebookposting von Thomas Schmidinger zugänglich und ist hier auf der Website des Standards hinterlegt.
Der Projektbericht qualifiziert sich selbst als Vorstudie (S. 3 des Projektberichts), entspricht aber nicht den Standards aktueller sozialwissenschaftlicher Arbeit. Der Bericht ist eine Melange aus zusammengetragenen Meinungen, subjektiver Recherche, Beobachtungen und von Erfahrungswerten. Hinweise auf eine systematische und nachvollziehbare Bearbeitung des Themas finden sich darin nicht. Weder werden Quellen ausreichend transparent gemacht, noch gibt es eine Dokumentation zu den empirischen Schritten und Auswertungen. Der Projektbericht weist formale Mängel auf. Ein Literaturverzeichnis fehlt, der Anhang ist unzureichend, der Bericht beinhaltet keine Leitfäden zu den Interviews, es gibt kein Verzeichnis der durchgeführten Interviews und keine Transkripte. Elemente aus den Auswertungsarbeiten, wie z.B. ein Kategorienschema, eine Typologie oder ähnliches, fehlen.
Das Untersuchungsdesign bleibt intransparent: Die Forschungsfragen sind indifferent und breit angelegt. Die gewählte Methodik der ExpertInneninterviews kann die gestellten Forschungsfragen nur bedingt beantworten, etwas das aber aufgrund von fehlenden Leitfäden und Transkripten bzw. Zitaten aus den Transkripten nur ansatzweise beurteilt werden kann. Die Auswahl der Fälle ist nicht nachvollziehbar, der Samplingprozess damit nicht rekonstruierbar und Rückschlüsse auf das Feld nicht möglich. Der Forschungsprozess und die konkreten Vorgangsweisen werden nicht beschrieben. Größte Mängel weist die Art und Weise der Auswertung auf. Beschrieben wird eine „an die Auswertungsmethode der Grounded Theory“ angelehnte Vorgangsweise. Die vorgelegten Ergebnisse haben allerdings mit einer in Daten begründeten Theorie – das meint Grounded Theory – nichts zu tun. Die Grounded Theory scheint rein als Label verwendet worden zu sein.
Die Ergebnisse im Projektbericht sind Aufzählungen in Form von unterschiedlich umfangreichen Formulierungen, zugeteilt zu Kategorien. Woher diese Kategorien stammen, ob aus den Leitfäden, den Analysen oder aus anderen Quellen, ist nicht ersichtlich. Eine Interpretation der Aufzählungen gibt es in dem Bericht nicht. Zitate aus den Interviews, um die angeführten Punkte zu untermauern, sind im Text nicht enthalten. Im Berichtsende werden Vorschläge zur Qualitätssteigerung präsentiert. Wie diese mit den durchgeführten Forschungsschritten zusammenhängen, ist aus dem Bericht heraus nicht ersichtlich.
Der Sinn der Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens liegt darin die Weiterarbeit mit den gefundenen Erkenntnissen und Inhalten zu ermöglichen. Diese gelten für jede Form der wissenschaftlichen Arbeit von Proseminar-, Bakkalaureats- und Diplomarbeiten, über Dissertationen und Habilitation bis zu Publikationen im Rahmen von Forschungsprojekten. Dies gilt auch für Vorstudien und ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Indifferenz des Projektberichts eröffnet die Möglichkeiten zur willkürlichen Interpretation der Ergebnisse. In den vergangenen Tagen war genau dies in den öffentlichen Debatten beobachtbar: Einzelne Aspekte wurden herausgenommen und im politischen Diskurs instrumentalisiert. Genau deshalb, um solchen Effekten entgegenzuwirken, existieren (sozial)wissenschaftliche Standards und ist es unabdingbar diese einzuhalten. Forschung soll (und muss) immer einen sachlichen Beitrag zu sozialen Phänomenen und ihrer Analyse leisten und in ihrem Rahmen versuchen einer Instrumentalisierung zumindest vorzubeugen. Kurz gefasst: Der Projektbericht zur „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ ist ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel und verdient das Etikett einer wissenschaftlichen Arbeit nicht.
Die Langfassung der Analyse findet sich: Hier!
Verzeichnis der genutzten Onlineressourcen
Aslan, Ednan: Projektbericht Qualitativ-empirisches Forschungsprojekt „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ – Kurze Darstellung der relevanten Zwischenergebnisse. https://images.derstandard.at/2015/12/10/ProjektberichtIslamischeKindergaertenErgebnissefinal-2.pdf (Abgerufen am 18.12.2015)
Facebookposting von Thomas Schmidinger: https://www.facebook.com/Thomas.Schmidinger/posts/10153530786864457?pnref=story (Abgerufen am 18.12.2015)
Institut für islamische Studien: https://iis.univie.ac.at/home/ (Abgerufen am 18.12.2015)
Wirtschaft, Arbeit und Statistik (Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien): In Kinderbetreuungseinrichtungen betreute Kinder in Wien 1989/1990 bis 2012/2013. https://www.wien.gv.at/statistik/bildung/tabellen/kth-kinder-zr.html (Abgerufen am 18.12.2015)
Wirtschaft, Arbeit und Statistik (Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien): Definitionen zur Kinderbetreuungsstatistik. https://www.wien.gv.at/statistik/bildung/kinderbetreuung/definitionen.html (Abgerufen am 18.12.2015)
]]>
Bevor ich nun umfassender auf die methodischen und methodologischen Aspekte des Projektberichts eingehe, einige grundsätzliche Erklärungen. Wer das nicht lesen möchte, kann gleich zur methodischen Analyse springen. Eine Kurzfassung meiner Analyse findet sich hier.
Vorab: Die politischen und medialen Debatten in den letzten Tagen zu diesem Thema verlaufen polarisierend und teils hetzend. Diverse Seiten versuchen aus dem Projektbericht des IIS politisches Kleingeld zu schlagen. Diese Tendenzen und der unreflektierte Umgang mit den Studienergebnissen haben mich länger darüber nachdenken lassen, ob ich überhaupt etwas dazu schreiben soll und wenn, wie ich darüber schreiben soll. Mir liegt es fern in die politische und mediale Schwarzweißmalerei miteinzustimmen. Die Tatsache, dass es an meiner Universität ein Institut gibt, das Themen wie diese Evaluation bearbeitet, finde ich gut und wichtig. Die methodische Qualität der vorliegenden Vorstudie lässt zu wünschen übrig und eröffnet damit die Möglichkeit zur willkürlichen Verwendung und Interpretation der Ergebnisse, wie in der öffentlichen Debatte in den letzten Tagen beobachtbar. Arbeiten dieser Qualität werfen ein schlechtes Licht auf qualitative, sozialwissenschaftliche Forschungen im Allgemeinen, dem entgegen zu arbeiten, ist eine der grundsätzlichen Motivationen dieses Scienceblogs. Dieser Blogpost legt dem folgend einen Fokus auf die methodische Qualität des Projektes, um einen sachlichen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten.
Bezug zum Institut für islamische Studien: Im Rahmen meiner Tätigkeit unserer Firma sourceheads biete ich als Dienstleitung methodische Beratungen an. In diesem Rahmen hatte ich mit dem IIS im Sommer 2013 für kurze Zeit zu tun. Ich habe das Projekt Imame in Österreich methodisch beraten. In dem Projekt gab es einen personellen Wechsel, eine neue Mitarbeiterin sollte das Projekt zu Ende führen. Die Daten aus Leitfadeninterviews mit Imamen, mit denen im Rahmen des Projekts gearbeitet wurden, waren inkonsistent und bzgl. ihrer Qualität sehr unterschiedlich. Nach einem Vorgespräch fand mit zwei Projektmitarbeiterinnen des IIS ein methodischer Workshop zur Grounded Theory, um eine Auswertungsstrategie für die Interviewdaten zu finden, statt. Ende August 2013 wurde die Beratung beendet. Danach hatte ich mit keinem Projekt des IIS zu tun, mit einer der Mitarbeiterinnen war ich im Dezember 2013 auf einen Kaffee. Als Sozialwissenschafterin interessieren mich Felder in die ich selbst kaum Einblick habe sehr und Gespräche über muslimische Felder und Feldzugänge deshalb besonders. So viel zu meinem Bezug zum IIS, dem Institut für islamische Studien und nun zum eigentlichen Thema dieses Blogposts: Die methodische Analyse des Projektberichts „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“.
Methodische Analyse des Projektberichts „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“
Die Debatte rund um die Evaluierung islamischer Kinderbetreuungseinrichtungen zieht sich seit mehr als einer Woche. Der Projektbericht wurde am 16.12.2015 über ein Facebookposting von Thomas Schmidinger zugänglich und ist hier auf der Website des Standards hinterlegt.
Forschungsprojekt? Projektbericht? Vorstudie?
Der Projektbericht spricht von einem qualitativ-empirischem Forschungsprojekt im Zeitraum von 1.7. bis 30.11.2015 (S. 1 des Projektberichts) zur Kurzdarstellung von Zwischenergebnissen und qualifiziert die Inhalte des Projekts im jetzigen Stadium als Vorstudie (S. 3 des Projektberichts): „Die Ergebnisse der Studie in dieser Phase können nur als Vorstudie betrachtet werden“. Die Vielfalt der unterschiedlichen Bezeichnungen auf den ersten Seiten verweist auf eine erste Inkonsistenz: Worum geht es in dem Bericht genau? Was genau ist dieses Projekt?
Gleich ob Forschungsprojekt oder Vorstudie: Jede sozialwissenschaftliche Forschung unterliegt gewissen Kriterien bzgl. Qualität, Transparenz, Strukturierung, methodischer Vorgangsweise und Ergebnisdarstellung. Eine Vorstudie kann zwar bzgl. der Fallzahl oder Reichweite eingeschränkt sein, muss aber diesbezüglich nachvollziehbar gestaltet werden. Diese wissenschaftlichen Kriterien gelten für jede Form von Projekt, gleich ob Vorstudie oder Studie, da sonst die Arbeit an sich angreifbar ist.
Der Zeitraum der Studie ist mit 5 Monaten, zwei davon die Sommermonate Juli und August, ambitioniert gesetzt. Im Projektbericht ist Univ.-Prof. Dr. Ednan Aslan als Projektleiter angegeben, auf die auf der Website des Projekt https://iis.univie.ac.at/forschung/laufende-projekte/evaluierung-islamischer-kindergaerten/ angegebene Mitarbeiterin MMMMag. Helena Stockinger findet sich im Projektbericht kein Hinweis – es ist nicht davon auszugehen, dass Univ.-Prof. Aslan den Bericht ohne die Mitarbeit anderer verfasst hat.
Anzahl der Kindergärten und –gruppen: In den Vorbemerkungen wird auf die Qualifizierung als Vorstudie verwiesen. Als Begründung wird die Anzahl von „150 Kindergärten und 450 Kindergruppen“ (S. 3 Projektbericht) angeführt. Ein Hinweis auf die Quelle dieser Zahlen fehlt. Welche Kindergärten und –gruppen in Wien gemeint sind, ob dies ausschließlich islamische Kinderbetreuungseinrichtungen sind, bleibt unklar. (Vgl. dazu https://www.wien.gv.at/statistik/bildung/tabellen/kth-kinder-zr.html)
Um qualifizierte Aussagen treffen zu können, wird geschrieben, wäre „eine auf drei Jahre aufgeteilte ausführliche Studie“ (ebd.) nötig. Diese Einschätzung teile ich meiner qualitativen Erfahrung nach. Eine reine Analyse einer einzigen Ausrichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen, ohne die anderen Ausrichtungen zu analysieren, würde nur ein Stück des Gesamtbildes liefern.
„Anliegen des Forschungsprojektes“, S. 3 Projektbericht: Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist das Thema begrüßenswert. Wer mit Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien zu tun hat weiß um die Vielzahl der neu gegründeten Gruppen in den vergangenen Jahren. (Ich war in Kindergruppen als Obfrau aktiv, auch ein Jahr im Vorstand des Vereins Wiener Kindergruppen und hatte als Schulobfrau im Rahmen einer Hortgründung in den letzten 2 Jahren viel mit der MA 11 und MA 10 zu tun.)
Aus der MA 11 war von unterschiedlichen Seiten schon länger zu hören, dass die enorme Zunahme an neugegründeten Kindergruppen, wie auch die unterschiedlichen Qualitäten der Betreuungseinrichtungen, brisante Themen sind. Auf der Website der Stadt Wien sind die Statistiken bis 2012/13 zugänglich, hier sind die Steigerungen bzgl. der Platzzahl entnehmbar. Die Tendenz wird sich bis 2015 fortgesetzt haben, aktuelle Zahlen liegen noch nicht vor. Ebenso wird auf der Ebene der Stadt schon des längeren über die Qualifikationen des Personals in den Einrichtungen und die unterschiedlichen Ausbildungen debattiert. Eine konstruktive, öffentliche Debatte wäre diesbezüglich wünschenswert, die unterschiedlichen Konzepte der pädagogischen Ausrichtungen sozialwissenschaftlich zu analysieren, wäre mehr als sinnvoll – Kurz: Die Relevanz des Vorhabens ist gegeben.
Gerade aus dieser Perspektive heraus ist es schade, dass der vorliegende Projektbericht aufgrund seiner Qualität polemisierende und polarisierende Diskurse, wie in den letzten Tagen verfolgbar, (mit)ermöglicht. Das Thema verfügt über eine hohe gesellschaftliche Relevanz und zeigt einen hohen damit verbundenen Forschungsbedarf.
Forschungsfragen, S 4 oben, Projektbericht: Die Studie stellt in der ersten Forschungsfrage sehr allgemeine und grundsätzliche Themen in den Mittelpunkt, schränkt diese dann auf ausgewählte, islamische Kindergärten in Wien ein: „Welche pädagogischen Schwerpunkte, welche Werte und welche Inhalte bestimmen aus Sicht der Pädagoginnen, der Leitung und der Eltern die Bildungsarbeit in ausgewählten islamischen Kindergärten in Wien?“
Nachdem – wie im Folgenden ausgeführt – nicht klar wird welche Fälle mit welcher Begründung ausgewählt wurden, sind diese sehr allgemeinen Fragen durch die Art der Vorgangsweise nur bedingt beantwortbar und bräuchten eigentlich eine andere methodische Vorgangsweise. Die Forschungsfragestellung und die gewählte Methodik wiedersprechen sich hier auf methodologischer Ebene. Wenn mittels Leitfäden gearbeitet wird, müsste zumindest das Sampling, d.h. die Fallauswahl, genau dargestellt werden – siehe dazu weiter unten.
Die zweite Forschungsfrage „Inwieweit sind die theologischen und ideologischen Orientierungen der Trägervereine in der pädagogisch-religiösen Erziehung der Kinder sichtbar?“ bleibt indifferent und zieht weitere Fragen nach sich: Das Wort „inwieweit“ verweist darauf, in welchem Rahmen bzw. in welcher Weite theologische und Ideologische Orientierungen sichtbar werden. Das Wort „sichtbar“ ist dabei schwierig: Für wen sichtbar? Was genau meint Sichtbarkeit? Hier bräuchte es eine stärkere begriffliche Ausdifferenzierung, um die Forschungsanliegen exakter auszuführen.
Die Aspekte, wie sich die aufgeführten Orientierungen darstellen, äußern und im Alltag gelebt bzw. umgesetzt werden, fehlen in den Fragestellungen. Dies kann zwar als sprachliche Ungenauigkeit ausgelegt werden, ist aber gerade bei Forschungsfragestellungen zu vermeiden. Bei Forschungsfragestellungen geht es üblicherweise darum möglichst exakt zu erfassen, was beforscht werden soll und alle beforschten Aspekte zu beleuchten.
„Auswahl der Kindergärten“, S. 4 unten, Projektbericht: Eine Vorstudie ist kein Freispruch zu methodischer Beliebigkeit, ein zentrales Thema jeder qualitativen Studie ist der Prozess des Samplings. Die Fallauswahl und der dazugehörige Auswahlprozess muss transparent gemacht werden, um die Forschung und die Ergebnisse nachvollziehbar zu machen.
Der Begriff „Kindergärten“ bleibt an dieser Stelle unklar. Sind damit alle Kinderbetreuungseinrichtungen, d.h. auch die Kindergruppen, gemeint oder wurden tatsächlich nur Kindergärten ausgewählt? Die beiden Formen unterscheiden sich in rechtlicher und organisatorischer Form, es existieren unterschiedliche städtische Vorgaben und Regelungen für Kindergärten und Kindergruppen. (Siehe dazu die Ausführungen der MA 23 zu Definitionen)
Im Projektbericht findet sich keine Darstellung des Feldes der islamischen Kindergärten. Die im Feld vorhandenen, unterschiedlichen Ausrichtungen werden nicht beschrieben, die Kriterien zur Auswahl der Kinderbetreuungseinrichtungen werden unzureichend dargestellt und sind deshalb nicht nachvollziehbar.
Beschrieben wird, dass „fünfzehn Kindergärten telefonisch und per Mail angefragt“ wurden und darauf geachtet wurde „Kindergärten mit unterschiedlicher kultureller und religiöser Ausrichtung anzufragen“. Die unterschiedlichen kulturellen und religiösen Ausrichtungen darzustellen, die der Auswahl zu Grunde liegen, ist ein Teil der Arbeit bei der Darstellung eines Samplingprozesses: Wie, warum und welche Fälle wurden ausgesucht? Welche Materialien wurden für diese Auswahl herangezogen? Welche Bereiche des Feldes wurden abgedeckt? Wie wurden die diesbezüglichen methodischen Entscheidungen getroffen?
Das Ziel dabei ist das Feld und seine Ausrichtungen bzw. Perspektiven darzustellen, um die Fälle als Repräsentation für die vorhandenen Perspektiven argumentieren zu können und letztlich auch für weitere Forschungen zugänglich zu machen. Das implizite Wissen über das feldaffine und –erfahrene Forschende verfügen, soll so auch für Feldferne nachvollziehbar gestaltet werden.
Im Projektbericht zur Evaluation bleibt dies auf der Ebene der Verbände: „Weitere Kindergärten der zwei großen türkischen Verbände und weitere 3 arabisch und bosnisch dominierte Kindergärten wurden persönlich angefragt“. Genauere Hintergründe werden nicht dargelegt.
Untersuchungsdesign, S. 5, Mitte, des Projektberichts: Der Text bleibt hier unspezifisch. Aus der Darstellung geht nicht hervor wie, und mit welchen methodischen Schritten, gearbeitet wurde. Erwähnt werden ExpertInneninterviews mit AkteurInnen der Kindergärten – Leitungen, PädagogInnen und Eltern. Wie es zur Auswahl der GesprächpartnerInnen kam, wird nicht weiter ausgeführt. Die auf S. 4 des Projektberichts erwähnten Leitfäden sind nicht im Anhang des Berichts enthalten, auf die Operationalisierung des Instruments – sprich wie der Leitfaden gestaltet wird, welche Art von Interviews geführt wurden – wird nicht eingegangen. Das Untersuchungsdesign bleibt damit intransparent und nicht nachvollziehbar.
Als Nebenaspekt lässt sich methodologisch auch der Zugang mittels ExpertInneninterviews problematisieren: Menschen erzählen in solchen Interviews diskursives Wissen, d.h. Wissen dessen sie sich kognitiv bewusst sind. Diese Form von Interviews produziert keine Daten, die Aufschluss über Handlungs- oder Alltagspraktiken zulässt. Über den tatsächlichen und gelebten Alltag in islamischen Kinderbetreuungseinrichtungen können ExpertInneninterviews also gar keine Auskunft geben, sie fragen schlicht anderes Wissen ab. Die Auswahl der Methodik ExpertInneninterview kann im Bezug zu den in den Forschungsfragen angegebenen Forschungszielen damit ebenso in Frage gestellt werden.
„Analyse der Website oder sonstiger schriftlicher Dokumente“, S. 5 unten: Für welchen Zweck erfolgte diese Analyse? Was sind die Ergebnisse der Analyse? Wo fließen diese ein? Aus der Darstellung im Projektbericht werden diese Fragen nicht beantwortet. Anzunehmen ist zwar, dass die Ergebnisse in die Fallauswahl und auch die Auswertung eingegangen werden sein, in welcher Form bleibt allerdings unbeantwortet.
„Untersuchungsauswertung“, S. 5 unten, Projektbericht: Hier liegt die Hauptkritik meiner Analyse. Eine „an die Auswertungsmethode der Grounded Theory“ angelegte Auswertung in der dargestellten Form hat mit einer Grounded Theory, einer in Daten begründeten Theorie, nichts zu tun. Beschrieben wird, dass in einem ersten Schritt Kategorien auf der Basis der Interviews entwickelt wurden. In einem zweiten Schritt „wurden Tendenzen dargestellt, die sich in den ausgewählten Kindergärten zeigten.“
Beide Schritte haben mit einem interpretativen Verfahren, wie der Grounded Theory, nichts gemeinsam. (Wie eine Grounded Theory entsteht, habe ich an anderer Stelle im Blog ausgeführt.) Grundsätzlich gilt aber: Die Grounded Theory ist kein Verfahren bei dem Textelemente in Kategorien eingeteilt werden. Die in der Grounded Theory genutzten Codes sind ein Weg um die Interpretation, die in Form von angefertigten Memos vorgenommen wird, zu strukturieren und miteinander zu vernetzten. Das Ziel dabei ist die Entwicklung einer in Daten begründeten Theorie, die Phänomene und Zusammenhänge erklären kann – eine sogenannte gegenstandsbezogene bzw. gegenständliche Theorie. Dieser Zugang ermöglicht die Erklärung und Theoretisierung sozialer Phänomene. Eine Vorgangsweise, die für die Entwicklung von möglichen Lösungsansätzen und Maßnahmen gut geeignet ist.
Wie genau im Rahmen der „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ vorgegangen wurde, wird aus der Darstellung nicht nachvollziehbar. Ich kann an dieser Stelle nur aufgrund der Darstellung der Ergebnisse und langjährigen Erfahrungen mit studentischen Arbeiten und ähnlichen Projekten mutmaßen.
Die Überthemen, die sich in dem Teil „Auswertung“ ab S. 6 des Projektberichtes finden, werden höchstwahrscheinlich die Themenbereiche der Leitfadeninterviews abbilden. Dazu wurden Zusammenfassungen und Zitate aus den Interviews zugeordnet. Diese Vorgangsweise ist eine, die in sozialwissenschaftlichen Ausbildungen aus gutem Grund als unwissenschaftlich qualifiziert wird: Die individuellen Auswahlkriterien der auswertenden Person fließen so ungefiltert, ohne methodische Abstraktions- und Strukturierungsschritte, in die Daten ein. Die Ergebnisse bilden so die Sichtweise der auswertenden Personen ab und können keinen Anspruch darauf stellen aus den Daten hervorgegangen zu sein. (Methodische Schritte wie Paraphrasierungen, Generalisierungen, Interpretationsschritte und ähnliches dienen dazu auf eine objektivierbare und nachvollziehbare Ergebnisse zu kommen, die sich in dem erhobenen Datenmaterial begründen. Auch wenn sozialwissenschaftliche Arbeit immer selbst in sozialen Kontexten entsteht, kann so der Schritt von subjektiven Eindrücken hin zu validen und reliablen Ergebnissen, die die Perspektiven der ProbandInnen im empirischen Material wiedergeben, vollzogen werden.)
Die spärlichen Zitate und fehlenden Verweise auf konkrete Interviewstellen – üblicherweise werden Transkriptstellen in den Bericht aufgenommen und Listen von Interviews in den Anhang inkludiert, um den Arbeitsprozess transparent zu gestalten und die Ergebnisse durch das erhobene Material zu untermauern – stützen die These, dass nicht nach den Arbeitsweisen der Grounded Theory und auch nicht nach einem anderen Auswertungsverfahren vorgegangen wurde. Eine Darstellung der gewählten Methodik, der Auswertungsschritte und wie im konkreten Projekt vorgegangen wurde, fehlt zur Gänze. Literaturangaben welche Ausrichtung der Grounded Theory zum Einsatz kam, sind nicht im Projektbericht enthalten.
Wie die erwähnten Tendenzen (ab S. 6 des Projektberichts) erarbeitet wurden, ist nicht ersichtlich. Eine Typologie, sehr häufig eines der Ergebnisse qualitativer Forschung, um ein Feld und seine Phänomene zugänglich zu machen, fehlt. Die Ergebnisse der Evaluation bleiben auf einer deskriptiven Ebene und lassen keine Rückschlüsse auf Zusammenhänge zu. Die aufgeführten Punkte sind eine Liste, die jeden Raum für Spekulationen offen und möglichst hohe Eindeutigkeiten vermissen lassen. Auf der Basis dieser Analyse lässt sich sagen: Diese Forschungsarbeit ist methodisch unsauber, lässt sozialwissenschaftliche Standards außer Acht, verwendet die Grounded Theory als ein Label, setzt diesen methodologischen Zugang aber nicht tatsächlich um.
Die Ergebnisse sind deskriptive Zusammenfassungen aus Interviewtranskripten, die nicht zugänglich sind. Damit ist die Forschung nicht nachvollziehbar und intransparent. Die Arbeits- und Vorgangsweise bleibt ebenso, wie die methodische Umsetzung, im Dunkeln.
„Vernetzung der Akteure“, S. 12 ff. des Projektberichts: Dieses Thema wird als ein Insiderthema markiert. „Nur durch genaue Kenntnisse der islamischen Vereinslandschaft und deren AkteurInnen können, durch zusätzliche Analyse von Vereinsregisterauszügen, diese Faktoren hinreichend geklärt werden.“ (S. 12 oben, Projektbericht) Wissen um die Strukturen und Gegebenheiten eines Feldes sind ohne Frage wichtig und wertvoll. Dieses Erfahrungswissen zugänglich zu machen und so für ein Forschungsprojekt nutzbar zu machen, bedingt aber die schon angeführten wissenschaftlichen Vorgangsweisen. Einfach zu postulieren und die eigenen Postulate mit Quellen zu versehen, ist keine Vorgangsweise um von der eigenen Sichtweise zu abstrahieren. Darum aber ginge es, in Kombination mit dem ExpertInnenwissen aus den Interviews, um zu einer umfassenden Darstellung der Strukturen in einem sozialen Feld zu kommen.
„Vorschläge zur Qualitätssteigerung in islamischen Kindergärten“, S. 15 des Projektberichts: Wie genau diese entstanden sind und wie diese mit dem Material bzw. den Ergebnissen vernetzt sind, bleibt unklar. Die angeführten Punkte sind eine Liste von nicht in den Daten begründeten Maßnahmen. Teils sind damit Allgemeinplätze wie zum Beispiel „Zusammenarbeit der Kindergärten mit Schulen forcieren“ enthalten. Teils finden sich feldspezifische Annahmen unter den Vorschlagen: „Entkoppelung der Kindergärten und Gruppen von islamistischen, salafistischen Trägervereinen.“
Interpretation der Daten: Das eigentliche Kernstück jeder qualitativen Forschung ist eine Analyse der Daten und ihrer Ergebnisse. Die Erkenntnisse werden in einen Kontext gestellt und analytische Schlüsse gezogen, die im Material begründet werden. Ein derartiger Abschnitt fehlt in dem Projektbericht zur Gänze. Nach den deskriptiven Aufzählungen der Punkte innerhalb der Kategorien, folgen die Punkte „Wertevermittlung und Umgang mit der Vielfalt“, „Organisationsform der Kindergärten“ und „Vernetzung der Akteure“. Ohne auf die Ergebnisse einzugehen, diese in einen Kontext zu setzen und auszuführen welche Interpretationen und Zusammenhänge sich aus dem Material ergeben, folgt ab S. 15 des Projektberichts ein Abschnitt zu den Vorschlägen. Woher diese kommen und worauf diese fußen, bleibt, wie schon ausgeführt, unklar.
Im dann folgenden Ausblick wird auf weitere, als sinnvoll erachtete, Forschungsschritte verwiesen. Die erwähnten Beobachtungen und Gruppendiskussionen wären ein sinnvoller Weg, um sich dem Thema umfassend und aus der Perspektive der Handlungs- und Alltagspraxis zu widmen. Dafür sind allerdings noch umfassendere methodische Kenntnisse notwendig, als für die Durchführung von Leitfadeninterviews. An dieser Stelle bleibt offen, ob die diesbezüglichen erforderlichen Kompetenzen beim Institut für islamische Studien vorhanden sind.
Last but not least: Formale Kriterien
Ein Literaturverzeichnis fehlt, in den Fußnoten angeführte Literatur wird nicht in einem solchen zusammengefasst. Im Anhang fehlen die verwendeten Leitfäden. Ein Überblick über die geführten Interviews ist nicht vorhanden. Transkripte oder Transkriptelemente sind nicht im Projektbericht zugänglich. Artefakte des methodischen Arbeitens, wie ein Kategorienschema o.ä., sind nicht in der vorliegenden Arbeit enthalten – bei studentischen Arbeiten geht man meistens davon aus, dass diese dann auch nicht vorhanden sind. Eine Arbeit dieser Qualität würde von mir – auch dank ihrer formalen Kriterien – an meinem Institut, der Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien, nicht akzeptiert werden.
Abschließend: Der Projektbericht ist ein gutes Beispiel für ein schlechtes Beispiel. Sozialwissenschaftliche Forschung unterliegt, wie jede wissenschaftliche Arbeit, nachvollziehbaren und transparenten Kriterien. Jede wissenschaftliche Arbeit muss diese einhalten, um Standards gerecht zu werden und vergleichbar zu bleiben. Das Ziel jeder sozialwissenschaftlichen Forschung ist, wie bei anderen Forschungsdisziplinen auch, eine Basis zu legen auf die andere aufbauen können. Dies wird bei intransparenten Arbeiten, wie der hier besprochenen, verunmöglicht.
Die häufig geäußerte Kritik an den Sozialwissenschaften als subjektiver und unwissenschaftlicher Zugang begründet sich (zurecht) in Arbeiten wie dieser „Evaluation islamischer Kindergärten/-gruppen“. Etwas das für SozialwissenschafterInnen wie mich, die Methoden als Werkzeuge, die reflektiert und bewusst eingesetzt werden müssen, nutzen und denen das Standing der Disziplinen wichtig sind, schmerzhaft ist.
Verzeichnis der genutzten Onlineressourcen
Aslan, Ednan: Projektbericht Qualitativ-empirisches Forschungsprojekt „Evaluierung islamischer Kindergärten/-gruppen in Wien“ – Kurze Darstellung der relevanten Zwischenergebnisse. https://images.derstandard.at/2015/12/10/ProjektberichtIslamischeKindergaertenErgebnissefinal-2.pdf (Abgerufen am 18.12.2015)
Facebookposting von Thomas Schmidinger: https://www.facebook.com/Thomas.Schmidinger/posts/10153530786864457?pnref=story (Abgerufen am 18.12.2015)
Institut für islamische Studien: https://iis.univie.ac.at/home/ (Abgerufen am 18.12.2015)
Wirtschaft, Arbeit und Statistik (Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien): In Kinderbetreuungseinrichtungen betreute Kinder in Wien 1989/1990 bis 2012/2013. https://www.wien.gv.at/statistik/bildung/tabellen/kth-kinder-zr.html (Abgerufen am 18.12.2015)
Wirtschaft, Arbeit und Statistik (Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien): Definitionen zur Kinderbetreuungsstatistik. https://www.wien.gv.at/statistik/bildung/kinderbetreuung/definitionen.html (Abgerufen am 18.12.2015)
]]>Andererseits habe ich – recht überraschend – im Sommersemester eine Einführungsvorlesung zur Medienpädagogik im Audimax der Uni Wien übernommen – hier der Link zur Vorlesungspage auf Facebook. Etwas das mich besonders gefreut hat, da dies sowohl didaktisch, als auch inhaltlich, eine schöne Herausforderung war und ist. Über die Anforderungen hab ich kürzlich einen kurzen Text geschrieben der in der Publikation „Lehrende arbeiten mit dem Netz“ von werdedigital.at veröffentlicht wurde.
Allein die Prüfungsmodalitäten binden auch jetzt noch – morgen ist der 3. Prüfungsantritt – meine Ressourcen. Eine Multiple Choice Prüfung zu entwerfen, war neu und spannend. Inhalte und Ideen für Blogbeiträge gäbe es also, wie schon erwähnt, sehr viele, Notizen ebenso, allein die Zeit zum Schreiben ist sehr knapp.
Und einen zusätzlichen Grund gab es auch: Privat ereignete sich kurz nach dem letzten Blogeintrag vom August 2014 etwas leider gar nicht Erfreuliches. Einer meiner Brüder ist völlig unerwartet verstorben. Dieses einschneidende und unerwartete Ereignis hat das letzte Jahr stark überschattet und er hat eine Lücke hinterlassen. Die ersten Monate danach war mir nicht wirklich nach Schreiberei und zusätzlich war ich später vollends mit den Vorlesungen und meinen Forschungsprojekten ausgelastet, weil von September bis November so viel Arbeit liegen blieb.
Die Lust aufs Schreiben ist inzwischen langsam wieder zurückgekehrt. Ich habe einiges an Material hier liegen auf das ich noch nicht eingegangen bin. Der Artikel zu den digital natives von heute ist dabei der Anfang, weitere werden folgen.
]]>Andrea Schaffar und Claudia Friesinger berichteten, hier das Abstract des Artikels aus den medienimpulsen 4/2013:
“Medienkompetenz wird insbesondere in medialen Diskursen als essentielle Befähigung erachtet, um Umgangsformen für den technologischen Wandel zu finden. Mediale Landschaften differenzieren sich laufend aus und werden zunehmend komplexer. Schulen könnten dabei ein Ort sein, um Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Medien näher zu bringen. Jedoch hat das Thema in Lehrplänen bis heute kaum Einzug gehalten. Engagierte Lehrende, die sich des Themas annehmen, gibt es. An systemischer Unterstützung, dem passenden Equipment bzw. didaktischem Austausch fehlt es aber. Davon ausgehend beschäftigte sich ein Team von Forschenden mit der Entwicklung von medialen Handlungskompetenzen: Wie entstehen (digitale) Kompetenzen und wie entfalten sich diese im Verlauf eines Lebens? Welche Bedingungen führen zu einem kompetenten Umgang mit Medien? Das Projekt Medienbiographien fragte also nach dem medialen Habitus junger Erwachsener und analysierte welche biografischen Weichenstellungen für unterschiedliche Verläufe ausschlaggebend sind. Ziel des Projekts war die Entwicklung einer Typologie bezüglich digitaler Kompetenzen und eine Dokumentation pädagogischer Best-Practice-Beispiele aus den Schilderungen der Befragten.”
Der gesamte Artikel ist auf der Plattform medienimpulse – Beiträge zur Medienpädagogik erschienen und basiert auf der qualitativen Studie “Medienbiographien! Digitale Kompetenzen.” Ziel war die Entwicklung einer Typologie zu digitalen Kompetenzen.
Methodisch wurden erzählgenerierende, biographische Interviews mit jungen Erwachsenen geführt. Ausgewertet wurde mit der dokumentarischen Methode. Diese Art der Forschung eignet sich gut zur Entwicklung weiterer Maßnahmen und auch für Beratungstätigkeiten, da soziale Phänomene in ihren Dimensionen vertieft erfasst werden können. Für die Praxis heißt dies, dass die Ergebnisse unserer Forschungen Eingang in die Workshops der Initiative Saferinternet.at, unseren KooperationspartnerInnen bei diesen und auch anderen Projekten, fanden und finden. Aufgrund der Anzahl der InterviewpartnerInnen kann das Projekt noch nicht den Anspruch auf konzeptionelle Repräsentativität stellen, bietet aber Ansatzpunkte für weitere Forschungen. Wer Lust hat in ein dokumentarisches, und überschaubares , Projekt reinzuschnuppern: Hier ist die Gelegenheit.
Prokrastinieren kann viele Formen annehmen, ich ertappe mich in den letzten Tagen immer wieder dabei Methodenbücher in die Hand zu nehmen oder auf youtube Videos anzuschauen, die ich eigentlich schon kenne. Und alles das passiert macht irgendwie Sinn, ist eine meiner Grundannahmen – eine Annahme übrigens, die sich ausgezeichnet mit dem methodischen Ansatz verträgt mit dem ich arbeite. Menschen machen Dinge, die für sie Sinn machen, es geht nur darum zu erkennen welchen. Durch die Rekonstruktion von Perspektiven können die darin eingelagerten Sinnkonstruktionen freigelegt werden.
Wo steckt also der Sinn dahinter, wenn ich beginne meine Methodenbücher zu durchforsten oder auf youtube Videos über Codieren oder Memoing anzusehen? Ich suche Orientierung und überprüfe ob ich meine Arbeitsweise valide finde. Ein grounded theory Projekt hat keinen exakten bzw. linearen Ablauf. Bei anderen methodischen Verfahren ist klar welcher Schritt auf welchen folgt und der Weg zu arbeiten ist exakt definiert. Ein Beispiel dafür wäre die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring. Deren Ablauf könnte ich sogar, würde mich jemand Mitten in der Nacht wecken, klar Schritt für Schritt aufzählen: Kurz und knapp ist das nach der Transkription, die Paraphrasierung, dann Generalisierung, die Selektion und das Streichen, die Bündelung (Kategorien entwickeln), d.h. eine formale, inhaltlich und bzw. oder typologische Strukturierung. Schön eins nach dem anderen. Das hat große Vorteile, da es übersichtlich, nachvollziehbar, relativ leicht erlernbar bzw. vermittelbar ist und somit viel Sicherheit und Komfort bietet. Und für viele Projekte ist das sinnvoll und zielführend. (Methoden sind Werkzeuge und imho ist es sinnlos diesbezüglich dogmatisch zu sein.) Nachteil ist allerdings, dass dem verwendeten Material nur sehr bedingt Genüge getan wird, nur Texte tatsächlich gut als Material verwendet werden können und die Art und Weise zu arbeiten stark reduktiv ist – es wird so viel raus gestrichen, dass am Ende nur mehr recht wenig – an Aussagekraft – übrig bleibt. Aber es ist effizient und hat den Ruf einfach zu sein, (auch) deshalb hat der Zugang im Laufe der letzten Jahre in meinem universitären Umfeld eine regelrechte Methodenkarriere hingelegt. Auch wenn ich des Öfteren zu hören bekomme, dass gewisse Schritte, z.B. die Paraphrasierung, eine unnötige Verkomplizierung darstellen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Warum mich das gerade beschäftigt? Ganz anders ist das bei der grounded theory. Für jedes Projekt wird, abhängig von der Struktur der Daten, von der Logik des Projekts und natürlich den forschungsleitenden Fragestellungen, eine eigene Arbeitsweise entwickelt. Die Fragestellung und das Erkenntnisinteresse leiten ebenso den Prozess, wie das Material und dessen Anforderungen. Ein Kochrezept gibt es nicht. Ziel ist es Perspektiven zu rekonstruieren, Denkweisen zu erfassen, Konzepte in den Köpfen oder Vorstellungen der Menschen zu extrahieren und verstehen zu lernen, wie Dinge zusammenhängen und funktionieren. Kochrezeptartige Forschung wäre dafür nur hinderlich. Ziel eines grounded theory Projektes ist ja nicht – hier wieder der Vergleich zu Mayring – eine Zusammenfassung und Strukturierung mit Erklärungen zu liefern, sondern die Entwicklung einer in Daten begründeten Theorie: Einer grounded theory.
Das Programm mit dem ich arbeite, atlas.ti, ist eine große Datenbank mit unendlich vielen Möglichkeiten damit zu arbeiten. Beim Aufsetzen eines neuen grounded theory Projektes fließt also viel Arbeit in die Gestaltung der eigenen Arbeitsweise, d.h. in den konkreten Forschungsprozeß. Das verleitet dazu wiederholt eine Schleife im Sinne des zirkulären Forschens zu machen. Nochmals, bzw. immer wieder, die methodischen Bücher in die Hand zu nehmen, die eigenen Theorieüberlegungen zu durchforsten, sich die Struktur der Daten vor Augen zu führen oder Videos von anderen WissenschafterInnen anzusehen. Insofern macht es dann doch Sinn was ich derzeit mache, auch wenn ich bei der Bezeichnung „Procrasti nation“ laut lachen musste und mich ertappt fühlte.
]]>Status Quo ist, dass der Projektaufriss, das Erkenntisinteresse, die theoretische Fundierung und das methodologische Vorgehen geschrieben sind – d.h. ich weiß was beforsche, die Fragestellung ist von vielen Seiten abgeklärt und auch das Wie, das Methodische, ist klar. Seit einigen Tagen widme ich mich meinem empirischen Material. Hier möchte ich dokumentieren wie ich dabei mit Unterstützung des Programms atlas.ti vorgehe. Hier der erste Teil: Wie kann begonnen werden?
Ich arbeite, als Rahmenmethodologie, mit der Grounded Theory. Das Arbeiten mit diesem methodologischen Ansatz hat den Vorteil viele unterschiedliche, empirische Materialien integrieren zu können. Wie immer bei Forschung geht es auch hier um ein systematisches, nachvollziehbares und transparentes Arbeiten. Wie ich dies mache, möchte ich hier zeigen.
(Anm.: Dieser methodisch/methodologische Zugang birgt eine enorme Flexibilität in sich und ist deshalb für komplexe sozialwissenschaftliche Fragestellungen gut geeignet. Im Prinzip wird für jedes Projekt eine eigene Arbeitsweise entwickelt, um dem konkreten Material auch gerecht werden zu können. D.h. ich kann hier für mein Projekt sprechen und darstellen, wie ich vorgehe, jedes andere Projekt kann und wird aber anders aussehen, andere Wege wählen und die Möglichkeiten von atlas.ti anders ausnutzen. Dies nur als vorangestellte Anmerkung.)
Schritt 1: Das Material
Das Datenmaterial umfasst: Interviews, Gruppendiskussionen, Beobachtungsprotokolle, Bilder, Texte aus dem Netz (z.B. Förderungsbedingungen im Wiener Wohnbau) und etliches mehr. Diese Dinge stammen aus einem abgeschlossenen fwf-Forschungsprojekt mit einem anderen Erkenntnisinteresse und dürfen von mir für mein eigenes Dissertationsprojekt verwendet werden. (Skizziert habe ich das Projekt in diesem Blogpost.)
Alle Dokumente werden in atlas.ti geladen: Das Programm ist im Prinzip eine große, gestaltbare Datenbank mit unterschiedlichen Funktionen. Das hilft dabei den Überblick zu bewahren und nachvollziehbar auswerten zu können.
Rechts in dem Fenster sind die unterschiedlichen Dokumente zu sehen, atlas.ti nennt diese P-Docs. Links davon ist eines, eine Gruppendiskussionen, zu sehen. Die Namen sind geschwärzt, da die Projekte sonst nachvollziehbar wären.
Schritt 2: Das Codieren
Nun beginnt die Auseinandersetzung mit dem Material. Die einzelnen Dokumente (P-Docs in altas.ti) werden auf der Basis meiner Fragestellungen durchsucht. In meinem Projekt heißt dies derzeit, dass ich nach Raumbildern im Material suche, d.h. nach Erzählungen zu Räumlichem wie z.B. Loggien, Freiräumen, Grundrisskonzeptionen und ähnlichem. Dieser Begriff basiert auf den theoretischen Ausführungen des Soziologen Detlev Ipsen und ist mir vor einigen Jahren in einem Artikel des derive begegnet. Diese Raumbilder möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt meiner Auswertungen vergleichen.
Eine Fragestellung meiner Dissertation umfasst den Vergleich von Raumbildern, die in Entwurfsprozessen bei Bauprojekten verwendet werden mit jenen Raumbildern, die von BewohnerInnen in ihren Erzählungen verwendet werden. Die Idee dahinter ist einerseits herauszufinden, wie mit diesen Raumbildern geplant wird, was in diesen an Sinnkonstruktionen und Strukturierungen enthalten ist und welche Vorstellungen in Entwurfsprozesse eingelagert sind. Andererseits geht es bei den Raumbildern von BewohnerInnen um Wahrnehmung und Rezeption: Wie werden die Häuser genutzt? Wie werden die Grundrisse, die Gebäude gelesen und verstanden? Und letztendlich: Decken sich die Raumbilder und deren Sinnstruktierungen oder wo und wie unterscheiden sich diese? Wie funktionieren diese Prozesse?
Außerdem habe ich beschlossen eine nützliche Begrifflichkeit aus der dokumentarischen Methode zu entlehnen: Orientierungen bzw. Orientierungsrahmen. In die Alltagssprache übersetzt sind dies Perspektiven und Haltungen, die in Hinblick auf ein Thema eingenommen werden. Das bietet sich deshalb an, weil Teile des Projektes – die Gruppendiskussionen – mittels der dokumentarischen Methode ausgewertet wurden und diese Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt auch in das Projekt hier einfließen werden.
Dabei bin ich gerade: Ich gehe die verschiedenen Texte durch, suche nach den Stellen mit Raumbildern bzw. Orientierungen und markiere diese mit einem Begriff der – für mich – möglichst aussagekräftig auf das Thema verweist. Diese Begriffe werden Codes genannt.
Links im Bild ist ein Auszug aus einer Gruppendiskussion, rechts sind zwei der Codes zu sehen mit denen Textstellen versehen sind.
Schritt 3: Memos schreiben – erfolgt bei mir gemeinsam mit Schritt 2
Die Grounded Theory ist ein Zugang des zirkulären Forschens. Das meint, dass die Arbeit nicht Schritt für Schritt bzw. linear durchgeführt wird, sondern die Schritte ineinander übergehen, abwechseln und so eingesetzt werden, wie es Sinn macht und dem Forschungsmaterial gerecht wird. Die oben beschriebenen Codes alleine bringen noch nicht viel. Sie sind eigentlich nur Verweise auf gewisse Stellen im Material (Zitate, in atlas.ti quotations genannt), quasi ein Label um diese Stellen wiederzufinden und mit anderem zu verknüpfen. Das eigentliche Zentrum der Analyse ist das Schreiben, hier wird zu den einzelnen Stellen, zu den Codes und zu allem Sonstigen, das kommentierenswert ist, ein kürzerer oder längerer Text verfasst: Die Memos. Derzeit schreibe ich Memos zu konkreten quotations. Während des Schreibens der Interpretation zu einer Textstelle oder einem Bildausschnitt o.ä. bietet sich meist recht schnell ein sinnvoller Code an. Ebenso schreibe ich mir zu den Codes jeweils Memos, um zu wissen was genau mit dem Code gemeint ist.
In den Memos geschieht die eigentliche interpretative Arbeit. Was genau das ist und wie Textstellen interpretiert werden können, habe ich vor einiger Zeit hier beschrieben: Beispiel einer Interpretation. Diese Schritte werden mich jetzt noch weiterhin etwas beschäftigen. Wie es dann weitergeht und wie aus den Memos die Texte für die Dissertation entstehen: To be continued!
]]>
Und ganz nebenher, wenn Widerspruch und Konflikt als Ressource und nicht als Bedrohung betrachtet werden, sind diese auch gleich wesentlich weniger furchtbar: Sie werden zu einem spannenden und produktiven Element. Viel sozialwissenschaftliche, dabei vor allem interpretative, Arbeit lebt davon. Widerspruch wird als Komponente in Forschungssettings integriert: Interpretationsgruppen möglichst divers zusammenzusetzen ist dabei eine Strategie, unterschiedliche Meinungen systematisch zulassen und diese für die Synthese der Interpretation zu nutzen eine weitere. Und, zugegeben, manches Mal können damit nicht vertraute Menschen ganz schön irritiert davon sein, dass andere Freude am Konflikt haben und direkt danach suchen.
]]>Vorab die (notwendige) Feststellung: Mir geht es nicht darum Personen anzukreiden oder mich zu beschweren. Alle handelnden Personen, die mir heute begegnet sind, waren freundlich und zuvorkommend. Ich kann über die Zusammenarbeit mit diesen Magistraten generell nichts Schlechtes sagen – aber ich weiß und kenne viele, die ganz andere Geschichten zu erzählen haben und sich zu Recht furchtbar ärgern. Und es gibt Behörden bei denen würde es den Rahmen des guten Tons sprengen, würde ich hier anmerken was ich mir darüber denke (Stichwort Innenministerium, Umgang mit MigrantInnen und AsylwerberInnen etc.). Aber ganz im Gegenteil, jene Stellen die für die Gründung und den Betrieb von Kinder- und Hortgruppen zuständig sind, waren immer hilfreich und hilfsbereit. Aber der Wahnsinn hat in Wien System und die handelnden Einzelpersonen sind dafür im Regelfall nicht verantwortlich zu machen.
Unsere Schule gründet zwei Hortgruppen. Wir möchten die Nachmittagsbetreuung endlich professionalisieren und uns das auch fördern lassen. Das Schulgeld ist doch ziemlich hoch. Private, nicht konfessionelle Schulen erhalten nämlich nur ca. ein Zehntel der Förderung, die öffentliche Schulplätze kosten. Die Schule ist eine elternverwaltete Institution, d.h. ein selbstverwalteter Verein in dem Eltern und LehrerInnen gemeinsam mit den Kindern versuchen eine Schule zu schaffen, die kindorientiert und –gerecht ist. Das glückt gut und die Eltern nehmen die Mehrarbeit – organisieren, verwalten, kochen, putzen, Nachmittagsbetreuung etc. – ganz gern auf sich. Die Kinder sind happy und so sind es die Eltern trotz Aufwand, meistens, auch. Prinzipiell bin ich kein Fan von Privatschulen, lieber wäre mir ein flexibleres öffentliches Schulsystem, aber auch ich hatte keine Lust mehr auf ein schulverweigerndes und grundunglückliches Kind – nach wohlgemerkt 3 Monaten Schule – und so wechselten wir in eine Privatschule.
Hier ist, auf systemischer Ebene, auch schon der erste Knackpunkt: Das Konzept der Schule, d.h. das System unserer Schule, widerspricht dem generellen Schulsystem. Und damit aber auch dem prinzipiellen Konzept in dieser Stadt. Wir sind bottom-up, die Stadt, ihre Behörden und Schulen sind top-down mit paternalistischer Färbung. Die Stadt meint immer und überall zu wissen was richtig und gut ist. Partizipation der BewohnerInnen ist kaum vorgesehen und irritiert, auch wenn es inzwischen Bemühungen gibt daran etwas zu ändern.
Ganztagsschulen stehen auf der politischen Agenda und so wurden in den letzten Jahren bemerkenswert Mittel zur Verfügung gestellt, um diese auszubauen. In den öffentlichen Schulen geht das schleppend voran, im Bereich der selbstorganisierten Kinder- und Hortgruppen hat sich aber viel getan. Es gibt unzählige Initiativen und viele Menschen haben begonnen Dinge selbst in die Hand zu nehmen. So viele, dass das Prozedere der Gründungen aus der Logik des Magistrats ausgebaut wurde. Um den Zugang etwas zu erschweren und nicht gar so viele Neugründungen zu haben – so die Auslegung einiger Bekannter – gibt es nun zusätzliche Voraussetzungen. Das Selbstorganisierte, wie z.B. unsere Schule oder auch Kindergruppen, war den Behörden anfangs sehr fremd. Das geben einige Zuständige auch unumwunden zu. Sinngemäß sagte eine mal zu mir, sie hätte erst lernen müssen warum sich das jemand antut und was solche kleinen, familiären Konstrukte für Vorteile für die Kinder haben.
Heute ging ich also, ich habe vor 2 Jahren schon einmal einen Hort neugegründet, auf die Pirsch. Für den Antrag brauche ich einen Plan des Gebäudes und die Widmung. Falls die nämlich nicht stimmt – das ist die bürokratische Neuerung – muss die Widmung geändert werden. (Falls wir das machen müssen, fürchte ich mich als Fachfremde jetzt schon. ;)) In den letzten Wochen habe ich Anträge gewälzt, Vorschriften gelesen und mit wissenden Menschen gesprochen. Pilgere ich also, behördeninteressiertes Kind im Schlepptau, zur Baupolizei. Dort wird zuerst mal nachgesehen, ob es von dem Gebäude überhaupt einen Plan gibt. Muss nämlich nicht sein, das Gebäude stammt aus den 50ern, da kann es auch schon mal vorkommen, dass es keinen gibt. Es wird festgestellt, es gibt einen, ich freue mich. Aber nur kurz. Weil bekommen kann ich den Plan – Ausweis, Mietvertrag habe ich mit – nicht. Dafür brauche ich nämlich eine Vollmacht des Vermieters. Auch kann mir nicht gesagt werden was die Widmung ist. Das wäre nämlich schon hilfreich, damit ich mich gleich drauf einstellen kann was da noch auf mich zukommt. Aber auch das geht nur mit Vollmacht. Unser Vermieter ist, erraten, es ist kaum zu glauben, eigentlich die gleiche Organisation zu der auch die Behörde gehört. Die Schule ist in einem Gemeindebau, der gehört der Stadt Wien, die dazugehörige Unterorganisation heißt Wiener Wohnen.
Das hatte ich befürchtet. Wiener Wohnen ist eine Organisation bei der man als Mieterin zuständige Personen nicht direkt anrufen kann, sondern grundsätzlich und immer zurückgerufen wird. Teilweise muss man da etwas warten. Manchmal auch einige Wochen. Ich fange an mich etwas zu fürchten. Ich kenne und liebe Wien ja schon sehr lange. Smartphone sei Dank finde ich heraus, dass die zuständige Stelle von Wiener Wohnen heute noch 30 Minuten offen hat. Dann erst wieder donnerstags. Überhaupt hat diese Stelle 8 Stunden in der Woche Parteienverkehr. 8 ganze Stunden, ich bin beeindruckt. So hirschen wir also, zum Glück ist es nicht weit weg, in der schnellsten Geschwindigkeit die 35 Grad im Schatten zulassen zur nächsten Stelle und kommen 15 Minuten vor Schließung an. Nun befürchte ich, dass wir recht flott unverrichteter Dinge wieder abziehen werden. Im Eingangsbereich gibt es nämlich so ein Wartenummernziehgerät. Als gelernte Wienerin weiß ich: 15 Minuten vor Amtschluss da eine Nummer zu ziehen, ist sehr verwegen. Also gehe ich gleich zum Schalter. (Eine im Übrigen auch sehr wienerische Verhaltensweise. Vorschrift ist Vorschrift und wird gern ignoriert.) Und die dortige Dame, sehr freundlich, verweist mich in den ersten Stock, zum Herrn X.. Er könne mir weiterhelfen.
Der Herr X. sitzt mit den Kollegen, es ist ja schließlich schon Dreiviertel 12, schon beim Mittagessen – in Wiener Behörden und Ministerien ist übrigens von 10 bis 15 Uhr die offizielle Begrüßung „Mahlzeit“. Ich erkläre mein Anliegen, heute das dritte Mal, und sage, dass die Baupolizei meinte es gäbe die Pläne unter Umständen gleich hier. Daraufhin lacht Herr X.. „Ja die gäbe es schon“, zeigt auf einen riesigen Kasten an der Wand und meint: „Irgendwo do sicha.“ Er schickt mich dann weiter, zur Frau Y., die könne mir nämlich eine Vollmacht ausstellen, damit ich mir den Plan selber aushebe. Frau Y. säße 2 Zimmer weiter und ich solle dort weiterfragen. Zwei Zimmer weiter ist ein Zimmer, aber keine Frau Y.. Auch drei Zimmer weiter nicht. Aber es kommt mir jemand entgegen, der mir freundlich sagt, die Frau Y. wäre vier Zimmer weiter. Aber ich solle fragen, ob diese gerade Zeit hat. Inzwischen ist es 5 vor 12 und ich denke immer noch ich würde unverrichteter Dinge wieder abziehen. Aber, es kommt besser, Frau Y. ist sehr nett und ich kann mein Anliegen ein viertes Mal vortragen. Nun wird es spannend, ich lege wieder Mietvertrag und Ausweis vor und bin mir bewusst, dass mir der fehlende Vereinsregisterauszug u.U. das Kreuz brechen könnte. Der Server der Vereinsbehörde war heute nämlich down und es gab keine Onlineauszüge. Alles andere dauert Wochen, insofern war daran nicht zu denken. Ich hab mir das Downsein des Servers vom Innenministerium aber noch telefonisch bestätigen lassen, sicher ist sicher. Frau Y. ist aber mit etwas ganz anderem beschäftigt, sie sucht das Gebäude. Im Mietvertrag und im Annex dazu stehen nämlich zwei unterschiedliche Adressen, wie ich heute Morgen, etwas bestürzt, festgestellt habe. Zum Glück hat Frau Y. schon einmal etwas von der Schule gehört und sucht liebenswürdig weiter. Das liebe Kind und ich tragen freundlich zur Unterhaltung bei, immer in der Hoffnung, dass das Gebäude in der Datenbank auftaucht. Was es nach ca. 10 Minuten tut. Juchu! Und da Frau Y. von der Schule schon gehört hat und ich ihr die Geschichte vom hinichen Server der Vereinsbehörde erzähle, nimmt sie meinen Ausweis als Basis und ich bekomme die Vollmacht. Frau Y. ist auch Wienerin, sogar eine mit sehr viel Behördenerfahrung: „Lesen Sie sichs durch, damit ja alles richtig ist. Weil sonst müssens nochmal kommen. Schauns ob das eh so passt.“ Ich tue das, ich danke ihr vielmals, es passt und wir ziehen wieder ab.
Daraufhin fahren wir nach Hause, weil die andere Behörde, bei der ich heute Vormittag schon war, und wo ich die Pläne bekomme, ja erst morgen wieder offen hat. Von 8 bis 12 – zur allerbesten Tageszeit für Berufstätige also. Mein morgiger Vormittag ist also schon verplant.
Das Beste aber ist, und ich gestehe, diese Gedanken durchzuckten mich heute schon des Öfteren: Ich trage Papier zwischen amtlichen Stellen hin und her die allesamt zusammengehören, um dann einen Antrag zu stellen bei einer Stelle die – Bingo – auch zum Gleichen gehört. Und dieser Antrag, der ist auch großartig. Gestellt wird er bei einem Magistrat, das ist für die Verrechnung zuständig. Die Bewilligung der Räumlichkeiten und des pädagogischen Personals und der Konzepte aber macht ein anderes Magistrat. Ist es vermessen folgende Gedanken zu entwickeln? Warum können die Magistrate die Pläne und Schriebe nicht voneinander anfordern? Warum muss ich Papier durch die Gegend tragen, um dann Papier bei einem Magistrat einzureichen?
Mit einer Analyse der Individuen und deren Handlungsmöglichkeiten kommt man da nicht weiter. Eine Systemanalyse aber erklärt vieles. (Kleine Anmerkung: Mir zum Beispiel hilft sie dabei nicht durchzudrehen, sondern das alles hochinteressiert zu beobachten. ;)) Aus der Logik der einzelnen Stellen ist alles nachvollziehbar, die jeweiligen Abteilungen gestalten die Abläufe so, dass sie für ihre Bedürfnisse optimiert sind. Da macht es Sinn, wenn von 8 bis 12 Uhr Parteienverkehr ist, weil dann, nach der Mittagspause, bis 15 Uhr noch die Schreibarbeit erledigt werden kann und dann (wahrscheinlich) Tagesschluss ist. Und dass nicht selbst bei einem anderen Magistrat angerufen wird, um z.B. eine Freigabe zu erwirken, macht auch Sinn: Das reduziert die eigene Arbeit. Systeme agieren aus ihren eigenen Perspektiven heraus.
Die eigentlichen KundInnen sind nur „implicated actors“, d.h. einbezogene AkteurInnen, wie Adele Clarke diese nennt, und sind deshalb im Endeffekt vernachlässigbar bzw. ist das Weglassen ihrer Perspektive eine Form der Komplexitätsreduktion. Und im Gegensatz zu den Behörden sind die BewohnerInnen unorganisiert, haben keine Lobby, wählen zwar alle paar Jahre, sind aber in das System der behördlichen Abläufe so hinein sozialisiert, dass dies üblicherweise als Normalität wahrgenommen wird.
Änderung in solche Systeme zu bringen, ist enorm schwierig. Die Beharrungskräfte von gewachsenen Strukturen sind groß. Ihre Daseinsberechtigung ergibt sich aus ihrem Dasein. Veränderungen können nur vom Willen der, auch politischen, Umgestaltung ausgehen. Im Unterschied zu den politisch tätigen, auch wenn diese in Wien sehr langfristige Perspektiven haben, bleiben die handelnden Personen in der Verwaltung länger und können vieles „aussitzen“. Wenn sich also etwas ändert, dann geht das sehr langsam voran. Und ob der ganze Habitus einer Stadt, die Haltung dass gut und für bzw. über die Menschen verwaltet wird, veränderbar ist? Wenn dann in Krisen und in Wien ist von Krisen (meist) wenig zu spüren.
Organisationsentwicklung (und auch Gruppendynamik) sind auch deshalb für mich so spannende Themen, weil diese Ansätze zur Veränderung liefern. Angewandte Sozialwissenschaft quasi über die ich auch einmal etwas schreiben sollte. Mit Grüßen aus Wien.
]]>Als Wiederaufnahme der Bloggerei aber ein kurzer Post zu einem Video über Bourdieu, das seit Ende letzten Jahres über Youtube wieder zugänglich ist. Bourdieu war und ist für viele SozialwissenschafterInnen ein bedeutender Autor. Mich begleiten seine Werke seit Studienzeiten und machen viele Themen des sozialen Miteinanders verständlich und nachvollziehbar. An den „Feinen Unterschieden“ kam zu dieser Zeit niemand vorbei. Etwas das ich auch heute noch für gültig erachte. Bourdieus Werke sind teilweise etwas sperrig zu lesen, werden aber nach und nach zugänglicher und schärfen den Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse.
Für SozialwissenschafterInnen war und sind die Auseinandersetzungen mit seinen Ansätzen und Theorien grundlegend und für viele, so auch für mich, ist er einer der ‘Heros’ des Feldes. Weshalb? Er hat Themen aufgegriffen hat, die gerne vermieden werden (z.B. die akademische Nabelschau in seinem Buch Homo Academicus). Er hat Empirie und Theorie systematisch verbunden hat und sich von Disziplinengrenzen nicht abhalten lassen. Sozialwissenschaften waren für Bourdieu nichts Theoretisch-abstraktes, sondern konkret und auch alltäglich. In der verlinkten Dokumentation wird greifbar, dass für Bourdieu seine wissenschaftliche Arbeit auch konkretes, alltägliches Handeln war und er seine Theorie auch zur Analyse seiner ganz persönlichen Praxis und Positionierung genutzt hat. Als akademischer Außenseiter mit keiner üblichen Sozialisierung vernetze er Themen und Anschauungen, wie auch Methoden und Theorien. Seine Praxeologie wurde neben anderen auch grundlegend für die praxistheoretischen Diskurse, die seit einigen Jahren die soziologischen Debatten durchziehen und für eine Aufhebung der Trennung zwischen Theorie und Praxis plädieren.
]]>Einige kleine Beispiele aus den letzten Tagen – die betroffenen Studierenden mögen das verzeihen, Namen werden so und so keine verraten und als kleines Goodie bekamen sie von mir Feedback. Etwas das nach Aussagen von Studierenden eher ungewöhnlich ist und nur vereinzelt stattfindet. (Anm.: Wie sich jemand ohne Feedback verbessern kann und aus den eigenen Fehlern lernen soll, erschließt sich mir nicht. Aber das steht auf einem anderen Blatt, jenem der fachspezifischen Didaktik. )
„Um den Begriff ,,XXX“ zu definieren bzw. um das Verständnis der Arbeit zu untermauern, werde ich zunächst den Xbegriff definieren.“
Begriffsdefinitionen sind notwendig und wissenschaftliches Basisarbeit, es muss nicht lange darauf hingewiesen werden, dass das zu machen ist. Bitte direkt schreiben, nicht übers Schreiben schreiben, sondern einfach anfangen.
Die meisten Arbeiten beinhalten Phrasen wie „vorab muss gesagt werden“ oder „es muss festgestellt werden“ oder auch Formulierungen wie „Um den Blick des Lesers für diese Thematik zu schärfen, möchte ich zunächst mein Verständnis des Begriffes XXX erläutern.“ Nachvollziehbar ist, dass das Schreiben nicht sofort und gleich funktioniert, auch Schreiben muss erlernt werden. Füllwörter, sich wiederholende Phrasen oder eben das Schreiben über das Schreiben machen das mühsam worum es eigentlich geht: Das Lesen. Jene, die die Texte dann vor sich haben, holpern beim Lesen über Worthülsen und müssen diese vom eigentlichen Inhalt trennen. Deshalb: Einfach direkt die Aussage beim Schopf packen, Sätze so lange umformulieren bis es um den Inhalt geht und der Textfluss und Stil den Lesefluss unterstützt.
]]>Natürlich gestalten, heißt nichts anders als unhinterfragt, sich entwickelnd ohne dass jemand aktiv, bewusst gestaltend, eingreift, d.h. letztlich unreflektiert. (Und nein, das ist nicht als Wertung gemeint. Alle, auch die Schreiberin dieser Zeilen, hat aus gutem Grund unreflektierte Lebensbereiche. ;)) Bewusstes Gestalten wird, wie in einigen Kommentaren zu diesem Blogartikel greifbar wird, als eine Störung des üblichen, gewohnten Alltagsablaufs aufgefasst. Gut greifbar werden solche Auffassungen bzw. Gegensätze z.B. im Feld der Organisationsforschung: Jede Organisation hat eine Struktur, diese ist in den Alltagspraktiken auf ‚normal‘ gestellt. Beteiligte denken in ihrem Arbeitsalltag nicht permanent über die Strukturen nach, sondern leben mit ihnen. Ginge auch nicht anders, da unser Alltag hochgradig komplex ist und wir schlicht Dinge ausblenden müssen, um mit dieser Komplexität umzugehen. Die Komplexität lässt sich erahnen, wenn z.B. unterschiedliche Berufsgruppen aufeinander treffen. Jede hat ihre eigene Perspektive, meist gibt es noch mehrere Perspektiven im Rahmen einer kollektiven Ausrichtung, diese unter einen Hut zu bekommen, ist immer eine Herausforderung. Deshalb gibt es Berufe wie ProjektmanagerInnen, ModeratorInnen, MediatorInnen, usw.. Diese agieren als Querschnittsprofessionen übergreifend für unterschiedliche Felder bzw. Branchen und fungieren als ÜbersetzerInnen in einem sozialen Sinn.
[…] sehen wir Menschen, das, was wir zu sehen erwarten. Das trifft auch auf Wissenschaftlerinnen zu. Und manchmal dauert es über 100 Jahre, bis jemand die Augen öffnet und das sieht, was […] (aus einem Kommentar zu dem oben schon erwähnten Artikel, der auf MartinBs Blogartikel verweist)
Das trifft auf Alltagswahrnehmungen zu, da bin ich ganz der Meinung von MartinB. Das trifft auch für WissenschafterInnen von Disziplinen zu deren Gegenstand nicht das Soziale ist. Aber es gibt Menschen auf die das nicht zutrifft: Nämlich jene die sich mit dem Sozialen auseinandersetzen. Das sind bei weitem nicht nur SozialwissenschafterInnen, sondern auch Menschen im Bereich der Organisationsentwicklung, der Gruppendynamik, der Sozialarbeit, vieler therapeutischer Richtungen (wobei hier viele so stark aufs Individuum fokussieren und das Kollektive außer acht lassen) und einige mehr.
Erst wenn Strukturen hinterfragt werden, es eine Krise gibt (derzeit immer ein gutes Beispiel ;)), wird das alltäglich Gewohnte hinterfragt und z.B. Konflikte zwischen formellen und informellen Strukturen werden greifbar. Informelles und Formelles widerspricht sich häufig: Wer kennt nicht eine Organisation, wo die offzielle Chefin eine informelle Gegenspielerin hat. Oder wo der Chef auf einem Posten mit Zeitablauf sitzt und das Stammpersonal dessen Verweildauer nur aussitzen muss. Klassisches Beispiel: Politik. Jedes Ministerium mit seinen unbefristeten BeamtInnen sitzt so manche neue/n MinisterIn schlicht aus.
Oder – anderes Beispiel in dem Bereich – es kommt eine neue Chefin oder ein neuer Chef. Die Person verhält sich nicht den gewohnten Strukturen und habituellen Gepflogenheiten der Organisation gemäss. Der Umgang kommt damit in eine Krise. Etwas vorher als “normal” gesetztes wird dadurch zum Thema. Die Organisation muss in einen neuen Verhandlungsprozess treten und das Soziale neu gestalten. Ist der Prozess (fürs erste, weil Endgültigkeit gibt es schlicht nicht – etwas nach dem sich die meisten von uns aber sehnen, daher auch diese permanenten Konflikte um solche Themen) abgeschlossen, dann tritt wieder die Alltagsnormalität ein. Das Neue wird zur Gewohnheit und “natürlich” gesetzt. Auch weil wir unseren Alltag anders nicht bewältigen können, es braucht die Komplexitätsreduktion um mit unseren Anforderungen umzugehen.
Wir tendieren dazu Dinge als absolut und gegeben zu erachten. Das macht uns handlungsfähig und schneller. Hat aber eben den Nachteil, dass wir deshalb über vieles nicht nachdenken bzw. erst in einer Krisensituation oder durch einen Auslöser anfangen zu reflektieren. Mein Forschungsfeld – der Wohnbau – ist da ein großartiges Beispiel: Menschen zu fragen wie sie wohnen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das ist kein Alltagswissen, das wir gewohnt sind zu verbalisieren. Erst in besonderen Momenten – Umzug z.B. – beginnen wir Dinge die im praktischen Bewusstsein verankert sind in unserer diskursives Bewusstsein zu übernehmen und fangen an darüber zu reden. Sobald der Alltag wieder eintritt, verändert sich dieser Fokus wieder. Jede/r wird den Effekt kennen einen neue Wohnumgebung mit neuen Augen zu sehen, weil der Umzug gerade erst stattgefunden hat. Einige Wochen später ist dieser Fokus wieder weg, der Weg in die Arbeit wird “normal”, d.h. nicht mehr bewusst wahrgenommen. Wozu auch, wir kennen ihn dann ja schon.
Ich fand das in den Kommentaren zum Gwirx mit der Sprache – als kleine Replik – spannend, wie viele voraussetzen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Sozialen an sich und die Fähigkeit zur Abstraktion von der eigenen gesellschaftlichen Position unmöglich ist. Diese Wahrnehmung, dass dem so ist, hat überhaupt erst zu dem Start des Blogs SocioKommunikativ hier bei Scienceblogs geführt. In meinen ersten beiden Beiträgen hier und hier gehe ich – in einer Metapher – darauf ein, was der Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung ist. Wie (u.a., weil hier anhand interpretativer Forschung dargestellt) gearbeitet wird, habe ich hier und hier ausgeführt.
Menschen, die sozialwissenschaftlich und prozessorientiert (damit gemeint sind Gruppen- und Organisationsprozesse, ebenso gemeint Auseinandersetzungen mit systemischen Komponenten) arbeiten, haben gelernt sich diesen Alltagspraktiken z.B. in der Forschung zu entziehen bzw. Strategien entwickelt um sich selbst in eine beobachtende Position zu bewegen. Etwas das nicht durchgehend, d.h. 24/7, funktioniert. Da helfen sozialwissenschaftliche (und andere) Methoden, die die diesbezüglichen Arbeitsweisen transparent, reliabel und valide machen. Dass das sehr stark auch mit Persönlichkeitsentwicklungen einher geht, liegt auf der Hand und macht diese Forschung auch zu recht immer wieder angreifbar. Wenn Gegenstand und Instrument deckungsgleich sind – alles Menschen, ist dieser Konflikt unvermeidbar. Trotzdem ist es gut sich ihm zu stellen. Nur weil etwas nie zu 100% möglich sein wird, heißt das nicht es gleich ganz zu lassen.
]]>Ein Studienkollege, Günter Felbermayer, Journalist bei der ‘Presse’, geht in seinem Blog auf den Artikel ein. Es hagelte Proteste, vom Chefredakteur des Blattes gab es eine Entschuldigung, diese allerdings nur online, der Artikel war in der Papierausgabe. Der mediale und politische Diskurs im Land war und ist nie zimperlich. Über Menschen mit Migrationshintergrund wird, gleich ob mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder nicht, häufig stereotyp und negativ geschrieben. Politische Parteien, dafür besonders bekannt die FPÖ, klimpern laut auf der Klaviatur der Xenophobie. Legendäres und beschämendes Beispiel dafür sind die Comics der FPÖ, auch heute noch ohne Probleme online findbar.
Warum aber ist dieser Artikel ein ganz besonderes Schmankerl österreichischer Medienkultur?
Die beiden Journalisten berichten über ein Ereignis ausgelöst durch einen Österreicher, der in Kärnten seine Ehefrau vor den Augen des Sohnes auf offener Straße ersticht. Das Vokabular ist martialisch, der Mann ein “Bluttäter” und “Berserker”. Der Mittelteil des Artikels verweist auf ein Thema, das mit der eigentlichen Tat nichts zu tun hat:
“Der Kraftfahrer (43) gehört zu der Sorte Mann, die zum Glück eher hinterm Halbmond lebt.” Um zu erklären warum ein Mann “den Verstand” verliert und seine Frau ersticht, wird auf Vorurteile bezüglich eines anderen Kulturraum zurückgegriffen. Neben der Tatsache, dass dies überhaupt geschieht, ist vor allem die Formulierung “zum Glück” irritierend. Warum zum Glück? Waren die beiden Journalisten froh einen Ausweg gefunden zu haben die Tat doch jemand anderem zuschieben zu können? Im Geiste von: Kann ja kein ‘Hiesiger’ sein, der derartiges tut. Muss schon einer sein, der “In Ländern lebt, wo das Gesäß beim Beten höher ist, als der Kopf.” Denn nur dort kann es so sein, dass Männer so agieren. “Partnerinnen betrachten sie als Besitz. Macht sich der selbständig, sind sie im Stolz verletzt und drehen durch.” Eine schier unglaubliche Wegweisung der eigenen, kulturellen Zuständigkeit für ein Ereignis. Nicht nur, dass dies eine pauschalisierende, rassistische Äußerung und Punzierung einer gesellschaftlichen Gruppe darstellt, ist insbesondere der Akt der Distanzierung – im Sinne von: so einer kann ja keiner von uns sein, dass muss einer von denen sein – eine Verdopplung der Ungeheuerlichkeit. Der Täter wird in einen komplett anderen Kontext gestellt, ein Vergleich gezogen, der jeglicher Grundlage entbehrt und mit der Tat an sich nichts zu tun hat. So wird ein Artikel über ein Kärntner Familiendrama zu einem xenophoben, rassistischen Ablenkungsmanöver mit Schuldzuweisung an MuslimInnen.
Viel hat dies mit der Qualität des öffentlichen Diskurses in Österreich zu tun. Statt zu debattieren und sich Tatsachen zu stellen, werden Sündenböcke konstruiert, Ressentiments geschürt und Klischees hochgekocht. Verwiesen wird auf andere, reflexive Nabelschau ist Fehlanzeige. Diesbezüglich hat sich in den letzten fast 70 Jahren nicht gar so viel geändert. Im Land von Fritzl und Co. Aber lest selbst.
P.S. Christoph & Lollo haben diese Geisteshaltung ironisierend auf den Punkt gebracht:
Für mich ist das Thema müßig, auch weil ich in einem Bereich arbeite in dem die Verwendung geschlechtergerechter Sprache – inzwischen – schon lange common sense unter den meisten Beteiligten ist. An den Universitäten, insbesondere in Disziplinen deren Gegenstand das Soziale ist, ist es gängiger Usus Sprache als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse aufzufassen und dem folgend das Medium Sprache als ein Mittel der Veränderung zu begreifen. Selbst Professoren – absichtlich kein ‚Innen‘ – kurz vor oder nach der Pensionierung lernten dies im Laufe der 90er Jahre. Teilweise waren diese Prozesse sicherlich schmerzhaft. Aus dieser Zeit kenne ich viele der Diskussionen und war heilfroh als der Prozess soweit abgeschlossen und das Thema geschlechtergerechte Sprache halbwegs vom Tisch war. (Nur der Vollständigkeit halber: Nie vom Tisch waren die ungerechten, existierenden Machtverhältnisse, die blieben bis heute äußerst ähnlich. Und kritische Stimmen unken zurecht, dass das Zugeständnis der Sprachänderung vielleicht auch daher rührt, dass damit von bedeutenderen Änderungen abgelenkt werden konnte.)
Mein Fazit in den 90ern war: Ich halte mich von den Gendertöpfen fern. Nicht weil ich bestehende Geschlechterverhältnisse gut finde, nein ganz und gar nicht, sondern weil diese sozialen Ghettos eine institutionelle Strategie waren/sind um unbequeme Menschen außen vor zu halten. Einmal den Genderstempel auf der Stirn wurde es fast unmöglich (gemacht) andere Themen zu bearbeiten. Gesplittet, gegendered, geschlechtsneutral geschrieben habe ich seitdem mir ein männlicher Informatikstudent – netter Nebenaspekt finde ich – im zarten Alter von 18 kurz und bündig begreiflich machte, worum es geht: Frauen werden durch die herrschende Sprache nicht eingeschlossen.
Das Thema kommt nun wieder. Auch an den Unis ist das seit längerem beobachtbar. Kaum eine Studierendenarbeit in der nicht die ‚hübsche‘ Formulierung steht, dass Frauen natürlich mitgemeint sind. Gender als Beobachtungs- und Analysekriterium in einer Lehrveranstaltung einzusetzen, wird zunehmend verpönter. „Der Genderwahnsinn greift um sich.“ ist da des Öfteren zu hören. Das war, ist nicht und wird nie mein Hauptthema sein, da gibt es in meinen Augen viele andere interessante Dinge, nichtsdestotrotz hier einige Zeilen dazu als Reaktion auf Kommentare und als Erklärung warum ich in dieser Form scheibe und auch weiter schreiben werde.
Sprache ist ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse: Genehm oder nicht, meines Erachtens zählen auch hier die Fakten. Machtstrukturen und Prioritätensetzungen bilden sich in den Praktiken des täglichen Gebrauchs ab. Die Verhältnisse in unseren Gesellschaften sind in vielerlei Hinsicht ungerecht. Bezüglich sozialer oder kultureller Herkunft, bezüglich sexueller Orientierungen, bezüglich Alter, usw. und eben auch in Bezug auf Geschlecht. Veränderungen sind nur möglich wenn auch gesellschaftliche Symbole und Ausdrucksformen verändert werden. Sprache reproduziert durch die alltägliche Nutzung vorhandene gesellschaftliche Muster und tradiert sie fort. Ich, für mich, möchte das nicht. Einen pädagogischen Impetus der Bekehrung habe ich diesbezüglich kaum, ich setze aufs Denken. Sonst würde ich nicht, diesen Kommentar kann ich mir nicht verkneifen, ganz bewusst auf einer Plattform bloggen auf der sich hauptsächlich männliche Naturwissenschaftler tümmeln. (Das ‚L‘ im vorletzten Wort ist ein kleines Danke an geograffitico :))
Sprache ist immer in Bewegung: Ein Argument gegen geschlechtergerechte Schreibe ist meist ein historischer Kontext und die Unleserlichkeit. Auch im dem Zitat aus dem Kommentar am Anfang des Blogbeitrags gab es einen Verweis darauf. Klarerweise ist Sprache, so wie alles andere auch, historisch gewachsen. Wie denn anders sonst? Aber wir sprechen heute auch nicht mehr so wie z.B. damals. Jeder Zeit ihre Sprache und die dazugehörigen Veränderungen, kann an dieser Stelle ergänzt werden. Was ist an einer durchdachten, absichtlichen Veränderung schlechter als an einer unreflektierten, nicht intentionalen? Das Faktum ist die Veränderung, die so und so gegeben ist. Das Störende ist demnach die bewusste Veränderung im Gegensatz zur akzeptierten unbewussten?
Unleserlichkeit als Störung von Gewohnheiten: Das Argument der Unleserlichkeit bzw. der Störung des Textflusses finde ich, zugegeben, amüsant. Deshalb weil mir im Gegenzug Texte aufstoßen, die rein männliche Benennungen enthalten. Klar stören andere Schreibweisen den gewohnten Lesefluss, ich ärgere mich ja auch wenn in einem Fach mit 70-80 % Studentinnen, wie der Kommunikationswissenschaft, zusammenfassend von Studenten geschrieben wird. Das wird der Realität nicht gerecht. Warum aber ist das okay, nicht aber das Umgekehrte? Ist die Gewohnheit bzw. das ‚Normale‘ so viel mehr wert als eine Irritation der Gewohnheiten, die nach kurzer Zeit in die Normalität übergeht?
Ein bisschen etwas zum Nachdenken aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Genervt sein, kann als Ausdruck interpretiert werden in den eigenen – subliminalen – Machtzuordnungen gestört zu werden. Lässt also die Frage zu: Wer ist denn eigentlich genervt? Woher kommt das Genervt-sein? Was genau soll mit dem Abblocken von Veränderung bewahrt werden?
Das wahrlich Nervige an den Debatten, ganz subjektiv gesprochen, ist der missionarische Eifer den manche AkteurInnen aus beiden Lagern an den Tag legen. Letztendlich ist es, wie so vieles, eine politische bzw. ideologische Entscheidung der Einzelnen im Anschluss an einen Erkenntnisprozess: Fakt ist, etwas polemisierend gesagt, die Welt ist ungerecht und unfair. Sprache als eines ihrer Ausdrucksmittel ist dies auch. Die Praktiken unseres Alltags, und wie wir diese leben, sind die tagtägliche Antwort darauf: Wer der Meinung ist – und argumentieren kann, denn ein „weil es immer so war“ ist kein Argument – die Verhältnisse sind in Ordnung und Sprache soll sich so weiterentwickeln wie sie es immer tat, soll weiterhin das generische Maskulinum verwenden. Von mir bekommt deshalb niemand, im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn, eine schlechtere Note. Wer der Meinung ist, Sprache als Ausdruckform soll auch ein Mittel zur Veränderung sein, soll geschlechtergerechte Sprache nutzen. Das ewige Aufregen aber, sehe ich als reine Symptombekämpfung, die der Ursache nur gerecht wird.
So möge das Bashen nun beginnen. Es ist bei diesem Thema absehbar…
Links ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit:
Doleschal, Ursula: Das generische Maskulinum im Deutschen. Ein historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne. In: Linguistik Online 11, 2/02. Url: https://www.linguistik-online.de/11_02/doleschal.html (abgerufen 6.12.2012)
Ebenfeld, Melanie; Köhnen, Manfred: Gleichstellungspolitik kontrovers. Eine Argumentationshilfe. Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Url: https://library.fes.de/pdf-files/wiso/07877.pdf (abgerufen 6.12.2012)
Und zwei Links zu Blogbeiträgen, einer davon hier auf Scienceblogs.de:
Gibt es ein generisches Maskulinum? und Frauen natürlich ausgenommen
]]>Was nicht sein darf, soll nicht sein: Das Abendland ist in Österreich (wiedermal ;)) bedroht. Nicht Fakten zählen, nicht die tatsächliche Struktur der Lebensformen, Verschiedenes darf nicht nebeneinander stehen, die Welt soll so sein, wie manche sie gern hätten. Realität hin oder her, das zählt nicht. Zumindest in den Augen zweier österreichischer Parteien – ÖVP und FPÖ. In zwei parlamentarischen Anfragen (Anfrage VP und Anfrage FP) empören sich die beiden Parteien über die Broschüre. Der Familienbund echauffiert sich. SchülerInnen sollen nicht lernen was ist, sondern was sein soll. In einem bildungs- und wissenschaftsfeindlichen Land wie Österreich geht diese Masche auf und so debattiert das Land wiedermal auf üblichem Niveau: In Österreichs auflagenstärkster Zeitung wird die Aufklärungsbroschüre so zur Sex-Unterlage, im Kurier wird sie zur Sexfibel und in der Zeitung “Österreich” zum Sex-Heft (interessant: in Österreich kamen die AutorInnen mit einem Verweis auf die gesellschaftliche Realität zu Wort). In der Qualitätspresse sind die Formulierungen erwartungsgemäß differenzierter (Artikel im Standard, Artikel in der Presse, weiterer Presseartikel). Die Ministerin prüft nun. Wir sind gespannt…
]]>Gestern, eine Veranstaltung der Wohnbauforschungstage in Wien: Am Ende eine Diskussion über BewohnerInnen, die ja in diesen Kontexten immer NutzerInnen genannt werden – allein der Begriff ließe schon einiges an Nachdenken zu. Ein Architekt meint (sinngemäß, kein wörtliches Zitat), dass er “den Sinn nicht darin sieht warum ArchitektInnen mit NutzerInnen reden sollten. Denn wo würde da dann die Innovation bleiben? NutzerInnen verfügen nur über Erfahrungswissen und hätten keine Ahnung über architektonische Qualitäten und ähnliches.”
Das Statement ist aus unterschiedlichen Gründen interessant: Immer wieder begegnet einer eine argumentative Distanzierung von der eigentlichen Zielgruppe. Bei weitem nichts Ausschließliches im Sektor des Wohnbaus oder der Architektur, in vielen Branchen findet sich ähnliches, denkt man an Spitäler oder Ämter. Die NutzerInnen bzw. KundInnen auszuklammern und nicht hinzuschauen, reduziert Komplexität und wahrt die eigene Stellung. Das Konzept der ‚implicated actors‘, d.h. von AkteurInnen die von anderen bzw. von Organisationen mitgedacht werden, liefert da interessante Perspektiven (siehe z.B. Adele Clarke, Situational Analysis).
Interessant ist die Art des Denkens auch, weil die Aussage ‚NutzerInnen verfügen nur über Erfahrungswissen‘ aus dem Mund eines Planenden etwas paradox ist. Sie tun nämlich Ähnliches: Geplant wird auf der Basis von Annahmen, Erfahrungswerten, Stereotypen, und so weiter. Das Architekturstudium ist, natürlich neben der Vermittlung von Grundlagen und Know How, eine intensive Sozialisation in eine habituelle Ausrichtung, quasi eine Geschmacksschulung in Kombination mit einer grundlegenden Auseinandersetzung über Raum bzw. Ästhetik. ArchitektInnen sind PraktikerInnen keine WissenschafterInnen, ihre Praxis ist das Entwerfen. Der ganze Bereich hat einen starken (und in meinen Augen sehr sympathischen) Zug zu Innovation, etwas das in manchen anderen Disziplinen selten ist. Da spielt die Nähe zur bzw. der Anteil an Kunst eine spezifische Rolle. Gesichertes Wissen aber, z.B. in Hinblick auf Entwurfsprozesse, ist rar. Der Vorwurf, dass NutzerInnen nur Erfahrungswissen hätten, erscheint vor dem Hintergrund nochmals paradoxer.
Ganz ähnlich argumentieren gern TheoretikerInnen als KritikerInnen der empirischen Sozialforschung, die meinen eine empirische Auseinandersetzung mit Menschen wäre unnötig, weil so und so nicht valide. Auch wenn empirische Erhebungen natürlich ihre problematischen Seiten haben – dazu gibt’s meterweise Literatur – die theoretische Reproduktion der eigenen Ansichten bezeichne ich als nicht sonderlich valider. Ich liebe diesen Comicstrip.
Spannend ist der Fokus auf die Unterschiedlichkeit von Wissen: Gesichertes Wissen, jenes aus dem auch Theorien entstehen (sollten) sind aus verschiedenen Perspektiven abgesicherte Erkenntnisse, d.h. verallgemeinerbares, nachvollziehbares Wissens mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Im Gegensatz zum aus der Praxis stammenden Erfahrungswissen, das meist rein subjektiv und situativ ist. SozialwissenschafterInnen sammeln Erfahrungswissen, ordnen es, machen es zugänglich und tragen damit einen Teil zur Transformierung in gesichertes Wissen bei. Sogenannte Experten und -innen (egal welcher ursprünglichen Profession entstammend), das war gestern wieder gut greifbar, sind SpezialistInnen des Erfahrungswissens. Und der Selbstdarstellung.
]]>Einen der anderen Gründe möchte ich dem Blog nicht vorenthalten: Meine Kinder haben derzeit Geburtstag. Beide, dank ihres Vaters, unglaubliche Doctor Who Fans. Deshalb war völlig klar, was die beiden für eine Torte möchten. Nun ja. Unglaublich viele Stunden später konnte ich am Freitag beim ersten Kindergeburtstagsfest der gerade andauernden Kindergeburtstagssaison bei uns daheim, das Folgende präsentieren:
]]>Wie auch bei allen anderen Wissenschaften laufen die ersten Schritte ähnlich ab. Die Forschungsanträge geben gewisse Fragestellungen und Strukturierungen vor. Wichtig ist festzulegen was geforscht wird (Erkenntnisinteresse und Ziele), die aktuellen Stand der Forschung darzustellen (theoretischer Hintergrund und Verortung), das wie abzuklären (Methodologie und Methodik darzustellen, Forschungsablauf strukturieren), Kooperationen abzuklären und die sonst noch notwendigen organisatorischen Dinge darzulegen (Kalkulation der Kosten, Personal, CVs, usw. usf.). Soweit so bekannt und wie bei allen anderen auch gilt: Umso klarer, nachvollziehbarer, aktueller, greifbarer, umso besser.
Validierung über Feldzugang und Sampling der Daten: Die Frage ist wie genau der Bereich aussieht in dem man forschen möchte, welche Arten von Feldzugängen sind möglich und auf welche Art und Weise sollen die Daten gesammelt werden. Feld ist ein Begriff der gern und intensiv genutzt wird und geht auf Bourdieu zurück. Das Forschungsfeld abzustecken geschieht auf unterschiedliche Weisen: Recherchen in Büchern oder im Netz, Interviews mit AkteurInnen im Feld oder auch Beobachtung – je nach Anforderung sind die Schritte passend auszuwählen. Für unser letztes FWF-Projekt[1], von dem ich hier schon erzählt habe, war es eine Kombination aus mehreren Schritten. Einerseits ist mein Kollege ein Teilnehmer des Feldes, sprich im Bereich der Architektur tätig. Das bringt Vorteile mit sich, wie Wissen über die Abläufe, Kontakte zu handelnden Personen, fachliches Know How, Literaturkenntnis, etc., aber auch Nachteile, wie eine klare persönliche Perspektive, auch bedingt durch die Ausbildung und berufliche Tätigkeit, eine Nähe zu gewissen Teilen des Feldes und dadurch bedingt zu anderen eine größere Ferne, u.ä.. Da ich vor mehreren Jahren feldfremd war, d.h. keine Ahnung von Architektur, Wohnbau oder Stadtplanung hatte, musste er viel von seinem Wissen explizieren und erklären. Dem Wachsen meines Ordnungswissens konnte ich damals quasi zusehen und dieses Felderklären war ein wichtiger Bestandteil einer ersten Strukturierung. Andererseits arbeiteten wird natürlich mit Recherchen in allen Formen und Ausprägungen. Zusätzlich entschieden wir uns, um vom Insiderblick zu abstrahieren zu einer Reihe von teilstrukturierten Interviews mit starken narrativen Elementen, um von möglichst vielen Seiten die unterschiedlichen Prioritäten und Erzählungen einzufangen. Bei diesen Interviews setzten wir, zusätzlich zu unseren Recherchen, auch auf die Strategie InterviewpartnerInnen um Empfehlungen zu bieten. Die Frage war immer am Ende eines Gespräches: „Mit wem sollten wir noch sprechen? Wer hat ähnliche oder gänzlich andere Positionen, wer ist da für unsere Thematik interessant?“ So konnten wir das Feld auch von innen her aufrollen, zusätzliche Gesprächsmöglichkeiten eröffnen – wir wurden oft weiterverwiesen – und auch unsere Recherchen validieren. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo man bei dieser Frage ähnliche Antworten erhält. Das ist der Punkt an dem es gut ist zu stoppen – Sättigung nennt man das bei den empirischen Daten – und noch stärker in die Auswertung zu gehen.
Während dieses Prozesses – Stichwort theoretical sampling – läuft die Konzeption immer mit. Die ersten Interpretationen zeigen die vorhandenen Strömungen und Ausrichtungen. Der Anspruch ist alle in einem Forschungsfeld vorhandenen Konzepte, d.h. Ausrichtungen, Strömungen und ähnliches, in die Auswahl zu integrieren. Wir haben meist mit grafischen Hilfsmitteln gearbeitet, die verschiedenen Perspektiven visualisiert, unsere bisherigen GesprächspartnerInnen auf diesen verortet und natürlich auch das Metawissen unserer InterviewpartnerInnen herangezogen. (Dieses Thema methodologisch bearbeitet hat Adele Clarke: Sie hat das Generieren von Maps systematisiert und zu einer eigenen Methode gemacht.) Es geht um die oben genannte Sättigung der einzelnen Perspektiven ebenso, wie um ein Ausloten anderer Positionen. Wenn neue Daten, also Interviews, Recherchen und Beobachtungen, keine neuen Erkenntnisse mehr bringen, ist dieser erste Schritt abgeschlossen. Das Ganze ist ein Prozess, nichts Lineares, führt oft zu einigen Schritten zurück und dann wieder vor und nennt sich zirkuläres Forschen. Etwas das recht ungewöhnlich ist, zumindest für die Art und Weise wie in vielen sozialwissenschaftlichen Disziplinen Forschung unterrichtet wird. Meine Studierenden können davon ein Lied singen und sind am Anfang des Wintersemesters regelmäßig davon gestresst, weil sie ihr Denken umstellen müssen bzw. eingelernte Strukturen über Bord werfen müssen. Und doch ist am Ende, jetzt wo die Arbeiten eintrudeln, zu sehen, dass diese Art zu Forschen großen Spaß machen kann. Ziel ist, wie beim sozialwissenschaftlichen Gschichtln drucken beschrieben, eine Repräsentativität in Bezug auf eine Grundgesamtheit herzustellen, sondern eine Repräsentativität der Konzepte eines Feldes zu gewährleisten.
Im Fall unseres Wohnbauforschungsprojektes ging es um ein Ausloten des Feldes mit dem Ziel festzulegen welche Case Studies, d.h. welche Wohnbauten in Wien, wir auswählen. Die jeweiligen Fälle stehen stellvertretend für gewisse Perspektiven und Konstellationen. Wie die Auswahl getroffen wurde, wird dokumentiert und ist ein wichtiger Teil der Forschungsergebnisse.
Validierung durch Transkripte: Immer wieder ist es spannend zu sehen welche verschobene Erinnerung man selbst an Gespräche oder Situationen hat. Statements über den Umgang mit Augenzeugenberichten sind dafür eine gute Illustration. Von ein und demselben Vorgang haben unterschiedliche Menschen meist komplett unterschiedliche Wahrnehmungen. Wir merken uns die Dinge, die uns wichtig sind, was uns eingängig erscheint, was in unser Wissen passt – daher auch die Abhandlungen mit den Schiffen zu Beginn des Blogs: Teil 1 und Teil 2. Ähnlich ist es mit Daten aus Interviews und ähnlichem. Halte ich ein Transkript eines Interviews in der Hand das einige Wochen zurückliegt, wundere ich mich regelmäßig woran ich mich erinnere und woran nicht. Besonders greifbar wird das im Gespräch mit meinem Kollegen. Bedingt durch unsere stark unterschiedliche berufliche Sozialisierung, schauen wir auf komplett unterschiedliche Dinge, unsere Erinnerungen divergieren dementsprechend stark. Transkription ist deshalb das Um und Auf einer jeden derartigen Forschung mit wissenschaftlichem Anspruch. Diese sind die objektivierbare Verschriftlichung der jeweiligen Gespräche und als Auswertungsbasis unumgänglich. (Und natürlich ist schon diese Form der Verschriftlichung auch eine Determinierung des Gegenstandes, dazu gibt es unzählige Abhandlungen und Auseinandersetzungen siehe z.B. ‘Ethnografisches Schreiben‘ von Stefan Hirschauer)
Validierung während der Auswertung: Derzeit arbeite ich hauptsächlich mit Grounded Theory, habe aber auch stark von der dokumentarischen Methode profitiert. Gemeinsam ist allen interpretativen Verfahren das – nona – Interpretieren. Der tatsächliche Vorgang wie dies geschieht, wird meist in Workshops und Seminaren vermittelt. Eine Form von ‚learning‘ die am besten im ‚doing‘ und durch mitmachen und abschauen passiert. Ich werde versuchen hier das, was ich in den vergangenen Monaten unzählige Male in kleinen Workshops gemacht habe, zu verschriftlichen. In den meisten Büchern findet sich dieses Wissen eher implizit, was das Erlernen aus der Literatur eher erschwert.
Eine meiner StudentInnen hat das vor einigen Wochen nach so einem kurzen Workshop gut auf den Punkt gebracht und sinngemäß gesagt: Es geht also darum das zu erfassen was zwischen den Zeilen steht. Das herauszuarbeiten was den Leuten während des Redens gar nicht bewusst ist.
Genau darum geht es. Es ist ein sich in die Position der jeweiligen GesprächspartnerInnen hineinzuversetzen, deren Sinnzusammenhänge zu verstehen und die Welt ein stückweit durch deren Augen zu betrachten und zu rekonstruieren. Und dieses Rekonstruieren geschieht aus vielen unterschiedlichen Perspektiven, um das Gesamte zu erfassen – deshalb am Anfang des Textes der starke Fokus auf Feldzugang und Sampling.
Ausgegangen wird von einem ausgewählten Text. Insbesondere anfangs wird sehr genau und akribisch analysiert. Einige Leitfragen sind dabei hilfreich und leiten durch die Analyse. Einerseits natürlich die Forschungsfragen des eigentlichen Forschungsinteresses, andererseits geht es darum herauszufinden was in dem Satz/Abschnitt drin steckt. Worum geht es darin? Was hängt damit zusammen (Bedingungen)? Wie gehen AkteurInnen damit um? Was genau für Konzeptualisierungen stecken in diesem Abschnitt? Das Interpretieren wirft Thesen und generative Fragen auf. Das alles wird verschriftlicht und in Memos festgehalten. So entstehen aus einem relativen kurzen Abschnitt viele verschiedene Memos mit beinhalteten Fragestellungen und Thesen, die es an weiterem Material zu validieren gilt. Früher wurde das mit Papier und Stift gemacht, herumgeschnipselt und sortiert, heute ist das zum Glück in der Form nicht mehr nötig. Das Programm Atlas.ti hilft dabei die Datensätze zu verwalten und bietet vielfältige Möglichkeiten an zu strukturieren. Was aber wichtig ist, und leider oft missverstanden wird: Das Programm gibt keine Art zu arbeiten vor. Es ist vielmehr eine Datenbank in der selbstgewählt Relationen gesetzt werden können, kurze Texte abgespeichert werden können (=Memos), Sortierungen vorgenommen werden können und vor allem aber auch Textstellen wiedergefunden werden können, da Codes für gewisse Textstellen oder auch Memos vergeben werden. Und es kann noch wesentlich mehr, nämlich auch mit Hypothesen umgehen, d.h. Thesen die während des Interpretierens aufkommen anhand des Materials zu überprüfen.
Das Wichtigste aber ist sich nicht den vielfältigen Möglichkeiten des Strukturierens und Codierens hinzugeben, sondern am Interpretieren zu bleiben. Das war einer meiner wichtigsten Lernschritte. Ursprünglich komme ich nämlich ganz und gar nicht aus einem interpretativen Paradigma, sondern habe viele Jahre quantitative Auswertungen und reduktive Inhaltsanalysen gemacht. Also das üblicherweise gelehrte Paradigma meiner Herkunftsdisziplin ausgeübt, auch wenn mich das andere immer schon gereizt hat.
Validierung in Gruppen: Interpretationen in Gruppen bringen eine zusätzliche Validität in das Auswerten von Daten. Durch die unterschiedlichen Perspektiven der handelnden Personen wird die Interpretation zusätzlich validiert, deshalb setzen interpretative Forschungsprojekte meistens auf Gruppen die gemeinsam Textstellen auseinandernehmen und analysieren. Von Oevermann (objektive Hermeutik) gibts die Anekdote, dass er regelmäßig Leute von der Straße ins Institut für Sozialwissenschaften holte und zu Interpretationsgruppen einlud.
Ein kleines Beispiel wie eine Interpretation aussehen kann, findet sich im Artikel ‘Interpretation revisited – ein Beispiel eines Interpretationsvorgangs‘.
[1] FWF Projekt ‘Modes of Design‘.
Aus einer Gesprächspassage über den Hof eines Wohngebäudes in der Nähe eines Marktes in Wien:
„I man es stimmt schon wenn du sogst Dor- Dorf, i hobs scherzhaft immer als gallisches Dorf bezeichnet, weil (2) ma nach Innen is ruhig und noch Außen host in Trubel; und du konnst beides oba genießen; wenn du den Trubel willst vom Brunnenmarkt gehst raus, und wenn du deine Ruh haben willst gehst wieder rein; oder bleibst herinnen; und host trotzdem Kommunikation mit deinen Nachbarn;“
Der erste Halbsatz übersetzt: „Ich meine, es stimmt schon, wenn Du Dorf sagst,“ verweist auf eine Zuschreibung die der Hof erfährt. Das Wort Dorf steht für einen bestimmten sozialen Umgang miteinander, jeder kennt jeden, es existiert eine gewisse Nähe zwischen den BewohnerInnen, eventuell auch eine gewisse Enge, da der Begriff in der Stadt oft auch einen negativen Touch hat. Wien wird häufig als Kuhdorf bezeichnet in dem jeder jeden kennt, da Wien zwar eine Großstadt ist, aber nur eine kleine in der soziale Räume bzw. Milieus so gestaltet sind, dass Anonymität nicht immer gegeben ist. Der Hof wird also als kleinräumlich erlebt. Eine generative Frage, die sich aus diesem Halbsatz ergibt: Wird der Hof bzw. das Gebäude auch an anderen Stellen des Transkriptes in dieser Form beschrieben?
Der nächste Halbsatz verstärkt den im vorherigen beschriebenen Dorfcharakter zusätzlich: „ich habe es scherzhaft immer als gallisches Dorf bezeichnet“. Diese Aussage verweist auf Asterix und Obelix und deren gallisches Dorf, umzingelt von (feindlichen) Römern, in einer permanenten Verteidigungshaltung und auch Abschottung. Die Interpretation liegt nahe, dass der Hof als von außen abgeschottet erlebt wird und die BewohnerInnen zwischen dem Innen und dem Außen eine (imaginäre) Grenze ziehen. Diese These des Innen und Außen bestätigt sich in der nächsten Aussage „weil nach Innen ist es ruhig und nach außen hast Du den Trubel“. Der Hof wird als ruhig beschrieben in Abgrenzung bzw. im Gegensatz vom Außen, wo viel los ist. Trubel, als Wort, kann auch leicht abschätzig gemeint sein bzw. hat u.U. einen negativen Touch. Mehrere generative Fragen, die sich aufdrängen: Wird diese Grenzziehung bzw. die Pole Innen und Außen an anderen Stellen des Gesprächstranskripts weiter ausgeführt? Welche Konzeption vom Innen bzw. Außen hat die Gruppe der BewohnerInnen? Was wird damit verbunden? Welche Sinnkonstruktion steckt dahinter? Mit diesen Fragen wird, wie schon ausgeführt, weiter gearbeitet. An unterschiedlichen Stellen des Transkripts, später auch an anderem Material, wird mit diesen Fragen die Analyse fortgesetzt.
Im nächsten Satzteil „und du kannst aber beides genießen“ zeigt sich eine positive Bewertung der Situation. Sowohl das Innen als auch das Außen werden ‚genossen‘, d.h. grundsätzlich positiv erlebt. Die Frage stellt sich ob das Außen ohne das Innen positiv bewertet werden würde: Innen wird grundsätzlich positiv beschrieben, beim Außen schwingt eine Ambivalenz mit (Trubel), die an dieser Stelle nur schwer fassbar wird. Daher die generativen Fragen: Wie wird das Außen im Gesprächsverlauf beschrieben? Was wird mit dem Außen, der Marktumgebung, verbunden? Wie wird dieser genutzt?
Der nächste Teil des Transkripts ist eine Redundanz und wiederholt bzw. validiert das vorher gesagte: „wenn du den Trubel vom Brunnenmarkt willst, gehst du raus, und wenn du deine Ruhe haben willst, gehst du wieder rein“. Auch hier wieder die Gegenüberstellung von Trubel und Ruhe, wobei beim Trubel wiederum eine leicht negative Konnotation mitschwingt, die im Weiteren noch zu überprüfen ist. Insofern eine erste Bestätigung, die in einer These verarbeitet werden kann, die dann in weiterer Folge zu überprüfen ist: Das Innen des Hauses wird von den BewohnerInnen positiv besetzt, das Außen wird im Gegensatz dazu ambivalent bzw. leicht negativ belegt und als Kontrast erlebt.
Der letzte Teil des Zitates „und hast trotzdem Kommunikation mit deinen Nachbarn“ zeigt auf eine anderes Thema bzw. Wertigkeit. Die Kommunikation unter den Nachbarn scheint der diskutierenden Gruppe wichtig zu sein, an dieser Stelle dokumentiert sich diese Prioritätensetzung. Das Außen wird mit (zu?) viel Kommunikation verbunden, aber auch wenn man in das Innen wechselt ist Kommunikation da und möglich. Nämlich jene mit den vertrauten Personen, die hier wohnen, den anderen Beteiligten im (gallischen) Dorf.
Soweit zur Interpretation dieser einen Textstelle. Beim interpretativen Forschen geht es von der Zielrichtung her immer um die Generierung von Theorie. Womit keine Ontologien gemeint sind, d.h. keine umfassenden Welterklärungstheorien, sondern gegenständliche Theorien die den Alltag fassbar machen. An dieser Stelle des Transkripts wird die Grenzziehung zwischen Innen und Außen deutlich, mit dieser Konzeption ihrer Alltagswirklichkeit theoretisieren die BewohnerInnen ihr Wohnhaus. Die Thesen aus Transkriptzitaten werden in der weiteren Analyse überprüft und an unterschiedlichen Textstellen validiert, um gesicherte theoretische Aussagen über diesen Fall treffen zu können. Ist die Analyse eines Transkripts abgeschlossen, werden die Ergebnisse mit anderen Fällen verglichen und abstrahiert. Zuerst mit ähnlichen Fällen, hier stellt sich z.B. die Frage, ob es ähnlich gelagerte Konstruktionen von Innen und Außen gibt und was damit einher geht, später mit anders gelagerten Fällen die sich unterscheiden – deshalb ist die Dokumentation des Samplings, d.h. der Fallauswahl für den Forschungsprozeß enorm wichtig. Ziel ist es, wie beschrieben, sämtliche Konzepte in einem Feld – hier der mehrgeschossige Wohnbau in Wien – zu erfassen und eine theoretische Konzeption des Feldes zu erstellen.
Und was ist das theoretische Fazit aus diesem Gespräch, das sich auch an dieser Textstelle dokumentiert? Die diskutierende Gruppe verwendet durchgängig, an unterschiedlichen Textstellen festmachbar, eine Unterscheidung zwischen dem Innen und Außen. Das Innen ist das dominierende Element, jenes dem hohe Wichtigkeit zugesprochen wird und das für die Beteiligten positiver Bestandteil des Alltags ist. Das Außen wird in weiterer Folge als bunt, lebhaft und schön beschrieben, aber immer aus einer Distanz heraus. Die BewohnerInnen erweisen sich nahezu als BesucherInnen ihres direkten Wohnumfeldes. Der Markt umgibt zwar das Wohnhaus, gleichzeitig besteht aber eher wenig Kontakt damit. An manchen Stellen klingen die Beschreibungen fast wie Urlaubseindrücke. Diese Distanzierung hat Funktion und liegt auch in unterschiedlichen Milieus begründet. Ein Interpretationsstrang, der allerdings für eine kurze Erklärung hier im Blog zu großen Umfang hat, führt ins Thema des Umgangs mit Migration. An dieser Stelle hier möchte ich einen anderen Strang aufgreifen.
Das Innen ist auch deshalb so wichtig, weil es zum Zeitpunkt des Einzugs undefiniert war. Die BewohnerInnen rund um den Hof mussten sich ihren Hof erst aneignen. Von Seiten der Hausverwaltung und des Planers gab es kaum Vorgaben, der Hof entstand aus einer planerischen bzw. räumlichen Notwendigkeit. Der Prozess des Aneignens war ein gemeinsamer Aufwand, die gemeinsame und vor allem positive Bewältigung hat eine Gemeinschaft entstehen lassen. Funktioniert hat dies vor allem auch aufgrund der verschiedenen Kompetenzen der Einzelnen – in der Gruppe sind Berufszweige vertreten, die beruflich mit ähnlichen Dingen zu tun haben. Die beteiligten BewohnerInnen waren von ihrem Bildungsstand und aus ihrer Arbeitspraxis heraus fähig mit der Anfangssituation konstruktiv umzugehen. Dass diese Faktoren ausschlaggebend waren, zeigte sich an einem anderen Fall in dem die Gebäudesituation vergleichbar war, die BewohnerInnenstruktur aber nicht. (Dieses andere Gebäude diente hier zur Abstraktion des Falles.)
Durch eine ansonsten eher unübliche Situation im Wiener Wohnbau – undefinierte Flächen kommen kaum vor und widersprechen den Interessen von Planenden, Behörden und Hausverwaltungen – wurde etwas möglich, das sonst in aufwendigen Prozessen begleitet werden muss. Ein Fazit aus dem Fall ist also, dass ein möglicher Faktor für das Soziale – etwas das in Wien derzeit viel diskutiert wird – das Ungeplante in Kombination mit den Kompetenzen der künftigen Gruppe ist. Ein großer Widerspruch zu den behördlichen und sonstigen Rahmenbedingungen im Wohnbau. Für die Praxis heißt das: Undefinierte Flächen einzuplanen und Mittel für die Gestaltung durch BewohnerInnen zur Verfügung zu stellen, kann also als Strategie für die Besiedelung hilfreich sein. Abhängig davon wer in ein Wohnhaus einzieht, muss dieser Prozess mehr oder weniger begleitet werden und kann dazu beitragen funktionierende Nachbarschaften zu schaffen. Die qualitative, interpretative Forschung schafft hier die Entwicklung konkreter Handlungsstrategien für die praktische Umsetzung, um ein Ziel der Stadtentwicklung zu unterstützen.
Auch wenn das Beschriebene hier nur einen sehr kleinen Aspekt der Ergebnisse darstellt, wird – so hoffe ich – das Ziel dieser Art von Forschung in einem noch recht unbeackerten Feld greifbar.
]]>Nachdem ich derzeit hauptsächlich mit dem Endspurt des Semesters beschäftigt bin – Blockseminare sind doch recht zeitintensiv – komme ich nicht in dem Ausmaß zum Schreiben, wie ich gerne würde. Aber warum nicht das Nützliche mit dem Sinnvollen also den Blog mit einem kleinen Dissertationstagebuch verbinden? Weil eigentlich sollte ich derzeit nicht so viel Zeit mit dem Feedback zu Bachelorkonzepten verbringen, sondern mich der Datenauswertung meiner Diss widmen. Also hab ich beschlossen zu dokumentieren was ich da tue und daran zu illustrieren, wie ein interpretativer, methodischer Weg so aussehen kann. Derartige Nachfragen gab es ja nach meinen ersten Blogbeiträgen.
„Kommunikation in/im Bau – wie Leben in den Grundriss kommt” ist mein derzeitiger Arbeitstitel. Im Anschluss an ein Forschungsprojekt geht es darum Kommunikation über Wohnbauten zu analysieren. Im Konkreten stelle ich Raumbilder aus narrativem Datenmaterial, d.h. Gruppendiskussionen in Kombination mit Interviewdaten und noch Beobachtungs- und Photomaterial, gegenüber: Diese Raumbilder, Begriffsdefinition folgt natürlich noch, finden sich sowohl in den Schilderungen von BewohnerInnen von Wohnbauten in Wien, als auch in den Diskussionen der Planenden und Bauträgern, d.h. den Gruppendiskussionen, die wir über die Entwurfsprozesse der Gebäude geführt haben. In insgesamt 6 Case Studies, jeder Fall ist ein Wohngebäude, wurden diese Daten gesammelt, transkribiert und harren jetzt ihrer Auswertung.
Die Auswahl der Case Studies erfolgte mittels ‚theoretical sampling’, einem Begriff aus der Grounded Theory, wie genau wir vorgegangen sind, würde hier den Rahmen sprengen bzw. einen eigenen Blogeintrag wert sein. (Graham Gibbs erklärt einiges dazu hier: Grounded Theory – Core Elements) In Kürze meint dies, dass in einem abgesteckten Feld – bei mir der Wiener Wohnbau – nach allen möglich vorhandenen Konzepten und Phänomenen gesucht wird. Im Gegensatz zu einem repräsentativen Vorgehen in Hinblick auf eine Grundgesamtheit, also z.B. als Stichprobe die Bevölkerung eines Landes o.ä. methodisch zu fassen, geht es hier darum eine Repräsentativität in Hinblick auf vorhandene Konzepte und Phänomene zu gewährleisten. Gesucht wird auf einer inhaltlich interpretativen Ebene nach allem Vorhandenen, angestrebt wird möglichst umfassend die Perspektiven, Theoretisierungen und Konzeptualisierungen zu erfassen und deren eingelagerten Sinn zu extrahieren. In weniger (sozial)wissenschaftlichen Formulierungen: Es geht darum zu wissen was und wie alles in einem Bereich gedacht wird, welche Perspektiven es gibt und wie die Zusammenhänge aussehen. Ziel ist, wie ich in letzter Zeit des Öfteren zu meinen Studierenden gesagt habe, sich in die Schuhe von anderen Personen zu stellen, viele unterschiedliche Sichtweisen zu sammeln, zu analysieren und zu interpretieren was genau das meint, die verschiedenen Standpunkte zu vergleichen und daraus eine gegenständliche Theorie zu entwickeln, die die Phänomene und Zusammenhänge erklären kann. Jeder Mensch hat seine bzw. ihre Alltagstheorien und – erklärungen: Diese stehen für Perspektiven, hängen mit Milieus zusammen, haben also eine ganz bestimmte soziale Sicht und Position. Die unterschiedlichen Materialien werden gesammelt, interpretiert und auf eine gemeinsame theoretische Basis gebracht, um zu erklären warum die konkrete soziale Realität sich so darstellt und welche Sinnzusammenhänge existieren.
Deshalb ist es für diese Art der Analyse auch so wichtig erzählerisches, d.h. narratives, Material zu sammeln. Immer wenn Menschen einfach erzählen, Geschichten und Metaphern verwenden und ohne langes Nachdenken frei von der Leber weg sprechen, kann zwischen den Zeilen gelesen werden, kann das erfasst werden, was die Leute erzählen ohne dass es ihnen bewusst ist. So hat das eine Studentin nach einer Interpretationseinheit treffend formuliert. Wir sammeln also Geschichten und bringen diese in eine große, möglichst umfassende, Geschichte zu einem Thema ein. Wie Brené Brown in ihrem Ted-Beitrag passend formuliert: We are “storytellers”.
In noch folgenden Blogbeiträgen werde ich das ‚Wie’ des Interpretierens anhand meines Materials erläutern und daran zeigen wie so etwas vor sich geht. Ich möchte ja mein Versprechen einhalten genau diese Auswertungsprozesse transparent zu machen, die in der methodischen Literatur meist nur sehr vage beschrieben sind – auch deshalb vage beschrieben sind, weil sich dieses Know How nur schwer schriftlich vermitteln, sondern am besten in Workshops und Interpretationssessions aneignen lässt. Learning by doing. To be continued…
]]>Im Bakkalaureatsseminar soll ich sie auf ihre erste Bakk-arbeit vorbereiten und sie dafür coachen. Ein Grund deshalb anfangs den vorhandenen Wissenschaftsbegriff unter die Lupe zu nehmen und anschließend zu dekonstruieren. Die Aufgabenstellung war also an der Tafel sämtliche Assoziationen zu Wissenschaft zu sammeln. Heraus kam etwas, dass ich nur wie folgt kommentieren konnte: Wenn das mein Arbeitsalltag wäre, dann müsste ich mich jetzt wohl erschießen.
(Das Bild als Vorschau einzubetten, hat leider nicht funktioniert. ;))
Nachdem ich ihnen im Anschluss an eine kurze Diskussion das folgende Video gezeigt habe, kamen erwartbare Antworten: Das wäre ja coole und nützliche Wissenschaft, das was wir machen wäre demgegenüber aber sehr uncool, weniger nützlich und überhaupt es ist ja kaum nachvollziehbar.
Abgesehen davon, dass Publizistikstudierende natürlich recht empfänglich für so gemachte Videos sind und ich es mir nicht verkneifen konnte zu fragen warum sie denn nun eigentlich dieses Fach gewählt hätten, hat die Diskussion in die gleiche Kerbe geschlagen in die ich mit meinen beiden ersten Blogbeiträgen hier und hier versuchte etwas Klarheit zu bringen.
Aber woher kommt das?
In den ersten Semestern des Studiums werden Studierende mit recht langweiligen Inhalten konfrontiert, die sie noch dazu nicht einordnen können. Sie werden dazu angehalten auswendig zu lernen und da sie das aus der Schule meist auch noch gut gewöhnt sind, tun sie dies auch. Was nicht von ihnen verlangt wird ist: Zu denken! Theorie und Methodik werden ebenso wie die thematische Definition des Faches als abschreckende Hürde verwendet, um aus den Massen auszuselektieren. (Das österreichische Unisystem hat diesbezüglich nahezu eine Meisterschaft entwickelt. Leider.) Der Plan dahinter: Umso fader der Anfang, umso eher steigen die Massen auch wieder aus. Paradox angesichts eines Faches, das fast so etwas wie eine didaktische Bestvoraussetzung hat. Der Gegenstand der Disziplin, die medialen Inhalte, wie Serien, Artikel, Kampagnen, etc. böten viele Möglichkeiten. Niemand, der oder die hier unterrichtet, müsste auch nur eine Minute Studierende langweilen. Aber dem ist nicht so. Langeweile ist Trumpf und das negative Image hängt dann aber der Wissenschaft und nicht dem Studium an.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Forschung als Disziplinierungsmaßnahme verwendet wird. Studierende lernen Kochrezeptforschung, wie ich das immer nenne. Auf Punkt 1 folgt Punkt 2 und dann usw.. Sie werden nicht in die Welt des wissenschaftlichen Denkens eingeführt, nicht herangeführt an die Dinge die spannend und faszinierend sind, nicht mit den Ideen konfrontiert, die unsere Welt mitgestalten und lernen nicht zu hinterfragen oder zu debattieren. Sie lernen ein Thema herzunehmen, meist eines das genau in der Mitte des thematischen Mainstreams liegt und dann Punkt 1 bis Punkt X abzuhandeln. Ihnen wird scheinbar vermittelt, dass wissenschaftliche Sprache fade und kompliziert sein soll, fast so als wären die Texte gewürzt mit Fremdwörtern ohne jeglichen Konnex zum Alltag. Erst wer diese Tortur hinter sich gebracht hat, darf dann – vielleicht – anders und interessierter bzw. interessanter arbeiten.
Positiv konnotiert ist die Praxis, negativ konnotiert die Wissenschaft, die Theorie und die Methodik. Aber was heißt Praxis? Das fand ich schon während meines eigenen Studiums höchst interessant: Praxis ist, wenn Praktiker und -innen kommen und Schwänke aus ihrem Leben bzw. ihrer Arbeit erzählen. Ein Phänomen das mir an der Architektur bzw. den Kunstunis auch immer wieder begegnet ist und das dem der Hollywoodstars als anzustrebendes Ideal ähnelt. Umso prominenter eine Vortragende, umso berühmter ein LV Leiter, desto höher die Hoffnung, dass ein bisserl des Glanzes auf die Studierenden abfärbt. Was genau die Personen dann inhaltlich machen, ist dementsprechend relativ egal. Es geht um den Glamour, wichtig ist der Starfaktor, könnte ja unter Umständen hilfreich für die Karriere sein. Inhalte? Reflexion? Theoretische Verortung der Praxis? Unnötiges Beiwerk.
Den wissenschaftlichen Fächern, Glamour und Starfaktor sucht man da eher vergeblich, bleibt eine kärgliche Rolle: Sie regredieren zur Disziplinierungsmaßnahme durch die man durch muss. Unsexy, oder wie es meine Studis formuliert haben: “Langweilig, langwierig, krampfig und viel Gerede, nix passiert.” Etwas dass man absolviert, hinter sich bringt und möglichst schnell wieder vergisst.
Was sind die Konsequenzen?
Das Denken bleibt auf der Strecke. Ordnungswissen fehlt – wie Dinge zusammenhängen, insbesondere in sozialen Umfeldern und Forschungsgegenständen, bleibt ein Rätsel. Jede Themendefinition und Recherche wird zu einer krampfigen Angelegenheit ohne jeglichen Spaßfaktor. Die Eigenständigkeit fehlt, hinter allem und jedem werden Regeln und Vorschriften vermutet an die man sich und die entstehende Arbeit anpassen muss. (Eine kleine Anmerkung an der Stelle muss sein: Und das passt ja auch gut in die inzwischen durchökonomisierten Universitäten. Gefragt ist nicht die Eigenständigkeit und selbständiges Denken, gefragt sind Anpassungsfähigkeit und Formbarkeit für künftige ArbeitgeberInnen.)
Dass Wissenschaft etwas Schönes und Kreatives ist, erfahren die meisten Studierenden gar nie. Dass es großen Spaß macht sich ein Thema vorzunehmen, zu konzipieren und zu recherchieren wie dieses umsetzbar ist, sich zu überlegen mit welchem theoretischen und methodologischem Werkzeug die selbstgesetzten Ziele erreicht werden können, dass es schöne und auch befriedigende Arbeit ist ins Feld zu gehen, mit den Menschen zu sprechen, das Material zu analysieren und Zeit dafür zu haben herumzuinterpretieren und dann am Ende das Ganze in Vorträge, Artikel und Lehrveranstaltungen umzusetzen, zu publizieren und damit der wissenschaftlichen und und auch der Alltagswelt ein Stück mehr Erkenntnis zurückzugeben, darauf kämen sie gar nicht. Das hat ihnen nämlich bis dato niemand erzählt. Dass Kritik üben und kritisiert werden nichts Beängstigendes hat, sondern vielmehr dafür dient weiterzukommen. Dass KollegInnen, wenn sie einem wohlgesonnen sind, eine inhaltlich fordern bzw. hinterfragen und ein Problem ruhig auch mal einige Zeit vor sich hingären muss und kann bis man auf eine Lösung kommt, das hat niemand erklärt. Klar braucht es das Werkzeug dazu, muss man wissenschaftliches Denken und Arbeiten erlernen und sich durch Literatur und Methodik durcharbeiten. Aber dass das Spaß machen kann und ein Ziel ist ein Ordnungsschema und -system aufzubauen in das neue Informationen eingepflegt werden können und dass dieses Puzzeln und Kniffeln eine spannende Herausforderung ist, die auch nach vielen Jahren nicht langweilig wird, das wird ihnen vorenthalten.
Okay nicht überall, Vereinzelte versuchen das herauszufordern. Und ich muss zugeben, dass ich es immer wieder sehr genieße, wenn ich am Ende des Semesters so einige glänzende Augen sehe, die verstanden haben worum es da geht und die sich offensichtlich darüber freuen, dass sie mal jemand als denkende Wesen ernst genommen hat. Meine Lieblingsfrage, die mir am Ende eines Semesters einmal gestellt wurde, ist immer noch: „Warum hat uns das nie jemand früher gezeigt, warum muss ich das erst am Ende meines Studiums erfahren was Wissenschaft eigentlich ist? Mein Studium wäre anders verlaufen, hätte ich das früher mitbekommen.”
Würde mich sehr interessieren wie das in anderen Disziplinen so ist.
]]>Sicher für den alltäglichen Alltag. Nicht aber um genau hinzuschauen. Die Schubladen auf den Booten zu hinterfragen, zu schauen welche Konsequenzen sie haben und zu fragen, ob es nicht andere mögliche Schubladen gäbe, ist eine Kernaufgabe der Sozialwissenschaften. Und ums wiederum zu relativeren und einzuschränken sind das vor allem die explorativen Sozialwissenschaften, die sich auf neues Terrain wagen. Unter die Oberfläche zu schauen, Zusammenhänge aufzudecken und sich neue Routen zu überlegen, ist manchmal ein unbequemes und irritierendes Tagesgeschäft.
Das soziale Miteinander ist genauso ein Forschungsgegenstand, wie alle anderen Disziplinen. Nur brauchen wir alle unsere Schubladen und Navigationsinstrumente, um durch den Alltag zu kommen. Alle ausnahmslos alle, auch die Menschen, die diese Art von Wissenschaft machen. Wir können nicht distanziert davon objektiv forschen und uns als Personen ausschalten, sondern müssen diese Schemata kennen, hinterfragen und uns vor allem bewusst sein, dass wir sie nie zur Gänze kennen werden. Verändert werden kann nur, was uns auch bekannt ist. Und diese Näherungen und Relativitäten in diesem Forschungsfeld machen diese Form von Wissenschaft auch so schwer greif- und verwertbar. Besser das gleich als wertlos zu etikettieren und damit in die Schublade für Unnötiges zu verfrachten? Oder im Wissen, um die Unzulänglichkeiten – die alle anderen Wissenschaften ebenso haben, aber das ist ein anderes Thema – den Gegenstand weiterzutreiben, um uns überhaupt bewusst zu werden mit welchen Schiffen, Flotten, Routen und Häfen wir tagtäglich agieren. Und um die Welt etwas gerechter, die Zugänge zu den Schiffen egalitärer, die Routen greifbarer und die sicheren Häfen offener zu gestalten?
Perspektiven einnehmen und sich dessen bewusst sein
Menschen sind nicht eindeutig. Gruppierungen, Organisationen, Gesellschaften, d.h. alle unterschiedlichen Zusammensetzungen menschlicher Ansammlungen sind nie klar abgegrenzt, nie konstant und in keinem Moment gleich. Eine der Grundkonstanten von Forschung in anderen Disziplinen, nämlich dass z.B. Experimente unter gleichen Bedingungen wiederholbar und gültig sein müssen, trifft auf Sozialwissenschaften nie zu. Wissenschaftliche Gütekriterien wie Reliabilität, Validität oder Objektivität sind Ideale, denen mit gewissen Regularien begegnet werden. Aber endgültig oder absolut können sie noch viel weniger sein als in anderen Disziplinen. Allein die Tagesverfassung eines Menschen ändert alles. Eine soziale Situation ist nicht wiederholbar, keine Situation kann der anderen je gleichen. Diesem Fakt begegnen die Sozialwissenschaften mit unterschiedlichen Strategien. Doch gemeinsam haben sie alle: Das Bewusstsein, dass alles relativ ist und viel Zeit darauf verwendet werden sollte gründlich und genau zu überlegen wie Forschungssettings aussehen, was sie bedingen und wie der sozialen Komplexität begegnet werden kann.
Unterschiedliche sozialwissenschaftliche Zugänge: Erklären versus Verstehen
Recht viele unterschiedliche Schifferln bilden die kleine Flotte der Sozialwissenschaften. Oft fahren sie auch im Verband mit Kultur- oder auch Geisteswissenschaften. Am bekanntesten und leichtesten greifbar sind die Richtungen, die versuchen Allgemeinheit zu beschreiben und die am wenigsten relativieren. Die oben erwähnten Kapitäne der (medialen) RealitätsdeuterInnen finden sich in diesem Sektor. Markt- und Meinungsforschung, Wahlumfragen, Evaluierungen mit unterschiedlichen Zielrichtungen: Kurz alles das mit Umfragen agiert und dabei versucht der Allgemeinheit gerecht zu werden und die Welt zu erklären – Repräsentativität meint dabei, dass die gezogene Stichprobe die Bevölkerung bzw. den adressierten Teil eines Bevölkerungsausschnittes abbildet. Und so gerne diese Ergebnisse medial verwendet werden, Zahlen sind immer großartig für JournalistInnen, so wenig aussagekräftig sind sie oft. Ein Beispiel dafür sind Wahlprognosen, die so gut wie nie treffsicher sind. Auch weil eine Stichprobe von 400 Personen nie die Aussagekraft haben kann, die eigentlich notwendig wäre. Die Fehlerquoten sind einfach zu hoch. Und trotzdem kommen genau aus diesem Gebiet die meisten ExpertInnen, die dann zu gewissen Anlässen ihre Meinungen und Prognosen zum Besten geben. Eben weil sie vorgeben etwas Absolutes sagen zu können, oft mit Zahlen aufwarten können und die Aussagen gut und recht simpel auf einige wenige Kernpunkte reduziert werden können. Komplexitätsreduktion ist nun einmal das Hauptgeschäft von medialer Berichterstattung.
Wesentlich weniger präsent und greifbar sind Ansätze, die versuchen zu verstehen. Hier ein kleines Beispiel aus dem entgegengesetzten Pol sozialwissenschaftlicher Arbeit, eines aus meiner Forschungspraxis: Ich arbeite als Kommunikationswissenschafterin, ein Zweig der üblicherweise sehr stark aus den oben erwähnten RealitätsdeutungskapitänInnen besteht und auch recht gern medial präsent ist, in einem sehr untypischen Feld. Seit 2008 beschäftige ich mich mit Architektur und Stadt im weiteren und mit Wohnbau im engeren Sinne. Auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich? Scheint so, zumindest reagieren KollegInnen, vor allem aber Studierende meist recht irritiert. Kommunikation und Bauen haben für diese auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Literatur dazu ist spärlich, Forschung dazu eher selten, d.h. es gibt kaum befahrene Routen und nur einige Expeditionsschifferln, die sich in diese Gewässer bewegen.
Hier mit der gerade beschriebenen erklärenden und deskriptiven Forschungsweise vorzugehen, brächte nicht viel, da diese Vorannahmen und Vorwissen benötigen. Der Forschungsgegenstand muss also im Prozess mitgebildet, mitreflektiert und mitentworfen werden. Dazu sind gänzlich andere Skills und Strategien nötig. Um bei der Schiffsmetapher zu bleiben: Die nötigen Fahruntersätze sind zuerst eher Flößen ähnlich, werden beim Schreiben eines Antrages zu tragfähigen Booterln umgebaut, auf ein theoretisches und methodisches Fundament gesetzt um dem Forschungsgegenstand gerecht zu werden und werden letztendlich – Route und Ziel sind ja anfangs nicht klar – während der Fahrt laufend adaptiert. In meinem letzten Projekt ‚Modes of Design’ ging es genau um so einen Prozess: Die grundsätzliche Fragestellung war gut greifbar und kam aus dem Alltagsrepertoire meines Kollegen. Beim Bauen von Wohnbauten gibt es einen Entwurfsprozess mit verschiedenen Beteiligten. ArchitektInnen, Bauträger und noch einige ExpertInnen planen in unterschiedlichen Konstellationen die jeweiligen Gebäude. Während des Bauens sind diverse Firmen in unterschiedlichen Strukturen beteiligt. Wie genau diese Prozesse ablaufen, ist nie ganz ident, wenig beforscht und letztendlich in vielen Zügen im Sinne von Übersichts- oder Ordnungswissen unbekannt. Die beteiligten Personen agieren aufgrund von Ausbildungen, Erfahrungswerten und Annahmen.
Was wenig bis kaum geschieht ist die Auseinandersetzung mit den Menschen, die dann letztendlich aber die eigentlichen Betroffenen sind: Die Menschen, die in diesen Wohnbauten leben. Sie sind nur implizit Teil des Prozesses, werden von den professionell Beteiligten mitgedacht, mitkonstruiert und argumentativ verwendet. Gebaut wird also nicht für konkrete Menschen – das wäre im Massenwohnbau sehr aufwändig – sondern für imaginierte Vorstellungen. Welche das sind und woher diese kommen, wie diese verwendet werden und was das für einen Einfluss auf die Entwurfsprozesse hat, war eine der Perspektiven des Projektes. Dieses Wissen existiert nicht, sondern konnte nur erforscht, d.h. zusammengetragen, analysiert und auf eine systematisierende, theoretische Ebene gebracht werden. Ebenso wie die zweite wichtige Perspektive – und da steckt sicherlich auch unsere ‚hidden agenda’ dahinter – der Blickwinkel der BewohnerInnen. Da diese nicht real, sondern nur imaginiert, im Entwurfsprozess vorkommen, stellt sich die Frage, wie diese ihre bewohnten Gebäude überhaupt sehen. Ist das was im Entwurfsprozess gedacht, gestaltet und geplant wurde, für die BewohnerInnen erkennbar? Wie rezipieren diese ihre Wohngebäude? Wie werden diese genutzt und welche Prioritäten werden gesetzt? Auch diese Daten gibt es nicht, Literatur dazu ist nur in Grundzügen vorhanden und der einzige Weg hier zu Erkenntnissen zu kommen, war ins Feld zu gehen und zu erheben.
Im Prinzip schließt unser Projekt also auf wissenschaftlicher Ebene eine Lücke, die der Alltag offen lässt und aus seinem meist auf Erfahrungen basierenden Wissen nicht beantworten kann. Praktischen Nutzen hat das, bei allem Aufwand, allemal. Die oben erwähnte ‚hidden agenda’ ist sicherlich die Perspektive der BewohnerInnen, passenderweise im Entwurfsprozess meist als NutzerInnen betitelt, in Entwurfsprozesse einzubringen und zu reflektieren. Ebenso aber auch den professionell Beteiligten rückzuspiegeln was eigentlich passiert: Welche Ideen und Strategien verwendet werden, welche Richtungen es gibt und was dies alles im Baualltag mit sich bringen kann. Ein Ziel ist also das Gesamte weiterzuentwickeln und auch mögliche, neue Perspektiven zu eröffnen.
Diese Art zu forschen bedingt einen sehr offenen Zugang. Wenn nicht bekannt ist, wie die Routen und Wege laufen und welche Wassergefährte dafür zu gebrauchen sind, dann kann konsequenter Weise nur Offenheit als Prinzip gelten. Wenn andere Zugänge versuchen menschliche Komponenten wie VersuchsleiterInnen möglichst auszuklammern, um damit Wissenschaftlichkeit herzustellen – Beispiel dafür sind z.B. psychologische Experimente im Labor – kann dieser Zugang bei dem es um das Erforschung eher unerschlossener Gebiete geht, dies genau nicht tun. Das Wissen das in explorativen, interpretativen und qualitativen Projekten generiert werden soll, kann nur von Menschen mit Menschen direkt in der sozialen Welt, im Sozialwissenschaftssprech: Feld, erhoben werden. Versucht wird Phänomenen auf den Grund zu gehen, Zusammenhänge zu verstehen, Konzepte aufzuspüren und letztendlich damit auch für den Alltag anschlussfähig zu bleiben. Wir sammeln Narrationen und erzählen in gewisser Weise Geschichten aus dem Alltag. (Mehr dazu in einem späteren Beitrag.)
Die wissenschaftliche Güte liegt dabei nicht in den Instrumenten, wie das z.B. bei Umfragen mittels Fragebögen argumentiert wird, sondern in gewisser Weise in den handelnden Personen. Adele Clarke, Soziologieprofessorin in San Francisco und eine Vertreterin der im interpretativen Paradigma verhafteten Grounded Theory, hat dies letztes Jahr in einem Seminar sehr klar formuliert: Das Instrument sind wir, die Forschenden.
Dass dies viele Probleme mit sich bringt, viele Unklarheiten beinhaltet und die Unschärfen teils schwierig zu bemessen sind, liegt in der Natur der Sache. Ohne Erkenntnistheorie, viel Reflektion und letztlich Persönlichkeitsentwicklung funktioniert das nicht. Forschung die menschelt und menschelnde Forschung: Irritierend?
Das Projekt ‚Modes of Design’ ist finanziert vom FWF, dem österreichischen Wissenschaftsfonds, und angesiedelt an der TU Wien, Institut für Architektur und Entwerfen, Abteilung Gestaltungslehre unter der Leitung von András Pálffy. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projektes ist, gemeinsam mit der Autorin, Robert Temel. Abstract zum Projekt: https://www.fwf.ac.at/en/abstracts/abstract.asp?L=E&PROJ=P20362
]]>Unser Alltagsdenken reduziert Komplexität. Erst die Reduktion der unzähligen Reize mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, macht es überhaupt möglich durch den Tag zu kommen. Ein Denkbeispiel: Am Morgen in der U-Bahn zu fahren ruft Verhaltensweisen hervor, um mit dieser Ansammlung von Menschen, Stress und Umgebungsreizen umzugehen. Manche versinken in ihren Handys oder IPods, andere in Zeitungen oder Büchern und wieder andere starren ins Leere bzw. auf die gleichmäßig vor sich hin schwingenden Halterungen an der Decke der U-Bahn. An dem Ort treffen alle aufeinander: Unterschiedliche Herkunft und Geschlechter, Alters- und Berufsgruppen, alle sozialen Milieus und Prioritäten. Ablesbar an Kleidung, Körperhaltung, Verhalten, Haarschnitt, den Büchern oder Zeitschriften, die in der Hand gehalten wird oder die Art des Handys bzw. des Umgangs damit. Auf all das gleichzeitig zu achten, würde uns verrückt machen. Die Wahrnehmung dieser Eindrücke ist auf ein Minimum beschränkt, meist nur Ausreißer – besonders schöne oder hässliche oder auch absurde Dinge – fallen überhaupt auf oder bleiben im Gedächtnis. Wir haben gelernt – Stichwort Sozialisation – wie wir uns in Situationen verhalten sollen. Und damit das reibungslos funktioniert, haben wir gelernt all das auszublenden und als „normal” oder „natürlich” zu etikettieren. Handlungsfähig zu bleiben, heißt einen großen Teil der Ereignisse auszublenden und mit gelernten Verfahrensweisen zu agieren. Wir tun das immer und überall zu jedem Zeitpunkt des Tages. In den Öffis genauso, wie im Beruf oder der Ausbildung, beim Fernsehen und Lesen, wie auch in unseren sozialen Umfeldern. An sich ja nicht schlecht, sondern äußerst hilfreich. (Menschen die diese Fähigkeiten nicht haben bzw. nicht so aufgeprägt haben, fällt der Alltag wesentlich schwerer – siehe auch die Debatten rund um AD(H)S, eine Aufmerksamkeitsstörung bei der Menschen „normale”, „natürliche” Verarbeitung von Reizen auf unterschiedliche Art und Weise schwer fällt.)
Nur haben diese Reduktionen auch ihre Nachteile. Jeder von uns kennt das unangenehme Gefühl in eine Schublade gesteckt zu werden. Nichts anderes ist unser Alltagsdenken. Ein permanentes Auf- und Zumachen von Schubladen. Was geschieht wird – meist unbewusst – sortiert und eingeordnet. Vieles als nicht beachtenswert wahrgenommen. Einiges passt in unsere Alltagsschubladen. Dinge, die nicht eingeordnet werden können, irritieren. Diese werden dann kognitiv passend zurechtgeschnippelt, damit sie doch in eine Schublade passen. Wenn das nicht klappt, gibt es einige andere Strategien damit umzugehen: Etwas abzuwerten, lächerlich zu machen o.ä. entwertet und braucht dann auch nicht weiter behandelt zu werden. Manches Irritierende bringt zum Nachdenken. Anderes wieder regt uns auf und beschäftigt uns. Und nach wieder anderen Dingen suchen wir direkt, da sie bestätigen was wir uns denken. (Stichwort Selektive Wahrnehmung) Dieses Vorgehen nach Ein- und Ausschließungen, Be- und Abwertungen ist ein Aspekt dessen das uns handlungsfähig erhält. Wie wir über andere denken, welche Themen uns interessieren, welche Prioritäten wir haben, sind alles wichtige Anteile dessen, um uns unseren Alltag bewältigen zu lassen. (Woher das kommt: Stichwort Sozialisation) Es wird einfacher, klarer, wir schaffen uns Orientierung und haben unsere Ordnungssysteme mit denen wir zurechtkommen.
So hilfreich diese Schubladen und Schemata auch sind, werden sie doch dem tatsächlich Vorhandenen nie gerecht. Sie haben ein Eigenleben, werden nicht nur von jede/r einzelnen produziert sondern werden gesellschaftlich gebildet bzw. beeinflusst. Dieses Eigenleben übernimmt die Schaffung von Realität, die nicht nur individuell ist sondern menschenübergreifend, d.h. kollektiv, gültig wird. Nicht nur die Einordnung findet so statt, auch die Bewertung. Was gut ist bzw. was wir gut finden, ist genauso eine Schublade, wie das passende Verhalten in einer Situation.
Wir haben die Möglichkeiten uns auf quasi sichere Schiffe im Fluss des Alltags zu retten, die eine Art einprogrammierte Navigation haben. Zwischen diesen Schiffen wechseln wir hin und her. Diese Schiffe fahren teils in Flottenverbänden – so etwas wäre z.B. eine politische Partei – teils in kleineren Einheiten. Der Zugang zu den Schiffen ist nicht für alle offen, es gibt sowas wie Eintrittskarten, die in Familien, Schulen und an Arbeitsstellen verteilt werden. Wird ein Teil dieses Bildes gestört – werden Eintrittskarten in Frage gestellt oder Schiffe abgeschafft – wird das Gesamtbild gestört. Traditionelle Werte und Haltungen sind nichts anderes als bewährte Schiffe, ihre Flottenverbände und Verhältnisse zu bewahren: Die Bewahrung des Status Quo – Tradition und Konservierung – gehen da Hand in Hand. Denn das einzig Fixe in dem Ganzen, ist die Veränderung: Die Beweglichkeit des Wassers, dass Schiffe gewartet und erneuert werden müssen, dass jede/r neue TeilnehmerIn und jedes neue Ereignis das große Ganze ein kleines Stückweit verändert. Die Veränderung fordert Beweglichkeit und Neues, was wieder Neudefinitionen erfordert und das ist mühsame Arbeit. Ein Aufwand der kollektiv von allen Schiffhupfenden betrieben werden muss und deshalb meist lieber vermieden als betrieben wird. Den Status Quo zu erhalten, ist oft einfacher, weniger aufwendig und letztendlich sicherer. Die Schiffe und Verbände bleiben lieber am bewährten Kurs, mit klarer Formulierung und einem erreichbaren Ufer. Die sicheren Häfen müssen erhalten werden, um die ganze Schifffahrt zu gewährleisten.
Was das Bewährte und Klare bestätigt, wird von vielen positiv erlebt. Wir hören lieber, dass unsere Schiffe gut und fähig sind, als uns damit zu konfrontieren, dass sie morsch oder überholt sind. Lieber bleiben wir auf einem bewährten Tanker als uns auf noch nicht ganz ausgereifte Boote zu begeben. Nur so zu verfahren, wäre aber auch langweilig, oder? Deshalb gibt’s auch ein paar Schiffe, die die Berechtigung haben in unbekannte Terrains vorzudringen, neue Zusammenhänge aufzudecken und das Eingefahrene aufzupeppen. Solang diese Erkundungsschiffe dem Abenteuer und dem Fortschritt dienen – eigentlich ja ein Widerspruch Tradition und Fortschritt – und einer bekannten Route entsprechen, sind sie willkommen. Auch unsere Nachrichten brauchen Futter. Diese Erkundungsschiffe finden sich in Bereichen wie z.B. Journalismus und natürlich in der Wissenschaft. Aber auch dort nicht überall, sondern in Teilbereichen. Die Flotte fährt auf der sicheren Route. Manche Wissenschaften sind gesellschaftlich positiv besetzte Flottenverbände, liefern Neues, bringen Sensationen und haben den Ruf für unseren Alltag sinnvoll zu sein. Und sie bringen neue, vermeintlich sichere, Routen. Zumindest werden diese so dargestellt, oft stellen sie sich später als doch nicht gar so sicher heraus. Stichwort Atomenergie, Waldsterben oder ähnliches. Das Revidieren von Erkenntnissen gehört zum wissenschaftlichen Tagesgeschäft.
Was hat so eine Schifffahrtsmetapher in einem Blog über Sozialwissenschaften verloren? Manche Wissenschaften hinterfragen diese alltägliche Schifffahrt durch die Realität. Die Schiffe an sich, die sicheren Häfen, die Routen und Materialien werden hinterfragt. Und die Antworten sind nicht klar und eindeutig, sondern oft so vielfältig wie die handelnden Personen oder Gruppen. Das Grundsätzliche im sozialen Miteinander zu hinterfragen, produziert keine Sicherheiten sondern Unsicherheiten. Steht im Widerspruch zu den fixierten, erfahrenen Werten und ist daher auch weniger willkommen als eine z.B. technische Neuerung, die die herkömmliche Route aber nicht unbedingt in Frage stellt. Wenn die Sonne nicht um die Erde kreist, dann wirft das unsere Routen durcheinander, hinterfragt die Angemessenheit unserer Schiffe und bedroht den Bestand unserer Flottenverbände. Verständlich dass da manchmal lieber die Tatsache geleugnet wird und versucht wird die Veränderung aufzuhalten als den Fakten auf den Grund zu gehen?
Und was soll dann noch eine Wissenschaft, die von sich sagt nichts Absolutes liefern zu können, sondern das Relative betont. Sagt, dass alles von Situationen und Perspektiven abhängig ist und damit ohne Auseinandersetzung nicht einfach so greifbar wird. Eine Richtung, die Forschung macht, um gesellschaftliche Veränderungen zu benennen und zu beschleunigen, ist ein grundsätzlicher Stachel im Fleisch der Realitätsschifffahrt unseres Alltags. Der Stellenwert der Sozialwissenschaften erklärt sich daraus, aber nicht nur (was sonst wäre möglich als hier wieder das Relative zu betonen, der ganze Blog hier wird zu einem Plädoyer für Relationen, und Perspektiven. ;). Relativ gesehen sind die Sozialwissenschaften junge Booterln und haben keine Deutungshoheit über ihren Gegenstand. Mehr dazu was die Sozialwissenschaften eigentlich tun beim – hoffentlich – nächsten Mal.
P.S.: Der Text ist _keine_ Kritik an anderen Disziplinen und auch keinesfalls als Ablehnung oder Abwertung gemeint. Mir geht es rein darum aufzuzeigen was in Relation zu den medial oder gesellschaftlich als relevant angesehenen Wissenschaften die Sozial- (und auch Geistes)wissenschaften für eine Rolle spielen.
]]>