Am Samstag Nachmittag habe ich hier in Lille in einem Café gesessen, Pall Skulason’s “Meditations at the Edge of Askja” gelesen, durch die Häuser in den blauen Himmel geschaut und geträumt. –  Zum Sonnenuntergang bin ich dann durch die Stadt spaziert und habe in der quirligen Rue de Bethune ein Kinoticket für den Abend gekauft: Sean Penn’s Into the Wild. Das passte.


Seltsam, wie sich die Dinge manchmal fügen. Auf das Skulason Buch habe
ich seit Wochen gewartet, bis ich es vor ein in paar Tagen im
Briefkasten fand. Von Sean Penns Film habe ich erst am Donnerstag in der
Zeit
gelesen und gedacht, dass ich ihn unbedingt sehen muss. Gestern
nun Beides an einem Tag im Jänner.

Vielleicht erinnert sich der/die ein
oder Andere noch an mein Posting vom Rascheln im Walde. Da habe ich ein
wenig meine heimatliche Naturerfahrung reflektiert und meine
Verstörungen die mir zum Jahreswechsel auffielen beschrieben. Die
Unberührtheit, Reinheit, Kraft und auch Geborgenheit die mir meine
heimatliche Landschaft bei langen Spaziergängen zu schenken pflegt
stellte sich beim letzten Besuch nicht recht ein.

Ich liebe es
im Winter in den See zu hopsen, mir den kalten Wind um die Nase wehen
zu lassen und mich so einem Lenz’schen Gefühl von “ins All
hineinwühlen” zu ergeben. Wer mag das nicht.

Per Skulason hat
dazu ein wunderbares Essay geschrieben. Er steht am Lake Askja, nachdem
er gerade aus Paris zurückgekommen ist, und lässt sich von der Stärke
seiner isländischen Natur überwältigen.

I found myself in a
unique and independent world, the Askja-world, a clearly-delimited
whole that embraced everything and completely filled the mind, so that
one had the sense of having encountered all of reality, past, present
and future. Beyond the horizon lay an unknown eternity..

Das
ist es, was Chris in der Wildnis von Alaska in seinem Bus fand am Ende
seines Wegs into the Wild, Wirklichkeit. Die hat er ganz offensichtlich
gesucht und gebraucht, um sich selbst zu erkennen. An ihrer
Unbarmherzigkeit ist er letztlich zu Grunde gegangen.Skulasons Essay
und Penns Film könnten nicht besser zusammenpassen.

In unserer
alltäglichen Welt, der chaotischen, schnellen Welt der Einkaufstraße
der Rue de Bethune hier in Lille zum Beispiel, in unserem beinah
flüssigen Alltag zwischen commuting, shopping, jogging, jobbing sehen
wir kaum mehr den Himmel, die Natur verschwindet. Wir lassen die Natur
täglich verschwinden, indem wir die Grenzen zwischen dem von uns
Geschaffenem und der von uns unabhängigen, unbarmherzigen Welt mehr und
mehr diffundieren. Es scheint beinahe kein “da draussen”, keine Natur
mehr zu geben.

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Skulason schreibt “Perhaps human life has
become vacuous, because the relation of confidence between man and
nature has broken down.

Das ist alles andere als trivial,
schliesslich denken wir, weil wir uns darauf verlassen, dass es “da
draussen” Dinge gibt, denen es lohnt einen Namen zu geben, weil sie
morgen noch da sein werden. Und wir sprechen, indem wir die Dinge die
wir (wieder) erkennen mitteilen.
Nichts anderes hat Chris erlebt,
als er am Ende versucht sich seiner Lebendigkeit zu vergewissern indem
er manisch durch den Wald kriecht, jedem Ding einen Namen gebend. Die
Verwechslung eines Namens führt schließlich zu seinem Tod. Nach
Skulason kann man Into the Wild als große Parabel sehen.

Into
the Wild ist aber auch ein Film über die Liebe. Das Lenz’sche “sich ins
All wühlen” ist ja etwas worin man sich absolut allein fühlt.
Vielleicht das Urgefühl von Allein-sein überhaupt. Nur die Rückkehr zu
Freunden und Geliebten denen wir das Erlebte mitteilen können macht
unsere Erfahrungen am Edge of Askja, in den Bergen von Alaska, oder auf
einem Mecklenburgischen Feld überhaupt erträglich

Kommentare (1)

  1. #1 Bernd
    Januar 27, 2008

    Das “Namen geben” war laut der Genesis Adams erste Arbeit, durch die er das All-Eine aufgelöst hat und Wissen geschaffen hat. Und ist ´Wissenschaft eigentlich etwas anderes als das Namen Geben? Das trotzdem mögliche mystische Erlebens des All-Eins-Seins, das uns nicht nur in den Texten von Meister Eckehart oder bei Spinoza begegnet, sondern auch bei Naturwissenschaftlern von Russell bis Kröger, ist wohl auch eine Form des “Erzählens” der Erinnerung vom Menschen wie er/ sie wirklich in Bezug zur Natur (seiner/ihrer und der All-Natur) IST und wenn es von einem Wissenschaftler wie dir erzählt wird, gewinnt es nur noch mehr an Wert weil du uns zeigst, dass Wissenschaft ncht immer blind für das All-Eine macht sondern Einige auch sehender. Lieber Björn, wir lesen deine Texte regelmäßig und sind dir innig verbunden, bleib gesund und melde dich mal