Und wieder einmal zeigt sich das seltsame Technik(un)verständnis unserer lieben Politiker. Die neueste Absurdität: Innenminister Friedrich hat allen Ernstes die Abschaffung der Anonymität von Bloggern gefordert. Unabhängig von der Vereinbarkeit derartiger Praktiken mit unserem Demokratieverständnis (so etwas wäre immerhin als erster Schritt zur staatlichen Zensur zu werten) krankt die mögliche Umsetzung dieser Forderung schon allein an allerlei technischen Problemen, deren Offensichtlichkeit das mangelnde Technikverständnis unseres Innenministers aufzeigt und/oder seine Forderung als blanken Populismus entlarvt.
Die erste Frage betrifft die generelle Umsetzbarkeit einer derartigen Sache überhaupt. Man könnte es natürlich gesetzlich erzwingen – dann läge es an den Blog-Betreibern, die Klarnamen ihrer Blogger einzufordern. Würden sie das nicht tun, müssten sie von Deutschland aus gesperrt werden – ein Thema, mit dem die Politiker in den letzten Jahren leidvolle Erfahrungen gemacht haben und von dem sie sich glücklicherweise mittlerweile eher fernhalten. Wobei die gesetzliche Überwachung nicht nur auf Blog-Betreiber beschränkt wäre, schließlich kann jeder auf einem Server selbst ein eigenes Blog betreiben. Damit wären auch sämtliche Serverbetreiber im Netz angehalten, die auf ihren Rechnern laufenden Inhalte zu kontrollieren und eventuelle Blogbetreiber zu überwachen. Aber selbst damit ist nicht Schluss: ein Server und damit ein Blog können auch auf dem heimischen Rechner betrieben werden – hier läge dann die Aufgabe der Überwachung vermutlich beim Internetanbieter. Es würde am Ende praktisch darauf hinauslaufen, das gesamte Netz zu überwachen, ob denn irgendwo jemand ein Blog nicht unter seinem Klarnamen betreibt. Fast unmöglich, würde ich meinen.
Und selbst wenn es möglich wäre, sämtliche Blogs im Netz herauszufiltern und auf die Nutzung “realer” Namen zu prüfen, wäre damit noch lange nicht garantiert, dass hier auch die echten Namen der Blogger und nicht irgendwelche Pseudonyme vorliegen. Um das zu gewährleisten, müsste etwa über eine IP-Rückverfolgung der tatsächliche Betreiber eines Blogs ermittelt und sein Name mit dem im Blog verwendeten abgeglichen werden. Diese Möglichkeit endet aber spätestens dann, wenn nicht vom heimischen Anschluss, sondern von Gemeinschaftsanschlüssen aus gebloggt wird. Sicherlich, auch das könnte man regeln, indem bei der Nutzung eines solchen Anschlusses, etwa im Internetcafé, die Identifizierung des Nutzers etwa mit dem Personalausweis gefordert wird – aber da wäre man schon bei chinesischen Verhältnissen, und ich bezweifle, dass der Herr Friedrich das beabsichtigt hat (zumindest hoffe ich das).
Aber nehmen wir an, irgendjemand setzt das wirklich durch und wir hätten eine totale Überwachung in Deutschland – was wäre mit dem Ausland? Niemand kann ausländische Blogbetreiber, Serverbetreiber oder Internetanbieter zwingen, für Klarnamen in ihren angebotenen oder gehosteten Blogs zu sorgen, oder wie es Dieter Wiefelspütz von der SPD so schön ausdrückte: “Aber das internationale Netz entwickelt sich weltweit naturwüchsig und richtet sich nicht nach der Meinung des deutschen Innenministers oder anderer wohlgesinnter Zeitgenossen” (über das wohlgesinnt kann man hier allerdings streiten). Man müsste also auf ausländischen Servern liegende, deutsche, nicht unter Klarnamen veröffentliche Blogs – richtig: sperren. Da die Blogosphäre einen nicht unerheblichen Teil der Netzlandschaft ausmacht und davon auch sicher nicht wenige Blogs nicht unter dem Klarnamen betrieben werden, müsste also eine regelrechte Sperr-Infrastruktur aufgebaut werden – ich verweise hier nur noch einmal auf die chinesischen Verhältnisse (statt “China” kann auch jedes beliebige andere Land mit Internetzensur und -überwachung eingesetzt werden).
Und wenn man den Gedanken jetzt einfach mal weiterspinnt – was wäre mit den Kommentaren unter den Blogbeiträgen? Was wäre mit Forenbeiträgen? Was wäre mit all den im Moment noch größtenteils anonymen schriftlichen Auswürfen, die sich allerorts im Internet finden? Da hier ja auch potentiell radikale Inhalte stehen könnten und auch stehen, müssten die auch alle unter Klarnamen veröffentlicht werden, was eine weitere Ausdehnung der Überwachungs- und Sperraktionen nach sich ziehen würde. Am Ende würde man die totale Überwachung des gesamten Netzes benötigen, nur, um die Klarnamenpflicht durchzusetzen. Gut, die Vorratsdatenspeicherung wäre hier sicherlich eine “Hilfe” – ihre Verfassungswidrigkeit hat das Bundesverfassungsgericht aber ohnehin schon erklärt. Damit ist das auch kein Thema mehr.
Man sieht also: die platte Forderung nach “Klarnamen für Blogger” ist ziemlich weit von der Realität entfernt und zumindest mit Demokratieverständnis, wie es in Deutschland in der Bevölkerung herrscht und eigentlich auch in Artikel 5 im Grundgesetz festgehalten ist (“Eine Zensur findet nicht statt”!), nicht vereinbar. Gut, ich gebe zu, dass Absatz 2 hier einigen Spielraum zulässt: “Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre”. Aber ehrlich – mit dieser Aussage könnte man praktisch die Zensierung der gesamten Medienlandschaft begründen und das war sicherlich (hoffentlich) nicht im Sinne der Erfinder.
Mein Wunsch für die Zukunft wäre, dass sich Politiker, die derartige Aussagen absondern, vorher darüber Gedanken machen, was ihre Forderungen alles für Folgen hätten. Praktisch wäre natürlich auch eine Beschäftigung mit der Materie (in diesem Fall: der Netzstruktur), insbesondere der Technik dahinter – aber damit rechne ich bei deutschen Politikern schon gar nicht mehr; dass Sachverständnis in Deutschland ja nicht zu den Anforderungen an den Job eines Ministers gehört, ist ja keine Neuigkeit (wie sonst wäre zu erklären, dass ein und dieselbe Person erst den Wirtschaftsminister und dann den Verteidigungsminister geben kann).
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