Die 1970er Jahre waren in den USA geprägt von der Einstellung des Apollo Programms und der Entwicklung des Space Shuttles. Zu dieser Zeit war man noch sehr optimistisch, dass das Shuttle die Raumfahrt revolutionieren und viel billiger machen würde, insbesondere auch die bemannte Raumfahrt. Die Europäer wollten da nicht zurück bleiben und zumindest eine kleine Ausgabe des Space Shuttles entwickeln, es wurde bekannt als “Hermes”.

Am Anfang lief Hermes noch unter dem Namen “Systéme Ariane Véhicule Habitable” (Bemanntes Fahrzeug im Arianesystem). Dazu sollte dann noch eine kleine Ausgabe einer Raumstation im “Columbus Programm” kommen. Aus dem großen Druckmodul für die Astronauten wurde dann viel später das europäische Columbus Modul der ISS.

Es ist relativ schwer, an Quellen über die Anfänge des Projekts am Ende der 70er Jahre heran zu kommen, der größte Teil sind Sekundärquellen. Die beste Beschreibung findet man hier auf französisch (aber mit vielen Bildern). Hier wird (auf Englisch) von den Plänen von 1979 gesprochen (und in Bildern gezeigt), in denen der Raumgleiter noch ein Leichtgewicht von 10 Tonnen war. Eine der dort angegebenen Quellen ist ein Zeitschriftenartikel (und die französische Beschreibung oben). Darin wird eine Besatzung von 5 Personen angegeben oder wahlweise 2 Personen und 1,5 Tonnen Fracht. Gestartet werden sollte der Raumgleiter mit einer verbesserten Ariane Rakete. Eine erste Stufe ganz ähnlich der späteren Ariane 4, mit vier Viking Triebwerken und 210 Tonnen Treibstoff. (Die echte Ariane 4 hatte 220 Tonnen Treibstoff in der ersten Stufe.) Die zweite und dritte Stufe sollte durch eine große Stufe (H45) mit Wasserstoffantrieb und 45t Treibstoff ausgetauscht werden sollte. Wie hier zu sehen. (Ich kenne die Rechtesituation der Bilder nicht. Deswegen nur Links.) Für den Notfall gab es eine 2t schwere Feststoffrakete, die den gesamten Raumgleiter von der Rakete entfernt hätte.

Man möchte da Aufschreien und sagen: Hätten sie nur. Das Konzept war elegant. Die Rakete baute auf vorhandener Technik auf und das ganze System hätte sich durchaus mit den sowjetischen Soyuz Raumschiffen messen lassen können.

Aber wie man gut im Astronautix Artikel (mit vielen Bildern diverser Konzepte)  sehen und lesen kann, wuchs Hermes immer mehr, sollte immer mehr können und wurde von Konzept zu Konzept schwerer. 1984 wog er schon 15t statt 10t. Er sollte 4-6 Crewmitglieder transportieren können und 4,5t Nutzlast. Hermes wurde endgültig zu einem kleinen Shuttle. An sich war das keine ganz schlechte Idee. Anders als das “Original” wäre Hermes mit Sicherheit billiger geworden. Aber es stellte sich die Frage, wie zum Teufel kriegen wir den Hermes ins All? Es musste eine noch viel größere Rakete her, die einfache Ariane reichte nicht mehr.

Beim nächsten Konzept sollte die verbesserte Ariane Rakete schon mit 4 Boostern starten – wie man es schließlich auch bei der normalen Ariane 4 Rakete tat. Zusätzlich sollte die erste Stufe noch ein fünftes Viking Triebwerk erhalten um mehr Schub zu bekommen. Die zweite und dritte Stufe wurde auch hier wieder durch eine Wasserstoffbetrieben Stufe ausgetauscht, die aber nun 60t Treibstoff statt 45t Treibstoff haben sollte. Als Triebwerk dafür sollte ein “HM-60” entwickelt werden. Dieses Triebwerk sollte einen Schub von 80 Tonnen im Vakuum haben, mit dem Potential für bis zu 130 Tonnen. Diese konservative Variante mit niedrigem Schub wurde nie geflogen. Bekannt wurde das HM-60 später als Vulcain, das Haupttriebwerk der Ariane 5, das heute einen Schub von 130 Tonnen hat. (Und ich werde das HM-60 ab hier auch Vulcain nennen.)

Die neue Rakete sollte Ariane 5 heißen und basierte hier immernoch größtenteils auf der alten Technik. Nur das Vulcain war neu. Zur Auswahl standen aber auch noch zwei andere Konzepte.

Ein Konzept war, dass man für die “Ariane 5C” das Viking Triebwerk einfach überall durch das viel effizientere Vulcain ersetzt. Man hätte also vier Vulcain in der ersten Stufe und eines in der zweiten gehabt. Sehr elegant, aber politisch nicht tragfähig. Denn das Viking kam aus Frankreich und das Vulcain aus Deutschland. Die Franzosen hätten mit dem Projekt fast nichts mehr zu tun gehabt, außer dem Raumgleiter an sich. Ziel der Franzosen war es aber immer, selbst aktiv an den Raketen mit zu bauen um die Expertise dazu im Land zu erhalten.

Gewonnen hat deswegen ein politischer Kuhhandel, die Ariane 5P. Die sollte nun zwei Feststoffbooster (aus Frankreich) mit 170 Tonnen Treibstoff haben und eine zentrale Stufe mit einem einzigen Vulcain Triebwerk. In allen Fällen wäre als dritte Stufe entweder Hermes selbst geflogen, oder für höhere Orbits eine kleine dritte Stufe mit dem HM-7B Triebwerk  der Ariane 1-4 Raketen. Man musste nun also schon zwei völlig neue Triebwerke entwickeln und würde nicht mehr 9 Viking Triebwerke pro Flug brauchen, sondern ein Vulcain, zwei Booster und ein HM-7B. Ökonomisch ist das ein Disaster, denn derart kleine Stückzahlen bringen hohe Kosten mit sich. Die neue Rakete sollte beim Start 530 Tonnen wiegen und eine eine Nutzlast von 16 Tonnen haben um Hermes in den Orbit zu bringen. In den GTO hätte sie schätzungsweise 7 Tonnen gebracht und hätte damit immerhin noch tatsächlich die ideale Größe für Nachrichtensatelliten gehabt.

1984 war aber zwei Jahre vor der Explosion beim Start des Shuttles Challenger, 1986. Daraus lernte man, dass Hermes Schleudersitze haben sollte. (Denn die Feststoffraketen für die Rettung im Notfall waren zwischenzeitlich weggefallen.) Die verbrauchten aber einiges an Gewicht. Gleichzeitig wollte man aber die Fähigkeiten des Raumgleiters nicht zu sehr einschränken. Also wog Hermes am Ende 21 Tonnen und man brauchte eine noch größere Rakete um ihn zu starten. Aus den P170 Boostern wurden P240 Booster. Die zentrale Stufe wurde noch größer gebaut. Das Startgewicht stieg auf etwa 750 Tonnen  und so entstand die neue Ariane 5.

Übrigens gab es auch noch den Plan für eine britsiche Raumkapsel. Die hätte Platz für 4-6 Menschen gehabt und 7 Tonnen gewogen. Leicht genug für den Start mit der einfachen Ariane 4. Ihre Entwicklung wurde eingestellt, schließlich hatte man ja Hermes!

Die Ariane 5 wurde für Hermes geplant und auch genau dafür gebaut. Nur Hermes, den gab es nicht mehr. Er wurde nämlich nicht nur immer größer, sondern auch immer teurer. Als die Entwicklungskosten 1992 auf ca. 12 Milliarden DM geschätzt wurden, gab man das Projekt auf. Es war zwar immernoch billig im Vergleich zum Shuttle. Aber dessen exorbitante Preise sind auch kein guter Maßstab.

An der Stelle sollte man noch einmal tief durchatmen. Denn was haben wir jetzt?

Wir haben einen Raumgleiter der immer größer und teurer wurde und schließlich nicht mehr existierte. Die Rakete die für ihn entwickelt wurde, ist ein politischer Kompromiss. Und auch sie musste zusammen mit dem Raumgleiter immer größer und immer teurer geworden. Sie musste aber noch viel teurer als andere Raketen werden, weil sie als bemannte Trägerrakete auch viel sicherer sein sollte. Die einzigen Nutzlasten die der Ariane 5 am Ende aber noch blieben waren Satelliten, hauptsächlich kommerzielle Nachrichtensatelliten die im Transferorbit (GTO) abgesetzt werden sollten.

Wenn es einen Weg gibt, eine Rakete möglichst teuer zu machen, dann so. Für den kommerziellen Markt ist das ein Disaster. Die Details, warum es am Anfang sogar noch schlimmer gekommen ist und sich die Ariane 5 trotzdem noch bis heute halten konnte, stehen dann im nächsten Artikel.

Kommentare (28)

  1. #1 Christopher van der Meyden
    17. Juli 2015

    Erinnert ein wenig an den X38. Beziehungsweise anderherum, kam ja später. Mit kleinen Shutteln hat mans anscheinend nicht so in der Raumfahrt :D

    • #2 wasgeht
      17. Juli 2015

      In der Raumfahrt wird fast immer fast alles ständig größer. Sehr selten einmal nicht.

  2. #3 wasgeht
    17. Juli 2015

    Ich habe im 3. Absatz noch ein paar Informationen angefügt aus einem französischen Artikel den ich jetzt erst per Zufall gefunden habe, genauso wie den Hinweis auf die britische Raumkapsel gegen Ende hin.

    Der Französische Artikel hat mehrere Seiten und ist ERNSTHAFT gut. Selbst wer kein Französisch versteht, kann sich die vielen Bilder der Konzepte anschauen.

  3. #4 LasurCyan
    17. Juli 2015

    Spannend zusammengefasst, wasgeht.

    Eine winzige Kritik hätte ich noch..

    ..mit den russischen Soyuz Raumschiffen..

    Das waren seinerzeit noch Raumschiffe der ‘Sovietunion’.

    • #5 wasgeht
      17. Juli 2015

      Naja, da Hermes ohnehin erst in den 90er Jahren fliegen sollte, wären sie dann russisch gewesen. ;)

      (Und ja, ich werde mich bemühen, in Zukunft “sowjetisch” zu schreiben …)

  4. #6 dgbrt
    17. Juli 2015

    Die Ariane 5 ist heute eigentlich eine sehr erfolgreiche und zuverlässige Rakete. Mit Hermes haben insbesondere die Franzosen sehr viel Geld verbrannt. Es gibt da natürlich noch viel mehr Beispiele in Europa. Z.B. Phoenix/Hopper.

    Aber die USA kann Geld definitiv besser verbrennen (ohne das Militär, das geht dann noch in ganz andere Dimensionen). Bush kündigt ein Mond-Programm an und die NASA verbrennt Mrd. US-Dollar ohne dass es ein Ergebnis gibt. Obama hat dann gesagt: Jetzt ist vorbei mit der Verschwendung während die beteiligten sagen, dass mit mehr Geld (verbrennen – ist meine Meinung) es funktioniert hätte.

    Die Orion-Kapsel konnte selbst Obama nicht verhindern.

    Dann forcieren der Senat und der Kongress die Entwicklung einer Schwerlastrakete. Diese Rakete soll 2018 das erste mal unbemannt fliegen, bemannt dann nicht vor 2021 (mit einem bis jetzt nicht definierten Ziel).

    Europa kann trotz aller Probleme (Griechenland ist ja gerade ein Problembär) solche Mengen an Geld niemals verbrennen.

    Ich befürworte bemannte Raumfahrt, aber für einen Bruchteil des verbrannten Geldes hätten wir jetzt New Horizons 2 und 3 und 4 und viel mehr!

    • #7 wasgeht
      17. Juli 2015

      Klar das ganze Constellation Programm war indiskutabel und über die SLS kann ich auch nur noch den Kopf schütteln. Aber gerade beim Hermes hätte man sich einfach nur an den ursprünglichen Plänen orientieren und sie durchführen müssen. Wenn man etwas neues tut, dann sollte man es immer in der kleinstmöglichen Variante tun und Erfahrung sammeln. Denn dabei wird immer etwas schief gehen und man wird daraus lernen. Wenn man die Erfahrung hat, kann man es immernoch groß aufziehen und auf Leistung/Profit was-weiß-ich optimieren.

  5. #8 Alderamin
    17. Juli 2015

    @Frank

    Für wie realistisch/sinnvoll hälst Du die Pläne, den Dream Chaser auf die Ariane 5 zu setzen, wenigstens unbemannt? Davon war die Rede, nachdem Sierra Nevada bei COTS rausgeflogen war. Zu schade, eigentlich, dass sich nur die zwei Kapseln von Boeing und Space-X durchgesetzt haben.

    • #9 wasgeht
      17. Juli 2015

      Fand ich zu keinem Zeitpunkt sehr realistisch, schon wegen der Startkosten. (Je nach Umrechnungskurs schwankend. Meistens aber über $200mio.)

  6. #10 dgbrt
    17. Juli 2015

    @Alderamin und @wasgeht
    “Dream Chaser” übersetze ich heute mit “einem Traum hinterher jagen”, und ist wohl auch die gewollte Bedeutung. Richtige Übersetzungen sind oft sehr schwierig, erst Recht, wenn man bestimmte Zusammenhänge nicht kennt. Das möchte ich hier aber natürlich nicht unterstellen.

    Boeing hat natürlich großes Vertrauen seit dem Beginn des Raumfahrtzeitalters. SpaceX war sehr erfolgreich bis zu deren letztem Fehlstart. Aber das Problem werden die lösen.

    Der “Dream Chaser” kann nichts vergleichbares vorweisen außer einem fehlgeschlagenen Landerversuch vor knapp zwei Jahren. Anders als bei SpaceX weiß ich nicht wo aktuell das Projekt heute steht.

    • #11 wasgeht
      18. Juli 2015

      An sich sieht das Programm nicht schlecht aus. Die Landung lag an einem Fahrwerk, dass sie aus einem alten Flugzeug ausgebaut hatten und sollte nie in der echten Version benutzt werden.

      Aber es fehlt schlicht das Geld, ihn jetzt fertig zu entwickeln.

  7. #12 Wolfgang Stutz
    18. Juli 2015

    In einer Demokratie mit funktionierenden “Checks and Balances” wie den USA ist es schwierig bis unmöglich, ein Konzept für die Raumfahrt auch mal wirklich10 Jahre oder so durchzuziehen, im Zweifel setzt jede neue Administration neue Prioritäten. Natürlich wird dabei auch viel Geld verpulvert. So etwas wie das Mondflug-Programm konnte unter diesen Umständen nur deshalb durchgehalten werden, wiel man sich im kalten Krieg und einem ideologisch stark aufgeladenen Kampf um die Vorherrschaft in der Raumfahrt befand. Diktaturen haben es da entschieden einfacher.

    Übrigens haben die Konzepte für Shuttels auch in den USA klein angefangen, als Beispiel möchte ich nur das Projekt “Dyna-Soar” erwähnen. Der Gleiter war militärisch ausgerichtet und sollte nur einen Piloten befördern.

    Das Space-Shuttle krankte daran, das auch dieses Fahrzeug immer schwerer und aufwendiger wurde, wohl vor allem wegen der Ansprüche der Militärs. Wie sich die Bilder gleichen… Und Jesco von Puttkamer sagte in einem
    Interview mal, das Space-Shuttle sei bis zum Schluss ein Experimentalträger geblieben.

  8. #13 dgbrt
    18. Juli 2015

    Das Shuttle war, neben der Buran (die konnte sogar unbemannt landen), das Beste, was die Raumfahrindustrie bis heute produziert hat. 133 erfolgreiche Flüge sprechen für sich.

    Die beiden Katastrophen sind vor allem durch ein Versagen des Managements begründet. Die Challenger-Katastrophe ist nur passiert, weil man entgegen der Regeln bei Frost gestartet hat. Die Verantwortlichen hätten eigentlich wegen Totschlag verurteilt werden müssen. Zu der Columbia-Katastrophe gibt es dann eine so lange Vorgeschichte, da kann man dann wirklich nur noch entsetzt sein:
    STS-1: Kacheln gehen ab, für alle in der Welt zu sehen, aber ob die wichtige Unterseite noch heile ist, weiß man erst nach der Landung.
    STS-27: Bei dem zweiten Flug nach der Challenger-Katastrophe landet die Atlantis mit Beschädigungen am Hitzeschild, bei denen man hätte glauben können, dass das nicht mehr geht. Die Crew wusste das im Orbit, aber die Bodenkontrolle hat gesagt : Augen zu und durch.

    Das ist bei den nächsten ca. 80 Missionen dann auch glücklich verlaufen, bis im Januar 2003 dann die Columbia gestartet ist. Man wusste auch hier direkt nach dem Start, dass es Probleme mit dem Hitzeschild gibt, aber es wurde ignoriert. Auch die Entscheider gehören in den Knast!

  9. #14 INCO
    18. Juli 2015

    Und was war die Idee hinter der reinen LH2/LOX Unterstufe für die “Ariane 5C”?
    Die Treibstoffdichten hier doch so klein, dass man diese nicht in der Unterstufe einsetzt. Die Delta 4 ist ja auch nicht gerade Kosteneffizient.

    Warum soll das Vulcain ein deutsches Triebwerk sein?
    Es werden zwar wesentliche Teile in Deutschland gebaut, aber der Hauptauftragnehmer ist doch Snecma aus Frankreich.
    Die Franzosen haben auch andere Interessen an der Entwicklung von großen Feststoffraketen: Die aktuelle französische U-Boot gestützte Atomrakete M51 basiert stark auf den Ariane 5 Boostern.

    War das HM7-B tatsächlich von Anfang an als Oberstufentriebwerk geplant?
    Anfangs wurde ja das neu entwickelte Aestus Triebwerk geflogen, erst für die ECA Variante wurde dann mit der heißen Nadel als Übergangslösung die ESC-A Oberstufe mit dem HM7-B entwickelt.
    Aber wie es so schön heißt: Nichts bleibt länger als ein Provisorium…

    • #15 wasgeht
      18. Juli 2015

      Ja, das HM7-B war tatsächlich von anfang an vorgesehen, genauso wie die spätere Entwicklung des Triebwerks das heute Vinci heißt.

      https://www.capcomespace.net/dossiers/espace_europeen/ariane/ariane5/developpement_1979_92.htm

      Anders als bei der Delta IV hätte man bei der Ariane 5C nicht ein großes, sondern mehrere kleine Triebwerke verwendet. Die Stückkosten pro Vulcain Triebwerk wäre viel niedriger gewesen. Es macht aber einen großen Unterschied aus, ob man ein Triebwerk alle zwei Monate baut oder ein Triebwerk pro Woche. (Die 5C wäre kleiner gewesen damit öfter geflogen.)

      Man braucht für die 10fache Zahl Triebwerke nicht 10mal so viel Fabriken oder 10mal so viele Angestellte. Und schon wird die Sache pro Stück viel billiger.

  10. #16 Alderamin
    19. Juli 2015

    @dgbrt

    Man wusste auch hier direkt nach dem Start, dass es Probleme mit dem Hitzeschild gibt, aber es wurde ignoriert.

    Zustimmung bei Challenger, aber was hätten sie bei Columbia denn machen sollen? Es gab keine Möglichkeit, etwas zu reparieren (auch mit den später mitgeführten Reparaturkits hätte man keine große Beschädigung an einer Tragfläche instandsetzen können). Ein Rettungsshuttle hätte man in der verfügbaren Zeit nicht startfertig haben können (das war erst bei den späteren Flügen vorgesehen). Und die ISS war auf dem Orbit von STS-107 unerreichbar (den nachfolgenden Hubble-Instandsetzungsflug hätte man deswegen beinahe gestrichen, weil man sich gar nicht mehr auf eine andere als die ISS-Umlaufbahn getraute – klingt irgendwie nicht wie das bestmögliche Raumfahrzeug der Menschheit). Außerdem hat es immer schon kleine Schäden an den Kacheln gegeben, die hatten bis dahin nie Probleme gemacht. Man hatte wirklich nicht ernsthaft damit gerechnet, dass der Schaumstoff-Einschlag bei STS-107 eine ernste Beschädigung verursacht hatte, auch nicht die Techniker, die bei Challenger noch vor einem Start bei tiefen Temperaturen gewarnt hatten. Und mehr als die Crew informieren konnte man ohnehin nicht.

    Dass es zum Columbia-Unglück kam, war vor allem konstruktionsbedingt. Alle Raketen mit Kryotreibstoffen verlieren Eisstücke beim Start, beim Shuttle-Tank hielt die Schaumstoffisolation dem aerodynamischen Druck nicht schadlos stand. Beim Shuttle befand sich der Orbiter unterhalb und neben der Rakete, es war also konstruktionsbedingt nicht völlig vermeidbar, dass Bruchstücke des Tanks den Orbiter treffen konnten, zumal die Feststoff-Booster den Shuttle-Stack ordentlich durchschüttelten.

    Der Vorteil des SLS-Orion-Stacks ist, dass die Kapsel ganz oben sitzt und von nichts getroffen werden kann. Außerdem kann die Rettungsrakete stets eine “Flucht nach vorn” ausführen und an Fallschirmen kommt man dann immer heil herunter, sogar von der Startrampe. Das Shuttle war zwar elegant und schön anzusehen, seine Downmass-Capability einzigartig, aber vom Sicherheitsaspekt her äußerst bedenklich, von der Nutzlast her erbärmlich und vom Betrieb viel zu teuer.

    Mit der SLS (oder einer entsprechend starken Rakete, die SLS hätte es ohne Shuttle ja so nicht gegeben) hätte man die ISS mit 5-10 Starts in den Weltraum gehievt, statt mit 40, und vom gesparten Geld für den Shuttle-Betrieb hätte man längst auf den Mond zurückkehren können oder den Mars besuchen. Im Nachhinein war das Shuttle eine spektatkuläre Fehlentscheidung, aber nachher ist man halt immer schlauer, ich fand’ das Gerät ja auch früher faszinierend und die ollen stiftförmigen Raketen langweilig. Aber von Braun und Konsorten waren halt auch keine dummen Leute.

    • #17 wasgeht
      19. Juli 2015

      Ja. Besser wäre es gewesen, man hätte das Konzept wie mit dem Buran durchgezogen, mit der Energia Rakete und dem Buran als Nutzlast. Dann hätte man die 100t Rakete gratis dazu bekommen.

      Wobei “besser” immernoch kein gut ist. Die Kapseln waren alle zusammen sicherer, weil man sie mit dem “Escape tower” im Flug von der Rakete trennen konnte. Beim ersten Hermes Konzept wäre es auch noch so gewesen.

      Stattdessen gab man sich er Illusion hin, es würde schon nichts passieren. Wie beim Autofahren ohne Gurt.

  11. #18 dgbrt
    19. Juli 2015

    @Alderamin und @wasgeht
    In einem Bus oder Zug habe ich auch keinen Sicherheitsgurt. Und eine Rettungsrake gibt es da wohl auch nicht.

    Zu STS-107 (Columbia-Katastrophe):
    Man hätte natürlich das Raumschiff im Orbit untersuchen können, hat man ja später dann auch gemacht. Und natürlich hätte ein zweites Shuttle bereit sein müssen, auch das hat man dann später gemacht. Bei Skylab hat man das schon so gemacht und zu Skylab 3 wäre die Rettungsmission sogar fast gestartet.

    Beide Shuttle-Katastrophen hätte man vermeiden können.

  12. #19 Alderamin
    19. Juli 2015

    @dgbrt

    Ein Bus fliegt einem ja auch nicht bei jeder 100. oder 1000. Fahrt um die Ohren, was Raketen gemeinhin zu tun pflegen.

    Man hätte bei Columbia was machen können, wenn man das Problem als Gefahrenpotenzial der Shuttle-Flüge vorher identifiziert hätte. Hat man aber nicht. Auch nicht die Techniker. Hier sind’s mal nicht nur die Manager Schuld gewesen.

    Allenfalls die, die das Konzept mit dem Shuttle-Stack überhaupt beschlossen hatten; ursprünglich war mal ein Konzept mit einer wiederverwendbaren Trägerstufe wie bei Sänger geplant gewesen, aber das wäre dann viel zu teuer gekommen.

    Und nochmal: was ist das für ein Raumfahrzeug, das unbedingt einen sicheren Raumhafen ansteuern muss und ein zweites als Rettungsmöglichkeit auf der Startrampe benötigt, weil es sonst zu gefährlich ist?

    Man hatte ja alle möglichen Rückkehrmanöver eingeplant, bei denen z.T. der ganze Stack hätte umgedreht werden müssen, um vor dem Orbit wieder herunter zu kommen, das war zum Glück niemals nötig. Wie einfach ist da eine Kapsel herunter zu bringen. Insbesondere die Dragon 2 mit ihren eigenen Super-Draco-Triebwerken.

    @wasgeht

    Besser wäre es gewesen, man hätte das Konzept wie mit dem Buran durchgezogen, mit der Energia Rakete und dem Buran als Nutzlast.

    Beim Energia-Buran-Stack gingen aber die Haupttriebwerke verloren. Die waren beim Shuttle teuer, die wurden deshalb wiederverwendet. Sollte ja (eigentlich) billig werden, das ganze.

    • #20 wasgeht
      19. Juli 2015

      Ja. aber beim Shuttle hat man ja auch genau deswegen die Triebwerke so unglaublich komplex und aufwendig gebaut, weil man sie wiederverwenden wollte und glaubte, man könnte sich das erlauben. Nun, konnte man nicht – zumindest nicht ohne die Kosten und den Aufwand in der Wartung in die Stratosphäre zu jagen.

  13. #21 dgbrt
    19. Juli 2015

    @Alderamin
    Das Shuttle war kein Raumtransporter, der einem gleich um die Ohren fliegt. Man hat zwei mal Fehlschläge erlitten, weil man bekannte Probleme nicht ernst genommen hat. Mit etwas mehr konservativer Begutachtung wären sicherlich auch 135 erfolgreiche Missionen möglich gewesen. Und SLS bemannt wird ja wohl nicht vor 2021 stattfinden.

    Die Sojus fliegt bei bemannten Missionen sehr zuverlässig seit mehr als vierzig Jahren. Man sitzt da drin aber auch ähnlich wie in einem Goggo.

    Bei der Energia gab es dann durchaus Pläne, zumindest die Booster wieder heile landen zu lassen. Auch für die Saturn V gab es schon vergleichbare Ansätze.

    Aber hier geht es ja eigentlich um Europa, und die habe wirklich noch keinen hoch gekriegt.

  14. #22 Alderamin
    20. Juli 2015

    @dgbrt

    Das Shuttle war kein Raumtransporter, der einem gleich um die Ohren fliegt.

    Guck mal da:
    https://usatoday30.usatoday.com/tech/science/space/2011-02-13-nasa-underestimated-risk_N.htm

    1:10 bis 1:90 für Loss of Crew. Hmm.

    So was ähnliches stand schon in einem der Bücher von Richard Feynman, der im Untersuchungsausschuss des Challenger-Unglücks mitwirkte.

    • #23 wasgeht
      20. Juli 2015

      Es ist halt der Punkt. Man sollte immer einen Plan haben, der einen den Arsch rettet, wenn einige Dinge schief gehen, die nicht schief gehen sollten. Das einzige gänzlich unzuverlässige Fluchtsystem ist eines, das nicht eingebaut wurde.

      Das gleiche gilt übrigen auch Kernkraftwerke. In Fukushima Daiichi ist man nach dem gleichen Muster vorgegangen. Am Ende fehlten genau die Extrawürste die in Deutschland eingebaut wurden, um statt eines Unfalls mit weitreichender Kontamination eine triviale Lachnummer oder höchstens ein paar kaputte Reaktoren zu haben, die man dann irgendwann mal entsorgen muss.

      Von dem Zustand in dem sie gebaut wurden, und in dem sie sich auch noch 2011 befanden, war bekannt, dass eine Kernschmelze genau so endet. Modulo Wasserstoffexplosion, die Chancen dafür schätzte man mit grob 50:50 ein. Am Ende hatte man einmal nichts, eine Verpuffung und eine Explosion in dem Reaktorgebäude mit dem Reaktor – und eine in einem angeschlossenen Gebäude, wofür sich die Japaner dann selbst zu rechtfertigen haben.

  15. #24 dgbrt
    20. Juli 2015

    @Alderamin
    USAToday ist ja wohl nicht ernst gemeint, oder? Ich kann nicht einmal erkennen von wann der Artikel ist. OK, die URI legt nahe, dass es wohl 2011 gewesen ist.

    Ich sage, dass beim Shuttle viele fragwürdige (oder knastwürdige) Manager ein sonst sehr erfolgreiches Programm zerstört haben.

    @wasgeht
    In Fukushima ist die Ariane entwickelt worden?

    Und nichts desto trotz:
    Die Europäer habe bis heute keinen hoch gekriegt…
    Die Ariane 5 ist eigentlich man-rated (scheiße… ;) ) aber die gehört jetzt ja auch zum alten Eisen.

  16. #25 Alderamin
    20. Juli 2015

    @dgbrt

    USAToday ist ja wohl nicht ernst gemeint, oder?

    Selbstverständlich, der Artikel bezieht sich schließlich auf eine Untersuchung des Shuttle Program Safety and Mission Assurance Office der NASA selbst. Ich habe zwar nicht den kompletten Originalbericht finden können, aber die entscheidenden Ergebnisse der Untersuchung auf Folien aus der entsprechenden Quelle. Gleich die erste Folie zeigt die genannten Zahlen. Und ja, das ist von 2011. Gerade der herunterfallende Schaumstoff war der Haupt-Risikofaktor.

    Nach den auf der ersten Folie unten angegebenen Zahlen waren LOCVs sehr wahrscheinlich, kriminelle Manager hin oder her.

    Frühere Analysen kamen auf Werte zwischen 1:55 und 1:234 für LOCV (loss of crew & vehicle), zuletzt 1:89 (Seite 5 hier).

    Für die SLS ist LOC mit 1:550 geplant, für Orion 1:1400 beim Auftstieg und 1:650 beim Wiedereintritt (ganz unten, Safety).

    • #26 wasgeht
      20. Juli 2015

      (Ich habe keine Ahnung, warum das nicht durchgekommen ist. Wahrscheinlich war die Grenze so gemeint, dass man ab 3 Links in die Moderation kommt … sorry)

  17. #27 Alderamin
    20. Juli 2015

    @Frank

    Scheint so zu sein, wie Du sagst. Florian sagte auch, bei ihm gingen drei Links, und es gehen tatsächlich nur zwei.

  18. […] Alderamin bei Aufstieg und Fall der Europäischen Raumfahrt: Die Ariane 5 – Der Fiebertraum im Shuttle-Fiebe… […]