Bei der Energieversorgung von Deutschland wird oft eine dezentrale Stromversorgung gefordert. Fragt sich nur, was soll das sein? Deutschland hat heute eine weitgehend dezentrale Stormversorgung. Die meisten Kraftwerke sind ungefähr genau dort, wo die meisten Menschen leben und der meiste Strom verbraucht wird. Das kann man sich hier auf der Karte anschauen. Fast jede Region wird mit Strom aus der näheren Umgebung versorgt.

Wer wissen will, wie ein zentrales Netz aussieht, der kann sich das in Paraguay anschauen. Dort kommt 75% des Stroms vom Itaipu Staudamm (der außerdem auch 17% der Brasilianischen Stromversorgung stemmt). Der Staudamm eine ähnlich große Leistung, wie der Drei-Schluchten-Damm. (Nur, dass der Itaipu tatsächlich als Kraftwerk gebaut wurde und nicht als Hochwasserschutz mit möglichst großem Stauvolumen, wie der Drei-Schluchten-Damm. Er steht an einem ehemaligen Wasserfall, weswegen der Stausee relativ wenig Fläche einnimmt.) Der Strom wird vom Staudamm in den Rest des Landes verteilt. Dazu braucht man einige Stränge sehr leistungsfähiger Leitungen, die sich dann aufteilen wie die Adern in den Blättern eines Baumes.

So ein zentrales Stromnetz ist teurer als ein dezentrales Stromnetz, schon wegen der höheren Kapazitäten und längeren Strecken.

Das Stromnetz in Deutschland ist hingegen so gebaut, dass jede Region sich im allgemeinen selbst versorgt und die Verbindungen nur für den Ausgleich dienen und um Ausfälle kompensieren zu können. Dabei sind die Kraftwerke größtenteils unabhängig voneinander, wenn eines ausfällt, fällt deswegen nicht auch das nächste aus. Genau das ist eine dezentrale Stromversorgung.

Nun wird aber ständig eine dezentrale Stromversorgung für Deutschland gefordert und man sagt, dass man das Stromnetz ausbauen muss, um ein dezentrale Stromversorgung zu haben. Das ist mehr als merkwürdig. Denn eine echte dezentrale Stromversorgung braucht nicht mehr Leitungskapazitäten (wie in Paraguay), sondern weniger.

Es gibt hier also einen groß angelegten Etikettenschwindel. Aber worin besteht der?

Eine dezentrale Stromversorgung hat nicht nur eine räumliche Dimension, sondern auch eine zeitliche. Bei Kohle- oder Kernkraftwerken – und auch bei flexiblen Spitzenlastkraftwerken – reicht es aus, sich eine einfache Karte der Verteilung der Kraftwerke anzuschauen. Schon weiß man, ob man es mit einem zentralen oder dezentralen Netz zu tun hat.

Das reicht aber nicht mehr aus, wenn es großflächige Muster von zeitlichen Variationen gibt. Die gibt es bei der Windkraft. Die befindet sich im Norden von Deutschland und liefert bei guten Windverhältnissen mehr als doppelt so viel Strom wie der Itaipu und bei schlechten Windverhältnissen so gut wie nichts. Im Jahresschnitt mag es so aussehen, als sei diese Form der Stromversorgung dezentral. Schaut her, so-und-so viel Prozent der Stromversorgung sind hier in der Fläche verteilt. Aber es sind schon viele Menschen in Seen ertrunken, die durchschnittlich 1m tief sind.

Tatsächlich muss man sich die Verhältnisse fast schon von Stunde zu Stunde anschauen. Wenn der Wind nicht weht, dann müssen die Gegenden mit Windkraft von den vorhandenen Kraftwerken oder von außerhalb versorgt werden. Wenn er richtig gut weht, dann haben wir im Norden Deutschlands plötzlich den Itaipu, den Drei-Schluchten-Damm und noch ein paar Großkraftwerke mehr, deren Strom über das ganze Land verteilt werden muss.

Bei Photovoltaik sieht es nicht anders aus. Zum einen, weil das Wetter im Westen wegen der vielen Wolken und Niederschläge einfach schlecht ist. (Kommt in den Osten, hier ist das Wetter besser!) Photovoltaik findet man deswegen mehr im Süden und Osten. Aber selbst wenn sie gleichmäßig verteilt wäre, käme es immer wieder zu Ungleichgewichten in denen meistens der Strom aus dem Osten in den wolkenverhangenen Westen geleitet werden müsste. Dazu kommt noch, dass in unseren Breiten der Winter extrem dunkel ist. Es sind nicht nur die Tage halb so lang wie im Sommer, auch die Sonne steht viel flacher über dem Horizont. Im Winter wird deswegen fast kein Strom durch PV Anlagen erzeugt. Auch hier muss dann das Stromnetz einspringen, egal ob es nun am Winter, der Nacht oder den Wolken.

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Kommentare (10)

  1. #1 meregalli
    22. Juli 2015

    Interessant und fachlich sicher richtig.
    Nur die Ordografie tut weh.

    • #2 wasgeht
      22. Juli 2015

      Ja, sorry, tut weh. Richtig böse sogar. Aber wie man sieht, ich bin zumindest konsequent. ;)

  2. #3 chris
    22. Juli 2015

    Diese Problematik und das Missverständnis entstammt wohl aus der “Verbundnetzdebatte” aus den frühen neunzigern – nach der Wiedervereinigung.

    So weit ich mich erinnere, (und das nur, weil man wohl das Problem hatte, die Spannung und Frequenz stabil zu halten), mussten die Kraftwerke von West und Ostdeutschland verbunden werden. (und seitdem keine Digitaluhr mehr richtig funktionierte)(ausser die am Videorecorder, weil der ein spezielles Netzteil hatte – wegen der Gleichlaufschwankungen bei Spannungs- oder Frequenzschwankungen)

    Das “Dezantrale” ist dennoch eine intrinsiche Sehnsuchtshoffnung. Es gab damals ein Magazin (der Solarbrief) und der hat mich schon fasziniert – eben die Tatsache, Strom selbst erzeugen zu können. Über die weiteren intendierten Gründe sprech ich hier nicht.

    Der Strompreis war es aber nicht.

  3. #4 Turi
    22. Juli 2015

    Immer* wenn ich Artikel hier lese die die Energiewirtschaft behandeln lerne ich mir absolut neues. Danke dafür.

  4. #5 chris
    22. Juli 2015

    Dezentrale versorgung kann man auch so verstehen, wie jede Zelle unseres Körpers eine eigene Energieversorgung hat. Also jedes Haus seine eigene Stromerzeugung. Das es keinen Sinn macht in urbanen Zentren, spielt nur am rande eine Rolle – oder wenn die Rechnung dafür kommt.

  5. #6 Phil
    22. Juli 2015

    Ging es bei den neuen Stromtrassen nicht eher darum, besser ausgleichen zu können, damit nicht jedes mal halb Europa vom Netz fliegt, nur weil eine Hauptleitung abgerissen wird?
    Wenn man ein paar Masten (koordiniert) geschickt sprengt, dann kann man weite Teile von Europa tagelang vom Netz trennen.

  6. #7 dgbrt
    22. Juli 2015

    Mit dezentral ist eigentlich etwas Anderes gemeint: Nicht ein Kohlekraftwerk, welches eine Stadt versorgt ist gemeint; jeder selbst soll sich zumindest mit einem Teil seiner Grundlast selbst versorgen können.

    Wohnhäuser können da noch viel mehr machen, Häuserblocks auch. In den Zentren von Großstädten wird es dann natürlich schwieriger. Da braucht man schon eine gewisse Grundlasst, wo man anzapfen kann.

    In Paraguay mag sich der Aufwand ja lohnen, aber in Deutschland hat jede größere Fabrik ein eigenes Kraftwerk. Das ist dann auch dezentral.

  7. #8 rolak
    23. Juli 2015

    eigentlich etwas Anderes gemeint

    Falls das eine Beschwerde sein sollte, dgbrt: Genau das steht im Titel. Obwohl klar sein sollte, worum es geht, wird eben geetikettenschwindelt und versucht, den positiv besetzten Begriff umzudeuten und für eigene Zwecke zu benutzen.

  8. #9 PeterT
    23. Juli 2015

    Ob dezentrales Netz oder dezentrale Stromerzeugung, bei Vielen scheint das hauptsächlich eine politische Parole zu sein: “Energieerzeugung gehört in die Hände von Bürgern und Gemeinden”, tönt es. Vermutlich, weil Konzerne grundsätzlich irgendwie böse sind. Wie das physikalisch konkret funktionieren soll, ohne den Strom zu einem absokuten Luxusgut zu machen, konnte mir bisher keiner erklären. Zumal ja eine reale Autarkie, die nicht nur rechnerisch in einer Jahresbilanz steht, m.W. noch von keiner einzigen Gemeinde in D. je realisiert wurde. Selbst dieses Pilotprojekt auf einer friesischen Insel (Name entfallen) ohne weitere Industrie konnte sich nicht wirklich “dezentral” versorgen. Wo bei dem Ganzen dann noch der ökologische Benefit sein soll, ist auch ein Rätsel: viele kleine Anlagen sind nun mal nicht so effizient wie eine große.

  9. #10 der eine Andreas
    25. Juli 2015

    Dezentral (bezogen auf Häuser -> Stadtteile, Dörfer -> Städte) mag sich ja in den Ohren der Sonnen- und Windgläubigen super anhören (und macht sie von den Machenschaften der Energiemafia und den bösen Atomen und Kohlebröckchen) frei, ist aber – und das wird immer verheimlicht – entweder doppelt gemoppelt (weil für die dezentrale Energieversorgung für den Fall des Falles ja noch ein Ersatz vorgehalten werden muss) oder aber nicht versorgungssicher.

    Ich vermute mal gezielte Desinformation durch die Akku-Mafia :-)