Die Explosion in Tianjin diese Woche hat mich an eine der größten Unfälle mit Explosionen erinnert, die jemals passiert sind, die Halifax Explosion. Mit “Halifax” ist dabei nicht die Stadt in Schottland, Großbritannien gemeint, sondern Halifax in Neuschottland, Kanada.

Das Unglück geschah zur Zeit des ersten Weltkrieges, von dem Kanadisches Territorium ansonsten nicht betroffen war. Aber der Hafen von Halifax war Teil der Rüstungsindustrie, die große Lieferungen von Sprengstoffen erhielt. Und so kam es, dass am 6. Dezember 1917 ein Schiff mit etwa 4000 Tonnen TNT, Pikrinsäure , Nitrozellulose und vergleichsweise harmlosen Benzin in den Hafen einlaufen sollte. Es geriet nach eine leichten Kollision mit einem anderen Schiff in Brand und trieb anschließend auf den Hafen zu. Dazu sollte man sagen, dass sich Pikrinsäure nur dadurch von TNT unterscheidet, dass sie statt einer Methylgruppe eine COOH Gruppe besitzt – und in einer Explosion auch ein ganz ähnliches Temparament hat.

Was folgte war kein Hollywoodfilm, sondern eher eine griechische Tragödie. Die Besatzung konnte sich retten, aber es gelang nicht die Bevölkerung zu warnen. Die sah das brennende Schiff und war neugierig. Wegen der kalten Jahreszeit zogen es aber viele vor, es in geheizten Räumen hinter der Fensterscheibe anzuschauen.

Schließlich kam es zur Explosion, die eine Stärke von etwa 3 Kilotonnen TNT hatte. Einige Teile, wie die Bordkanone des Schiffs, wurden 5km entfernt gefunden. Ein Teil des Ankers wurde 3km weit geschleudert. Gebäude und Strukturen im Umkreis von etwa 800m wurden vollständig zerstört. Auf der Karte hier wurden alle Gebäude innerhalb der rot gestrichelten Grenze vollständig zerstört und in der durchgezogenen roten Grenze stark beschädigt. (Die passende Legende hat man hier eingescannt, aber die Auflösung ist viel schlechter.)

Die Bilanz war entsprechend verheerend. Es starben fast 2000 Menschen, tausende wurden schwer verletzt. Die zerbrochenen Glasscheiben verursachten schwere Schnittverletzungen und auch Augenverletztungen. Das ist durchaus typisch für solche Unfälle, nicht nur in Halifax, sondern beispielsweise auch bei der Explosion im Oppauer Stickstoffwerk oder nach der Druckwelle des Meteoriten von Chelyabinsk. Die Bewohner von Tianjin hatten sicherlich glück gehabt, dass die Explosion mitten in einem großen Hafengelände stattfand und auch kein rekordverdächtiges Ausmaß hatte. Die größte Explosion soll eine stärke von etwa 21t TNT gehabt haben.

Allerdings: Der Faustregel nach nimmt die Stärke der Druckwelle mit der 3. Wurzel der Entfernung ab. Die 150-fache Stärke geht also “nur” mit der etwa 5-fachen Reichweite der Druckwelle einher. Anstatt von knapp 800m ist der Radius der totalen Zerstörung also nur 150m. Egal wie stark eine Explosion ist. Wer das Pech hat, sich selbst in so einer Situation wieder zu finden, sollte sich von Fenstern möglichst fern halten.

Wer eine minutiöse Beschreibung des ganzen Ereignisses lesen will, der findet sie hier. Entstanden ist sie als Nebenprodukt der Recherche nach dem Ursprung eines Photos von der Explosion.

Kommentare (4)

  1. #1 Karl Mistelberger
    15. August 2015

    Ein schöner Artikel! Gibt es zum Thema auch Apps? Ich denke da an was Ähnliches wie z.B. Translational Velocities for Man and Window Glass

  2. #2 Braunschweiger
    15. August 2015

    Man sollte auch an folgendes erinnern: vielleicht ist es in Teilen nur eine Legende, aber es wurde behauptet, dass Studien socher Unfälle vor 1945 einbezogen wurden, um die wirkungsvollsten Einsatzmöglichkeiten der damals neuen Atombombe einschätzen und ausloten zu können. Insbesondere sollen die Auswirkungen von Detonationen über größeren Wassertiefen bzw. in Höhen über festem Grund zu der Überlegung geführt haben, auch Nuklearwaffen in gewissen Höhen über dem Boden zu zünden. Stichwort Reflektion der Druckwelle und Wirkungserhöhung.

  3. #3 dgbrt
    15. August 2015

    @Braunschweiger:
    Ich vermute mal, dass “einbezogen” wohle eher “eingezogen” heißen sollte.

    Natürlich hat man 1945 alle öffentlichen Wahrnehmungen bezüglich größeren Explosionen eliminiert. Die CIA hat da gewaltig Gehirnwäsche betrieben und alle weltweit existierenden Zeitungsartikel wurden vernichtet.

    Bei 9/11 hat das dann nicht mehr so richtig funktioniert.

  4. #4 der eine Andreas
    17. August 2015

    Empfehlenswertes Lesefutter zur Halifax Explosion:
    https://www.amazon.com/Town-That-Died-Nimbus-classics/dp/1551091267