Aus der unterhaltsamen Reihe “lasst uns Probleme lösen, indem wir ein noch größeres Problem schaffen”, kam vor zwei Wochen der Vorschlag, einen 20km großen Turm zu bauen, von dem man Raketen starten kann. (Wie das gehen soll, wird ein anderer Post beschreiben.)

In die Nachrichten kam der Vorschlag, weil sich die Firma Thoth Technologies ein entsprechendes Patent erteilen ließ. Beantragt wurde es schon im Jahr 2008, aber jetzt wurde es auch genehmigt. Wobei ich trotz der 20km Bauhöhe ernsthaft bezweifeln möchte, dass dieses Patent irgendeine Schöpfungshöhe in mehr als einem oberflächlichen juristischen Sinn erreicht hätte. Und selbst das würde ich bestreiten.

Denn es geht hier nicht etwa um die Konstruktion des Turms. Die Idee dafür entstammt einer Veröffentlichung, die derzuständige Mitarbeiter im Patentamt auch herausgekramt hat (und unverständlicherweise trotz dieser offensichtlichen “prior art” das Patent erteilte):
“Bolonkin, Alexander Optimal Inflatable Space Tower with 3-100kmn Height, JBIS, 2003, vol. 56, pp. 87-97.”

Was will man patentieren?

1. A space elevator tower for location on a planetary surface, the space elevator tower comprising: a pneumatically pressurized structure formed from flexible sheet material, said pneumatically pressurized structure divided into a plurality of segments along a length of the space elevator tower, each of said plurality of segments containing a plurality of cells defining a core, and a plurality of stabilization devices distributed along the length of the space elevator tower; wherein the plurality of cells are pressurized with a gas to support the pneumatically pressurized structure; and wherein said plurality of stabilization devices is configured to provide active stabilization of the space elevator tower using a harmonic control strategy.

Es geht also um den Bau eines Turms der Art, wie ihn Bolonkin vor 12 Jahren beschrieben hat.  Darin besteht nirgends eine neue Idee, auch nicht die “Pluralität an Stabilisierungsgeräten” oder der segmentierte Aufbau.

2. The space elevator tower as claimed in claim 1, wherein the space elevator tower includes a main pod at a top of the tower for accommodating personnel or equipment.

Nein, auch die Tatsache, dass man an der Spitze des Turms eine Kapsel für Personal und Gerätschaften anbringen könnte entbehrt jeder Grundlage dessen, wofür das Patentrecht einmal eingeführt wurde. Das ist offensichtlich.

3. The space elevator tower of claim 2, further comprising a payload launch system.

Hier will man patentieren lassen, dass man von der Spitz eines solchen Turms eine Rakete starten lassen kann (und jede andere Form von irgendwas das unter “payload launch” fällt). Gefolgt wird das von einer langen Aufzählung idiotischer Selbstverständlichkeiten. (Man könnte die aufblasbaren Teile mit Luft füllen! Oder mit Helium! Oder mit Wasserstoff! Oder mit Nichts! Weil ich so ein furchtbar cleverer Erfinder bin sage ich: Füllt sie mit reinem Stickstoff, statt mit Luft, dann gibt es weniger Probleme mit dem Sauerstoff!).  Die auch alle explizit von Bolonkin benannt wurden und sich ohnehin aus dem Ansatz der Konstruktion ergeben, die jeder selbst nachlesen kann.

Was man schützen will, hat man ganz gut im letzten Absatz zusammengefasst:

“Further, reference in this specification and the claims to `elevator` are intended to encompass suitable powered mechanisms or devices suitable for moving goods and/or people up and down the tower.”

Es geht nur darum, die Kombination aus einem derartigen Turm mit einem Aufzug für Güter und Passagieren zu patentrechtlich zu schützen. GRANDIOS! Wie wurde wohl der Sendemast des amerikanischen Senders KVLY gebaut und wie wird er gewartet? Richtig! Mit einem Aufzug der 3 Menschen und Material zur Spitze des Turms in über 600m Höhe bringt.

Mit anderen Worten, es geht um ein typisches Patent des 21. Jahrhunderts. Es ist keines jener seltenen Ausnahmefälle, in denen tatsächlich eine neue Idee patentiert wird. Glücklicherweise ist es unwahrscheinlich, dass jemand tatsächlich einen solchen Plan innerhalb der Laufzeit dieses Patents durchführen will.

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Kommentare (10)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    2. September 2015

    Sehr interessant Auf die Bauform (notwendiges Fundament, Windlast etc.) bin ich schon sehr gespannt.

    Hier drängt sich mir eher die Frage auf, wie denn das Startgerüst aussehen sollte. Hält man die Rakete dabei senkrecht wie am Boden? Da stelle ich mir den Schutz der Konstruktion als ziemlich schwierig vor. Oder lässt man sie fallen oder stößt sie ab wie Raketen von Trägerflugzeugen?

    Die Idee vom Start von einem Trägerflugzeug hattest Du ja ziemlich heftig verworfen. Jetzt siehst Du etliche Vorteile beim Start aus der Höhe. Worin siehst Du den großen Unterschied?
    – In der Höhe? Ok, 10 km sind schon weniger als 20,
    – In der möglichen Nutzlast?

    • #2 wasgeht
      2. September 2015

      Es ist eben alles eine Frage der Kosten. Mit einem Flugzeug größere Raketen in die Luft zu bringen, braucht Flugzeuge die es noch nicht gibt. Eben weil man sie sonst nicht wirklich braucht. Das war ja auch der Kritikpunkt, die Größe ist zu sehr beschränkt.

      Dazu kommt noch, dass eine Rakete leer auf den Turm gebracht und dort aufgetankt werden kann. Es muss also nicht alles mit einem Mal transportiert werden.

      *Wenn* man einen so großen Turm für überschaubare Beträge bauen kann (allerhöchstens ein paar Milliarden) und regelmäßig nutzt, dann könnte es sich lohnen. Hängt aber auch von den Betriebskosten ab, da man in 20km Höhe nicht atmen kann, könnten die recht hoch sein.

      Insgesamt halte ich es für unwahrscheinlich, dass es sich lohnt, aber im Prinzip für nicht unmöglich.

  2. #3 dgbrt
    2. September 2015

    Ich frage mich, warum Randall Munroe kein Patent für seinen Eine-Milliarden-Etagen-Wolkenkratzer angemeldet hat:
    Billion-Story Building (englisch)

    Das erste Problem ist das Gewicht, bei ca. 3km ist wohl das Ende der Fahnenstange heute erreicht. Die unteren Stockwerke können nicht mehr tragen. Darüber hinaus wird irgendwann der ganze Untergrund langsam nachgeben.
    Die vielen Fahrstühle kann man natürlich ignorieren, es soll ja nur die Spitze erreicht werden können.
    Wenn die Höhe dann aber den Jet-Stream erreicht wird Wind zum größten Problem.
    Aber den finanziellen Aspekt sollte man auch nicht unterschätzen. Ich würde mal vorsichtig von einer Verzehnfachung des Preises für jeden weiteren Kilometer nach oben ausgehen.

    Und, bei 20km Höhe muss so ein Ding mindestens 2km breit sein.

  3. #4 meregalli
    3. September 2015

    -Für eine Rakete wäre schon eine Höhe von etwas mehr als 5km recht nützlich.-
    Blöde Frage: Wieso baut man nicht eine “ordentliche” Zahnradbahn auf den Chimborasso, die kann dann auch touristisch genutzt werden und sich teilweise selbst finanzieren und baut da oben einen Bahnhof für Raketen?

    • #5 wasgeht
      3. September 2015

      Man ist in China gerade dabei einen Weltraumbahnhof an der Küste zu bauen, was endlich das Abstürzen von Raketentrümmern über bewohntem Gebiet beenden sollte.

      Das sollte die Frage beantworten.

  4. #6 jochen
    3. September 2015

    Ist Wind wirklich so ein großes Problem. Was spricht dagegen, eine Gitter Strukture wie bei Strommasten zu nehmen? Der Wind geht größten Teils einfach durch die Startrampe und hat kaum Angriffsfläche, um den zum Schwingen zu bringen.

  5. #8 raumstat
    14. September 2015

    Wäre es nicht sinnvoller, statt alles nach oben zu befördern, die Rakete im Inneren des Turmes durch Magnete zu beschleunigen und erst oben die Triebwerke zu zünden?

    • #9 wasgeht
      14. September 2015

      Wenn der Aufwand dafür gering wäre, wäre es sinnvoller. Aber das kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen.

      In jedem Fall hätte der Turm damit ein höheres Eigengewicht und wäre entsprechend kleiner. Denn der Linearmotor wiegt einiges, wenn er so viel Kraft aufbringen soll. Es dürfte deutlich mehr sein als bei einem Transrapid.

  6. #10 raumstat
    15. September 2015

    War gestern etwas abgelenkt. Hatte eigentlich das Rail-gun Prinzip im Sinn, aber dort ist anscheinend noch sehr viel Anstregung nötig um das in derartigen Dimensionen realisieren zu können. Da würde dann aber wohl auch ein 1 bis 2km-Turm reichen. Das schweift jetzt aber zu sehr vom Thema ab :)