Vom Patentrechtswahnwitz einmal abgesehen.

Was bringt das Ding?

Wenn wir einmal von den Fragen absehen, wie der Turm gebaut wird, wieviel er kostet und wie sicher die Konstruktion ist, ist so ein Turm tatsächlich nicht gänzlich unnütz. Abgesehen von der Möglichkeit, dass sich Menschen dort aufhalten und die Erde betrachten und Antennen installiert werden  können, kann man natürlich auch Raketen starten. Vorausgesetzt, dass der Turm ein entsprechendes Gewicht aushält.

Prinizpiell ist das kein Problem. Gebäude wie die Burj Khalifa tragen tausende Tonnen Gewicht und vor allem sich selbst. Der größte Teil der Masse eines solchen Gebäudes besteht aus Teilen die für die Struktur nicht notwendig sind. Anstatt dafür zu dienen eine noch höhere Konstruktion zu ermöglichen, dienen sie überflüssigen Dingen wie Wohnungen und Büros. Ok, das ist der Zweck der Konstruktion. Wenn die möglichst große Höhe der Zweck ist, dann kann man die Konstruktion ganz anders angehen. Wenn man nur Strukturelemente verbaut und auf die Belastungen durch die Wohnungen und Büros dazwischen verzichtet, dann zeigt ein fast 1km großes Gebäude wie der Burj Khalifa nur, dass ein vielfaches dessen möglich ist.

Für eine Rakete wäre schon eine Höhe von etwas mehr als 5km recht nützlich. Der Luftdruck ist dort nur noch halb so groß. Das hilft allein schon gegen einen großen Teil des Luftwiderstandes. Aber es kommt noch besser. Anstatt Düsen mit einem Expansionsverhältnis von 1:16 zu verwenden, könnte man ein Verhältnis von 1:32 benutzen. Aus dem gleichen Triebwerk kann man damit sowohl am “Boden” (also auf der Turmspitze) als auch weiter oben im Vakuum mehr Leistung heraus holen. Vor allem die Vakuumleistung ist wichtig. Dort wird nicht nur der meiste Treibstoff verbrannt, dort ist die Rakete auch am leichtesten.

Das Haupttriebwerk des Space Shuttles wurde zum Beispiel mit einem Verhältnis von 1:69 auf den Betrieb im Vakuum optimiert. Entsprechend hat es am Boden einen spezifischen Impuls von 363s und im Vakuum 453s. Beim halben Luftdruck käme es schon beim Start auf 408s. (Das heißt auch 10% mehr Schub, allein weil der Luftdruck niedriger ist!) Auf 20km Höhe könnte man problemlos Triebwerke nutzen, die normalerweise für Vakuumbetrieb optimiert sind. Bei etwa 9% des normalen Luftdrucks käme das Triebwerk des SpaceShuttle schon beim Start auf 445s. Der Unterschied zum Vakuum ist dann fast vernachlässigbar. Zusätzlich verschwinden auch noch 91% des Luftwiderstands, den man normalerweise durch zusätzlichen Schub überwinden muss.

Man dürfte wohl aus 20km Höhe über 1km/s delta V durch den fehlenden Luftwiderstand beim Start einsparen können, zusätzlich zu dem Vorteil des höheren spezifischen Impuls. Wieviel das dann insgesamt bedeutet hängt ganz von der Art der Rakete ab.

Exemplarisch einmal die Falcon 9 als Beispiel, weil ich deren Technische Daten ganz gut kenne: Die erste Stufe hätte nun einen spezifischen Impuls von 340s statt 300s. Der Treibstoff der ersten Stufe macht 4/5 des Gesamtgewichts (inklusive 2. Stufe) aus. Die Stufe erreicht damit eine um 650m/s höhere Endgeschwindigkeit, zusätzlich zu den geringeren Verlusten. Die zweite Stufe muss dann etwa 1,6km/s weniger Geschwindigkeit bringen.

Die zweite Stufe besteht zur Zeit bei GTO Missionen zu 90% aus Treibstoff, bei einem spezifischen Impuls von 340s, was einen delta-V von 7,7km/s bringt. Wenn sie jetzt nur noch 6,1km/s bringen müsste, dann bräuchte sie nur noch zu 83,5% aus Treibstoff bestehen. Im Normalfall wiegt die ausgebrannte Stufe mit kleiner Treibstoffreserve am Ende der Mission noch 5t und hat eine Nutzlast von 5t. Jetzt könnte sie eine Nutzlast von über 12t in den gleichen Orbit bringen.

Die genauen Zahlen hängen nun von Einzelheiten ab, aber eine Verdoppelung der Nutzlast ist eine ganz gute Abschätzung. Das entspräche auch ungefähr einer Halbierung der Kosten für die Rakete. Fragt sich nur noch, wie teuer dann der Start wird. Denn die Startgebühren müssen den Bau des Turms refinanzieren.

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Kommentare (10)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    2. September 2015

    Sehr interessant Auf die Bauform (notwendiges Fundament, Windlast etc.) bin ich schon sehr gespannt.

    Hier drängt sich mir eher die Frage auf, wie denn das Startgerüst aussehen sollte. Hält man die Rakete dabei senkrecht wie am Boden? Da stelle ich mir den Schutz der Konstruktion als ziemlich schwierig vor. Oder lässt man sie fallen oder stößt sie ab wie Raketen von Trägerflugzeugen?

    Die Idee vom Start von einem Trägerflugzeug hattest Du ja ziemlich heftig verworfen. Jetzt siehst Du etliche Vorteile beim Start aus der Höhe. Worin siehst Du den großen Unterschied?
    – In der Höhe? Ok, 10 km sind schon weniger als 20,
    – In der möglichen Nutzlast?

    • #2 wasgeht
      2. September 2015

      Es ist eben alles eine Frage der Kosten. Mit einem Flugzeug größere Raketen in die Luft zu bringen, braucht Flugzeuge die es noch nicht gibt. Eben weil man sie sonst nicht wirklich braucht. Das war ja auch der Kritikpunkt, die Größe ist zu sehr beschränkt.

      Dazu kommt noch, dass eine Rakete leer auf den Turm gebracht und dort aufgetankt werden kann. Es muss also nicht alles mit einem Mal transportiert werden.

      *Wenn* man einen so großen Turm für überschaubare Beträge bauen kann (allerhöchstens ein paar Milliarden) und regelmäßig nutzt, dann könnte es sich lohnen. Hängt aber auch von den Betriebskosten ab, da man in 20km Höhe nicht atmen kann, könnten die recht hoch sein.

      Insgesamt halte ich es für unwahrscheinlich, dass es sich lohnt, aber im Prinzip für nicht unmöglich.

  2. #3 dgbrt
    2. September 2015

    Ich frage mich, warum Randall Munroe kein Patent für seinen Eine-Milliarden-Etagen-Wolkenkratzer angemeldet hat:
    Billion-Story Building (englisch)

    Das erste Problem ist das Gewicht, bei ca. 3km ist wohl das Ende der Fahnenstange heute erreicht. Die unteren Stockwerke können nicht mehr tragen. Darüber hinaus wird irgendwann der ganze Untergrund langsam nachgeben.
    Die vielen Fahrstühle kann man natürlich ignorieren, es soll ja nur die Spitze erreicht werden können.
    Wenn die Höhe dann aber den Jet-Stream erreicht wird Wind zum größten Problem.
    Aber den finanziellen Aspekt sollte man auch nicht unterschätzen. Ich würde mal vorsichtig von einer Verzehnfachung des Preises für jeden weiteren Kilometer nach oben ausgehen.

    Und, bei 20km Höhe muss so ein Ding mindestens 2km breit sein.

  3. #4 meregalli
    3. September 2015

    -Für eine Rakete wäre schon eine Höhe von etwas mehr als 5km recht nützlich.-
    Blöde Frage: Wieso baut man nicht eine “ordentliche” Zahnradbahn auf den Chimborasso, die kann dann auch touristisch genutzt werden und sich teilweise selbst finanzieren und baut da oben einen Bahnhof für Raketen?

    • #5 wasgeht
      3. September 2015

      Man ist in China gerade dabei einen Weltraumbahnhof an der Küste zu bauen, was endlich das Abstürzen von Raketentrümmern über bewohntem Gebiet beenden sollte.

      Das sollte die Frage beantworten.

  4. #6 jochen
    3. September 2015

    Ist Wind wirklich so ein großes Problem. Was spricht dagegen, eine Gitter Strukture wie bei Strommasten zu nehmen? Der Wind geht größten Teils einfach durch die Startrampe und hat kaum Angriffsfläche, um den zum Schwingen zu bringen.

  5. #8 raumstat
    14. September 2015

    Wäre es nicht sinnvoller, statt alles nach oben zu befördern, die Rakete im Inneren des Turmes durch Magnete zu beschleunigen und erst oben die Triebwerke zu zünden?

    • #9 wasgeht
      14. September 2015

      Wenn der Aufwand dafür gering wäre, wäre es sinnvoller. Aber das kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen.

      In jedem Fall hätte der Turm damit ein höheres Eigengewicht und wäre entsprechend kleiner. Denn der Linearmotor wiegt einiges, wenn er so viel Kraft aufbringen soll. Es dürfte deutlich mehr sein als bei einem Transrapid.

  6. #10 raumstat
    15. September 2015

    War gestern etwas abgelenkt. Hatte eigentlich das Rail-gun Prinzip im Sinn, aber dort ist anscheinend noch sehr viel Anstregung nötig um das in derartigen Dimensionen realisieren zu können. Da würde dann aber wohl auch ein 1 bis 2km-Turm reichen. Das schweift jetzt aber zu sehr vom Thema ab :)