Im 19. Jahrhundert kamen  die ersten selbstspielenden Klaviere auf, die Player Pianos. Letztendlich waren es nur soetwas wie selbstlaufende Glockenspiele in handlicherem Format. Sie erinnern an den Jaquard-Webstuhl, der schon im 18. Jahrhundert mit Lochstreifen auf verschiedene Webmuster programmiert werden konnte.

Allen gemeinsam ist eine Einschränkung des Mediums. Sie sind in allem an mechanische Teile gebunden. Egal ob es um die Tonerzeugung geht oder das Abspielen der Musik. Wenn man ein Klavier mit einer selbstspielenden Apperatur versieht, dann wird man über Klaviermusik kaum hinaus kommen. Jedes neue Instrument braucht eine neue Konstruktion. Dazu kommt die Frage der Programmierung.

Die Musik musste auf einer großen Walze oder Lochstreifen aufgebracht werden. Jede gespielte Note und auch jede nicht gespielte Note brauchte zumindest einige Millimeter Platz. Die modernen Ideen von Schleifen, konditionaler Ausführung und manipulierbarem Arbeitsspeicher waren noch weitgehend unbekannt, so dass man tatsächlich auf eine lineare Kette von Anweisungen angewiesen war. Dem Umfang und der Komplexität der Musik waren damit gewisse Grenzen gesetzt, schon weil jede Note physisch eingefügt werden musste.

Das änderte sich mit der Einführung der modernen Computertechnik. Anstatt mechanischer Konstruktionen konnte man digitalen Speicher benutzen, der nicht nur viel kompakter ist, sondern sich auch viel einfacher manipulieren lässt. Verewigt wurde das schließlich im Music Instrument Digital Interface. Damit kann man Musikinstrumente über eine passende elektronische Schnittstelle ansteuern, man kann aber auch einfach einen analogen oder digitalen Synthesizer ansteuern. Wenn der Synthesizer ein Klavier emuliert, dann klingt das beispielsweise so:

Reizvoll ist daran vor allem, dass man nicht mehr darauf angewiesen ist, dass die Musik von einem mensch gespielt werden kann. Selbst in dem Stück oben gibt es ein paar Stellen, bei denen ich beim Versuch das zu spielen an gewisse physiologische Beschränkungen der menschlichen Hand verweisen würde (oder mir fehlt als nicht-Klavierspieler einfach die nötige Vorstellungskraft).

Sobald jemand anfängt Musik mit einem Computer zu spielen, sind solche Beschränkungen egal und man kann auch 8000 Noten in zwei Minuten und 23 Sekunden spielen:

Wenn man sich aber die Youtubeseite anschaut, auf der das veröffentlicht wurde, dann steht da im ersten Kommentar  schon: “Ahh Yes, The slightly more possible version of this song.” Und das gibt den Hinweis auf das, was ich in der Überschrift angedeutet habe.

Es gibt überhaupt keinen Grund, weshalb man nicht noch sehr viel mehr Noten in einem Musikstück unterbringen könnte. Die Abwesenheit eines Grundes etwas nicht zu tun, ist für einen gewissen Menschenschlag aber praktisch eine Aufforderung, es zu tun. Die Leute die es tun, nennen es Black Midi. Denn wenn man ein solches Musikstück dann auf einem normalen Notenblatt abdrucken würde, sähe es praktisch vollständig schwarz aus.

Die Black Midi Version des gleichen Stücks hat 3,1 Millionen Noten in zwei Minuten und 42 Sekunden. Das kann man hier anschauen und -hören.

Das “anschauen” steht dort nicht umsonst. Denn die meisten Noten die dort in dem Midi verewigt sind und angezeigt werden, sind nicht hörbar. Man kann im Midistandard auch bestimmen, wie laut eine Note sein soll und wie schnell der Ton eines Instruments ansteigen und abfallen soll. Das macht es problemlos möglich, einige Noten unhörbar verschwinden zu lassen, wenn dadurch das Bild besser aussieht.

Wie man sich leicht vorstellen kann, entwickelte sich die Zahl der Noten in einem Stück recht bald zu einem Wettbewerb. (Oder ein sch** Vergleich.) Nicht immer besinnt man sich dabei darauf, die Noten wirklich unhörbar zu machen, und so klingen einige Stücke auch tatsächlich genau so, wie man sich ein Stück mit 110 Millionen Noten eben vorstellt:

Ein Aspekt des ganzen geht natürlich auch auf das alte Spiel “wer hat den schnelleren PC” zurück, denn das Abspielen solcher Stücke ist doch eine größere Herausforderung. Die Videos werden nicht live aufgenommen, sondern teilweise mit weniger als einem Frame pro Sekunde berechnet.

Natürlich gibt es auch noch abseits der üblichen und notwendigen Entgleisungen einiges zu sehen. Wenn man den visuellen Aspekt auf die Spitze treiben will, dann sieht das so aus:

Ich gebe zu, es ist nicht übermäßig herausfordernd eine Reihe unhörbarer Instrumente als Matrix für die Anzeige eines Videos zu benutzen. Es gibt aber auch Stücke, denen man den künsterischen Anspruch wirklich nicht absprechen kann.

Und dann gibt es noch jene Japaner, die soetwas einfach trotzdem auf dem Klavier spielen:

Und da merkt man, dass das größte Problem der reinen Computermusik in vielen Fällen die schlechte Umsetzung des reichen Klangs physischer Instrumente ist. Aber das dürfte zu den Problemen gehören, die irgendwann nicht einfach nur gelöst sind. Ich bin mir sicher, dass man auc heute schon mit einer aufwändigen Simulation eines echten Klaviers einen ganz vergleichbaren rein synthetischen Klang erzeugen kann. Wirklich interessant wird es, wenn solche digitalen Instrumente für alle frei zugänglich sind und man anfängt, ihre Eigenschaften von Hand an ästhetische Bedürftnisse anzupassen.

Wenn man später einmal auf unsere Zeit zurück blickt, wird man auf irgendwelchen Datenträgern solche und ähnliche Artefakte finden. Man wird es anschauen, mit dem Kopf schütteln und sagen, dass wir in einer wilden, primitiven Zeit lebten – wenn auch einer unheimlich faszinierenden und interessanten.

Kommentare (28)

  1. #1 LasurCyan
    2. Oktober 2015

    dass das größte Problem der reinen Computermusik in vielen Fällen die schlechte Umsetzung des reichen Klangs physischer Instrumente ist

    Den Satz verstehe ich beim besten Willen nicht. Glaubst Du tatsächlich, dass ein virtueller Synth weniger ‘reich’ an Klang ist, als irgendwas physisches Klingendes?

    • #2 wasgeht
      2. Oktober 2015

      Ich meine damit die üblicherweise im 08/15 Fall verwendeten. Hör dir einfach die letzten beiden Videos an – der Unterschied ist ziemlich groß.

  2. #3 Philipp
    2. Oktober 2015

    Hm. Es müsste doch möglich sein, mit einer Art Wavelet-Transformation ein beliebiges Audiosignal näherungsweise in “MIDI” umzuwandeln.

  3. #4 LasurCyan
    2. Oktober 2015

    der Unterschied ist ziemlich groß

    Klar, sind sogar verschiedene Stücke, wasgeht. Der Unterschied ist aber gewollt und nicht technisch erzwungen. Mit gutem Willen (ob es Sinn ergäbe, sei dahingestellt) und 08/15 Equipment (meinetwegen die internen SoftwareInstrumente von LogicAudio) ginge der Unterschied gegen Null.

  4. #5 BreitSide
    Beim Deich
    2. Oktober 2015

    Das erinnert mich an die Diskussion um die Röhrenverstärker, die ja inzwischen anscheinend so gut durch Digitale simuliert werden, dass selbst Experten keinen Unterschied mehr hören?

  5. #6 jmichael89
    2. Oktober 2015

    Das Problem an den meisten MIDIs ist schlicht und einfach, dass sie nicht besonders gut klingen. Für Kunststücke höre ich mir dann lieber ein paar der schwierigeren Stücke von Arcadi Volodos oder Hamelin an…wobei der auch ein tatsächlich ziemlich gutes MIDI-Stück komponiert hat, genau so unmöglich zu spielen, macht aber unendlich Spaß zuzuhören: https://www.youtube.com/watch?v=6utk2nFjpXA

  6. #7 Turi
    2. Oktober 2015

    LasurCyan: Das hat doch wasgeht selbst geschrieben. (lies einfach die nächsten Sätze im Artikel). Der Aufwand ist halt nur sehr hoch, wenn man das volle Klangvolumen eines Klaviere wiedergeben will. In einem Klavier hat man nicht nur die eine Frequenz der schwingenden Saite. Sondern auch noch die anderen Saiten und das Gehäuse, welches den Klang beeinflusst. Das lässt sich natürlich trotzdem auch auf dem Computer wiedergeben, ist aber deutlich aufwendiger als einfach zu sagen: Spiele Frequenz 41,4 kHz.

    • #8 BreitSide
      Beim Deich
      2. Oktober 2015

      @Turi: Wie hört sich 41,4 kHz denn so an? Rein interessehalber… :-)

  7. #9 rolak
    2. Oktober 2015

    hat doch wasgeht selbst geschrieben

    Also nee, Turi, das dortige “auc[h] heute schon mit einer aufwändigen Simulation eines echten Klaviers” ist weit entfernt von LasurCyans “08/15 Equipment (meinetwegen die internen SoftwareInstrumente von LogicAudio)”.

    Mindestens so weit entfernt wie Dein “Spiele Frequenz 41,4 kHz” von midi.

  8. #10 LasurCyan
    2. Oktober 2015

    In einem Klavier hat man nicht nur die eine Frequenz der schwingenden Saite

    Na sowas aber auch, Turi. Deshalb kombiniert man auch gern das schnöde MultiLayerSampling mit so neumodischem Zeuchs wie physical modeling. Aufwändig ist das schon, aber nichts exotisches.

    • #11 wasgeht
      2. Oktober 2015

      Es ist exotisch genug um nicht in den 08/15 Programmen vorzukommen, mit denen diese Musik gemacht wurde.

  9. #12 LasurCyan
    2. Oktober 2015

    Es ist exotisch genug um nicht in den 08/15 Programmen vorzukommen

    Nein. Weniger als 100 Dollar für zB. dieses PlugIn sind nicht exotisch. Das muss man nur wollen.

    • #13 wasgeht
      2. Oktober 2015

      Deswegen ja die Formulierung “exotisch genug” … Programme in dem Preisbereich sind nicht 08/15.

    • #14 rolak
      3. Oktober 2015

      Programme in dem Preisbereich sind nicht 08/15

      Na dann erst mal herzlichen Glückwunsch zur goldenen GummiFormulierung des Jahres – wenn denn Tools auf dem Preisniveau einer Konzertkarte oder eines Computerspieles angesichts, sagen wir mal eines Einsteigerpaketes cubase von 500+€ tatsächlich nicht 08/15 sind, was denn dann? 12,95€? free? shipped with OS?
      Oder läuft es hinaus auf den Kracher ‘Alles was das leistet, ist nach meiner Definition nicht 08/15″?

      • #15 wasgeht
        3. Oktober 2015

        Das Programm mit dem die Videos gemacht wurden, kostet um die 30 Euro.
        https://www.synthesiagame.com/

        Ich denke, es ist einfach eine Frage der Zeit, bis die besseren Instrumentenmodelle auch in Programme in dem Preisbereich kommen.

  10. #16 Withold Ch.
    2. Oktober 2015

    Alles techno, oder?

    Aber interessanter Blick in die Köpfe digitaler Tastenlöwen …

  11. #17 Alderamin
    2. Oktober 2015

    Schöner Artikel.

    Das ist anscheinend das gleiche Prinzip, das bei Garage Band (auf MacOS und iPads unter iOS verfügbar). Ich hatte mal angefangen, das Stück “Popcorn” von Hot Butter (na, wer kennt’s noch?) auf dem iPad einzutippen, bin aber nie fertig geworden, war mir zu mühsam, und ich kann ja eh keine Noten lesen. Für die Profis gibt es Logic Pro X, da kann man richtig tolle Musik mit machen. Ein Ex-Kollege von mir programmiert daran bei Apple in Hamburg und macht selbst auch Musik damit. Schönes Hobby, wer’s beherrscht.

  12. #18 Alderamin
    2. Oktober 2015

    Einen hab’ ich noch: Normale Musik mit dem Computer machen ist toll, aber umgekehrt ist’s nicht minder beeindruckend. ;-)

  13. #19 Alderamin
    2. Oktober 2015

    Der erste Link in #14 sollte dorthin führen:

  14. #20 dgbrt
    2. Oktober 2015

    Kann sich noch jemand an die 1990er Jahre erinnern, als jede Web-Seite mit grauenhaften MIDI-Tönen unterlegt war? Ob schon Sound-Karte oder nur PC-Lautsprecher, das war einfach nur grausam.

    Heute geht natürlich viel mehr, wer aber einen Flügel durch einen Computer ersetzen möchte, der sollte dann auch einmal die Preise zwischen der richtigen Hardware und den heutigen Programmen vergleichen.

  15. #21 LasurCyan
    3. Oktober 2015

    Kostenloser Tipp: Hier kann man 4free von PianoRollen portierte MidiFiles ergattern. Aber Vorsicht, da sind echte Perlen dabei (bspw. Rachmaninoff und Faure spielen eigene Stücke), das kann süchtig machen, gerade, wenn die ihren PianoStuff auf dem moog oder anderen missbräuchlich verwendeten Instrumenten spielen.

    Wer es lieber puristisch mag, der rüstet seinen Bösendorfer halt mit einem modernen SelbstspielSystem aus. Das wäre dann weit weg von 08/15^^

  16. #22 LasurCyan
    3. Oktober 2015

    “Popcorn” von Hot Butter (na, wer kennt’s noch?)

    Ich! Das kannst Du dort downloaden und dann in GarageBand (oder was auch immer) importieren, Alderamin.

  17. #23 Alderamin
    3. Oktober 2015

    @LasurCyan

    Oh, danke, bin gespannt ob das klappt. Der Link war kaputt, aber dieser wird’s wohl gewesen sein:

    https://electrofresh.com/

  18. #24 LasurCyan
    4. Oktober 2015

    aber dieser wird’s wohl gewesen sein:

    Genau dieser ;-)

  19. #25 Alderamin
    4. Oktober 2015

    @LasurCyan

    Nur leider kann GarageBand auf dem iPad anscheinend keine Midi-Files laden… und einen Mac hab’ ich nicht. :-(

  20. #26 LasurCyan
    4. Oktober 2015

    Nur leider kann GarageBand auf dem iPad anscheinend keine Midi-Files laden

    Erstaunlich, aber wahr, Alderamin. Der Ausweg wäre, eine andere midiplayerApp zu verwenden und damit GarageBand anzusteuern. Müsste eigentlich gehen (hab damit aber keine praktische Erfahrung, bei mir läuft das typischerweise andersrum, midi kommt vom Mac/von Logic in das iPad, wo sich etliche synthApps tummeln.)

  21. #27 JoselB
    6. Oktober 2015

    @Alderamin: Danke für den Technoir-Link, passt recht gut zu meinem Geschmack.

    Zum Thema: Hab mich schon manchmal gefragt, ob so Extremmidi möglich ist, hab aber nie wirklich danach gesucht, interessant zu hören.

    @Phillip: Bin mir nicht sicher, ob das möglich ist. Immerhin dürfte man dann entweder nur Sinustöne als Instrument nehmen, oder muss Nebenfrequenzen und Klangverläufe durch weitere Noten kompensieren. Außerdem muss der Einsatz der Noten perfekt abgestimmt sein und selbst dann bekommt man nur ein diskretes Signal.

  22. #28 Alderamin
    7. Oktober 2015

    @JoselB

    Danke für den Technoir-Link, passt recht gut zu meinem Geschmack.

    Es gibt auch ein paar Alben von denen als Download zu kaufen. Leider ist die Sängerin Julia Beyer beim letzten nicht mehr dabei gewesen, und Steffen (der war früher Software-Entwickler in meinem Team) kann sie gesangstechnisch nicht ersetzen… aber das Album “Deliberately Fragile” ist den beiden sehr gut gelungen. Genug OT…