Auch wenn die Ariane 5 heute als sehr zuverlässige Rakete bekannt ist, war das nicht immer so. Natürlich wird man in den Imagefilmen der ESA nicht daran erinnern, wie hier zum 30-jährigen Jubeläum des ersten Arianestarts von 1979. Aber mir ist die Ariane 5 vor allem mit diesen Bildern, vom ersten Start, in Erinnungen geblieben:

Der Absturz der ersten Ariane 5 war dramatisch. Die Nutzlast bestand aus 4 Satelliten des Cluster Experiments, im Wert von $370mio. Die Geschichte der Delta III begegnete mir tatsächlich erst vor ein paar Wochen, aber die Paralleln sind ziemlich erschreckend. Auch bei der Ariane 5 war der Grund ein einfacher Softwarefehler. Einer jener Fehler, die man durch eine vernünftige Simulation mit der Hardware hätte finden können.

Ganz konkret war es Variable, die die Querbeschleunigung anzeigen sollte, in einem Programmteil des Steuerprogramms, das aus Kompatibilitätsgründen von der Ariane 4 übernommen wurde, aber keine Funktion mehr erfüllte. Das Trägheitsmesssystem lieferte dem Computer Daten, der sie dann in der Variable speicherte. Die Variable war eine 16-bit Variable mit Vorzeichen und das wurde der Rakete zum Verhängnis. Denn die Ariane 5 war eine viel schwerere und schubstärkere Rakete, auf die viel größere Kräfte wirkten.

Die Messwerte überschritten irgendwann den magischen Wert von 32768, das obere Ende des Definitionsbereichs der Variable. Die Sprang um auf -32767 und das Programm meldete einen Rechenfehler, der zu Beendung des Programms führte. Die Steuerdüsen der Rakete blieben in der Stellung in der sie waren und die Rakete geriet außer Kontrolle.

Der Grund war letztlich, dass das System nie zusammen mit der Hardware getestet wurde, die tatsächlich verbaut wurde und auch nie mit der Flugbahn, die die Ariane 5 fliegen würde. Stattdessen verwendete man simulierte Daten und der Fehler fiel nie auf.

Aber auch ohne diesen Fehler wäre die Mission gescheitert, so wie beim zweiten Flug der Ariane 5. Die Düse des Triebwerks der ersten Stufe verursachte ein Drehmoment, das nicht ausgeglichen werden konnte. Die Stufe fing an, sich zu drehen. Wegen der Rotation wurde der Treibstoff im Tank an die Wände gedrückt und gelangte nicht mehr zum Ansaugstutzen des Triebwerks. Die Stufe stellte den Betrieb vorzeitig an und die zweite Stufe hatte nicht genug Reserven, um die Nutzlast trotzdem in den geplanten Orbit zu bringen.

Obwohl die Rakete neu war, kam man nicht auf den Gedanken einen reinen Testflug durchzuführen, oder wenigstens eine leichtere Nutzlast zu verwenden um größere Reserven zu haben, wie es zum Beispiel SpaceX bei den ersten Flügen der Falcon 9 Varianten tut.

Anders als bei der Delta III hatte man bei der ESA keine Wahl. Die Ariane 5 war als Nachfolger der Ariane 4 fest gesetzt und war so zum Erfolg verdammt. Der dritte Flug war dann auch endlich der erste erfolgreiche Flug. Aber schon beim zehnten Flug kam ein weiterer Rückschlag. Wegen einem Leck in der Oberstufe erreichten zwei Satelliten nur die halbe Höhe des Transferorbits. Einer der Satelliten wurde daraufhin aufgegeben, weil er keine Reserven hatte um die fehlende Höhe auszugleichen. Der Artemis Satellit war aber testweise mit Ionentriebwerken ausgestattet und nutzte sie um den Orbit zu erreichen. Der zusätzliche Treibstoffverbrauch verringerte aber die Lebensdauer des Satelliten um viele Jahre.

Die Erfolgsquote von 70% wurde auch dadurch nicht viel besser, dass der 14. Flug ebenso scheiterte. Er wurde mit viel Enthusiasmus angekündigt:

Und in den live Nachrichten sah auch alles ganz gut aus:

Aber tatsächlich geriet die Rakete genau am Ende dieses Beitrags außer Kontrolle. Die hier verwendete Ariane 5 ECA war neu. Jedes Teil wurde verändert. Die Booster waren verbessert, die Oberstufe war neu, auch wenn sie ein Triebwerk der Ariane 4 verwendet. Auch das Triebwerk der ersten Stufe war neu und es stellte sich heraus, dass dessen Düse nicht genug gekühlt wurde und ein Teil davon schmolz. Daraus resultierte ein Schub zur Seite, der die Rakete schließlich vom Kurs ab brachte. Auch sie musste letztlich gesprengt werden.

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Kommentare (9)

  1. #1 Christopher
    3. November 2015

    Wie schafft man es denn einen Lagesensor falsch herum einzubauen? Haben sie danach “This side up”-Aufkleber wie beim Shuttlecarrier verwendet? :D

    • #2 wasgeht
      3. November 2015

      Das ist eine sehr gut Frage. Aber ich schätze aber, dass ein Schraubenschlüssel dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat. ;)

  2. #3 Oberschwabe
    3. November 2015

    Wie schafft man es denn einen Lagesensor falsch herum einzubauen?

    Kein “Poka Yoke”… :-)

  3. #4 Hav0k
    3. November 2015

    Wow, sehr interessant. Im ersten Moment hab ich mich gefragt, was die Ingenieure denn da zusammegestümpert haben. Falsch deklarierte Variablen, Düsen die das ganze System in Drehung versetzen, etc. Andererseits muss man sich auch wieder vor Augen halten, wie komplex Raketen sind.

    • #5 wasgeht
      3. November 2015

      Man musste erst bei der Qualitätskontrolle dazulernen. Man hatte dort zum Beispiel gedacht, dass das wiederverwenden von Software allein reicht, um die Qualität sicher zu stellen. Bei der Delta III war es ja nicht anders und ein Start einer Titanrakete klappte 1999 auch nicht – wegen einem Kommafehler. Dazu kamen noch zwei wegen Software verlorene Marssonden.

      Solche etwas dümmlichen Fehler gibt es immer wieder. Es ist nur selten so, dass die Konsequenz der Verlust einer Mission im Wert einiger hundert Millionen Dollar sind ohne Chance den Fehler zu korrigieren und den Schaden zu verhindern.

      Es war irgendwie ein Teil einer Softwareseuche in der Raumfahrt am Ende der 90er Jahre. Ein wesentlicher Faktor war wohl auch, dass die Budgets der Raumfahrt nach dem kalten Krieg zusammengestrichen wurden. Viele Leute wurden entlassen, viel weniger Raketen wurden gestartet etc. *

      Ganz offensichtlich wusste man nicht, wo man wie sparen kann und wo und wie nicht. Man hat inzwischen daraus gelernt.

      * In den 70er/80er Jahren haben die Russen z.B. noch etwa 60-80 Soyuz Raketen pro Jahr gestartet, mehr als eine pro Woche. Dazu kamen noch 40 Kosmos und 10-20 Protons. In den USA war es natürlich nicht ganz so drastisch, aber auch da sind die Startraten trotz des Aufschwungs in den letzten 10 Jahren noch längst nicht wieder dort wo sie einmal waren.

  4. #6 schlappohr
    3. November 2015

    Dabei hätte der Lagesensor ja eigentlich schon auf der Startrampe unsinnige Werte liefern müssen, oder? Wenn das für die Steuerechner ok ist, dass die Rakete erstmal nach unten startet und dann um 180 Grad gedreht werden muss um auf den richtigen Kurs zu kommen, dann fehlen da möglicherweise ein paar wichtige Plausibilitätschecks in der Software.
    Aber bei System dieser Komplexität ist es immer einfach zu lästern…

    • #7 wasgeht
      3. November 2015

      Ja. Aber unsinnige Werte auf der Startrampe haben auch die Amerikaner nicht abgehalten, 1999 eine Rakete ihrem Schicksal zu überlassen.

  5. #8 gedankenknick
    3. November 2015

    “Wie schafft man es denn einen Lagesensor falsch herum einzubauen?”
    In dem er so konstruiert ist, dass man ihn falsch herum einbauen KANN. Gemäß “Murphys Gesetz” wird dann irgendwann jemand kommen und diese Möglichkeit ausprobieren. Der Grund dafür ist meist Zeitdruck oder so viel Routine, dass es zu Unaufmerksamkeit führt. Genau so, wie regelmäßig CF-Karten falsch herum ins Slot gesteckt werden oder IDE-Stecker falsch herum aufs Board gesteckt wurden (obwohl bei beiden schon konstruktive Maßnahmen gegen das verkehrte Einstecken ergriffen wurden, nur eben nicht ausreichend.)

    SCART-Stecker wären ein Beispiel, die sich auch nicht mit Gewalt falsch verbinden lassen. Dazu muss so ein Ding möglichst sowohl horizontal als auch vertikal asymetrisch designt sein, im Falle eines zu montierendenden Sensors eventuell auch noch in der 3. Ebene (Tiefe). Möglich wäre so etwas z.B. mit einem asymetrisch gebohrten Montageloch, welches an der Außenseite (für die zu verwendende Senkkopfschraube) angesenkt ist.

  6. #9 schlappohr
    3. November 2015

    @wasgeht

    Mein Sarkasmus war auch nicht direkt gegen Russland gerichtet. Die wissen, wie man Raketen baut, haben sie ja eindrucksvoll bewiesen.
    Aber je komplexer die Systeme sind, desto ulkiger und unverständlicher werden die Fehler, die zu ihrem Scheitern führen. Erstaunlicherweise sind es oftmals nicht irgendwelche unvorhersehbaren Wechselwirkungen der Komponenten, die die Katastrophe auslösen, sondern Fehler, die für Außenstehende peinlich und unverständlich erscheinen.