Nicht jeder Fortschritt ist immer gleich mit Größe verbunden. Die höchsten Türme werden gefeiert, genauso wie die längsten Tunnel und Brücken. Größer ist besser. An der Größe der Hinterlassenschaften beurteilen wir, nur zu oft, wie weit Fortgeschritten ein Volk in der Geschichte war. Nicht zuletzt daher haben die alten Ägypter ihren Ruf. Sie haben die größten Dinge gebaut.

Aber sehr oft ist Größe gar keine Kunst. Sie ist nur der Ungeschicktheit der ersten Versuche geschuldet. Die fehlende Erfahrung im Umgang mit einer Technik oder die Umstände zwingen die ersten Erfinder dazu, sie größer zu machen als sie das vielleicht gern würden.

Die ersten Räder waren oft wenigstens einen Meter groß. Deswegen war die Erfindung des Rades eine so große Sache (in mehr als einem Sinn). Denn nur weil das Rad erfunden war, gab es noch keine Straßen. Die ersten Wagen mussten sich ihre Wege über unebenes Gelände bahnen und dort gilt: Größer ist besser, wenn man Steine und Löcher auf dem Weg überwinden muss.

Entsprechend war der eigentliche Durchbruch nicht die Erfindung des Rades, sondern eher die Erfindung eines ausreichend großen Rades in einer Umgebung, in der man Fahrzeuge damit benutzen kann. Wir reden von Durchmessern von etwa einem Meter. Natürlich kann man so große Räder einfach mit Äxten aus einem Baumstamm herausarbeiten, gleich zusammen mit einer Radnabe. Man braucht dafür nur einen ausreichend dicken Baumstamm. Und das hat man auch getan, in Nordeuropa.

Aber wirklich nützlich sind Räder eher auf den weiten Steppen von Zentralasien. Die Gegend hat den Vorteil, dass dort nicht so viele Bäume herum stehen und mehr Platz zum Fahren bleibt. Das Problem ist nur, dass dort auch Bäume mit großem Durchmesser eher rar sind. Also musste man einen Weg erfinden, wie man aus kleinen Bäumen große Räder bauen konnte. Das geschah in Zentralasien und man machte es, in dem man letztlich Räder aus zwei oder drei kleinere Baumstammstücken zusammensetzte.

Irgendwann begann man Teile aus den Baumscheiben heraus zu hacken, so dass Lücken entstanden. Daraus entwickelten sich Speichen und letztlich moderne Wagenräder. Natürlich auch noch größere Räder, besonders wenn man ein angesehener, reicher Machthaber war. Dann war größer natürlich besser – aber nicht unbedingt praktischer.

Die wichtigste Erfindung für das Rad hatte deswegen überhaupt nichts mit dem Rad zu tun, sondern mit der Oberfläche auf der fährt. Egal ob es Straßen sind oder Stahlschienen sind, erst wenn ein Rad auf einer glatten Oberfläche fährt, ist es wirklich gut. Und dann kann es auch viel kleiner und leichter sein. Weniger Reibung gibt es noch obendrauf.

Etwas ausführlicher gibt es diese Geschichte hier bei Richard Bulliet zu hören:

Das Rad ist nicht auch nicht das einzige Beispiel. Man denke nur an mechanische Uhren. Die ersten Uhren waren Turmuhren. Und das war auch notwendig, denn Uhren sind eine Frage der Präzission. Es dabei aber nicht um die absolute Genauigkeit der Mechanik, sondern um die relative Genauigkeit im Vergleich zur Größe des gesamten Uhrwerks. Wenn man Teile mit einer Genauigkeit von 0,1mm herstellen kann, dann sind sie zehn mal so gut in einem 1m großen Uhrwerk, im Vergleich mit einem 10cm großen Uhrwerk.

Gleichzeitig ist so ein kleines Uhrwerk natürlich erstrebenswert. Denn um so kleiner die Teile sind, um so weniger Material wird verbraucht und um so weniger Aufwand wird gebraucht um die Teile anzufertigen. Der Rest ist fast schon sprichwörtlich in die Geschichte eingegangen. Man versuchte die Uhren immer kleiner zu bauen und das gelang auch. Die ersten Taschenuhren entstanden im 16. Jahrenhundert. Vor allem profitierten die Menschen davon nicht nur in Form von kleineren Uhren. Es entstanden auch präzise Messgeräte und Werkzeuge für andere Geräte, die letztlich unentbehrlich waren für die großen Fortschritte in der Wissenschaft, vor allem durch Messungen, die uns spätestens seit dem 17. Jahrhundert begleiten.

Zu diesen Entwicklungen gehört auch das klassische Beispiel schlechthin. Das Ding an dem ich hier sitze. Als Charles Babbage das Konzept der ersten programmierbaren Rechenmaschinen erarbeitete, konnte das nur mit mechanischen Teilen umgesetzt werden. Trotz aller Uhrmacherkunst stellte das ein ernsthaftes Problem dar. Mechanisches Spiel, Reibung und die schlicht notwendige Größe der Teile machten solche Rechenmaschinen nicht nur schwer zu bauen, sondern auch nicht sonderlich hilfreich.

Besser wurde es erst durch die Verwendung von Elektrizität und elektromagnetischen Schaltern. Diese Teile kennen wir als Relais, weil sie in der Nachrichtentechnik als Schalter verwendet wurden. Um dort zuverlässig automatische Verbindungen herstellen zu können, wurden sie immer weiter perfektioniert. Letztlich waren sie so gut, dass Konrad Zuse und einige andere Pioniere der Computertechnik die ersten Computer mit solchen Relais bauen konnten, die munter vor sich her klapperten. (Wenn sich nicht gerade eine Motte in die Relais verirrt hatte und mit ihren Flügeln ein Relais blockierte. Was uns bis heute die Bezeichnung Computerbug eingebracht hat – wobei der Ausdruck wohl auch schon vor diesem Vorfall (Bild) existierte.)

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Mit einem kurzen Umweg über die Vakuumröhre war es schließlich der Transistor, der Computer noch kleiner machen konnte. Hauptsächlich weil man einen Weg fand, Transistoren durch Lithographische Methoden auf der Oberfläche von Siziliziumwafern zu erzeugen.

Genauso könnte man noch mehr Beispiele anführen. Die ersten Dampfmaschinen waren so groß wie Gebäude, erst bessere Mechanik und Metallurgie machen kleinere Motoren möglich. Auch Schießpulverwaffen fingen nicht mit kleinen, handlichen Waffen an. Zuerst kam die Kanone, dann die Handkanone und erst viel später Musketen mit langem, schlanken Lauf und Pistolen. Manchmal ist der Fortschritt eben im kleinen zu suchen. Und keiner hat dieses Argument besser vorgebracht als Richard Feynman, der die entwicklung hin zur Nanotechnik schon 1959 gesehen hat:

Man sollte in all der Euphorie nur nicht vergessen, dass Größer manchmal einfach trotzdem besser ist. Wenn eine Schlucht 300m breit ist, wird niemand sagen, dass 50m lange Brücken doch viel schicker sind.

Ja, “Small is beautiful” – aber nicht dort, wo es der Funktion im Weg steht.

Kommentare (2)

  1. #1 schnablo
    11. Januar 2016

    Schon interessant, aber doppelt so viele Räder verdoppeln nicht die Reibung. Hätte er mal seine Physiker-Mutter fragen sollen.

  2. #2 blogjoker
    hic et nunc
    11. Januar 2016

    Klasse Artikel, super geschrieben!

    Vor allem das Video von Feynman ist sehenswert.